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vom:
Januar 2000


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Uranmunition und andere Verstöße:

  wiss. Hintergrundinformationen

Betrachtungen zur Rückstoßchemie und Schadwirkung von U-238 bei Inkorporation von depleted Uranlum

Rolf Bertram

"...there is still a long way to go..." (Kiefer, 1987)

Bei der Verwendung von DU-Munition werden vorrangig Uranoxid-Partikel gebildet, deren Form und Festkörperstruktur weitgehend unbekannt ist. Es gibt jedoch Hinweise, daß verzweigte kettenähnliche Gebilde vorliegen (1). Die Aufnahme und Resorption aerosolförmiger radioaktiver Teilchen ist generell noch wenig untersucht. Sicher ist, daß der Aggregatzustand und der Dispersionsgrad und die Form der Teilchen für Geschwindigkeit und Umfang der Inkorporation von entscheidender Bedeutung sind. Was die Aufnahme durch den Atemtrakt betrifft, so ist bekannt, daß die Eindringtiefe mit der Feinheit der Partikel zunimmt. Die Resorption hängt stark vom chemischen Bindungszustand ab, da dieser die Löslichkeit und die Reaktivität bestimmt (2). Eine Anlagerung und Verweilzeit von UO2-Teilchen (Alphastrahler) in den Lungenbläschen erhöht mit Sicherheit die Bildung von Lungenkrebs. Dosisberechnungen für das Zielorgan Lunge sind äußerst schwierig, da von vielen Faktoren beeinflußt (3). Neben U-238 findet sich auch immer U-234, ein weiterer Alphastrahler. Alphastrahlende hot particles schädigen das (Lungen-)Gewebe anders als betastrahlende Teilchen. Aufgrund der Zerfallsreihe von U-238 finden sich in hot particles auch immer Betastrahler (Th-234, Pa-234). Das angrenzende Gewebe unterliegt also der ständigen Einwirkung von unterschiedlich wirkender radioaktiver Strahlung. (4) Durch Ingestion aufgenommenes U-238 lagert sich bei Inkorporation im Knochen ab und ist deshalb besonders bedeutsam für die Strahlenexposition.

Die besondere Gefahr von DU liegt in der Tatsache, daß Alpha-Rückstoßprozesse nicht nur von U-238 ausgehen, sondem auch von U-234,dessen Alpha-Energie noch höher liegt (4,2 MeV für U-238, 4,8 MeV für U-234).Der Rückstoßkern aus dem ersten Alpha-Zerfall des U-238 ist Th-234 (ein Beta- und Gammastrahler mit einer HWZ von 24 Tagen. Th-234 geht über in Pa-234 (Beta-, Gamma, 1.18 m) (5). Im Falle von U-238 tritt auch spontane Kemspaltung auf (sf 9 10 hoch 15 a), dabei entstehen 2 bis 3 Neutronen. U-238 und die Folgeprodukte aus der U-238 Zerfallsreihe - hier besonders das gasförmige Rn-222 lagern sich bevorzugt an Aerosolteilchen und Wassertröpfchen an, was für Ablagerung und damit für die Strahlenexposition bedeutsam ist. Rn-222 und die Folgeprodukte sind im wesentlichen sehr energiereiche Alphastrahler (Rn-222 = 5.48 MeV, Po-21 8 = 6 MeV, Po-214 = 7,68 MeV.).

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Bei aufgenommenen alphastrahlenden Uranpartikeln sind die festkörperchemischen Phänomene (6) von denen im angrenzenden fluiden Medium (physiologische Flüssigkeiten und Gele) wegen der prinzipiell verschiedenen Elementarprozesse und wegen der stark unterschiedlichen Reaktionsgeschwindigkeiten gesondert zu behandeln. Die Löslichkeit nimmt mit fallender Partikelgröße zu. Die Größenverteilung der Partikel ist nicht bekannt. Die Löslichkeit wird durch Rückstoß-Prozesse (recoil) erheblich beschleunigt, so daß nicht davon auszugehen ist, daß die hot particles nur am Ort der Inkorporation schädigen. Durch den Auflösungsvorgang werden Alphaemitter als hochgeladene Ionen oder Feinstkörner ("small subparticles containing up to 104 atoms") in andere Körperregionen transportiert.Bei den subparticles ist unklar ob dieselben bereits während des Auflösungsprozesses abgelöst oder erst nach der Auflösung durch nachträgliche Aggregation gebildet werden (7).

