Drohender Krieg gegen Iran

update:
13.07.2006


 voriger

 nächster

Drohender Krieg gegen Iran

 Bush-Besuch 13./14.7.2006

Redebeitrag für die Abschlusskundgebung,"Not Welcome Mr. President" am 13.07.06 in Stralsund

Meine Damen und Herren,
liebe Freundinnen und Freunde,

Dr. Bahman Nirumand



- Es gilt das gesprochene Wort -

- Sperrfrist: 13.07.06, Redebeginn, ca 16 Uhr -



die Außenminister der fünf ständigen Mitgliedsländer und Deutschlands haben gestern in Paris beschlossen, das Dossier über den Streit um das iranische Atomprogramm an den UN-Sicherheitsrat zurückzugeben. Wer in den letzten Wochen und Tage geglaubt hat, die Diplomaten seien auf dem besten Weg, den seit Jahren schwelenden Streit beizulegen, ist eines Besseren belehrt worden. In dem die USA als Gegenleistung für ihre Teilnahme an direkten Verhandlungen von Iran verlangten, sein international verbrieftes Recht nicht wahrzunehmen und auf die Herstellung des atomaren Brennstoffs im eigenen Land zu verzichten, haben sie von vornherein alle Türen zugeschlagen, die zu einer friedlichen Lösung des Konflikts hätte führen können. Mit der gestrigen Entscheidung ist eine neue Eskalationsstufe erreicht. Nun muss die Welt um eine herannahende Katastrophe bangen.

Aber was war Sinn und Zweck des amerikanischen Vorschlags? Selbstverständlich möchten die USA den Zugang Irans zum Club der Atommächte unter allen Umständen verhindern. Aber bei dem Konflikt mit Iran geht es um weit mehr. Aus der Sicht der USA gilt Iran immer noch als "Schurkenstaat", als größter Unterstützer des internationalen Terrorismus, als das Land, das den Demokratisierungsprozess im Irak und Afghanistan verhindert und durch die Unterstützung, die es radikalen Palästinensergruppen gewährt, jeden Versuch einer friedlichen Lösung des Nahost-Konflikts torpediert. Aber nicht nur dies, die USA haben das Ziel, die gesamte Region unter ihre Kontrolle zu bringen, eine Region, in der mehr als sechzig Prozent Öl- und Gasreserven der Welt lagern, eine Region, die einen lukrativen Markt bietet und geopolitisch und militärstrategisch von enormer Bedeutung ist. Es gibt zwei wichtige Lücken, die hier geschlossen werden müssen: Iran und Syrien. Washington ist fest entschlossen, in diesen beiden Ländern einen Regimewechsel herbeizuführen.

Das Angebot zu direkten Verhandlungen mit Iran war nichts als ein taktischer Schachzug. Damit sollte erstens die wachsende Kritik gegen die Bush-Regierung beschwichtigt und zweitens Iran in eine Falle gelockt werden. Mit dem Nein aus Teheran, das noch nicht deutlich ausgesprochen ist, wird Washington Iran noch mehr als bisher dämonisieren, es in die Rolle eines Bösewichts drängen und als ein Land darstellen, das nach Atomwaffen strebt und den Frieden in der Welt, insbesondere im Nahen Osten und nicht zuletzt die Existenz Israels bedroht. Damit können Wirtschaftssanktionen und in einem nächsten Schritt militärische Maßnahmen gegen das Land legitimiert werden.

Die Taktik scheint aufzugehen. Tatsächlich ist eine Zustimmung Teherans zum Verzicht auf das Recht zur Urananreicherung kaum denkbar. Denn die Radikalislamisten, die seit der Wahl Ahmadinedschads die Macht nahezu gänzlich monopolisiert haben, haben dieses Recht zu einer nationalen Angelegenheit, zur nationalen Ehre hochstilisiert und Millionen dafür mobilisiert. Ein Nachgeben käme einer Kapitulation gleich, einer Kapitulation vor den USA, die seit Chomeini als größter Feind, als großer Satan bezeichnet werden. Hinzu kommt, dass dieses Regime ohne Krisen, ohne populistische Parolen, ohne Attacken gegen den Westen und Israel nicht lebensfähig wäre. Gäbe es Ruhe und Frieden, müssten die Radikalen zur Lösung der akuten Probleme des Landes Konzepte vorlegen. Dazu sind sie aber nicht fähig. Ihre Politik besteht aus permanenten Ablenkungsmanövern, aus provozierenden Parolen, mit denen sie die unaufgeklärten Teile der Bevölkerung mobilisieren können. Und je größer der Druck von außen, je vehementer die Drohkulisse, desto besser geht diese Strategie auf, eine Strategie, die ihrerseits den USA den Vorwand liefert, ihren aggressiven Kurs fortzusetzen. So gesehen, liefern sich die Fundamentalisten in Teheran und Washington permanent Steilvorlegen. Sie sind dabei, die Welt in eine verheerende Katastrophe zu treiben.

