USA-Irak


vom:
21.12.1998


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Öffentliche Erklärung und Brief an Außenminister Fischer

zur Operation "Wüstenfuchs" gegen den Irak

Solidarische Kirche im Rheinland

Sekretariat der Leitung, Ravensberger Strasse 128, D-42117 Wuppertal Telefon 0202/2422111, Fax 2422112

Datum: 21.12.98

Die Leitung der Solidarischen Kirche im Rheinland hat in einem Schreiben an den Bundesaußenminister Joschka Fischer die unkritische Haltung der Bundesregierung gegenüber der jüngsten Militäraktion der USA und ihrer britischen Alliierten gegen den Irak beklagt. Sie macht sich die kritischen Voten der verteidigungspolitischen Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen, Angelika Beer, und des außenpolitischen Sprechers der SPD-Fraktion, Gernot Erler, zueigen und betont: "Nicht der Diktator, das irakische Volk trägt die Folgen der Strafexpedition - akut mit den Getöteten und Verletzten der nächtlichen Luftangriffe, absehbar mit weiteren Einschränkungen zugunsten eines militärische Wiederaufbaus, weiterhin mit den Folgen der Embargo-bedingten Entbehrungen für Leib und Leben vor allem von Kindern, Alten und Kranken."

Die Solidarische Kirche hat den Außenminister am Vorabend der deutschen EU-Ratspräsidentschaft aufgefordert, im Bundeskabinett, auf EU- und UNO-Ebene das Schicksal des irakischen Volkes und die Bedingungen seiner Zukunft stärker ins Blickfeld zu rücken. Sie stellt dazu fest:

"Wer den Machtwechsel und eine demokratische Gesellschaftsstruktur im Irak herbeiführen will, wird nicht nur das Vertrauen der Oppositionskräfte im Exil, sondern das Vertrauen des irakischen Volkes gewinnen müssen. Das setzt die Absage an politische und militärische Strategien voraus, die vorrangig geopolitische Interessen verfolgen, zu deren Durchsetzung das irakische Volk zu Geiseln und Opfern machen und es darin - nolens volens - Saddam Hussein und seinem Regime gleich tun."

Die Solidarische Kirche appelliert an die EKD und an die Friedensbewegung, sich bei der Bundesregierung für humanitäre und politische Initiativen zugunsten des irakischen Volkes einzusetzen.

Schreiben der Solidarischen Kirche an das Auswärtige Amt vom 20.12.1998

Verteiler: An den Ratsvorsitzenden der EKD, Präses Manfred Kock, An die Arbeitsgemeinschaften, Vereine und Initiativen der Friedensbewegung, An die Pressestelle der Evangelischen Kirche im Rheinland, An die Presseagenturen

An den Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Herrn Joschka Fischer

Sehr geehrter Herr Minister Fischer,

die heute Nacht beendete militärische Strafexpedition amerikanischer und britischer Luftstreifkräfte gegen das Regime in Bagdad und seine militärische Infrakstruktur kann auf eine beeindruckende Schadensbilanz verweisen:

Die Autorität der UNO ist erneut geschwächt.(1) Der militärische Nutzen der Operation Wüstenfuchs ist beschränkt, ihre Auswirkung auf künftige Bemühungen um UNO-Rüstungskontrollen im Irak verheerend.(2) Zur Destabilisierung des Regimes in Bagdad hat der Militärschlag nicht beigetragen. Im Gegenteil: Der irakische Diktator Saddam Hussein und sein Regime gehen politisch gestärkt aus den Luftangriffen hervor. Für die internationalen Abrüstungsbemühungen und für die Entwicklung einer gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik war das präjudizierende militärische Engagement Großbritanniens eher kontraproduktiv.(3)

Nicht der Diktator, das irakische Volk trägt die Folgen der Strafexpedition - akut mit den Getöteten und Verletzten der nächtlichen Luftangriffe, absehbar mit weiteren Einschränkungen zugunsten eines militärische Wiederaufbaus, weiterhin mit den Folgen der Embargo-bedingten Entbehrungen für Leib und Leben vor allem von Kindern, Alten und Kranken.

Im Blick auf diese Schadensbilanz begrüßen wir die eher kritischen Bewertungen der neuerlichen Militäroperation der USA und ihres britischen Aliierten durch Bonner Parlamentarier: Völkerrechtlich fragwürdig, unverhältnismäßig - so die Ihnen sicherlich geläufige Bewertung der Luftangriffe ohne UNO-Mandat durch die verteidigungspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Ihrer eigenen Partei, Angelika Beer. Zweifel an der Effizienz der Militäraktion und absehbare Probleme bei der neuerlichen Suche nach einer politischen Lösung - so der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Gernot Erler (4).

Umso unverständlicher ist uns die unkritische Haltung der Bundesregierung gegenüber dem militärischen Vorgehen der USA und ihres britischen Alliierten, wie sie in den Äußerungen des Bundeskanzlers, des Bundesministers der Verteidigung sowie des Auswärtigen Amtes wiederholt zum Ausdruck gekommen ist.

