Eurofighter stoppen! - Inhalt vom: 26.07.2000 vorheriger nächster Artikel | Eurofighter stoppen!: Das Rüstungsprojekt aus: "Soldat und Technik", Nr. 6, Juni 2000 (Achtung: langer Text!) Eurofighter - zwei Jahre vor der Einführung in die Luftwaffe Horst Klügel Eines der heftigst umstrittenen Rüstungsprogramme der letzten Jahrzehnte wurde in Deutschland mit der Entscheidung des Deutschen Bundestages im November 1997 zur Beschaffung von 180 Kampfflugzeugen Eurofighter für die Luftwaffe auf den Weg gebracht. Viele Argumente, die sich damals gegen die Beschaffung, richteten sind inzwischen durch positive Erfahrungen aus der Entwicklung und Erprobung widerlegt worden. Der wahre Wert dieses mit vielen Superlativen behafteten Kampfflugzeugs der vierten Generation wird sicherlich erst in der Nutzung endgültig nachweisbar sein. Die positive Kritik erfahrener Testpiloten unterschiedlichster Nationen, die den Eurofighter in seinen Flugeigenschaften erlebten, lassen jedoch schon heute das Flugzeug in einem vielversprechenden Licht erscheinen. Auch im Vergleich zu anderen derzeitigen Kampfflugzeug Neuentwicklungen kann der Eurofighter seinen Stellenwert behaupten. Unser Beitrag stellt den Sachstand dieses größten Riistungsvorhabens dar und gibt einen Einblick in die Vorbereitungen der Einführung. Zur Vorgeschichte Die Technik - eine "elektronische Delta-Ente" Ein Leichtgewicht unter den Jets EJ 200 - Das Triebwerk Die Eurofighter-Avionik Die Bewaffnung Die Vorbereitung der Luftwaffe Die Kooperationsmodelle Eurofighter Fazit Selbst aufmerksamen Beobachtern der europäischen Rüstungsprogramme ist wahrscheinlich nicht mehr in Erinnerung, dass der Grundstein des Eurofighter Programms bereits 1977 mit der Entscheidung der Verteidigungsminister von Frankreich, Großbritannien und der Bundesrepublik Deutschland für ein gemeinsames Vorhaben "Taktisches Kampflugzeug für die 90er Jahre (TKF 90)" gelegt wurde. Mitte der 80er Jahre wurden die Grunddaten des zu entwickelnden Flugzeugs festgelegt (z. B. Leermasse <10 t, Flügelfläche 50 m2, Schub pro Triebwerk 90 kN) und die ersten Regierungsvereinbarungen zwischen Deutschland, Großbritannien, Italien und Spanien verabschiedet (die beiden letztgenannten hatten sich inzwischen dem Projekt angeschlossen, und Frankreich war ausgeschieden). |
zum Anfang Eurofighter stoppen! - Inhalt | In München wurde die NEFMA (NATO European Fighter Aircraft Development and Logistics Management Agency) - heute NETMA (NATO Eurofighter and Tornado Development, Production and Logistics Management Agency) - gegründet, und industrieseitig schlossen sich die Firmen Dasa, BAe, Alenia und CASA zur Eurofighter Jagdflugzeug GmbH (Zelle und Ausrüstung) sowie die Firmen MTU, Rolls-Royce, Fiat und SENERIITP zur Eurojet Turbo GmbH (Triebwerk) zusammen. Die Entwicklung des Eurofighters wurde offiziell im November 1988 bei der Industrie in Auftrag gegeben. Anfang der 90er Jahre wurde in einer "Reorientierungsphase" mit einer kostenreduzierten Flugzeugauslegung, reduzierten Stückzahlen und einem zeitlich gestreckten Entwicklungs- und Beschaffungsprogramm der geänderten sicherheits- und verteidigungspolitischen Situation Rechnung getragen. Inzwischen fliegen in den vier Eurofighter-Ländern insgesamt sieben Prototypen (Development Aircraft 1 DAl -DA7) und seit der Vereinbarung der vier Verteidigungsminister im Dezember 1997 zur Produktion von 620 Waffensystemen Eurofighter läuft die Produktion der ersten 148 georderten Flugzeuge ("1. Tranche"), davon 44 für Deutschland, auf Hochtouren. Die Luftwaffe wird ab Frühjahr 2003 mit einer jährlichen Auslieferungsrate von ca. 15 Flugzeugen ihre dafür vorgesehenen Verbände mit dem Eurofighter ausrüsten und damit die über 30 Jahre im Dienst befindliche F-4F Phantom und die MiG-29 schrittweise ablösen. Die Technik - eine "elektronische Delta-Ente" Die äußerlichen Erkennungsmerkmale es Eurofighters - große Deltaflügel kombiniert