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vom:
25.06.2002


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Die Gewaltspirale durchbrechen - Aktuelles

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Fragen und Thesen von Roland Roth (23. Juni 2002) zum Strategiekongress Bielefeld 29./30.06.2002

Friedensbewegung als Teil einer Protestkultur zwischen Aufbruchstimmung, Verunsicherung und Resignation

Roland Roth

"Die Zyklen der Friedensbewegung sind nicht unabhängig voneinander. Ihre jeweilige Qualität ist Ergebnis von Massenlernprozessen, die sich kontinuierlich weiterentwickelten... Die Entstehungsbedingungen sind komplex. Aktuelle Krisenlagen, aktuelle Ereignisse, politisches Handeln der Eliten und struktureller Immobilismus der Parteien und Institutionen stehen in dialektischer Beziehungen zueinander" (Ulrike Wasmuth 1987)

Die von der rotgrünen Bundesregierung betriebenen deutschen Kriegsbeteiligungen in Ex-Jugoslawien und Afghanistan markieren gänzlich neue Ausgangsbedingungen für friedenspolitische Mobilisierungen in Deutschland. Beide Kriege stellen in mehrfacher Hinsicht einen Umbruch dar:



Damit wurde die nach dem 2. Weltkrieg erworbene "Unschuld" bzw. das Versprechen des "Nie wieder!" in Sachen deutscher Militäreinsätze aufgekündigt.



Friedensbewegte Gegenmobilisierungen gegen diese Kriege sind ingesamt eher bescheiden ausgefallen, vergleicht man sie etwa mit den Protesten gegen die sog. "Nachrüstung" in den 1980er Jahren. Noch bis Mitte der 1990er Jahre hinein schien es nahezu undenkbar, in einer stark zivil gestimmten deutschen Gesellschaft, zu der auch die "friedliche Revolution" in der DDR beigetragen hatte, eine mehrheitliche Unterstützung für Kriegsbeteiligungen zu finden.



Mit den neuen Kriegen brach das sympathisierende und unterstützende Umfeld der Friedensbewegungen zu einem erheblichen Teil weg. In den meisten gesellschaftlichen Institutionen (Parteien, Kirchen, Gewerkschaften, publizistische Öffentlichkeit bis hin zu den Friedensforschungsinstituten) verschoben sich die Mehrheitsverhältnisse zu Lasten von Anti-Kriegs-Positionen.



Seit Beginn des 21. Jahrhunderts scheinen Friedensinitiativen und pazifistische Orientierungen wieder in die Nische bestenfalls wohlmeinender und harmloser, aber gänzlich realitätsferner Gesinnungsgemeinschaften abgedrängt worden zu sein - eine Nische, in der friedenspolitisch Engagierte historisch schon häufig zu agieren hatten.


Diese gesellschaftlichen Verschiebungen erfordern eine umfassende Analyse, die hier nicht geleistet werden kann. Stattdessen sollen z.T. thesenhaft einige Dimension angesprochen werden, die in sozialwissenschaftlichen Analysen üblicherweise betrachtet werden, wenn es um die Mobilisierungsbedingungen von sozialen Bewegungen geht.

1. Bewegungssektor/Bewegungsfamilien

Mobilisierungen von Einzelbewegungen sind stets in größere Bewegungskontexte eingebettet. So war die Stärke der Friedensbewegung in der ersten Hälfte der 1980er Jahre einem allgemeinen Aufschwung der neuen sozialen Bewegungen (Ökologie, Frauen etc.) geschuldet. Die "neue Friedensbewegung" war so auch intern durch die Anreicherung mit ökologischen und feministischen Motiven gekennzeichnet. Gemeinsam war die Vision eines sanften gesellschaftlichen Umbaus, der neben ökologischer Nachhaltigkeit und Geschlechtergerechtigkeit auch Friedensfähigkeit garantieren sollte.

Spätestens seit den 1990er Jahren beobachten wir eine marginale Institutionalisierung der neuen sozialen Bewegungen. Ihre Themen und Praxisansätze sind Teil des gesellschaftlichen Alltags geworden: ob Frauenbüros oder Agenda 21, Umweltinstitute oder gender mainstreaming. Auch Proteste entlang dieser Themen gibt es nach wie vor. Gleichwohl sind die erhofften tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen ausgeblieben, die utopische Energie weitgehend verschwunden. Schien es in den 1980er Jahren noch plausibel, dass die Fülle der Einzelkritiken und Veränderungsinitiativen aus den neuen sozialen Bewegungen ein Maß an Gesellschaftsveränderung erfordert, das weit über dem liegt, was einmal mit dem Begriff "Sozialismus" verbunden wurde, so sind heute viele kleine, durchaus positive Veränderungen (und viele Rückschläge) übrig geblieben.

