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vom:
Februar 2001
Update:
März 2001


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Uranmunition und andere Verstöße:

  wiss. Hintergrundinformationen

Die Verschleierung hat eine lange Geschichte

Uranmunition - das Gesetz des Schweigens

Le Monde Diplomatique, Robert James Parsons

SEITDEM die Streitkräfte der USA im Golfkrieg erstmals mit abgereichertem Uran (DU) verstärkte Munitionstypen erprobt haben, hat es unter den eingesetzten Soldaten der US-Armee unerklärlich viele Todesfälle und Erkrankungen gegeben. In geringerem Maße gilt dies auch für die Bodentruppen europäischer Nato-Länder, die in Bosnien und im Kosovo eingesetzt waren. Obwohl die ersten Indizien also schon über zehn Jahre lang vorliegen, hat keine Instanz die radiologischen und toxischen Gefahren untersucht, die womöglich von der DU-Munition ausgehen. Das gilt auch für die Vereinten Nationen und ihre Unterorganisationen, die sich erst im Januar 2001 mit einem höchst dürftigen Kommuniqué zu Wort gemeldet haben.


Von ROBERT JAMES PARSONS, Journalist, Genf

Das Vorhaben wurde angekündigt, mehrfach verschoben, dann auf Druck der im Kosovo tätigen internationalen Hilfsorganisationen wieder angegangen - und doch liegt der Bericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) über das Problem des "abgereicherten Urans" (Depleted Uranium; DU) bis heute noch nicht vor. Als das so genannte Balkan-Syndrom im Januar dieses Jahres Schlagzeilen machte, begnügte sich die WHO damit, eine vier Seiten lange Ausarbeitung (Fact Sheet Nr. 257) zu veröffentlichen, die angeblich alles Wesentliche zu diesem Thema zusammenfasst. (1) Aber dieser Text sollte vor allem die Öffentlichkeit beruhigen, er enthält nur sehr allgemeine Informationen, und wo er genauer wird, ergeben sich Widersprüche zum aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand. Es heißt dort etwa, die Strahlung, sofern sie überhaupt auftrete, überschreite nicht die zulässigen Grenzwerte: "Aus wissenschaftlicher Sicht erscheint es wenig wahrscheinlich, dass unter dem Militärpersonal im Kosovo eine erhöhte Leukämieanfälligkeit durch Kontakt mit DU nachzuweisen ist."

Wie ist es möglich, dass die WHO, immerhin die weltweit höchste Autorität in Gesundheitsfragen, ein solches Dokument veröffentlicht? Sie empfiehlt darin zum Beispiel "Dekontaminationsmaßnahmen" als "angemessenes" Vorgehen - was auf das absurde Vorhaben hinausliefe, Abermilliarden unsichtbarer radioaktiver Partikel zu entsorgen, die sich auf hunderten von Quadratkilometern mit hunderttausenden Tonnen Erdreich verbunden haben.

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Allerdings hat die Weltgesundheitsorganisation 1959 mit der Internationalen Atomenergiekommission (IAEO) ein Abkommen geschlossen, das ihr die Befassung mit Fragen von Strahlung und Gesundheit nur mit Zustimmung der IAEO gestattet. Und diese Zustimmung wird praktisch nie erteilt. In den USA hat die Regierung Eisenhower in den Fünfzigerjahren die extrem hohen Haushaltsmittel für das Atomwaffenprogramm vor allem mit dem Hinweis auf die zivile Nutzung der militärischen Forschung gerechtfertigt. 1954 verkündete Eisenhower das Programm "Atoms for Peace" (Atome für den Frieden) und versprach der amerikanischen Bevölkerung, bald werde der elektrische Strom nicht nur "sauber" erzeugt werden, sondern auch fast umsonst zu haben sein.