Die Energieübertragung und die folgenden Elementarprozesse

Die Energieübertragung durch Alphateilchen auf lebendes Gewebe findet in strukturierten molekularen Bereichen und nicht in einer homogenen Masse statt. Primär verursacht die Energieabsorption in und in der Umgebung des Strahlenkanals Ionisation und Anregung der Biomoleküle. Zeitlich daran anschließend kommt es infolge der gebildeten reaktionsfreudigen Radikale zu vielfältigen chemischen Reaktionen und Reaktionsketten. Über den auf die Primärereignisse folgenden möglichen Mutationsprozess liegen einige Hypothesen vor. Welche Anteile bei der genetischen Schädigung auf direkte und indirekte Strahlenwirkung entfallen ist derzeit noch umstritten Jüngere Forschungsergebnisse deuten daraufhin, daß im Zellzyklus je nach Zustand und Phase sehr viele unterschiedliche Elementarreaktionen zur strukturellen und funktionellen Deformation beitragen. Beobachtet wird eine unterschiedliche Strahlensensibilität nicht nur der verschiedenen Organismen und Organteile, sondern sogar innerhalb der gleichen Nucleotidsequenzen (8). Schon durch geringste Bestrahlungsdosen werden in der Zelle Oxidationsvorgänge ausgelöst. Dabei treten reaktionsfreudige Radikale auf,die ihrerseits zahlreiche zellschädigende Zwischenprodukte bilden (9).

Die (meisten) Modelle (10) über die Schadwirkung im organismischen Gewebe berücksichtigen nicht, daß die durch Strahlung stark gestörten Zellprozesse weder mittels stationärer Zustände noch durch die Gleichgewichtsthermodynamik beschreibbar sind. Die häufig verwendeten einfachen Arheniusschen Zeitgesetze gelten nur für geschlossene Systeme. Bei bestrahlten Zellorganellen mit zeitlich und lokal extrem unterschiedlichen Massen- und Energieflüssen handelt es sich jedoch um submikroskopische Bereiche, die zwar theoretisch mit den Mitteln der Irreversiblen Thermodynamik praktisch jedoch nicht zu erfassen sind.

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Rückstoss-Chemie

Zum Verständnis der durch Alphateilchen ausgelösten Rückstoßchemie reicht die mit dem Primärprozess der Energieübertragung allgemein verknüpfte Vorstellung von Geschossteilchen, die - gewissermassen durch die Wucht des Aufpralls - eine mechanische Zerstörung des Zielbereichs bewirken, nicht aus. In Wirklichkeit wird in einem submikroskopischen Bereich (nm) in 10 hoch -15 sec eine extrem hohe Energiemenge deponiert. Kurzfristig kommt es im ´Treff`-Bereich zu starker Erwärmung, extremer Dissoziation und Anregung. (Reicht die Rückstoßenergie zur Dissoziation nicht aus, so wird zumindest ein hochangeregter Zustand des betreffenden Moleküls erreicht.) Dadurch werden chemische Reaktanten gebildet sowie Reaktionsabläufe eingeleitet und extrem beschleunigt. Die ursprüngliche Aufteilung der Atome auf die einzelnen chemischen Verbindungen wird dabei völlig verändert. Infolge der hohen Reaktionsgeschwindigkeiten wechseln die chemischen Strukturen so schnell, daß sie nicht mehr oder unzureichend erfasst werden können. Die in den Modellen vorgenommene Trennung der thermischen Radikalreaktionen von den Reaktionen der "heißen Atome" hat im Grunde nur didaktische Bedeutung. Nach der Abkühlung ("Thermalisierung") und Stabilisierung der heißen Atome kehrt das System nicht in den Ausgangszustand zurück. Durch Neubildung und Abdiffusion der Reaktionsprodukte liegt eine chemisch neue Umgebung vor. Im Falle einer Inkorporation von Alphaemittern finden in der Umgebung derselben diese Prozesse permanent statt. Die besondere Bedeutung der Rückstoßprozesse für Alphastrahler im Vergleich zu Gamma- und Beta liegt darin, daß die Rückstoßenergie 5 bis 10 größer ist und Werte bis zu 100 keV erreichen kann. Die Bindungsenergien in einem Molekül liegen maximal bei 5 eV. Vor diesem Hintergrund wird klar, daß rückstoßchemische Reaktionen für die sekundären Prozesse der Schadensbildung entscheidend sind.

