USA-Irak


vom:
25.10.2002


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 Was tun? - Aktionen/Beispiele

Statement der Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF) zur Irak-Frage:

Welche Möglichkeiten gibt es, einen Krieg gegen den Irak abzuwenden?

Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF)

Trotz der jüngsten Äußerungen des US-Präsidenten George W. Bush sowie vielfältiger Proteste in Europa und zunehmend auch in den USA selber deutet vieles darauf hin, dass die US-Regierung weiterhin einen Krieg gegen den Irak plant, hierfür Verbündete sucht und den Widerstand weltweit möglichst gering zu halten versucht. Diesem Ziel dienen insbesondere der "Freibrief" für die US-Regierung zur Kriegführung durch den Kongress und eine mit erheblichen Restriktionen für den Irak verbundene neue Resolution des UN-Sicherheitsrats, die derzeit zwischen den USA und anderen Mitgliedern des Sicherheitsrats verhandelt wird.

Angesichts der sich zuspitzenden Situation gilt es, alle Möglichkeiten für eine gewaltfreie Lösung auszuschöpfen. Diese Statement bietet Argumentationshilfen und zeigt Ansätze für ein gewaltfreies, an den Zielen von Frieden und Gerechtigkeit orientiertes Handeln. Droh- und Gewaltszenarien, die den Krieg provozieren wollen oder ihn doch wenigstens in Kauf nehmen, stellen andere auf. Viele werden die genannten Möglichkeiten gering achten oder auch als utopisch ansehen. Das müssen wir in Kauf nehmen. Unsere Überlegungen und Impulse richten sich zunächst an die Mitglieder der AGDF, wir haben dabei aber auch eine weitere Öffentlichkeit in Kirche und Politik im Auge.

1. Welche Argumente werden für den Krieg gegen den Irak ins Feld geführt?
Welche Ansätze für Frieden und Gerechtigkeit sind dagegen zu halten?


1.1 Irak

Die US-Regierung fordert mit Hinweis auf die Menschenrechtssituation im Irak einen Sturz des Diktators Saddam Hussein bzw. einen Machtwechsel in Bagdad. Um dieses Ziel zu erreichen, scheint eine Verletzung der Autonomie des Irak gerechtfertigt zu sein. Völkerrechtlich gibt es jedoch keine Legitimation für einen Angriffskrieg. Jedenfalls räumt die Charta der Vereinten Nationen zwar jedem Mitglied das Recht auf Selbstverteidigung ein - aber nur, wenn es einem Angriff ausgesetzt ist. Ein Präventivschlag würde also nicht Recht schaffen, sondern nur dem "Recht des Stärkeren" Vorschub leisten.

In der Tat muss die Menschenrechtssituation im Irak unbedingt verbessert werden. Insofern ist dem Argument der US-Regierung Rechnung zu tragen. Dringend verbessert werden müssen aber auch die wirtschaftlichen und sozialen Lebensverhältnisse im Irak, die sich auf Grund der von den Vereinten Nationen verhängten Sanktionen in den letzten zehn Jahren massiv verschlechtert haben. Das irakische Volk hat wahrlich genug gelitten. Es braucht keine neuen Zerstörungen, sondern das Ende der Sanktionen, Hilfen zum Wiederaufbau und neue Schritte zum kulturellen Austausch.

Ein weiteres Argument für den Krieg ist die Gefahr, dass das irakische Militär über biologische und chemische Massenvernichtungswaffen verfügt und sie einsetzen sowie in relativ kurzer Zeit atomare Waffen herstellen könnte. Hierfür gibt es bisher jedoch keine schlüssigen Beweise. Am ehesten könnten die seit 1998 unterbrochenen Inspektionen der Vereinten Nationen diese Frage abschließend klären.

Nach der Zustimmung der irakischen Regierung zu Inspektionen und den konstruktiven Gesprächen zwischen irakischen Regierungsvertretern und Vertretern der UN sollten die Waffeninspektoren umgehend in den Irak reisen und mit ihrer Arbeit beginnen. Wenn sie feststellen, dass der Irak nicht über Massenvernichtungswaffen verfügt, spätestens jedoch zwei Monate nach Beginn der Inspektionen sollten die Wirtschaftssanktionen aufgehoben werden.

Für den Fall der Behinderung der Inspektionen durch die irakische Regierung - etwa in der Frage des Zutritts zu den "Palästen" Saddam Husseins - müssen weitere Maßnahmen im UN-Sicherheitsrat ausgehandelt werden. Diese liegen in der Verantwortung der Vereinten Nationen. Dabei gibt es Anzeichen, dass die irakische Regierung eher bereit ist, UN-Inspekteure - allerdings ohne unter ihnen befindliche Spione nationaler Regierungen - zuzulassen, als einen Krieg zu riskieren. Es kann jedoch nicht hingenommen werden, dass die US-Regierung die Bedingungen, die die irakische Führung zu erfüllen hat, ständig ändert und dabei die Latte so hoch legt, dass am Ende die gewünschte Option "Krieg und Machtwechsel in Bagdad" steht.

