Drohender Krieg gegen Iran


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Drohender Krieg gegen Iran

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Quelle: Frankfurt Rundschau, 15.02.2006 - FRplus - Thema Politik

Abseits der Propaganda

Nasrin Bassiri

Irans Gesellschaft ist deutlich moderner und facettenreicher als es die sterotypen Bilder der wütenden Massen vermitteln

Mohammed geht durch die Straßen Teherans, Jesus zischt mit seinem schicken Mercedes an ihm vorbei und spritzt ihn mit Regenwasser nass. Mohammed ärgert sich und ruft ihm ein Schimpfwort hinterher. Ein Passant warnt ihn: "Du Prophet Gottes! Sag so etwas nicht. Weißt du, wer am Steuer saß? Das war der heilige Jesus!" Mohammed erwidert: "Ja klar, wenn meine Mutter für Gott die Beine breit gemacht hätte, könnte ich heute auch einen dicken Mercedes fahren und müsste nicht zu Fuß gehen."

Täglich werden solche oder ähnliche Witze über den Propheten Mohammed und seine Nachfolger in Teheran erzählt oder per SMS weitergereicht. Noch vor 30 Jahren, also bevor Iran zur Islamischen Republik geworden ist, sind solche Witze als Gotteslästerung empfunden worden und wurden aus Ehrfurcht vor Heiligen und Geistlichen nicht erzählt. Heute gehören sie zum Repertoire jeder gelungenen Party.

Und Iraner, die mit dem politischen System ihres Landes nicht einverstanden sind, machen ihrer Wut und Unzufriedenheit am liebsten dadurch Luft, dass sie Witze über lebende Ayatollahs und die politischen Machthaber reißen. Längst nicht nur Atheisten und Gotteslästerer erzählen solch amüsante Anekdoten. Die Religion und die Heiligen sind seit der Islamischen Revolution in Iran kein Tabu mehr.

Seit vielen Jahrzehnten nimmt es das Land auch nicht mehr so genau mit dem angeblichen Verbot der Abbildung von Mohammed und anderen Heiligen. In meinem Elternhaus beispielsweise hing ein Bild an der Wand von Mohammed mit schönen, weichen Gesichtszügen, halbnackten Schultern und fast weiblichem Lächeln Wer heute durch Teherans Straßen spaziert, sieht riesige Wandmalereien, ganze Häuserfassaden entlang, die beispielsweise Ali zeigen, den Schwiegersohn von Mohammed und Gründer des Schiitentums.

Henryk M. Broder, Journalist jüdischer Herkunft, meinte jüngst in einem Streitgespräch um die Mohammed-Karikaturen, der Westen solle keine Rücksicht darauf nehmen, dass Muslime sich beleidigt fühlen. Für Aufklärung müsse eben ein Preis bezahlt werden. Die Iraner haben diesen Preis längst entrichtet. Die Aufklärung ist in ihrem Land vor Jahren in Gang gesetzt worden. Religionsführer haben den Ayatollah Khomeini bereits vor Gründung der Islamischen Republik davor gewarnt, einen religiösen Staat zu errichten. Ihre Argumentation: Wenn eine weltliche Regierung versagt, kann man sie abwählen, und wenn das nicht möglich ist, wird sie gestürzt. In einem Gottesstaat werden Fehler, die Menschen begehen, Gott und dem Islam angelastet. Letzten Endes werde das dem Ansehen des Islam schaden. Tatsächlich ist der Islam nach mehr als einem Vierteljahrhundert Gottesstaat in Iran geschwächt, die Tabus schmelzen allmählich.

Der Islam verliert an Bedeutung

Ältere Menschen, die früher regelmäßig die Moscheen besuchten, sagen nun: "Früher haben wir jeden Tag Sängerinnen mit großzügigem Ausschnitt im Fernsehen gesehen und lustige Filme mit Bauchtanz und Liebesszenen im Kino erlebt. Einmal in der Woche haben wir in der Moschee gesessen, gebetet, ein paar Tränen vergossen und uns dann leichter gefühlt. Heute sehen wir jeden Tag Mullahs im Fernsehen, und selbst die Freitagsgebete werden noch übertragen. Da haben wir keinen Bedarf mehr, auch noch in die Moschee zu gehen!"

Folterungen in Gefängnissen, die von ermittelnden Mullahs angeordnet werden, und Hinrichtungen nach den Schuldsprüchen von Revolutionsgerichten, denen Mullahs als Richter vorsitzen, haben die Bürger vom Islam und seinen Repräsentanten, den Mullahs, entfernt. Junge und nicht privilegierte Religionsführer werden des Öfteren auf der Straße von Passanten beschimpft. Wenn sie mit einem der orange-farbenen Sammeltaxis fahren wollen, müssen sie meist lange am Straßenrand stehen, ehe ein Taxifahrer sie mitnimmt.

Der Spielfilm "Marmulak - Die Eidechse" nutzt das Stilmittel der Satire. Eidechsen gelten im Persischen als listig und trickreich. In dem Film flieht ein Einbrecher aus dem Gefängnis und benutzt auf seiner Flucht zur Tarnung ein religiöses Gewand. Es ist eine satirische Abrechnung mit den Mullahs, der Film ist ein Renner. Die unvorhersehbaren Reaktionen der Zuschauer, die bei manchen Szenen laut über die Religionsführer lachen, haben dazu geführt, dass der Streifen in Regionen wie der Heiligen Stadt Ghom, in der besonders viele Mullahs leben, nicht in den Kinos läuft. Der Film wurde zwar nicht verboten, aber selten gezeigt. Doch per Video können sich die Iraner immerhin zu Hause über die Mullahs amüsieren.