Ihre persönliche Fähigkeit zu undogmatischem Denken und zu Konsequenzen aus politischer Einsicht haben Sie - trotz aller Verpflichtung zu außen- und bündnispolitischer Rücksichtnahme - unter Beweis gestellt, als Sie den allfälligen Verzicht auf die NATO-Doktrin des atomaren Erstschlags angeregt haben. Sie haben mit diesem Denkanstoß ein Signal gesetzt für die vom Bundeskanzler angekündigte `Normalisierung` in der Pflege der Bündnisbeziehungen.

Eine entsprechende Haltung haben wir in der politischen Bewertung der amerikanischbritischen Militäroperation gegen den Irak durch die Bundesregierung vergeblich gesucht, -leider auch bei Ihnen. Dieser Umstand stimmt - am Vorabend der deutschen EU-Ratspräsidentschaft - nicht gerade hoffnungsvoll im Blick auf einen deutschen Beitrag zu europäischen Bemühungen um eine koordinierte Außen- und Sicherheitspolitik auch gegenüber der Golf-Region.

Es liegt auch an Ihnen, sehr geehrter Herr Minister Fischer, im Bundeskabinett, auf EU- und UNO-Ebene das Schicksal des irakischen Volkes und die Bedingungen seiner Zukunft ins Blickfeld zu rücken.

Wer den Machtwechsel und eine demokratische Gesellschaftsstruktur im Irak herbeiführen will, wird nicht nur das Vertrauen der Oppositionskräfte im Exil, sondern das Vertrauen des irakischen Volkes gewinnen müssen. Das setzt die Absage an politische und militärische Strategien voraus, die vorrangig geopolitische Interessen verfolgen, zu deren Durchsetzung das irakische Volk zu Geiseln und Opfern machen und es darin - nolens volens - Saddam Hussein und seinem Regime gleich tun.

Daß Sie sich diesen realpolitischen Ansatz zu Eigen machen, dem Bundeskabinett und den EU-Partnern ebenso vermitteln wie den transatlantischen Bündnispartnern, ist unser Wunsch an Sie - gerade auch im Blick auf die deutsche EU-Ratspräsidentschaft. Dazu wünschen wir Ihnen Mut und Kraft.

Mit den besten Wünschen zum Weihnachtsfest und zum neuen Jahr Solidarische Kirche im Rheinland (5) - Die Leitung

i.V. gez. Andreas de Kleine, Mitglied der Leitung



(1) Die militärische Aktion der USA und ihres britischen Alliierten gegen den Irak ist unter Ausschaltung des Sicherheitsrates beschlossen und in Gang gesetzt worden. Die Begründung der USA stützte sich auf eine Vorabinformation des UNSCOM-Leiters Butler, der seinen Bericht erst im Nachhinein dem Sicherheitsrat vorgelegt hat. Die Aktion diente erklärtermaßen der Wahrung nationaler amerikanischer Interessen (der US-amerikanische Außenminister in der Nacht zum 20.12.1998 in CNN) -. Nach ihrem Luftangriff auf eine vermeintliche Waffenfabrik in Somalia demonstrieren die USA nun ein weiteres Mal, daß sie nicht bereit sind, die Durchsetzung nationalpolitischer Zielsetzungen mit militärischen Mitteln von UNO-Mandaten abhängig zu machen. Mit der Zurückhaltung von überfälligen Zahlungen schwächen die USA schon seit Jahren die Handlungsfähigkeit der UNO. (2) Die militärische Führung der Operation Wüstenfuchs haben eingestanden, nur ein Drittel der in Aussicht genommenen strategischen Ziele der Operation attackiert zu haben. - "Wenn es wirklich so wäre, daß die UNSCOM bereits alle Orte kennt, die in Frage kommen als Produktions- oder Lagerstätten von Massenvernichtungswaffen, hätten die Kontrollen längst abgeschlossen sein können. Das Problem ist, daß man nicht genau weiß, wo die sind. Die Bombenangriffe sind also kein Ersatz für die Bodeninspektion." (Gernot Erler in der FR vom 19.12.1998). - Saddam Hussein hat lt. ARD vom 20.12.1998 eine künftige Zusammenarbeit mit UNSCOM kathegorisch ausgeschlossen.

(3) "... Die Aktion Wüstenfuchs, die Abrüstung militärisch erzwingen will, schafft an anderer Stelle (gemeint ist START II) Probleme für die Abrüstung....Das Projekt einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik Euopas ist gewiß nicht gestärkt worden. Eine gemeinsame Haltung ist nicht zu erkennen..." ."(Gernot Erler in der FR vom 19.12.1998)

(4) Was passiert wenn Saddam nicht einlenkt? Jch kann nicht sehen, was das Motiv zum Einlenken sein soll, wenn nach vier Tagen nun die Angriffe abgebrochen werden." Und: "Die Bombenangriffe sind kein Ersatz für Bodeninspektionen." (Gernot Erler in der FR vom 19.12.1998)

(5) Vereinigung kritischer Christen in der Tradition der Vikarinnen und Vikare der Bekennenden Kirche und der Kirchlichen Bruderschaft im Rheinland, die nach 1945 u.a. für die Überwindung des Kalten Krieges und der Blockbildung sowie den Verzicht auf atomare Abschreckung als Mittel der Friedenssicherung eingetreten ist




E-Mail: dekleine@wtal.de
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