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Panzer in die Türkei? - Inhalt


vom:
20.10.1999


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Panzer in die Türkei?:

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Offener Brief

Deutsche Panzer in die Türkei sind eine Bedrohung für den Frieden in der Region

Gesellschaft für bedrohte Völker

An den deutschen Bundeskanzler,
den Bundesverteidigungsminister
und den Bundeswirtschaftsminister

Berlin/Göttingen, 20.10.1999
"Wenn wir es nicht schaffen, der Moral die politischen Instrumente zu geben und der Politik die Moral, dann haben wir genau jene Teilung, vor der ich persönlich Angst habe. Dann wird nämlich die Reklamation der Moral folgenlos. Dann gerät die Politik zur kalten Technokratie." Rudolf Scharping vor dem Deutschen Bundestag, 19. 4. 1999 zum Kosovo

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler!
Sehr geehrter Herr Minister Scharping!
Sehr geehrter Minister Müller!

Deutsche Politiker, Regierung wie Opposition haben in Bosnien mit wenigen Ausnahmen versagt und so gemeinsam mit den anderen europäischen Ländern erhebliche Mitschuld daran, dass in Bosnien 200.000 Menschen, ganz überwiegend bosnische Muslime, Opfer von Genozid geworden sind. Bosnien dürfe sich nicht wiederholen, hieß es in Ihren Verlautbarungen zu den serbischen Verbrechen im Kosovo. "Genozid, Selektion und Deportation" an der albanischen Bevölkerung dürften nicht toleriert werden. Die NATO-Intervention hat diesen Genozid beendet und die Rückkehr von 1,5 Millionen Kosovo-Albanern in ihre Dörfer und Städte ermöglicht. Dafür sind wir dankbar.

Damit haben Sie aber Maßstäbe für die Verhinderung von Völkermord und Massenvertreibung gesetzt, hinter die Sie nicht mehr zurückgehen dürfen. Sonst machen Sie sich vor der deutschen Öffentlichkeit unglaubwürdig und diskreditieren Ihre eigenen Erklärungen. Deshalb werden nur wenige - auch in den Regierungsparteien - Verständnis dafür haben, wenn Sie jetzt Waffen in ein permanentes Krisengebiet - in die Türkei - liefern wollen, das sich allmählich von den Schrecken des Bürgerkrieges erholt.

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Panzer in die Türkei? - Inhalt
Die Türkei ist eng mit Deutschland verbunden, nicht zuletzt durch die Anwesenheit von zwei Millionen türkischen Bürgern, unter ihnen 500.000 Kurden. Frühere Bundesregierungen haben schwere Schuld auf sich geladen, als sie die türkische Armee mit Waffenlieferungen in Milliardenhöhe hochrüsteten. Jeder der etwa 250.000 im Türkisch-Kurdistan stationierten türkischen Soldaten wurde mit zwei Stahlhelmen und einer Kalaschnikow aus DDR-Beständen für den Bruderkrieg gegen die Kurden ausgerüstet. Ständig waren viele der an die Türkei gelieferten NVA-Schützenpanzer gegen die Kämpfer der PKK im Einsatz. Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) hat nicht nur über die Kriegsverbrechen der türkischen Regierung berichtet, sondern auch die PKK-Morde an kurdischen Dorfbewohnern und Dorfschützern, an 111 Lehrern in der Region sowie an ca. 70 PKK-Dissidenten in verschiedenen Teilen Europas bekannt gemacht und verurteilt. Dennoch muss daran erinnert werden, dass 90 Prozent der Opfer dieses Krieges - auf beiden Seiten - ethnische Kurden waren. Die Türkei hatte ihre kurdische Bevölkerung nach 75-jähriger gnadenloser Unterdrückung von Sprache und Kultur in eine ausweglose Situation getrieben. Erst das Verbot von 43 Parteien seit 1945, darunter alle kurdischen Parteien, hatte viele Kurden in die Arme der PKK getrieben.

Eigentlich sollte Ihnen bekannt sein, dass die Türkei kein freiheitlicher Rechtsstaat ist. Dieses Land wird de facto von der türkischen Generalität beherrscht, die in allen Menschenrechts- und Minderheitenfragen das letzte Wort hat. Allein 1998 fanden 90 Prozent der Folterungen in diesem Land in Polizeistationen und Gefängnissen statt. 278 der von der Polizei misshandelten Folteropfer stammten aus der Kurdenregion. In der Türkei ist die Gründung von kurdischen Verlagen, Organisationen, Institutionen, Parteien, Gewerkschaften, Instituten, Schulen und Hochschulen verboten. Allein zwischen 1992 und 1996 wurden 24 Journalisten ermordet, 333 von Sicherheitskräften angegriffen und 522 Redakteure und Schriftsteller angeklagt. Zur Zeit gibt es 8.881 politische Gefangene. Die türkische Verfassung (Art. 26.3, 28 und 30) sieht das Verbot der kurdischen Sprache und von kurdischen Presseorganen vor. Paragraph 81 des türkischen Parteiengesetzes bestimmt, dass von nationalen Minderheiten in der Türkei nicht gesprochen werden darf. Typisch für diese Situation ist die Verurteilung kurdischer Sänger: So wurden am 14. Oktober 1997 zwei von ihnen zu sechs Jahren Gefängnis wegen Singens kurdischer Lieder verurteilt. Auf Druck der rechtsradikalen Regierungspartei MHP musste die Angabe kurdischer Sprachkenntnisse aus allen Lebensläufen von Abgeordneten gelöscht werden.

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Panzer in die Türkei? - Inhalt
Wenn ein demokratisches Land wie die Bundesrepublik Deutschland mit 82 Millionen Einwohnern nach der Wiedervereinigung die Zahl der Soldaten entscheidend reduziert und waffentechnisch abgerüstet hat, ist es uns völlig unverständlich, warum Sie ausgerechnet ein halbmilitärisches Regime im ohnehin krisengeschüttelten Nahen Osten mit über einer Millionen Soldaten mit weiteren tausend Panzern bewaffnen wollen. Die türkische Armee interveniert immer wieder im benachbarten Nordirak und hat dort zahlreiche mit deutscher Hilfe wieder aufgebaute Häuser von Kurden, Yeziden und aramäisch-assyrischen Christen zerstört, auch mit deutschen Waffen. