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Erstellt:
19.10.1998


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 FF6/98 -
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zu: Kosov@: frühere Stellungnahmen zum Konflikt

Stellungnahme von Staats- und Völkerrechtlern zur Erklärung des amtierenden Außenministers Dr. Klaus Kinkel

Militärischer NATO-Einsatz im Kosovo ohne UN-Mandat?

Bundesaußenminister Kinkel hat nach dem Kabinettsbeschluß vom 12. Oktober 1998 erklärt:

"Im Lichte des Unvermögens des Sicherheitsrates, seinem Gewaltmonopol bei dieser besonderen notstandsähnlichen Situation gerecht zu werden, fußt die Rechtsgrundlage angesichts der humanitären Krise im Kosovo auf Sinn und Logik der Sicherheitsratsresolution 1160 und 1199 in Verbindung mit dem Gesichtspunkt der humanitären Intervention und einem Mindeststandart in Europa für die Einhaltung der Menschenrechte, dem wir die Qualität eines sich entwickelnden regionalen Völkerrechts beimessen. Dies ist ein Fall, in dem das Völkerrecht ein militärisches Tätigwerden zur Abwendung einer unmittelbar bevorstehenden humanitären Katastrophe, nachdem alle zivilen Mittel erschöpft sind, ausnahmsweise erlaubt." (vgl. u.a. FAZ vom 13.10.1998, S. 2)

Auch wenn es - nach dem offenbaren Einlenken des jugoslawischen Regimes von Milosevic - nicht zu einem NATO-Militäreinsatz gegen Jugoslawien kommen sollte, muß festgehalten werden, daß diese Erklärung von Minister Kinkel nicht ausreichend ist, um eine Teilnahme der Bundeswehr zu rechtfertigen. Eine Teilnahme ohne UN-Mandat würde - worauf Herr Kinkel bis vor kurzem selbst zu Recht immer wieder hingewiesen hat - gegen geltendes Völkerrecht und zugleich auch gegen innerstaatliches Recht verstoßen.

Im einzelnen:

1. Die UN-Sicherheitsrats-Resolutionen 1160 und 1199
   enthalten gerade keine Ermächtigung zum Einsatz
   militärischer Gewalt nach Art. 42 oder Art. 53
   UN-Charta. Die entsprechenden Bemühungen der USA
   haben im Sicherheitsrat bezeichnenderweise nicht
   die erforderliche Zustimmung gefunden. Angesichts
   dieser Beschlußlage ist es unzulässig, unter
   Berufung auf "Sinn und Logik" den Regelungsgehalt
   der Resolution umzuinterpretieren.

2. Auch auf den Gesichtspunkt der "humanitären
   Intervention" - also die Anwendung bewaffneter
   Gewalt zur Verhinderung oder Beseitigung massiver
   Menschenrechtsverletzungen in einem fremden Staat
   - kann ein Militärschlag nicht gestützt werden.
   Während in der Staatenpraxis und in der
   Völkerrechtsdoktrin vor dem Inkrafttreten der
   UN-Charta (1945) die gewaltsame "humanitäre
   Intervention" durch Einzelstaaten umstritten war,
   ist seitdem ein grundlegender Wandel der
   Völkerrechtslage eingetreten. Denn dem strikten
   völkerrechtlichen Gewaltverbot des Art. 2 Ziff. 4
   UN-Charta unterfällt nunmehr "jede" Art der
   Anwendung von Waffengewalt gegen einen anderen
   Staat, sofern in der UN-Charta keine
   rechtfertigende Ausnahme vorhanden ist. Als
   völkerrechtlicher Rechtfertigungsgrund für einen
   nach der UN-Charta zulässigen Gewalteinsatz kommt
   bei schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen
   nur eine ausdrückliche Ermächtigung durch den
   UN-Sicherheitsrat nach Art. 42 oder Art. 53
   UN-Charta in Betracht, das
   "Selbstverteidigungsrecht" gegen einen
   "bewaffneten Angriff" auf einen anderen Staat nach
   Art. 51 UN-Charta greift vorliegend nicht ein.
   Die weit überwiegende Mehrheit der Völkerrechtler
   geht heute deshalb zu Recht davon aus, daß
   militärische Interventionen ohne ausdrückliches
   Mandat des UN-Sicherheitsrates gegen das
   völkerrechtliche Gewaltverbot verstoßen, das
   zugleich eine "allgemeine Regel des Völkerrechts"
   im Sinne von Art. 25 GG darstellt.

3. Vor einer Aufweichung des Gewaltverbots durch die
   Konstruktion eines "Rechts auf humanitäre
   Intervention" kann auch im Hinblick auf die
   Folgen nicht entschieden genug gewarnt werden. Es
   würde z.B. iranische Interventionen in Afghanistan
   und im Irak, indische in Sri Lanka usw.
   rechtfertigen. Was der NATO und den USA recht ist,
   müßte das Rußland und der GUS, China, Indien,
   Pakistan und einer islamischen Allianz nicht
   billig sein?