Viele Wissenschaftler, die mit der militärischen Forschung wenig oder gar nichts zu tun hatten, erinnerten damals an die wissenschaftliche Arbeit von Hermann Joseph Muller, die ihm 1946 den Nobelpreis für Medizin eingebracht hatte. Muller hatte die furchtbare zellverändernde Wirkung von Ionenstrahlung auf den menschlichen Körper entdeckt. Nun sollte die Zivilbevölkerung genau dieser Art von Strahlung ausgesetzt werden - durch die Kernkraftwerke, die das Programm "Atome für den Frieden" vorsah. Auch Doktor John W. Gofman, vormals Leiter der Plutoniumforschungsgruppe, dem es 1942 in Berkeley erstmals gelungen war, ein Milligramm Plutonium zu erzeugen, warnte unermüdlich: "Nach allen vernünftigen Maßstäben, die wir aus den Ergebnissen der Wissenschaft gewinnen, gibt es keine unbedenkliche Dosis." (2) Die USA reagierten auf diese Bedenken, indem sie 1956 die Gründung der IAEO durchsetzten, einer UN-Organisation, die eigentlich nur die Atomindustrie fördern sollte.

1957 organisierte die Weltgesundheitsorganisation einen internationalen Kongress zu Fragen der genverändernden Wirkung von Strahlung. Wie die veröffentlichten Protokolle dieser Tagung zeigen, ging man von den Grundannahmen aus, die sich aus den Experimenten Mullers ergeben hatten. (3)

Die Atomlobby bestimmt, was durchsickert

DOCH 1959 brach diese Diskussion plötzlich ab. Die WHO hatte sich auf das Abkommen mit der IAEO eingelassen, in dem der Satz steht: "Wenn eine der beiden Parteien eine Aktivität oder ein Programm in einem Bereich beginnen will, der für die andere Partei von Interesse ist oder es sein könnte, wird sie die andere Partei konsultieren, um die betreffende Frage einvernehmlich zu regeln." (4) Genau diese Verpflichtung auf eine "einvernehmliche Regelung" erlaubt es der IAEO seither, fast alle Bemühungen der WHO zu unterbinden, mögliche Zusammenhänge von Strahlung und Erkrankungen in der Bevölkerung zu untersuchen.

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Das erklärt auch, dass die geplante Veröffentlichung eines Hintergrundberichts zur Frage des abgereicherten Urans durch die WHO nicht zustande kam. Die diesem Bericht zugrunde liegende Studie musste sich auf den Aspekt der "chemischen Kontamination durch Schwermetall" beschränken, ihre Ergebnisse stehen ebenfalls noch aus. Erst als das abgereicherte Uran in die Schlagzeilen der internationalen Medien geraten war, kündigte die WHO an, diese Studie werde nun auch den Aspekt der Strahlung untersuchen. Mit dieser zusätzlichen Aufgabe sollten Experten des britischen Nuclear Radiation Protection Board (diese Strahlenschutzbehörde wird von britischen Veteranen, die am Golfkriegssyndrom leiden, heftig kritisiert) und - natürlich - der Internationalen Atomenergiekommission betraut werden. Seitdem warten die im Kosovo tätigen humanitären Hilfsorganisationen auf Resultate: Der Hohe Flüchtlingskommissar (UNHCR), das Welternährungsprogramm (WFP), die UN-Koordinationsstelle für humanitäre Angelegenheiten (OCHA) und die Internationale Organisation für Migration (IOM) - sie alle sind als UN-Organisationen gehalten, sich in allen Fragen der öffentlichen Gesundheit an die WHO zu wenden.