mit einem Höhenleitwerk vorn m Rumpf ("Entenflügel" oder "canards") sind kein Zufall: die aerodynamische Form dieses eigenwillig wirkenden Flugzeugs hat sich nach vielen Studien und Windkanalversuchen herauskristallisiert. Die bewirkt unter anderem eine hohe Agilität in allen Geschwindigkeitsbereichen und die Fähigkeit zum Überschallflug ohne Nachbrenner ("Supercruise"). Diese rein durch aerodynamische Bauweise erzielten guten Flugeigenschaften werden durch eine gewollte aerodynamische Instabilität, die computergesteuert ausgeglichen wird, noch weiter verbessert. Eine elektronische Flugsteuerung (Flight Control System, FCS) sorgt für eine künstliche Stabilität und schnellstmögliche Reaktion des Flugzeuges auf die Steuerbefehle des Piloten. Vier redundante Bordcomputer verknüpft mit empfindlicher Sensorik bewegen alle Steuerflächen des Eurofighters in optimaler Weise und angepasst an die jeweilige Fluglage. Dabei werden die Steuerbefehle automatisch bis zu den maximal möglichen Werten umgesetzt, ohne dass das Flugzeug in kritische Fluglagen geraten kann ("care free handling"). Ein Leichtgewicht unter den Jets Ein Jagdflugzeug, das bei 10t Leergewicht noch mal so viel Gewicht an Treibstoff, Waffen, Zusatzausrüstung und Besatzung tragen sowie doppelte Schallgeschwindigkeit und extreme Kurven fliegen kann, ist auf Basis der klassischen Leichtmetall Bauweise nicht konstruierbar. Deshalb wurden beim Eurofighter je nach Beanspruchung der einzelnen Zonen der Flugzeugzelle die unterschiedlichsten Werkstoffe eingesetzt, um den anspruchsvollen Spezifikationen genügen zu können. So bestehen ca. 70% der Oberflächenstrukturen aus Kohlefaser-Verbundmaterial. In speziellen Bereichen, z. B. bei Antennen-Abdeckungen, werden Glasfaser-Werkstoffe eingesetzt. Bei mechanisch hoch belasteten Teilen, wie z.B. den Entenflügeln oder Querrudern, findet man Titan vor und in gewichtskritischen Bereichen, z.B. Vorflügel oder Seitenleitwerk, werden die Teile aus einer sehr leichten Aluminium-Lithium-Legierung hergestellt. Neben der Wahl der richtigen Werkstoffe mussten dafür auch völlig neue Bearbeitungsverfahren und Verbindungstechniken entwickelt werden. Die Kohlefaserteile werden in neuesten industriellen Fertigungsverfahren hergestellt. Für Titan und Aluminium-Lithium-Verbindungen wendet man spezielle Klebetechniken an, und mittels "superplastischer Umformung" (Pressverfahren) können Bauteile kostengünstig und gewichtsparend in Serie produziert werden. Neuartig ist auch die Konstruktion des Integraltanks für den Flugkraftstoff, der nicht, wie meist üblich, als Innentank in den Rumpf eingebaut wird. Stattdessen ergeben hier die Hohlräume des oberen Rumpfmittelteils in ihrer Gesamtheit den Kraftstoffbehälter. Für den Eurofighter mussten komplexe mechanische Strukturen extrem leicht und dennoch hoch belastbar entwickelt werden, um die viernational abgestimmten operativen Forderungen erfüllen zu können. Dieser Herausforderung sind die im Programm eingesetzten Ingenieure gerecht geworden. EJ 200 Um den hohen Anforderungen, die an ein modernes Jagdflugzeug gestellt werden, zu genügen, wurde für den Eurofighter ein ganz neues Triebwerk entwickelt: das EJ 200. Mit einem Schub/Gewichts-Verhältnis von 10:1, einem Maximalschub von 90 kN und einem Konstruktionsprinzip, das auf die Einhaltung der Spezifikationen optimiert wurde, setzt das EJ 200 neue Maßstäbe in der Antriebstechnik für Kampfflugzeuge. Neben der Verwendung spezieller Legierungen und der Anwendung modernster Verfahren für die Herstellung von "monokristallinen" Schaufelblättern wurde auch eine neue Methode ("Reibschweiß-Verfahren") zur integralen Herstellung von Verdichter-Rotorstufen mit Schaufelkranz ("BLISK" = Bladed Disk) entwickelt. Um alle Funktionen im Betrieb optimal zu steuern sowie wichtige Lebenslaufdaten und automatische Fehlererkennungen elektronisch aufzubereiten, wurde speziell für dieses Hochleistungstriebwerk