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vom:
20.10.2001

update:
13.11.2001


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Die Gewaltspirale durchbrechen - Aktuelles

 Echo / Presse

Martin Walser: "Militärschläge sind kein Mittel, sie bedeuten vielmehr eine Bankrotterklärung der Politik"

Mannheimer Morgen, Thomas Groß

Schriftsteller Martin Walser über den 11. September, die Rolle der Intellektuellen und die Bedeutung der Literatur. Von unserem Redaktionsmitglied Thomas Groß
Martin Walser hält eine Politik für gescheitert, an deren Ende Militärschläge stehen. Mit unserer Zeitung sprach er zudem über aktuelle und künftige literarische Projekte.


Frage: Herr Walser, die Terroranschläge vom 11. September bestimmen die politische Tagesordnung. Wie erlebten Sie die Ereignisse?

MARTIN WALSER: Ich musste am Abend in Bamberg lesen. Ich fragte mich, wie kann man nun aus einem Roman lesen, der "Der Lebenslauf der Liebe" heißt? Doch die Organisatorin sagte, wir machen es trotzdem. Also folgte ich einem inneren Impuls und sagte: Die Amerikaner pfuschen mir schon wieder drein. Die Leute waren irritiert, und ich habe erzählt, dass am 21. November 1963 mein Stück "Überlebensgroß Herr Krott" in Stuttgart uraufgeführt werden sollte, wegen der Ermordung Kennedys aber abgesagt wurde. Dann habe ich gelesen, später haben zwei Zuhörer gesagt: Sie haben uns den Tag vergessen lassen. Eine schöne Erfahrung für mich als Autor.

Frage: Manche begreifen den 11. September schon als Beginn eines neuen Zeitalters. Wie beurteilen Sie das?

WALSER: Das halte ich für Medienhektik - man muss heute für alles gleich abschließende Sätze sprechen. Man hat, glaube ich, in der Geschichte der Menschheit noch nie gemerkt, wann eine neue Epoche begonnen hat; das weiß man immer erst viel später.

Frage: Wie stehen Sie zu den Militärschlägen?

WALSER: Ich halte Kriege für keine Lösung. Für mich bedeuten sie eine Kapitulation der Politik, eine Bankrotterklärung. Ein Krieg wie dieser jetzt, überhaupt diese neuen CNN-Kriege, die wir am Fernsehschirm wahrnehmen und die meist in der Dritten Welt stattfinden, erinnern mich an die deutsche Kanonenbootpolitik von Wilhelm II.: Man macht das, was man sich aufgrund der eigenen Machtstellung glaubt erlauben zu können. Für mich hat Präsident Bush viel zu viel von Gut und Böse geredet, er hat schon früher ganze Staaten zu Schurkenstaaten ernannt. Eine Politik, die darauf beruht, strikt in Gut und Böse einzuteilen, ist hoffnungslos. Auf diese Weise schafft es Osama bin Laden, dass die westliche Seite genau so daherredet wie er. John le Carré hat gerade treffend geschrieben, wer jetzt nicht den Ton der Gut- und Böserhetorik anschlage, der sei verdächtig, und das ist jetzt noch mehr der Fall als beim Golfkrieg. Ich fühle mich nicht auf der Seite von Menschen, die Krieg führen. Es muss politische Mittel geben. Sonst muss man sagen: Solls doch ein anderer probieren, vielleicht könnte es ein anderer Präsident besser. Die vollmundige Zustimmung zumal, die in Deutschland gang und gäbe ist, tut mir schon ein bisschen weh.

Frage: Sehen Sie, wie Botho Strauß oder andere, in der Entwicklung auch eine Konsequenz der Globalisierung?

WALSER: Auf jeden Fall ist es uns nicht gelungen, dem Radikalismus und Terrorismus den Boden zu entziehen, weder durch unsere Politik und Entwicklungshilfe noch durch Aufnahme von Beziehungen anderer Art. Was aber die sogenannte Globalisierung betrifft: Wirtschaftsbeziehungen bestanden auch zuvor schon, sie ist vielleicht eine Art Beschleunigung, aber nichts ganz Neues. Ich glaube nicht, dass die Nationen weniger wichtig werden, und auch die jeweiligen politischen Verantwortlichkeiten bleiben bei den einzelnen Staaten. Wir können nichts nach Brüssel, nach Washington oder an die Uno delegieren. Auch den Kampf gegen den Terrorismus nicht. Ich denke wie John le Carré: Wenn es gelingt, bin Laden zu fangen und zu töten, schaffen wir einen Märtyrer, der viele Nachfolger finden wird.