Es ist unbestritten, daß die relative biologische Wirksamkeit (RBW) mit steigender lonisationsdichte zunimmt. Die üblichen RBW-Wichtungsfaktoren für die verschiedenen Strahlenarten stellen aber nur eine rohe Orientierung dar. Für den submikroskopischen Treffbereich im Gewebe oder gar in einer Zellenorganelle verlieren sie ihren Sinn. Die Passage eines dichtionisierenden Alphateilchens (Heliumkern) löst im Gewebe auf engstem Raum eine Fülle von chemischen Reaktionen und Reaktionsketten aus, über die man so gut wie nichts weiß. In welchem Umfang die Reaktionsprodukte eine Veränderung des Zellenstoffwechsels und z.B. nachhaltige DNS-Deformationen verursachen, ist trotz jahrzehntelanger Forschung wegen der unüberschaubaren Menge von Einflußfaktoren ungeklärt. Da inkorporierter hot particles im allgemeinen nicht lokalisierbar sind, ist eine belastbare Aussage über die Schadwirkung nicht möglich. Bei den Recherchen zu den diesbezüglichen Prozessen an den biologisch wichtigen leichten Kernen z.B. von C,O fällt ein beängstigender Mangel an Informationen auf (11).

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In den von DU betroffenen Gebieten muß über lange Zeiträume mit einer ständigen Aufnahme von Radionukliden gerechnet werden. Das örtliche und zeitliche Verhalten der in den Stoffwechsel eingedrungenen Radionukliden sowie die Verteilung in den verschiedenen Organen ist wegen der zweifellos wechselnden und damit nicht erfassbaren Zufuhrrate nicht kalkulierbar

Anmerkungen

01ALLEN M.D.,J.K.BRIANT, "Characterization of LMFBR FueI-Sodium Aerosols", Health Physics,Vol. 5,237 (1978)

02BAUDISCH E. (hrsg),"Grundlagen der Medizinischen Radiologie", VEB Verl., Berlin (1978)

03RAHLENBECK S., "Radon in Innenräumen und Lungenkrebs-Realität oder Mythos?", Forum Städte-Hygiene 42,72, März/April (1991)
SANKARANARAYANAN K., "Radionuciides and Genetic Risks", Chapter 18 in CARTER M.W. (ed) "Radionudides in the Food Chain", ILSI Monographs, Springer, Berlin, N.Y. (1988)

04SIGG M., N.E.A. CROMPTON, W.BURKART,"A pure Beta Line Source to asses Hot Particle Effects in Vitro", Health Physics, Vol.71, 2, 135 (1996)
SCOTT B.R., "A Generic Model for Estimation the Risk of Deterministic Effects of Partial Organ Irradiation by Hot Particles", Health Physics, Vol. 69, 909 (1995)

05WILSON B.J. (ed.) "The Radiochemical Manual", 2. Ed., The Radiochemical Centre, Amersham (1966)

06BERTRAM R., Lit. zur Festköperchemie s. Strahlentelex, Nr. 312-313/2000, S.4, ISSN 0931-4288

07FLEISCHER R.L., O.G.RAABE, "On the Mechanism of "Dissolution" in Liquids of PuO2 by Alpha Decay", Health Physics, Vol.35, 545 (1978)
FLEISCHER R.L.,"Isotopic Disequilibrium of Uranium: Alpha-Recoil Damage and Preferential Solution Effects", Science, Vol. 207, 979 (1980)
RÖSSLER K., "Uranium Recoil Reactions", Gmelin Handbook of lnorg.Chem., 8th ed., Uranium, Supplement Vol. A 6, 135, Springer (1983)

08RIEGER R., BÖHME H.: "Strahleninduzierte Mutagenese-Gesichtspunkte des Genetikers" in: H.STUBBE (Hrsg:) "strahleninduzierte Mutagenese-Erwin Baur-Gedächtnisvorlesungen II, 1962", Akad. Verlg. Berlin (1962)

09WAGNER K.-H., "Veränderung der Lebensmittel durch Strahlenkonservierung", protectio vitae, 4, 170 (1971)

10KIEFER J. (Ed.), "Quantitative Mathematical Models in Radiation Biology", 1, Springer, Berlin (1988)

11JACKSON F.D.,D.J.BRENNER, "Nuclear lnteractions for Medical Purposes", Progr. in Partide and Nuclear Physics, Vol. 5, 143 (1981)



Quelle: Dokumentation der Tagung "Uran-Waffen im Einsatz: Irak, Kosovo, ... " vom 21.-23.01.2000 in der Ev. Akademie Mülheim a.d. Ruhr (
http://www.ekir.de/akademie.htm)


Dr. Rolf Bertram ist Universitätsprofessor a.D. für Physikalische Chemie an der TU Braunschweig
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