Bis heute wird die Strahlungsdosis, die als "unbedenklich" für den menschlichen Organismus gilt, nach Maßstäben ermittelt, denen die Untersuchungen der Atomic Bomb Casualty Commission des Pentagon an Überlebenden aus Hiroshima und Nagasaki zugrunde liegen. Ein wichtiges, wenn nicht das entscheidende Ziel dieser Forschung bestand darin, die militärische Effizienz der Bombe zu überprüfen. Diese Studien wurden 1950 begonnen (Einzelheiten wurden erst 1965 bekannt), als ein großer Teil der Überlebenden bereits an den Spätfolgen der Bombenabwürfe gestorben war. Die damals untersuchte Personengruppe bestand nur aus jungen, sportlichen und relativ gesunden Menschen, nicht berücksichtigt waren Menschen, die für die schädliche Wirkung der Strahlung besonders anfällig waren, also Kinder, Frauen und alte Menschen.

Die Studien wurden rasch abgeschlossen, sodass Folgen wie Krebserkrankungen, die erst nach Jahrzehnten auftreten, nicht erfasst wurden. Die Forscher waren außerdem Physiker, die über keine biologischen Kenntnisse verfügten; über DNA oder gar über ihre Funktionsweise wussten sie damals nichts. Sie interessierten sich auch nicht für die Unterschiede zwischen der Wirkung einer einzelnen heftigen Explosion und den Folgen einer dauerhaften Strahlung, wie sie von den Uranpartikeln ausgeht, die über die Atemwege, über die Nahrung oder durch Hautverletzungen in den Körper gelangen.

Die Atomlobby hat stets behauptet, die Wirkungen schwacher Strahlung seien viel zu gering, als dass man sie untersuchen könne; folglich ermittelte man die Maßstäbe auf Basis der Wirkungen, die nach einer hoch dosierten Bestrahlung (Hiroshima und Nagasaki) aufgetreten waren. Das geschah nach dem Prinzip: Wenn eine (fiktive) Strahlungsdosis von 100 zu 1 000 Erkrankten unter den Überlebenden führt, dann wird eine Dosis von 50 zu 500 Erkrankungen führen und eine Dosis von 0,5 nur einen Kranken hinterlassen. Bei Werten unterhalb dieser Belastung wären demnach überhaupt keine Schädigungen mehr zu erwarten. (5)

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Welche Gefährdung für den menschlichen Organismus von niedrig dosierter Strahlung ausgeht, hat die Arbeit der britischen Wissenschaftlerin Alice Walker klar gemacht, die Kinder untersuchte, deren Mütter sich während der Schwangerschaft hatten röntgen lassen. In den Siebzigerjahren untersuchte sie dann auch Arbeiter in der Atomwaffenfabrik von Hanford (USA) und kam dabei zu ähnlichen Ergebnissen. Schließlich veröffentlichte sie 1998 - im Alter von 91 Jahren, aber immer noch engagiert - gemeinsam mit George W. Kneale eine Vertiefung und Neubewertung ihrer Untersuchungen an den Überlebenden von 1945. Diese Arbeit macht unwiderlegbar deutlich, wie die heutigen Belastungsgrenzwerte aus den Fehlern resultieren, die in den damaligen Studien gemacht wurden. (6) Es sind aber genau diese Richtwerte, auf die sich das Fact Sheet Nr. 257 der WHO bezieht, wenn es bei Personen, die mit abgereichertem Uran in Berührung kommen, von einer "unbedenklichen Tagesdosis" ausgeht. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt der britische Medizinforscher Chris Busby, der zahlreiche Bücher über die Wirkung schwacher Strahlung verfasst hat (7) (deren Aussagen die Atomlobby vehement kritisiert). Busby macht deutlich, wie eine chronische schwache Strahlung im Körper zur systematischen Schädigung der DNA der Zellen führt und Mutationen bewirkt, die karzinogen sein können.

Seit 1927 hat die Internationale Strahlenschutzkommission (ICRP) - zuständig für die Festsetzung der Normen, deren Einhaltung die IAEO durchsetzen soll - die zulässigen Höchstwerte mehrfach herabgesetzt, zuletzt 1965, 1986 und 1990. Bei der Korrektur von 1990 ist die erlaubte Maximaldosis auf ein Fünftel des früheren Wertes reduziert worden. Die USA haben diese Änderung bislang nicht übernommen - wenn also von den "unbedenklichen" Strahlungswerten die Rede ist, denen die Soldaten im Golfkrieg ausgesetzt gewesen seien, handelt es sich um das Fünffache dessen, was in der übrigen Welt erlaubt ist.