Es ist unsere Überzeugung, dass die Möglichkeiten zur gewaltfreien Vermittlung zwischen dem Irak und der Völkergemeinschaft nicht ausgelotet oder gar ausgeschöpft sind. Besonders dem Generalsekretär der Arabischen Liga, Dr. Amr Moussa, und dem UN-Generalsekretär Kofi Annan könnten Funktionen der Vermittlung zufallen. Kofi Annan gelang es im Februar 1998 schon einmal, einen Militärschlag gegen den Irak kurz zuvor noch abzuwenden. Eine Mission 2002/2003 wird weitaus schwieriger werden. Beide Generalsekretäre brauchen deshalb erheblich mehr Rückendeckung von den europäischen Staaten wie auch von China oder Indien, wenn sie substantielle Vorschläge zur Kriegsverhinderung durchsetzen sollen.

In solche Verhandlungen zur Vermittlung sind die innerirakischen Bevölkerungskonflikte einzubeziehen. Ein Ende der Verfolgung der schiitischen Bevölkerung im Süden könnte zur Entspannung beitragen. Die Forderungen der beiden kurdischen Führer im Nord-Irak, Barzani und Talabani, lauten: Garantien für eine lokale kurdische Autonomie, Gerechtigkeit bei der Verteilung staatlicher Einkünfte, Ende der Arabisierung von Kirkuk und weiterer Gebiete in der Nähe der Kontrolllinie, Schaffung eines föderalen Staates.

1.2 Region Naher und Mittlerer Osten

Die europäische Politik sollte sich für einen Friedens- und Sicherheitspakt nach dem Vorbild der OSZE stark machen, der die gesamte Region des Nahen und Mittleren Ostens umfasst. Er müsste auf eine ABC-Waffen-Abrüstung mit dem Ziel einer ABC-waffenfreien Zone drängen und für die kurdischen Gebiete ebenso wie für Kaschmir diplomatische Lösungen voran treiben.

Die US-Außenpolitik hat es entscheidend mit in der Hand, ob eine Lösung des Israel-Palästina-Konflikts gefunden werden kann, ob also zum Beispiel die Verhandlungen auf der Grundlage des sogenannten Mitchell-Plans vom April 2001 noch einmal aufgenommen werden. Selbst nach den verheerenden palästinensischen Selbstmordattentaten und den Liquidierungen und Bombardierungen der israelischen Armee ist eine Zweistaatenlösung denkbar. Hierzu müsste sich freilich auch die europäische Politik weitaus stärker engagieren, als sie dies bisher tut.

Die mit den Ölvorräten im Nahen und Mittleren Osten gegebene vitale Interessenlage ist bekannt. Sie bildet den entscheidenden Faktor im macht- und geostrategischen Kalkül der beteiligten Parteien. Ein wesentlicher Schritt zur Deeskalation wäre es, wenn der Westen durch massiven Ausbau erneuerbarer Energien seine Abhängigkeit von den Ölressourcen der Region reduzieren würde.

Zur besseren Verständigung zwischen der westlichen und der arabischen Welt wäre die Etablierung einer europäisch-arabischen Universität in der arabischen Welt und einer arabisch-europäischen Hochschule in der westlichen Welt ein weiterer Baustein. Solche Hochschulen können mithelfen, Vorurteile auf beiden Seiten abzubauen.

1.3 "Kampf gegen den Terrorismus"

Ein drittes Argument für den Krieg ist die angebliche Verstrickung des Irak in den sogenannten "islamistischen" Terrorismus. Abgesehen davon, ob und wie weit sich diese Behauptung verifizieren lässt, zeigt sich nach den Erfahrungen des letzten Jahres immer dringlicher, dass Krieg kein geeignetes Instrument im Kampf gegen den Terror in seinen aktuellen, höchst komplexen Erscheinungsformen ist.

Wir sind überzeugt, dass es zur Überwindung des Terrorismus viel tiefer greifender und weiter reichender Veränderungen bedarf. Dazu gehören: ein mittelfristiger Abzug der US-Präsenz aus der Region und damit das Ende der Unterstützung autoritärer Regime, die Einstellung der Waffenlieferungen und ein Schuldenerlass für die verarmten Länder der Arabischen Liga. Im Zuge aller genannten Maßnahmen könnte auch dem Terrorismus der Nährboden entzogen werden. Gerechtigkeit und Frieden bekämen eine Chance, die arabische und die islamische Welt würden endlich einmal gleichberechtigt und mit Respekt behandelt werden.

2. Handlungsansätze in Deutschland

2.1 Bundesregierung

Wir begrüssen nachdrücklich, dass sich die deutsche Bundesregierung klar gegen einen Angriffskrieg auf den Irak ausgesprochen hat. Wir unterstützen sie bei diesem Kurs und fordern sie auf, alle Möglichkeiten für eine gewaltfreie Lösung aufzugreifen und alles zu tun, was einen Krieg verhindern kann.