Zwei Drittel der 68 Millionen Iraner leben heute in Städten, ein Teil von ihnen lebt nach eigenen Gesetzen: Jugendliche feiern wilde Partys, Mädchen schminken sich wie Hollywoodstars, jede dritte Stadtbewohnerin hat sich irgendwann im Leben einer Schönheits-Operation unterzogen. Und wer sie sich nicht leisten kann, klebt ein Pflaster auf die Nase, damit andere glauben, sie hätte gerade ein Nasen-Operation hinter sich. Das ist schick und liegt im Trend.

Frauen sind in Iran entrechtet und benachteiligt. Doch sie versuchen mit Fleiß und Energie ihre Machtlosigkeit zu kompensieren, indem sie sich durch gute Schulabschlüsse den Weg in die Universitäten ebnen. Viele junge Menschen (60 Prozent aller Iraner sind unter 25 Jahre alt) studieren in den zahlreichen Hochschulen, die es bereits in Kleinstädten gibt. Ein Hochschulstudium ist kein Privileg der besser situierten Bildungsschichten, sondern ein "Volkssport" für jeden, der im Trend liegen will. Selbst die Kinder von Kleinbauern und Handwerkern studieren nicht selten an namhaften Universitäten. Die Familien legen großen Wert auf die Bildung ihrer Sprösslinge, es ist keine Seltenheit, wenn die Eltern Haus und Grundstück verkaufen, um ihrem Nachwuchs ein Hochschulstudium zu ermöglichen.

Im Wettlauf um einen guten Schulabschluss haben die Frauen die Nase vorn. 63 Prozent der erfolgreichen Aufnahmeprüfungen an Universitäten entfällt auf sie. Es wird schon laut über eine Männerquote an iranischen Universitäten nachgedacht.

Irans Bürger sind sehr gebildet

In Iran werden Menschenrechte verletzt, Journalisten werden verhaftet oder mundtot gemacht, junge Frauen wegen einer angeblichen "verbotenen Liebe" hingerichtet. Dennoch ist Iran nicht mit Irak und Afghanistan zu vergleichen. 85,5 Prozent der Iraner können schreiben und Zeitung lesen. Wer seine Meinung nicht in Büchern und Printmedien veröffentlichen kann, wendet sich an die zahlreichen Online-Publikationen und das Satelliten-Fernsehen, die im Ausland produziert werden. Es gibt etwa sieben Millionen Internetnutzer, Tendenz stark steigend. Es erscheinen viele Zeitungen und Zeitschriften, die in einem bescheidenen Rahmen unterschiedliche Meinungen zulassen. Es werden beachtenswerte Dokumentar- und Spielfilme gedreht, die die Sorgen und Nöte der Bürger behandeln.

Wer nun die Bilder der Demonstrationen anlässlich des Jahrestags der Islamischen Revolution vom Samstag vor Augen hat, fragt sich zu Recht, wie es zu erklären ist, dass die Massen sich trotz guter Bildung und Enttabuisierung der Religion und ihrer Kritik hinter den Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad stellen.

Dazu muss man wissen, dass viele Demonstranten Bedienstete staatlicher Institutionen oder Angehörige der Armee sind. Es ist durchaus nicht ungewöhnlich, dass die Machthaber in der Millionenstadt Teheran, dem Sitz des zentralen Machtapparates, Hunderttausende für eine Großdemonstration mobilisieren können.

Ahmadinedschad ist, was Korruption und Vorteilsnahme betrifft, ein unbeschriebenes Blatt. Er gilt zwar nicht als besonders kluger oder fähiger Politiker, aber er sagt immerhin offen seine Meinung. Er hat versprochen, die "verlorene Ehre der Islamischen Revolution" wieder herzustellen und sagt Arbeitslosigkeit und sozialer Ungerechtigkeit den Kampf an. Der Präsident ist ein unscheinbarer Politiker - das ideale Vorbild der mittellosen Menschen das Gegenstück zu seinem Vorgänger Mohammed Khatami, der als kluger Kopf galt. Einer, der lange denkt, bevor er, wenn überhaupt, handelt. Ahmadinedschad dagegen redet los, bevor er nachdenkt, wie seine Äußerungen über den Holocaust zeigen.

Was Ahmadinedschad alleine nicht schafft, spielt ihm der Westen zu. Die internationale Ablehnung der iranischen Atomforschung, der IAEO-Beschluss, den UN-Sicherheitsrat über Iran zu informieren, und nicht zuletzt Drohungen, Iran zu bombardieren, werden vom Präsidenten ausgenutzt, um die Bürger zu verunsichern und sich Rückhalt bei ihnen zu verschaffen.

In Iran kümmere sich aber niemand ernsthaft um Ahmadinedschads provokante Äußerung, der Holocaust sei ein Märchen, versichert der Wirtschaftswissenschaftler Fariborze Rais Dana. Und den Karikaturenstreit sieht er als eine "willkommene Debatte, die von den Regierungen in der Region benutzt wird, um ihre Macht zu verfestigen".



NASRIN BASSIRI ist promovierte Politologin und Journalistin. Die Exil-Iranerin arbeitet als Frauenbeauftragte an der Kunsthochschule in Berlin-Weißensee.

E-Mail: nasrin.bassiri@kh-berlin.de
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