In den Vereinigten Staaten ist die höchste einschlägige Instanz die Atomic Energy Commission (AEC), eine zivile Körperschaft, die jedoch in der Realität vom Oberkommando der US-Armee geleitet wird, das auf diese Weise sämtliche Entwicklungen im Bereich der Nukleartechnologie kontrolliert. Mit anderen Worten: Für die Überwachung aller wichtigen Quellen von Ionenstrahlung sind Personen und Institutionen zuständig, die an einer Untersuchung der Gefahrenpotentiale kein Interesse haben. Die vier bedeutendsten Wissenschaftler, die für die AEC tätig waren, sind John Gofman, Karl Z. Morgan, Thomas Mancuse und Alice Stewart. Alle vier wurden von der Mitarbeit entbunden, weil sie wissenschaftliche Ergebnisse veröffentlicht hatten, die auf die Krebs erregende Wirkung schwacher Strahlung hindeuten. (8) Die Publikation der WHO zur Uranmunition im Kosovo ist also nur die jüngste Episode in einer langen Tradition der Vertuschung.

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Im Mai 1999, also während des Kosovokrieges, unternahmen Vertreter aller Organisationen, die in der Konfliktregion aktiv waren, eine Informationsreise, um vor Ort eine erste Einschätzung vorzunehmen. Jede Delegation verfasste einen Bericht, der dann auch den anderen Organisationen zuging. Beteiligt war auch das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (Unep), doch dessen Bericht blieb unter Verschluss. Aber dann wurde er den Schweizer Tageszeitungen Le Courrier und La Liberté zugespielt, die ihn am 18. Juni 1999 veröffentlichten. Aus dem Bericht wurde klar, dass der Verfasser - Bakary Kante, ein politischer Berater des Unep-Exekutivdirektors Klaus Töpfer - wegen der durch die Bombenangriffe verursachten Umweltverseuchung Alarm geschlagen und dabei insbesondere auf das abgereicherte Uran verwiesen hatte. (9)

Ein weiterer, von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebener Bericht über Umweltschäden, der im Juni 1999, kurz nach dem Ende des Krieges publiziert wurde, führt zwar akribisch alle Informationsquellen auf (Experten vor Ort, sonstige Fachleute, Standardwerke, Arbeiten von Spezialisten etc.), aber das abgereicherte Uran wird praktisch mit keinem Wort erwähnt. (10) Lediglich bei einer allgemeinen Aufzählung aller Arten von Umweltschädigung taucht das Kürzel DU auf, mit der Anmerkung: "in Jugoslawien - angeblich". Nun könnte man annehmen, diese Arbeitsgruppe habe den Kante-Report nicht gekannt, doch verschiedene Kapitel ihres Berichts enthalten wortwörtliche Passagen des Kante-Textes, und auch ihre Liste von rund achtzig Zielen der Bombardements ist identisch mit der von Kante erstellten.

"Unbedenkliche" Strahlung - von wegen!

KURZE Zeit später rief die Unep eine Arbeitsgruppe (die Balkans Task Force; BTF) ins Leben, die eine vollständige Bilanz der Umweltschäden vorlegen sollte. Ihr Chef Klaus Töpfer hatte mit der Leitung des Teams den ehemaligen finnischen Umweltminister Pekka Haavisto betraut, und dieser bezog eindeutig Position: Zu den Folgen des Krieges für die Umwelt gehörten auch die Auswirkungen des abgereicherten Urans, die man aus der Untersuchung nicht ausklammern dürfe. Falls man ihm untersage, die radioaktive Verseuchung zu untersuchen, werde er das Uran als chemischen Giftstoff betrachten.