4. Falsch ist es auch zu behaupten, daß der Schutz
   der Menschenrechte ein "sich entwickelndes
   regionales Völkerrecht" darstelle, das in
   Abweichung von der UN-Charta militärische
   Gewaltausübung erlaube. Richtig ist, daß der
   Menschenrechtsschutz eine ganz grundlegende
   Entwicklung des gesamteuropäischen regionalen
   Völkerrechts ist. Aber diese Entwicklung ist
   gerade nicht durch militärische Aktionen
   durchgesetzt worden; Gewaltausübung ohne
   UN-Mandat hat es in Europa bisher nicht gegeben.
   Davon abgesehen setzt das Entstehen von
   Völker(gewohnheits-)recht sowohl eine gefestigte
   gemeinsame ständige Staatenpraxis als auch eine
   entsprechende gemeinsame
   Rechtsüberzeugung voraus. Daran fehlt es gerade
   hinsichtlich eines NATO-Einsatzes ohne UN-Mandat.

5. Wer im Hinblick auf das u.a. von Rußland im
   UN-Sicherheitsrat wahrgenommene Veto-Recht von
   einem "Mißbrauch" oder einer "notstandsähnlichen
   Situation" redet, sollte vorsichtig sein. Müßte
   er dann nicht in gleicher Weise urteilen, wenn es
   etwa um durch amerikanisches Veto wiederholt
   verhinderte Beschlüsse des UN-Sicherheitsrates zum
   Verhalten Israels im Nahost-Konflikt oder der
   Türkei im Kurdenkonflikt geht? Richtig ist
   freilich: Das in der UN-Charta aus historisch
   erklärbaren Gründen verankerte Veto-Recht der
   Ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates
   bedarf - rechtspolitisch betrachtet - der
   Korrektur.

6. Falsch ist es schließlich zu behaupten, daß der
   militärische Einsatz der NATO erforderlich sei,
   weil alle nicht-militärischen Mittel erschöpft
   seien. Es fehlt bislang an der Entwicklung eines
   hinreichenden (nicht-militärischen) Konzepts für
   die Entschärfung des Kosovo-Konflikts durch die
   interessierte Staatengemeinschaft. Zwar sind zur
   Erhöhung der Verhandlungsbereitschaft des
   jugoslawischen Regimes einzelne nicht-militärische
   Sanktionsmaßnahmen verhängt worden, die bisher
   nicht hinreichend gegriffen haben, nicht zuletzt
   deshalb, weil ihre Einhaltung nicht ausreichend
   überwacht worden ist. Zudem ist das Spektrum
   möglicher nicht-militärischer Sanktionen
   keineswegs erschöpft. Schließlich sind sog.
   positive Sanktionsmöglichkeiten bisher überhaupt
   nicht oder jedenfalls nur unzureichend in Erwägung
   gezogen worden, obwohl sie durchaus zur Verfügung
   stünden (z.B. Angebote an die Konfliktparteien auf
   vorteilhafte Kooperationsmöglichkeiten mit der EU
   für den Fall der aktiven Mitwirkung an einer
   friedlichen Lösung des Kosovo-Konflikts).

7. Deutschland hat sich in Art. 2 des 2+4-Vertrages
   vom 12. September 1990, der völkerrechtlichen
   Grundlage seiner staatlichen Vereinigung,
   verbindlich verpflichtet, daß

- "von deutschem Boden nur Frieden ausgehen wird"
  und daß

- "das vereinte Deutschland keine seiner Waffen
  jemals einsetzen wird, es sei denn in
  Übereinstimmung mit seiner Verfassung und der
  Charta der Vereinten Nationen."

 Das darf nicht in Frage gestellt werden.

8. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem
   Out-of-Area-Urteil vom 12. Juli 1994
   herausgestellt, daß die Bundesrepublik Deutschland
   nach Art. 24 Abs. 2 GG einem "System gegenseitiger
   kollektiver Sicherheit" beitreten dürfe. Dann
   seien auch Einsätze der Bundeswehr erlaubt, "die
   im Rahmen und nach den Regeln des Systems
   stattfinden". Das ist eine tragende Erwägung des
   Urteils. Mit der Beteiligung am NATO-Einsatz im
   Kosovo spricht sich die Bundesrepublik
   Deutschland erstmals von den Regeln dieses
   Systems frei. Eine Rechtfertigung im Rahmen eines
   Systems der kollektiven Sicherheit ist nicht
   ersichtlich. Das kann in einem Rechtsstaat nicht
   hingenommen werden.

Erstunterzeichner:

Prof. Dr. Michael Bothe (Universität Frankfurt/Main), Dr. Peter Becker, Rechtsanwalt und Notar (Marburg), Prof. Dr. Edmund Brandt (Universität Lüneburg), Dr. Dieter Deiseroth (Düsseldorf), Prof. Dr. Erhard Denninger (Universität Frankfurt/Main), Prof. Dr. Götz Frank (Universität Oldenburg), Prof. Dr. Erich Küchenhoff (Universität Münster), Prof. Dr. Norman Paech (HfWP Hamburg), Prof. Dr. Helmut Ridder (Universität Gießen)



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