Diese Normalisierung und Institutionalisierung der neuen sozialen Bewegungen wurde in den 1990er Jahren zudem durch rechtsextreme und fremdenfeindliche Mobilisierungen herausgefordert. Protestpolitik ist heute weniger denn je ein grundsätzlich progressives Unternehmen. Rechtspopulistische Mobiliserungen haben den Bewegungssektor aufgemischt.

Für friedenspolitische Mobilisierungen ergibt sich daraus, dass sie nicht mehr auf die Zuarbeit aus "befreundeten" Bewegungssektoren zählen können und sogar mit falschen Freunden rechnen müssen (deutschnationale Argumente gegen Auslandseinsätze).

2. Politische Gelegenheitsstrukturen

Der Erfolg von Protestmobilisierungen hängt nicht zuletzt von gesellschaftlichen und politischen "opportunity structures" ab. So kann z.B. die politische Zusammensetzung von Regierungen die Ausbreitung von Protest erleichtern oder erschweren. Für die Mobilisierungsversuche der Friedensbewegung erwies sich im nationalen Kontext die "befreundete" rotgrüne Regierung als Desaster. Protest wurde z.B. zurückgehalten, solange die Chance für einen Politikwechsel, zumindest für entsprechende Projekte vom ZFD bis zur Entwicklungspolitik gegeben schien. Im Kontext der "humanitären Interventionen" erzielte die Regierungskoalition eine Glaubwürdigkeit für ihre Kriegslegitimation, die eine konservative Regierung nie erreicht hätte.

Verstärkt wurden diese demobilisierenden Effekte zeitweise durch eine besondere internationale Konstellation "linker" Regierungen in den wesentlichen Natoländern (USA, GB, F, I) und an der Spitze der Nato (Solana als "ehemaliger" Linker). Erst deren Vorgaben und ideologische Einstimmungen durch entsprechende Militärstrategien machten den "humanitären Imperialismus" (GB-Militärdoktrin: "humanitäre" Verantwortung für das Empire, US - Schurkenstaaten, Achse des Bösen) auch hierzulande hoffähig. Mit dem jüngsten Berlin-Besuch von Bush jr. wurde deutlich, dass diese lähmende internationale Konstellation nicht mehr gegeben ist.

3. Ressourcenmobilisierung

In der Bewegungsforschung wird betont, dass Bewegungen eigene Organisationen und Netzwerke brauchen, die in der Lage sind, Unterstützung und Beteiligung zu mobilisieren. Nun verfügt die Friedensbewegung über einige solcher Strukturen (Netzwerk Friedenskooperative, Kasseler Ratschlag etc.). Wie ist es dann zu erklären, dass der Anteil der Friedensbewegung am Gesamtvolumen der Proteste, der in der Geschichte der Bundesrepublik im Durchschnitt bei ca. 15 % liegt, in der Phase von 1993-2000 auf ein Allzeittief von 3,5 % abgesunken ist (Anteil der rechtsradikalen Proteste in dieser Phase: 24 %)
(1). Hat diese Mobilisierungsschwäche auch mit den Organisationen, der Arbeitsweise und den Schwerpunkten der Friedensbewegung selbst zu tun?Da ein erheblicher Teil der Ressourcen von sozialen Bewegungen von außen kommt, stellt sich die Frage nach den Unterstützern. Die Entwicklungen in den anderen neuen sozialen Bewegungen wurden schon angedeutet. Sie fallen als Unterstützergruppen weitgehend aus. Dennoch bleibt die Frage, wieso andere, in der Regel unterstützende Organisationen, wie Gewerkschaften, Kirchen, Parteien, Akademien nicht (mehr) in gleicher Weise verstärkend wirkten.