eine vollautomatische, digitale Reglereinheit (Digital Engine Control Unit, DECU) entwickelt. Die bisherigen Leistungsnachweise und die bereits bei der Entwicklung vorgehaltenen beachtlichen Leistungsreserven sind wichtige Kriterien für den späteren anspruchsvollen und zukunftsorientierten Einsatz bei den Luftstreitkräften der Nutzernationen. Die Eurofighter-Avionik Herzstück des Waffensystems Eurofighter ist die hochkomplexe und hochgradig vernetzte Flugzeugelektronik, die erst die hohe Effizienz beim Einsatz und eine gleichfalls hohe Überlebenswahrscheinlichkeit ermöglichen. Dank weitgehender Automatisierung und optimierter Interaktionen zwischen Pilot und Flugzeug kann der Pilot des Eurofighters die jeweilige Flug- oder Kampfsituation schnell und umfassend beurteilen und rasch auf ausgemachte Bedrohungssituationen reagieren. Eventuelle Fehler in den Systemen werden durch integrierte Test- und Überwachungskomponenten registriert und angezeigt. Es würde einer eigens dafür eingerichteten Fachzeitschrift bedürfen, wollte man auf die vielen interessanten Einzelheiten der Avionik eingehen. Nachfolgend sollen die wichtigsten interaktiven Systeme im Eurofighter erwähnt werden: |
- | Head Up Display (HUD), Anzeigegerät für die wichtigsten Flugdaten die auf eine Scheibe im Sichtfeld des Piloten projiziert werden, | |||
- | Multi-Function Head Down Displays (MHDD), Bildschirme zur wahlweisen Anzeige nahezu aller Flugzeugdaten, | |||
- | Direct Voice Input (DVI), Sprachsteuerungssystem als Ersatz manueller Eingaben oder auch Zielauswahl und das | |||
- | Helmvisier. |
- | komplexe Testausstattungen und Bodengeräte in den Werkstätten der Geschwader und Luftwaffenwerften, | |||
- | Ausbildung des Personals (Erst- und Regenerationsausbildung) und |
- | technische Dokumentation und deren Änderungsdienst. |
- | Sicherstellung der eigenständigen logistischen und technischen Erkenntnisfähigkeit, |
- | Dialogfähigkeit mit der Industrie auf Basis eigener Erkenntnisse, |
- | Fähigkeit zur bedarfsgerechten Materialerhaltung in der notwendigen Tiefe für alle Einsatzoptionen. |
Übergeordnete operative Zielsetzung der Kooperativen Modelle ist eine bedarfs- und lagegerechte Sicherstellung der Verfügbarkeit des Waffensystems Eurofighter in Frieden, Krise und Krieg. Die Industrie hat diesen operativen Bedarf und die daraus abzuleitenden Teilhaben in den Kooperativen Modellen anerkannt. Die Bundeswehr hat inzwischen mit den Firmen Dasa-MB und Dasa-MTU einvernehmliche Konzept- und Modellbeschreibungen für die einzelnen Kooperativen Modelle Zelle, Triebwerk und Systemunterstützungszentrum (SUZ) erarbeitet und vereinbart. Das Kooperative Modell Zelle wird im Dasa Werk Manching etabliert und soll bei einer Gesamtgrößenordnung von ca. 120 Stellen einen militärischen Anteil von 45 Dienstposten, die der Luftwaffenwerft 13 in Erding angegliedert werden, umfassen. Es ist eine militärische Teilhabe im Prozessmanagement, in der Materialsteuerung, in den Werkstattbereichen der einzelnen Luftfahrzeuganlagen sowie in der Qualitätssicherung und der ingenieurmäßigen Waffensystembetreuung vereinbart worden. Das Kooperative Modell Triebwerk wird im MTU-Werk München-Karlsfeld eingerichtet und deckt mit einem - militärisch an die Luftwaffenwerft 11 in Erding angegliederten - Umfang von 46 Dienstposten in ähnlichen Größenordnungen wie bei dem Modell Zelle alle Schlüsselbereiche zur Durchführung von Triebwerks- und Triebwerkmodul-Instandsetzung ab. Das Systemunterstützungszentrum (SUZ) soll im Dasa-Werk Manching neu errichtet werden und sieht bei einem Gesamtumfang von ca. 400 Arbeitsplätzen eine Beteiligung der Luftwaffe von ca. 170 militärischen Dienstposten - organisatorisch dem Programmierzentrum der Luftwaffe für fliegende Waffensysteme in Kaufering zugeordnet - sowie mehrere Dienstposten für originäre Aufgaben des Bundesamtes für Wehrtechnik und Beschaffung (BWB) vor. Für die Luftwaffe begründet