Frage: Welche Aufgabe haben die Intellektuellen in Zeiten wie diesen? Was sollten Sie tun, statt nur, mit Botho Strauß zu reden, Betroffenheitsrepräsentanten zu sein oder, um das zu zitieren, was Sie seit Jahren kritisieren, nur sprachregulierende Meinungssoldaten der politischen Korrektheit zu sein?

WALSER: Der Unisonochor der Betroffenheit, das Vibrato der Empörung, das auch bei Außenminister Fischer und Kanzler Schröder zu hören ist, produziert bei Intellektuellen ein Distanzgefühl. Vielleicht muss man so sprechen, wenn man an deren Stelle ist. Doch im Lauf der Zeit sollte man sich auch wieder beruhigen und nachdenken. Darauf hinzuweisen, ist eine Aufgabe der Intellektuellen.

Frage: Es gibt Menschen, die sehen mit dem 11. September das Ende der Spaßgesellschaft gekommen, eine Rehabilitierung des Ernstes, ein Wiedererstarken des Politischen...

WALSER: Spaß oder Ernst, das sind so wenig strikte Gegensätze wie Gut und Böse. Ich hatte übrigens nie das Gefühl, in einer Spaßgesellschaft zu leben. Wenn die Menschen etwas mit ihrer Freizeit anzufangen wissen, ist das doch positiv. Das macht aber keine ganze Gesellschaft aus. Ich halte solche Etikettierungen für unangemessen.

Frage: Auch im Kontext des Terrors gibt es Dinge, die nicht immer klar zwischen Ernst und Unernst unterscheiden lassen. Die Anschläge aufs World Trade Center liefert das Fernsehen in zigfacher Wiederholung und aus den verschiedensten Perspektiven, wodurch sie eine grausig-ästhetische Dimension erfahren. Dies ist ja der ernst zu nehmende Kern der Aussage von Karlheinz Stockhausen, der - im übrigen reichlich verquer - die Anschläge als "größtes Kunstwerk" bezeichnete. Die Trittbrettfahrer, die so tun, als ob sie Briefe mit Krankheitserregern verschickten, beteuern, sich nur einen Spaß haben machen zu wollen, und Sympathisanten bin Ladens halten Plakate hoch, auf denen der mutmaßliche Terrorist neben Bert aus der Sesamstraße zu sehen ist, den sie freilich nicht kennen. So existiert sein Bild nun mal im Internet, wo eigenartige Spaßvögel sich den Scherz einer Montage erlaubten...

WALSER: Sicher, die Bilder vom Terror gehen auch ein ins allgemeine Bildarchiv und verlieren so ihren Schrecken. Ästhetische Dimensionen haben übrigens Katastrophenszenarien schon immer gehabt, Schiffsuntergänge zum Beispiel oder auch Kriegsereignisse. Aber nur solange man keine Menschen sieht, die zu Schaden kommen. Der ästhetische Eindruck hat sich für mich aufgelöst, als ich die Person oben im World Trade Center sah, die mit einem Tuch um Hilfe winkte.

Frage: Vor der Frankfurter Buchmesse haben einige Literaturbeobachter gemeint - angeblich wiederum passend zur Weltlage -, die deutsche Literatur habe den Ernst wiederentdeckt. Würden Sie das bestätigen?

WALSER: Das gehört einfach zum Betriebsspiel, jede Saison braucht Etiketten, und da klebt man dann solche wie "Ernst wiederentdeckt" oder "neue Unübersichtlichkeit" oder andere Verallgemeinerungen darauf. Im Übrigen reagiert Literatur natürlich nicht auf tagesaktuelle Ereignisse, das kann sie ja gar nicht. Deshalb war es auch Unsinn, gleich nach der deutschen Wiedervereinigung den Roman zu fordern, der sie reflektiert.

