USA-Irak


vom:
15.11.2002


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 Stellungnahmen/Aufrufe

Im Vorfeld der Verlängerung des Mandats "Enduring Freedom"

Offener Brief an die Abgeordneten des Deutschen Bundestags

Bundesausschuss Friedensratschlag

Sehr geehrte Damen und Herren,

am 15. November wird der Bundestag vermutlich mit einer fast 100-prozentigen Mehrheit der Verlängerung des Kriegsmandats "Enduring Freedom" zustimmen. Der Bundesausschuss Friedensratschlag wendet sich - auch stellvertretend für viele andere Friedensgruppen und -organisationen - an Sie und bittet Sie Folgendes zu bedenken:

1. Zurückgehaltene Bilanz

Die Verlängerung des Mandats für den Bundeswehreinsatz entbehrt jeglicher argumentativer Grundlage. Die Bundesregierung hat es versäumt, eine nachprüfbare Bilanz des bisherigen Einsatzes zu ziehen und Rechenschaft über die deutsche Teilnahme an "Enduring Freedom" abzulegen. Erst auf einer solchen Grundlage ließen sich für die Abgeordneten Entscheidungskriterien für eine Abstimmung finden. Im Entschließungsantrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen wird lediglich behauptet, die "Operation Enduring Freedom" habe "sichtbare Erfolge" gezeigt; dazu zählen die "Zerschlagung des Talibanregimes" und die "weitgehende" Zerstörung von Al Qaida. Mit keiner Silbe wird demgegenüber erwähnt, dass der Krieg in Afghanistan nach vorsichtigen Schätzungen über 20.000 Todesopfer gefordert hat, worunter bis zu 10.000 Zivilpersonen sind. Der Rat der EKD sprach auf seiner Synode vor wenigen Tagen von "Tausenden unschuldiger Opfer unter der Zivilbevölkerung", während das eigentliche Ziel des Krieges, den Drahtzieher des 11. September, Osama bin Laden, zu fangen, nicht erreicht wurde. "Es liegt in der Natur von Terror-Netzwerken, dass sie durch militärische Aktionen nicht besiegt werden können", heißt es in dem Bericht des Rats der EKD weiter. Die Fortsetzung des "Kriegs gegen den Terror" wird nach Auffassung der Kirche auch künftig "mehr zerstören als schützen". Auch eine weitere "Hoffnung" der Bundesregierung, die an den Militäreinsatz gebunden war, hat sich sichtlich nicht erfüllt. Im Beschluss des Bundestags vom 16. November 2001 hieß es: "Der Deutsche Bundestag bringt seine Hoffnung zum Ausdruck, dass die internationale Kooperation in der Anti-Terror-Allianz auch dazu beitragen wird, die regionalen Konflikte in Kaschmir, auf dem Balkan und in Zentralasien einer friedlichen und fairen Regelung zuzuführen." Was wir stattdessen erlebt haben, war zumindest in der Kaschmir-Region das genaue Gegenteil: die Eskalation des indisch pakistanischen Konflikts bis an den Rand eines (atomaren) Krieges. Anstatt also weiter auf die militärische Option zu setzen, sollte sich der Bundestag jener Erklärungen erinnern, die er so wohlfeil seit Jahr und Tag abgibt: Dass deutsche Außenpolitik zuallererst Konfliktprävention, zivile Konfliktbeilegung und der Ausbau des internationalen Rechts sein soll. Alle relevanten mutmaßlichen Terroristen, die in Deutschland, in Italien, in Frankreich oder in Griechenland in den letzten 12 Monaten gefasst wurden, wurden von zivilen Ermittlern gefasst, nicht infolge von Militäraktionen!