Als der Bericht (11) endlich fertig gestellt und am 8. Oktober in Genf der Öffentlichkeit präsentiert werden sollte, mussten Journalisten, die sich eine Vorabkopie besorgen wollten, im Unep-Büro in Genf feststellen, dass sie nicht zur BTF vordringen konnten. Stattdessen wurden sie von Robert Bisset, dem Sprecher und persönlichen Referenten Töpfers, mit dem Hinweis abgefertigt, Pekka Haavisto, der Verfasser des Berichts, sei nicht zu sprechen. Schließlich hieß es, Haavisto werde - entgegen der ursprünglichen Ankündigung - am 11. Oktober in New York eine Pressekonferenz geben. Damit war den Journalisten, die das Thema abgereichertes Uran im Kosovo genauer verfolgt hatten (und die allesamt in Genf saßen), die Chance genommen, den verantwortlichen Autor des Berichts zu befragen.

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Der abschließende Teil des Berichts wurde von Robert Bisset überarbeitet und dabei von 72 auf 2 Seiten zusammengestrichen, was man schon an den lückenhaften Formulierungen erkennen kann (außerdem erschienen später die fehlenden Teile auf der Unep-Website). (12) In den Schlussfolgerungen und Empfehlungen heißt es, die kontaminierten Stellen müssten abgesperrt werden, doch zugleich wird erklärt, man habe dort keine Untersuchungen durchführen können. Die kanadische Expertin Rosalie Bertell hatte der BTF empfohlen, Proben aus den Luftfiltern von Fahrzeugen im Kosovo zu entnehmen sowie von zerstörten Panzerfahrzeugen und von Stellen, die vermutlich mit Uranmunition beschossen wurden - nichts davon geschah bei den Untersuchungen vor Ort.

In Genf gaben sich unterdessen die politischen Repräsentanten, die mit dem Uranproblem befasst waren, die Klinke in die Hand. Dennis McNamara, der Balkan-Sonderbeauftragte des Hohen Flüchtlingskommissars, sprach nach seiner Rückkehr aus der Region von einer "sicheren Umwelt" - womit er allerdings die militärische Sicherheit meinte. Bei einer Pressekonferenz im Palais des Nations erklärte er am 12. Juli 2000: "Die Nato versichert, dass DU kein Problem darstellt." Und Julia Taft, Leiterin der US-Regierungsbehörde für Bevölkerungs-, Flüchtlings- und Migrationsangelegenheiten, die nach Genf gekommen war, um den Wirtschafts- und Sozialrat der UN (Ecosoc) von den Erfolgen des "humanitären Kriegs" zu überzeugen, bekannte auf ihrer Pressekonferenz (am 14. Juli 1999 im Palais des Nations), von abgereichertem Uran habe sie noch nie etwas gehört.

Auf Anfrage erhielt ich von David Kyd, dem Sprecher der IAEO, die Auskunft, er glaube nicht, dass Untersuchungen über abgereichertes Uran in die Zuständigkeit seiner Organisation fielen, aber DU sei ja ohnehin völlig ungefährlich. Die gleiche Litanei über das harmlose DU betete auch Keith Baverstock vom Europäischen Büro der WHO herunter, wobei er allerdings hinzufügte, dass "DU in einer Gefechtssituation ein Problem darstellen könnte". Und der frühere schwedische Ministerpräsident Carl Bildt, inzwischen Balkan-Sondergesandter des UN-Generalsekretärs, erklärte kategorisch: Der Wirbel um DU sei nichts als "heiße Luft".