Schritte auf dem Weg einer Politik der Bundesregierung, die dem Grundgesetz, dem Völkerrecht und der Humanität verpflichtet ist, könnten im Hinblick auf den drohenden Krieg sein:



1.Deutschland ist eines der einflussreichsten Länder der Europäischen Union. Zudem wird die deutsche Bundesregierung ab Februar 2003 als nichtständiges Mitglied den Vorsitz im UN-Sicherheitsrat übernehmen. Damit steigen sowohl ihre Verantwortung wie auch ihre Möglichkeiten auf der internationalen politischen Ebene. So wird sie bei der Abfassung von UN-Resolutionen genauestens darauf zu achten haben, dass diese nicht einen Kriegsautomatismus legitimieren.



Darüber hinaus könnte sich Deutschland im Rahmen einer gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik um den Aufbau einer internationalen Allianz bemühen, die die europäischen Staaten einschliesslich Russland sowie China und Indien umfasst und in Zusammenarbeit mit dem UN-Generalsekretär sowie dem Generalsekretär der Arabischen Liga eine gewaltfreie Lösung der Irak-Frage unter dem Dach der UN anstrebt. Dies würde auch das internationale Völkerrecht stärken. Zu einer solchen Lösung müssten die ungehinderte Durchführung von UN-Waffeninspektionen, die Wiederaufnahme des Dialogs zwischen den USA und dem Irak, die Aufhebung der UN-Sanktionen sowie Schritte zum Wiederaufbau des Irak gehören.



3.Die deutsche Bundesregierung sollte strikt bei ihrer Position bleiben und keinerlei Unterstützung eines Krieges gegen den Irak gewähren. Auch der im Rahmen der sogenannten Anti-Terror-Allianz durch die NATO fest gestellte "Bündnisfall" kann eine solche Unterstützung nicht rechtfertigen. Im einzelnen bedeutet dies



- den Rückzug der deutschen ABC-Spürpanzer aus Kuwait und der Seefernaufklärer vom Horn von Afrika;



- die Verweigerung von Überflugrechten im deutschen Luftraum für US-Angriffsflüge (da der Völkerrechtsbruch schwerer wiegt als das Nichteinhalten von Verträgen);



- die Verweigerung jeglicher finanzieller und infrastruktureller Unterstützung für einen US-Feldzug gegen den Irak.



4.Die Bundesregierung sollte verstärkt darauf hin arbeiten, dass in Deutschland die Abhängigkeit vom Erdöl deutlich verringert wird. Diesem Ziel dient eine weiter intensivierte Umsteuerung zur Energieeinsparung und zur Nutzung regenerativer Energien.


Ein wichtiges Element zur Befriedung ist der Ausbau der interkulturellen Kommunikation. Das gilt in besonderem Maße für den Austausch zwischen der europäischen und der arabischen Welt. Zu diesem Zweck könnte die Bundesregierung ein Goethe-Institut im Irak einrichten und akademische Begegnungsprogramme aufbauen bzw. fördern.

2.2 Gesellschaft

Angesichts der komplexen Gesamtlage und der globalen Verflechtungen der Probleme können die gesellschaftlichen Kräfte oder gar einzelne Personen anscheinend wenig an konkreten Schritten tun. Um so mehr ist es das Gebot der Stunde, eine gewaltfreie Lösung der Krise einzufordern und den politischen Druck dafür zu erhöhen. Es muss öffentlich unübersehbar und unüberhörbar deutlich werden, dass die große Mehrheit der Bevölkerung in diesem Land den Krieg nicht will, sondern von ihrer Regierung erwartet, dass die sich für gewaltfreie Alternativen stark macht. Dazu einige Hinweise:






- Die Kirchen haben sich mit großem Nachdruck für den absoluten Vorrang gewaltfreier Lösungen bei Konflikten ausgesprochen. Sie sollten dafür in den Gemeinden werben und ihren Einfluss in Öffentlichkeit und Politik geltend machen. Kirchen haben Zugang zur internationalen Ebene. So könnten im Rahmen des Ökumenischen Rats der Kirchen Delegationen in den Irak entsandt werden. Gemeinsame Erklärungen mit den Kirchen in den USA könnten wichtige Signale sein.



- Es gibt im Nahen und Mittleren Osten, vor allem auch in der Region Israel-Palästina, viele Friedensorganisationen und zivilgesellschaftliche Initiativen, die sich für Vermittlung und Frieden einsetzen. Sie brauchen Ermutigung, internationale Kontakte und Unterstützung. AGDF-Mitglieder und andere unabhängige Organisationen sollten diese Aufgabe wahrnehmen.



- Viele Möglichkeiten zur öffentlichen Meinungsäußerung stehen gesellschaftlichen Gruppen und Initiativen, aber auch jedem und jeder einzelnen zur Auswahl:


Demonstrationen wie am 26. Oktober, Anzeigen in den Medien, Mahnwachen, Selbstverpflichtungen zum Protest und Widerstand gegen einen Krieg, Beteiligung an Aktivitäten der Friedensbewegung und anderes. Es gilt, diese zu nutzen!

Jan Gildemeister, Bonn, den 24. Oktober 2002n Gildemeister ist Geschäftsführer der AGDF in Bonn

E-Mail: agdf@friedensdienst.de

Website: www.friedensdienst.de
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