2. Blankoscheck zum Krieg

Das neuerliche Mandat zum Bundeswehreinsatz im Rahmen von "Enduring Freedom" bleibt genauso vage wie der ursprüngliche Beschluss vom November letzten Jahres. Der Bundestag soll "das in Art, Umfang und Einsatzgebiet unveränderte Mandat" für die Dauer eines weiteren Jahres bestätigen, heißt es im Antrag der Bundesregierung. Doch schon damals war dem Bundestag nicht klar, welchen Charakter der militärische Einsatz haben würde und für welche Einsatzorte er gelten sollte. Weder Ziel noch Ort und Zeitpunkt des Einsatzes oder die Aufgaben der 3.900 Soldaten waren hinreichend definiert. Nach über einem Jahr des von den USA angeführten "Kriegs gegen den Terror" ist aber hinlänglich bekannt, dass es sich um einen ganz "normalen", das heißt eben auch schmutzigen Krieg handelt, in dessen Verlauf unschuldige Zivilisten getötet, Infrastruktur zerstört, Ressourcen vergeudet (Kriegskosten!), das Kriegsvölkerrecht (Genfer Konvention) missachtet und Menschenrechte gröblich verletzt wurden und werden. Wer sich seinen Sinn für das internationale Recht bewahrt hat, muss - nach einem Wort des Gießener Professors für Öffentliches Recht, Thomas Groß, "konstatieren, dass sich die amerikanische Regierung zum Ankläger, Richter und Henker eines fiktiven Weltstrafgerichts erklärt hat, das auf dem Kodex der Blutrache beruht". (Freitag, 16.11.2001) Dieselben USA sind nicht bereit, sich dem im Aufbau befindlichen wirklichen Weltstrafgericht, dem "Internationalen Gerichtshof" in Den Haag, unterzuordnen. Und die Bundesregierung verlangt nun, "abgestimmt vor allem mit den USA und den europäischen Partnern, den Kampf gegen den internationalen Terrorismus auch mit militärischen Mitteln fortzuführen", wie es im Entschließungsantrag heißt. Mit dem Völkerrecht hat dieser Krieg nichts zu tun. Selbst wenn man der Meinung war, dass der Afghanistan-Krieg anfänglich nach Art. 51 UN-Charta ein Akt der "Selbstverteidigung" war, so hat er diesen Charakter längst verloren und ist zu einem unerlaubten Kriegsfeldzug geworden. Eine Verlängerung des Mandats der Bundeswehr kommt also einem Blankoscheck zum permanenten Krieg gleich.

3. "Enduring Freedom" der USA schließt Irak-Krieg ein

Die Militäroperation der USA mit dem Namen "Enduring Freedom" war nie auf Afghanistan beschränkt, sondern hatte einen universellen Bezugsrahmen. US-Präsident Bush sprach im September 2001 von über 60 Ländern, in denen Terrorismus bekämpft werden müsse. Nach und neben Afghanistan war schon im Dezember 2001 die "zweite Phase" des US-Krieges eröffnet worden: mit "Operationen" auf den Philippinen, in Georgien, in Pakistan sowie in einigen kaukasischen und zentralasiatischen Republiken. Ende Januar 2002 nannte George W. Bush in seiner Rede "Zur Lage der Nation" als Gegner und vordringliche Ziele der "dritten Phase" des Antiterrorkriegs die "Achse des Bösen", bestehend aus Nordkorea, Iran und Irak. Die USA und Großbritannien bereiten seit Monaten diese dritte Phase vor mit der Angriffsplanung gegen Irak. All dies ist Bestandteil des andauernden Kriegs "Enduring Freedom". Die Bundesregierung und der Bundestag müssen der Öffentlichkeit erklären, dass eine Verlängerung des Mandats "Enduring Freedom" in eklatantem Widerspruch steht zu den wiederholten Bekundungen der rot-grünen Regierungskoalition, sich auf keinen Fall an einem Krieg gegen Irak zu beteiligen. Spätestens seit dem Besuch des deutschen Verteidigungsministers Struck in Washington hat die Friedensbewegung den Verdacht, dass die Bundeswehr entgegen der Friedensrhetorik der Koalition operativer Bestandteil des drohenden US-Krieges sein wird. Wer in dieser Situation Füchse und Flotte im Kriegsaufmarschgebiet lässt, nimmt bewusst in Kauf, zumindest logistischer Bestandteil des Kriegs gegen den Irak zu werden. Und wer ankündigt, die eigenen Truppenkontingente in Afghanistan (im Rahmen von ISAF) oder auf dem Balkan (Bosnien, Kosovo, Mazedonien) zu verstärken, um die US-Truppen für ihren Irak-Einsatz zu "entlasten", leistet Beihilfe zu einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg und bricht außerdem sein eigenes Wahlversprechen.