sich die Einrichtung des Systemunterstützungszentrums einerseits aus der Notwendigkeit einer nationalen Waffensystemunterstützungsfähigkeit für die stark vernetzte Systemstruktur und die hochkomplexe DV-Architektur des Waffensystems und andererseits aus der viernational vereinbarten Einrichtung von einem internationalen Waffensystemunterstützungszentrum (International Weapon System Support Genter, IWSSC) mit vier angegliederten nationalen Zentren (in Deutschland Teil des SUZ). Die Einrichtung und der Betrieb des Systemunterstützungszentrums ist neben den operationellen Gründen auch aus wirtschaftlichen Gründen wegen der umfangreichen und kostenintensiven Infrastruktur und Testrig-Ausstattung in der geplanten Art und Weise sinnvoll. Die Hauptaufgaben des Systemunterstützungszentrums sind in acht unterschiedlichen Arbeitsbereichen abgedeckt. Für die Firma Dasa ergibt sich der Schwerpunkt bei der Software-Entwicklung während die Luftwaffe ihre Schwerpunkte bei der Unterstützung der fliegenden Verbände ("Helpdesk"), die Ausbildung der militärischen Systemingenieure und der Systemprüfer der Verbände sowie der Softwarepflege und -änderung (SWPÄ) an operationeller Software sieht. Die Arbeitsbereiche für Fehleranalysen, für Abnahmen und Zulassungen im Zuge der Systembearbeitung und für den Betrieb der Testrigs und Anlagen liegen in gemeinsamem Interesse, lediglich der Betrieb der Boden- Unterstützungsanlage (Operational Ground Support Equipment, OGSE) für die Systemeinstellungen im Rahmen der Elektronischen Kampfführung (EloKa) liegt ausschließlich in der Hand der Luftwaffe. Das Systemunterstützungszentrum muss gleich zu Beginn des Flugbetriebs mit Teilelementen funktionsfähig sein, speziell mit einer ständigen Ansprechstelle für den Nutzerverband ("Helpdesk"). Bei allen drei Modellen ist ein stufenweiser am notwendigen Umfang des Anfangsflugbetriebs und der folgenden Umrüstzyklen der Verbände ausgerichteter Aufwuchs mit wiederkehrender Revision hinsichtlich eventuell notwendiger Anpassungen ab Ende 2002 geplant. Die grundsätzlichen Regelungen der Zusammenarbeit zwischen militärischem Personal und der Industrie in den Kooperativen Modellen werden zur Zeit erarbeitet und sollen in Zusammenarbeitsverträgen festgeschneben werden. Hinzu kommen entsprechende Betriebsvereinbarungen bei der Industrie und Regelungen der Leistungsbeauftragungen über nationale und internationale Veträge. Fazit Sowohl die Entwicklung und Produktion eines Kampfflugzeuges als auch die Vorbereitungen der Luftwaffe zur Umrüstung auf ein neues fliegendes Waffensystem verlangen umfassende Planungen und ein erfahrenes Systemmanagement. Die neue Technologie des Waffensystems Eurofighter, insbesondere die drastische Zunahme inhärenter Software und neuer Werkstoffe in komplexen mechanischen Strukturen, erfordern neue aufbau- und ablauforganisatorische Lösungen sowie eine hochqualifizierte Ausbildung des militärischen Personals. Erfolg oder Misserfolg eines derart komplexen Programms, das zudem mit für die Luftwaffe absolut neuen Organisationsformen und bisher kaum bekannter Hochtechnologie verknüpft ist, können jedoch wegen der hochgradigen Vernetzung vieler Systemanteile unter Umständen von der Fehlplanung nur eines Subsystems abhängen. Hier gilt es für alle Beteiligten am Eurofighter-Programm, die Entwicklung mit höchster Aufmerksamkeit zu begleiten und durch rechtzeitige und gezielte Steuerungsmaßnahmen das Programm und die Herstellung der Versorgungsreife im Planungsrahmen zu halten. Zwei Jahre vor Auslieferung der ersten Luftfahrzeuge sind wir auf gutem Wege, das gesteckte Ziel zu erreichen. Oberstleutnant Dipl. Ing. (FH) Horst Klügel ist der zuständige Referent und Bevollmächtigter Vertreter des Führungsstabes der Luftwaffe für das Waffensystem Eurofighter. E-Mail: SuT-Bonn@t-online.de Internet: http://www.soldat-und-technik.de | |||
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