Liebe Freundinnen und Freunde,

das im Iran herrschende Regime, das seit nun 27 Jahren das iranische Volk brutal unterdrückt, die Menschenrechte permanent verletzt, die freie Entfaltung der Kultur, der Wissenschaft, der Kunst verhindert, sollte lieber heute als morgen verschwinden. Das ist der eindeutige Wunsch der Mehrheit des iranischen Volkes. Die inzwischen weit entwickelte iranische Zivilgesellschaft ist reif genug für eine demokratische Staatsordnung, reif, um in Freiheit zu leben und die Menschenrechte für sich in Anspruch zu nehmen. Dieses Ziel kann aber nicht von außen, sondern nur durch das iranische Volk erreicht werden.

Die Behauptung, die Politik der USA sei darauf ausgerichtet, das iranische Volk zu diesem Ziel zu verhelfen, ist angesichts der Ereignisse der letzten Jahre, mehr als absurd. Waren es nicht die USA, die vor nicht allzu langer Zeit die einzige demokratische Regierung Irans, die Regierung von Mohammad Mossadegh, durch einen CIA-Putsch gestürzt haben? Waren es nicht die USA, die Saddam Hussein bis an die Zähne bewaffnet und zu einem Krieg gegen das Nachbarland Irak ermuntert haben, einem achtjährigen Krieg, dem mehr als eine Million Menschen zum Opfer fielen?

Doch kehren wir in die Gegenwart zurück. Ich würde gerne den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, der sich zum Glück in unserer Nähe aufhält, fragen, wie man das iranische Volk davon überzeugen könnte, dass die USA nicht das Öl und die Kontrolle über die Region im Sinn haben, sondern völlig uneigennützig Demokratie und Menschenrechte für Iran? Wie soll man den Menschen im Iran weismachen, dass Guantanamo und Abughoreib humaner sind, als das Teheraner Evin-Gefängnis? Wie könnte man, sehr geehrter Herr Präsident, die Iraner für eine nahöstliche Demokratie amerikanischer Prägung begeistern, wenn sie bei ihren Nachbarn im Irak und Afghanistan anschaulich sehen können, was Ihre Regierung in diesen Ländern angerichtet hat?

Wissen Sie, Herr Präsident, welchen Bärendienst Sie jenen wunderbaren Errungenschaften des Westens, der Demokratie und den Menschenrechten, erwiesen haben, als Sie zum Vorwand für einen Krieg der Welt allerlei Unwahrheiten aufgetischt, den Irak überfallen, Hunderttausende getötet und das Land in einen Bürgerkrieg getrieben haben? Reicht das, was Sie in Afghanistan und dem Irak angerichtet haben, nicht aus, um endlich einzusehen, dass man Demokratie nicht einbomben kann? Begreifen Sie nicht, dass man Freiheit und Menschenrechte nicht verteidigen und durchsetzen kann, wenn man Freiheit und Menschenrechte permanent außer Kraft setzt?

Sehr geehrter Herr Präsident, ist es Ihnen nicht klar, dass Sie durch Ihre aggressive Politik Iran gegenüber, die Reformer, die zu Kompromissen bereit waren, zur Seite gedrängt, die Radikalislamisten zur Machtmonopol verholfen und aus Ahmadinedschad einen Helden gemacht haben? Er wird sich nun die Hände reiben. Denn Drohungen von außen werden die Radikalislamisten nicht schwächen, sondern stärken.

Wie können Sie, sehr geehrter Herr Präsident, den Menschen im Iran erklären, warum Sie nicht mehr über die angeblichen Atomwaffen Nordkoreas sprechen, warum Sie nicht darüber besorgt sind, dass die Atombomben, die sich in der Hand der pakistanischen Regierung befinden, möglicherweise bei der nächsten Wahl direkt in die Hände von Terroristen fallen könnten, warum Sie das Atomarsenal Israels mit mehr als 200 Atombomben nicht nur ohne Widerspruch dulden, sondern auch noch dessen Weiterentwicklung und Modernisierung vehement unterstützen, warum Sie die indische Atomindustrie massiv fördern, warum Sie Russland in diesen Tagen ein lukratives Atomabkommen offerieren und last but not least, warum Sie das Atomarsenal ihres eigenen Landes entgegen des Internationalen Atomwaffensperrvertrags nicht abrüsten, sondern modernisieren, aber Iran daran hindern wollen, eine eigene Atomindustrie aufzubauen? Gibt es für diese Vorgehensweise eine andere Logik als die Arroganz der Macht?