4. Mikromobilisierungskontexte

Ob sich Menschen an Protesten beteiligen, hängt nicht nur von Überzeugungen und politischen Erwägungen ab, sondern auch von persönlichen Lebenszusammenhängen und der Einbindung in Milieus ab, in denen Protest selbstverständlich ist. Damit kommt die Verfassung lokaler Bewegungsmilieus, besonders ihrer Friedensgruppen auf den Prüfstand - Milieus, die sich vielerorts in den siebziger und achtziger Jahren herausgebildet hatten. Was ist davon noch übrig? Sind Kerngruppen und Einrichtung zu einem anerkannten Teil der lokalen politischen Kultur geworden? Sind auf diesem Wege Protestmotive abhanden gekommen? Wurde es versäumt, Brücken zu nachfolgenden Generationen zu bauen, die heute "ihre" Proteste in "ihren" Netzwerken abseits der Altmilieus organisieren? Warum ist es nicht gelungen, bei allen Brüchen jene Protestkontinuitäten zu wahren, wie dies z.B. in den Wendland-Protesten möglich war? Die Frage ist in diese Richtung zu stellen, weil auch im letzten Jahrzehnt die Protestbereitschaft und die Zahl der Proteste zugenommen hat?

Angesichts der jüngsten Mobilisierungserfolge von transnationalen Netzwerken stellt sich auch die Frage, ob es im friedenspolitischen Bereich ein Defizit in der Nutzung neuer Kommunikationsmöglichkeiten (Internet etc.) als Mobiliserungs- und Vernetzungselement gibt?

5. Institutionalisierung und Professionalisierung

Es gehört zu erfolgreichen sozialen Bewegungen, dass sie eigene professionelle Orientierungen und Institutionen ausbilden, um sich selbst auf Dauer zu stellen und zugleich kontinuierlich in die Gesellschaft wirken zu können. Schließlich hängt ihre Anerkennung nicht zuletzt davon ab, was sie an sachlichen Alternativen anzubieten haben. Schon von ihrer sozialen Zusammensetzung her sind die neuen sozialen Bewegungen in hohem Maße "professionelle Bewegungen". Friedensforschung, Friedensdienste und Friedenspädagogik sind z.B. solche professionell-institutionellen Ergebnisse der Friedensbewegungen. Nicht zuletzt die "whistle blower" und "dissenter" in den Professionen haben erheblich zur Entwicklung sozialer Bewegungen beigetragen. Gleichzeitig sind Professionen immer in der Gefahr, Orientierungen auszubilden und zu prämieren, die sich an der öffentlichen (nicht selten staatlichen) Anerkennung messen und damit in Gegensatz zu den ursprünglichen Protestmotiven zu geraten. Wie steht es um dieses Dilemma in der friedenspolitischen Szene der Bundesrepublik. Welche Strategien wurden entwickelt, um solche Ablösungsprozesse zu verhindern? Welche bewegungsnahen Potentiale gibt es?

6. Sozialpsychologie des Protests

Längst ist anerkannt, dass nicht nur rationale Abwägungen, sondern auch starke Gefühle eine wichtige Voraussetzung für Protestbereitschaft sind. Die Bedeutung von Emotionen wurde gerade in der Friedensbewegung nie geleugnet. Günther Anders z.B. hat in den 1950er Jahren immer wieder den "Mut zur Angst" proklamiert, um die Apokalypseblindheit angesichts des atomaren overkills zu überwinden: "Ängstige Deinen Nachbarn wie Dich selbst!". Alexander Kluge sprach angesichts der "Nachrüstungs"-Proteste vom "Selbstvertrauen in unseren Ängsten", E. P. Thompson warnte vor dem "Exterminismus". Die sozialpsychologischen Bedingungen von friedensbewegten Protesten (Bedrohungsgefühle, Ängste, Betroffenheiten etc.) haben sich nach dem Ende des Kalten Krieges in unseren Breiten grundlegend geändert. Unbedroht von äußeren Feinden oder der perversen Selbstvernichtungslogik des Rüstungswettlaufs (z.B. Fulda-Gap) kann sich die Bevölkerung weitgehend "unbetroffen" von den neuen Kriegen fühlen. Sie erscheinen als "humanitär" und "chirurgisch" weit jenseits der eigenen Landesgrenzen und ohne nennenswerte Rückwirkungen auf die eigene Gesellschaft führbar. Die "humanitären Interventionen" können hierzulande als "Theater-Kriege" ohne schlechtes Gewissen und eigene Ängste konsumiert werden, wenn es gelingt, den Rest von Empathie mit großem Propagandaaufwand zu überlagern. Auch der neue "Kampf gegen den Terror" versucht, die mit dem 11.9. aufgebrochenen Bedrohungsgefühle mit der Aufrüstung des "Systems der inneren Sicherheit" einzudämmen. Dies gelingt umso leichter, wie die freiheitsbeschränkenden Maßnahmen auf "Randgruppen" konzentriert werden (Ausländer aus islamischen Ländern etc.). Friedenspolitische Mobilisierungen können heute jedenfalls weniger denn je auf Bedrohungsgefühle und Ängste setzen.