Im März 2000 verbreitete Military Toxics Project, eine US-amerikanische Anti-Atom-NGO, die Nato habe der Unep im Januar eine Kosovo-Karte mit den Zielen geliefert, auf die Uranmunition abgeschossen wurde - eine Quelle im niederländischen Außenministerium hat diese Information bestätigt. (13) Nun befürchtete Töpfer eine Welle der Empörung und berief deshalb am 20. März 2000 in Genf eine Krisensitzung ein, um eine Strategie festzulegen.

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Zu spät - am selben Morgen hatte Le Courrier, die letzte unabhängige Tageszeitung der französischsprachigen Schweiz, die Karte bereits veröffentlicht. Am folgenden Tag präsentierte auch Pekka Haavisto diese Karte auf seiner Pressekonferenz. Er versuchte zu beschwichtigen, verwies aber auch auf die Empfehlungen des Berichts vom Oktober des Vorjahres; er gab zu, dass der Zugang zu den kontaminierten Orten nicht möglich sei, ließ aber auch durchblicken, dass die vorliegende Karte nicht präzise genug sei, um diese Orte genau zu bestimmen. In einer Presseerklärung wurde erneut das Erscheinen der längst überfälligen WHO-Studie angekündigt, außerdem habe die BTF bei der britischen Royal Society eine weitere Studie in Auftrag gegeben (von der man seitdem nie mehr etwas gehört hat).

Die Karte, die angeblich die 28 Orte zeigt, die von A-10-Kampfflugzeugen mit panzerbrechender 30-mm-Munition hoher Durchschlagskraft ("penetrators" genannt) beschossen wurden, lässt allerdings einige Fragen offen. Die meisten Zielorte liegen nahe der albanischen Grenze (in der italienischen und deutschen Besatzungszone), wo Tito einst umfassende unterirdische Verteidigungsstellungen bauen ließ, um gegen die nationalen Bestrebungen des albanischen Führers Enver Hoxha gewappnet zu sein. Nach Ansicht des Schweizer Militärexperten Jacques Langendorf, der diese Anlagen in der Tito-Ära besichtigt hat, hätten die 30-mm-Geschosse gegen die Betonarmierung der Stellungen wenig ausrichten können - als wirksame Waffe könnten dagegen Marschflugkörper mit DU-Gefechtsköpfen gelten. Und der britische Militärexperte Dennis Flaherty glaubt, dass es eines der Ziele in diesem Krieg gewesen sei, Raketen mit einer neuen Technologie (Broach) zu testen, die bis zu zehn Projektile hoher Durchschlagskraft abschießen können, um eine größere Wirkung bei der Zerstörung unterirdischer Bunker zu erzielen.

Die ständigen Nachfragen des UN-Generalsekretärs Kofi Annan hatten schließlich zur Folge, dass Unep-Chef Töpfer im Juli 2000 von der Nato eine neue Karte erhielt, auf der 112 Ziele verzeichnet sind. Dazu gab es eine Liste der Munition, die zum Einsatz gekommen sein soll. Allerdings heißt es bei rund zwanzig Zielorten, der dort eingesetzte Munitionstyp sei "unbekannt" - eine kaum glaubhafte Behauptung, wenn man bedenkt, über was für Datenbanken die Nato und das Pentagon verfügen. Angeblich hat Pekka Haavisto davon erst im September Kenntnis erlangt, und daraufhin sofort eine Untersuchungskommission ins Kosovo schicken wollen. Dies wiederum soll Töpfer verhindert haben, mit dem Argument, solche Enthüllungen kurz vor den jugoslawischen Wahlen im Oktober 2000 könnten ähnlich massenhafte Fluchtbewegungen wie während des Krieges auslösen.