4. Geheimniskrämerei um KSK-Aktivitäten

Mit der Verlängerung des Mandats zum Bundeswehreinsatz im Rahmen von "Enduring Freedom" wird auch das Verbleiben des rund 100 Mann umfassenden "Kommandos Spezialkräfte" (KSK) in und um Afghanistan herum abgesegnet. In den vergangenen 12 Monaten war es nicht möglich, dem Verteidigungsministerium irgendwelche konkreteren Hinweise auf Einsatzgebiet und Art der Tätigkeit des KSK zu entlocken. Da es sich um eine Eliteeinheit handelt, die vornehmlich verdeckt operiere, könnten keine Angaben über ihren Einsatz gemacht werden, hieß es regelmäßig. Die Friedensbewegung hält diese Geheimniskrämerei für einen Skandal. Zumindest im nachhinein müssen Parlament und Öffentlichkeit über die Aktivitäten von Truppen im Auslands-Kriegseinsatz informiert werden. An welcher Art von Operationen der anderen "Alliierten", insbesondere der US-Truppen, war das KSK beteiligt? War es bei Gefangennahmen dabei und hat es evtl. selbst Gefangene gemacht? Was ist mit diesen Gefangenen geschehen? Wurden sie z.B. den USA zur weiteren "Behandlung" (etwa in Guantánamo) überstellt? Sollte das Parlament der Verlängerung des Einsatzmandats zustimmen, ohne vorher solche Fragen gestellt zu haben, dann haben wir es nicht nur mit einer Kriegsermächtigung der Exekutive durch das Parlament, sondern auch mit einer Selbstentmachtung des Parlaments zu tun.

5. Kriegsbeteiligung beenden!

Es gibt viele Gründe, den Erfolg von "Enduring Freedom" in Frage zu stellen und an der Berechtigung des "Antiterrorkriegs" grundsätzlich zu zweifeln. Die Friedensbewegung hat die Hoffnung nicht aufgegeben, dass es in der Regierungskoalition und der Opposition mehr als nur eine Handvoll Abgeordnete gibt, die sich ähnliche Fragen stellen. Ihnen allen empfehlen wir, der Regierungsvorlage zur Fortsetzung des Kriegseinsatzes die Zustimmung zu verweigern. Wenn man ein Jahr lang auf der kriegerischen Fährte war und es stellt sich heraus, dass sie sich als Irrweg erwiesen hat, ist es nicht ehrenrührig, nach zivilen Alternativen Umschau zu halten. Und allen, die darüber hinaus gegen den Irak-Krieg sind, möchten wir sagen: Wer sich am US-Krieg "Enduring Freedom" beteiligt, wird entweder direkt in den Irak-Krieg hinein gezogen oder unterstützt diesen Krieg indirekt. Beihilfe zu einem verbrecherischen Krieg ist auch ein Verbrechen.

Die Friedensbewegung appelliert an die Abgeordneten des Deutschen Bundestags: Beenden Sie den "Krieg gegen den Terror" und widmen Sie sich mit aller Kraft den rechtlichen, polizeilichen und sonstigen zivilen Mitteln zur wirksamen Bekämpfung terroristischer Gewalt.

Mit freundlichen Grüßen

Für den Bundesausschuss Friedensratschlag: Dr. Peter Strutynski (Sprecher)

Kassel, den 13. November 2002



Kontakt: Bundesausschuss Friedensratschlag, Peter Strutynski (Sprecher), Tel.: 0561/804-2314



E-Mail: strutype@hrz.uni-kassel.de

Website: www.friedensratschlag.de
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