7. Framing

Soziale Bewegungen benötigen eigene Deutungsangebote ("frames"), um Anhänger und öffentliche Zustimmung zu gewinnen. Der Kampf um solche Deutungen ist ein wesentliches Element von Bewegungspolitik. Historisch war "Gerechtigkeit" das wohl erfolgreichste Deutungsangebot für Proteste. Der "Exterminismus"-Rahmen, d.h.dass die atomaren Aufrüstungen des Kalten Krieges nicht einen Zuwachs an Sicherheit bedeuten, sondern eine Steigerung des Selbstvernichtungsgefahr, war ein sehr erfolgreiches Deutungsangebot, das u.a. durch die Beteiligung von wissenschaftlicher Prominenz (Aufruf der Göttinger Atomwissenschaftler, Bertrand Russell etc.) gestärkt wurde. Ein ähnlich erfolgreiches friedensbewegtes Deutungsangebot - jenseits der reichlich vorhandenen Einzelanalysen - fehlt gegenwärtig mit Blick auf die "humanitären Kriege" und den "andauernden Krieg gegen den Terror". Jedenfalls spricht dafür die Wiederkehr von längst zu den Akten gelegten Denkfiguren, wie dem des "gerechten Kriegs" oder "Verteidigung der Zivilisation".

8. Bewegungskontexte

Einzelbewegungen sind stets eingebettet in Bewegungskontexte, die oftmals, aber nicht notwendig von einer Strömung dominiert werden (historisch z.B. lange Zeit die Arbeiterbewegungen). Friedensbewegung kann sich heute nicht länger im Kontext neuer sozialer Bewegungen interpretieren, weil deren Prägewirkungen nachgelassen hat. Nicht nur die Ära der "neuen Kriege" spricht deshalb dafür, über zentrale Elemente von Friedensbewegungen neu nachzudenken. Mit den globalisierungskritischen Protesten sind Netzwerke und Arbeitszusammenhänge entstanden, die für friedenspolitische Mobilisierungen zukunftsweisend sein könnten. Wenn die Mobilisierungsstärke der globalisierungskritschen Proteste anhält, ihre Vernetzungen und Organisationen sich stabilisieren können, spricht einiges dafür, dass "globale Gerechtigkeit" den künftigen Rahmen abgeben könnte, in dem auch friedenspolitische Mobilisierungen erfolgreich möglich werden. Jedenfalls ist es kein Zufall, dass bei Treffen von "attac" oder auf den Weltsozialforen in Porto Alegre Antikriegsresolutionen selbstverständlich sind. Auch die überraschend breite Resonanz der Aktionen und Demonstrationen gegen den Besuch von Busch jr. in Berlin deutet in diese Richtung.

Es geht wohlgemerkt nicht darum, den pazifistischen Eigensinn aufzugeben. Aber die Auseinandersetzung mit den globalisierungskritischen Bewegungen und Initiativen kann wechselseitig dazu beitragen, die Ära der "neuen Kriege" angemessener zu verstehen und die Empörung aufzunehmen, mit der heute eine wachsende Zahl von Menschen auf eine zunehmend ungerechtere Welt(un)ordnung reagieren.

Anmerkung:



1Die Daten stammen aus einem umfangreichen Gutachten von Dieter Rucht "Bürgerschaftliches Engagement in sozialen Bewegungen und politischen Kampagnen", das noch in diesem Jahr in der Reihe der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages "Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements" veröffentlicht werden wird.




Prof. Dr. Roland Roth lehrt an der Hochschule Magdeburg-Stendal im FB Sozial- und Gesundheitswesen und engagiert sich u.a. im Komitee für Grundrechte und Demokratie.

E-Mail: roland.roth@sozialwesen.fh-magdeburg.de
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