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Der Hohe Flüchtlingskommissar der UN jedenfalls wollte die Entscheidungen der WHO nicht abwarten, sondern erließ neue Vorschriften für sein Personal vor Ort: Es wurden keine schwangeren Frauen mehr ins Kosovo geschickt, jeder für den Kosovo vorgesehene Mitarbeiter erhielt das Recht, einen anderen Einsatzort zu wählen, und wer schließlich entsandt wurde, bekam einen Vermerk "Einsatz vor Ort" in die Personalakte, damit er später - im Fall einer Erkrankung durch Kontamination - seine Entschädigungsansprüche leichter geltend machen kann. (14) Nach Auskunft von Frederick Barton, dem Stellvertreter des Hochkommissars, hat seine Organisation auch Versuche unternommen, die Zivilbevölkerung von der Kontaminationsgefahr zu unterrichten. Das stieß aber auf heftigen Widerstand seitens der albanischen Führung wie auch der Nato und der Kosovo-Mission der Vereinten Nationen. Die kanadische Expertin Rosalie Bertell jedenfalls ist überzeugt, dass die "heiße Luft" der DU-Problematik nur ein Beispiel für die Vertuschungspraxis darstellt, die noch lange nicht zu Ende ist. Die "heiße Luft" macht uns weiter zu schaffen.

dt. Edgar Peinelt

Anmerkungen:

01 "Fact Sheet Nr. 257", 12. Januar 2001, Weltgesundheitsorganisation (Genf), siehe http://www.who.int/inf-fs/en/fact257.html.

02 Gofman zitiert diese Passage aus seinem Buch "Radiation Induced Cancer from Low-Dose Exposures" in einem offenen Brief vom 11. Mai 1999 an die Presseagenturen.

03 "Effets génétiques des radiations chez lhomme: Rapport dun Groupe détude réuni par lOMS et Communications présentées par plusieurs membres de ce groupe", Genf (WHO) 1957.

04 Vertrag zwischen der Internationalen Atomenergiekommission und der Weltgesundheitsorganisation, angenommen von der 12. WHO-Generalversammlung am 28. Mai 1959 in der Resolution WHA 12.40. Siehe Organisation mondiale de la santé, "Documents fondamentaux", 42. Aufl., Genf (WHO) 1999.

05 Siehe Rosalie Bertell, "The Hazards of Low Level Radiation", http://ccnr.org/bertell_book.html.

06 "A-Bomb survivors: Factors that may lead to a re-assessment of the radiation hazard", International Journal of Epidemiology, Bd. XXIX, Nr. 4, S. 708-714.

07 Siehe etwa "Wings of Death: Nuclear Pollution and Human Health", Aberystwyth (Green Audit) 1995.

08 Siehe Jay M. Gould und Benjamin A. Goldman (Ed.), "Overview: Deadly Deceit: Low-Level Radiation, High-Level Coverup", New York (Radiation and Public Health Project), Dezember 1989.

09 Bakary Kante, Senior Policy Advisor to the Executive Director of Unep, "United Nations Inter-Agency Needs Assessment Mission to the Federal Republic of Yugoslavia: Environment and Human Settlements Aspects", Vereinte Nationen, Mai 1999.

10"Assessment of the Environmental Impact of Military Activities During the Yugoslavia Conflict: Preliminary Findings", Juni 1999 (der Europäischen Kommission vorgelegt vom Regional Environmental Centre for Central and Eastern Europe, Szentendre, Ungarn); s. GD-XI - Environment Nuclear Safety and Civil Protection (Contract No. B7-81 10/99/61783/MAR/XI.1).

11"The Kosovo Conflict: Consequences for the Environment & Human Settlement", Genf (UN-Umweltprogramm und UN-Zentrum für Wohn- und Siedlungswesen) 1999.

12Siehe http://www.grid.unep.ch/btf/ oder http://balkans.unep.ch.

13Die Karte kann auf der Website von Le Monde diplomatique eingesehen werden: http://www.monde-diplomatique.fr/cartes/uakosovo.

14Dienstvorschriften der Personalabteilung des UNHCR.

Quelle: Le Monde diplomatique Nr. 6374 vom 16.2.2001, Seite 4-5, 533 Zeilen, Dokumentation ROBERT JAMES PARSONS



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