Sehr geehrter Präsident, glauben Sie wirklich, dass die Iraner so dumm sind und nicht begreifen, dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird? Die Iraner fragen sich mit Recht, warum es in der so zivilisierten Welt keinen Aufschrei gab, als Ihr französischer Kollege Jacques Chirac Iran mit dem Einsatz von Atombomben drohte oder als es bekannt wurde, dass Ihre Regierung einen atomaren Angriff gegen iranische Nuklearanlagen plant. Wenn man diese Drohungen in einer einfachen Sprache übersetzt, lauten sie: Wir, Frankreich und die USA, dürfen so viele Atombomben bauen, wie wir wollen, weil wir zivilisiert sind, und wir dürfen sie auch einsetzen, um ein anderes Land wie Iran, das nicht zivilisiert ist, zu zwingen, sein Atomprogramm aufzugeben.

Sehr geehrter Herr Präsident, ist Ihnen nicht aufgefallen, dass es, seitdem Sie mit Ihrem Kampf gegen den internationalen Terrorismus begonnen haben, die Zahl der Terroristen und Terrorgruppen um das Mehrfache gestiegen ist? Fragen Sie sich nie, warum die Politik Ihres Landes, eines Landes, das soviel Wertvolles hervorgebracht und als Bollwerk der Freiheit und Demokratie galt, zunehmend gehasst wird? Der Grund liegt eben in der Arroganz der Macht, die Ihre Regierung demonstriert und darin, dass Sie bei der Durchsetzung der Interessen des amerikanischen Kapitals bereitwillig alle Werte über Bord werfen, auf die der Westen mit Recht so stolz ist. Sie gewähren zum Beispiel Israel ihre uneingeschränkte Unterstützung. Kein Zweifel, wer das Existenzrecht Israels in Frage stellt, ist blind vor Realitäten und wer durch Selbstmordattentate unschuldige Menschen tötet, begeht ein Verbrechen. Darüber kann kein Demokrat, keiner, der sich auf Menschenrechte beruft, schweigen. Aber kann man deshalb auch alle die Verbrechen, die Israel seit Jahrzehnten permanent gegen das palästinensische Volk ausübt, schweigend hinnehmen? Gilt das höchste und wertvollste Menschenrecht, das Recht auf Leben, nicht auch für die Palästinenser? Haben die Palästinenser kein Recht auf eine eigene Heimat, auf Sicherheit und Freiheit? Was ist das für eine Zivilisation, die es hinnehmen kann, dass eine Armee in das Hoheitsgebiet eines anderen Staates einmarschiert, einige Minister einer vom Volk gewählten Regierung per Handschellen abführt, Zivilisten tötet, Elektrizitätswerke zerstört, Straßen und Brücken bombardiert, damit die Menschen nicht vor Bomben fliehen können. Ist das die Zivilisation, die Sie für die unsere Länder vorgesehen haben?

Sie werden, Herr Präsident, nach dem gestrigen Beschluss versuchen, Ihre harte Linie gegen Iran endlich durchzuziehen. Aber, denken daran, Iran ist nicht Irak. Denken Sie daran, dass Sie mit Sanktionen das iranische Volk vor die Alternative stellen, entweder hinzunehmen, dass ihre Heimat von fremden Mächten bombardiert und besetzt wird, oder das Regime zu unterstützen und ihr Land zu verteidigen. Damit spalten Sie die iranische Zivilgesellschaft, die Basis für die Demokratisierung des Landes, und sie zwingen Millionen, sich hinter ein Regime zu stellen, das sie nicht haben wollen. Aber damit nicht genug. Schon eine einzige Bombe auf Iran würde in der gesamten Region einen Flächenbrand auslösen und auch die Sicherheit der USA und auch Europas empfindlich treffen.

Liebe Freundinnen und Freunde,

Die radikalen Fundamentalisten in Teheran und Washington sind dabei, die Welt in eine Katastrophe zu treiben. Sie aufzuhalten, wäre Europa aufgerufen. Noch ist es nicht zu spät. Die EU-Staaten sollten endlich wieder aus dem amerikanischen Boot aussteigen, sie sollten nein sagen zu einem Krieg, nein sagen zu einem Einsatz der NATO. Ich hoffe, ich spreche auch in Euren Namen, wenn ich von hier aus Bundeskanzlerin Merkel diese Forderung mit auf dem Weg nach Petersburg gebe.



Redetext als pdf



Dr. Bahman Nirumand ist freier Journalist und Autor. Er lebt in Berlin. Vita siehe hier
 voriger

 nächster




       
Bereich:

Themen
Die anderen Bereiche der Netzwerk-Website
          
Netzwerk  FriedensForum Ex-Jugo Termine   Aktuelles