Frage: Zum Ernst Ihrer eigenen Literatur: Nachdem Sie in Ihrem Roman "Ein springender Brunnen" in die Vergangenheit zurückgegangen waren, sind Sie im "Lebenslauf der Liebe" in die Gegenwart zurückgekehrt. Darf man den Roman als zeitkritischen Gegenwartsroman lesen -zuweilen wird er ja auch als Roman der New Economy bezeichnet, manchmal als satirischer Gegenwartsroman...

WALSER: Jeder Einzelne liest ja nicht mein, sondern sein eigenes Buch, fasst Dinge auf eine Weise auf, die meiner eigenen gar nicht entsprechen mag. Ich habe mich dennoch nie missverstanden gefühlt - auch dann nicht, wenn jemand das Buch als Satire liest, obwohl ich nie eine Satire schreiben könnte, eine solche Schreibhaltung entspricht mir nicht. Ich schreibe einen Roman so, wie ich ihn aus dem jeweiligen Stoff herausarbeiten kann, und zudem habe ich gewisse Genauigkeitsvorstellungen, gewisse sprachliche Erwartungen. Zur New Economy: Für mich war es nicht die Hauptsache, aber eine wichtige Nebensache, dass ich in der Figur des Edmund einen Wirtschaftenden erzählen konnte - wie er aufblüht und vergeht, weil er sich infiziert an der neuen Spekulationsmasche. Aber das bleibt eingebettet in das Gesamte.

Frage: Was faszinierte Sie an der Hauptfigur Susi Gern, die ein lebendes Vorbild hatte?

WALSER: Was ich von dieser Frau, die sehr reich war, aber erzählen wollte, wie es ihr ansonsten ging, im Lauf von Jahren zu hören bekam, war ein ziemlich banaler Text. Trotzdem roch es nach Schicksal. Von den erzählten Begebenheiten konnte ich mich dann nicht mehr lösen, und irgendwann habe ich gemerkt, dass daraus literarische Figuren werden könnten. So bekommt alles bei mir eine eigene Dynamik, ich denke dann auch nachts an die Figuren, an die wirklichen überhaupt nicht mehr, und dann fängt alles an, miteinander im Kopf ins Gespräch zu kommen, dann sucht es einen Ton und dann wird es lebendig. Das ist eine sehr schöne Zeit, man schreibt noch nicht, aber man ist lebendig wie sonst nie. Als ich glaubte, einen Ton für Susi gefunden zu haben, probierte ich ihn aus, zeichnete ihn auf. Wenn ich in einem Ton drin bin, kann ich ewig weitermachen.

Frage: Man hat Sie als Unterlegenheitsspezialisten charakterisiert. Fügt sich Susi Gern nahtlos ein in die Reihe Ihrer Hauptfiguren, die Helmut Halms und Anselm Kristleins?

WALSER: Meine Helden leben von ihren Schwierigkeiten - Susi auch, sie hat einen Glücksanspruch und geht von ihm nicht ab. Das hat mich am meisten fasziniert: Sie ist ein Mensch, der nicht dauernd mit der Apokalypse hausiert, sondern glücklich sein will. Das wollen zwar die meisten Menschen. Wir reden aber nicht gern davon, weil es nicht so interessant ist wie vom Unglück zu reden. Susi spricht ja von ihrem Unglücksglück. In dem Wort ist beides drin, damit entspricht sie meinen früheren Helden. Gestern wurde ich darauf hingewiesen, dass das Wort schon in meinem "Schwanenhaus" vorkomme. Ich muss nachschauen, ich kann es nicht fassen.

Frage: Haben Sie schon ein neues literarisches Projekt in Arbeit?

WALSER: Ich würde gern etwas schreiben, das den Arbeits- oder endgültigen Titel "Die Geheimhaltung" hätte. Kein Mensch könnte leben ohne Geheimhaltung. Man spricht meist nicht aus, worin das eigene Selbstverständnis gründet. Ein solcher Text müsste teilweise erzählt werden, aber auch essayistisch sein.

Frage: Ich bin gespannt, ob es dazu kommt...

WALSER: Ich auch.

Quelle: Mannheimer Morgen 20.10.2001,
http://www.morgenweb.de/archiv/2001/10/20/hintergrund/20011020_0
3_RFF1355000_29101.html


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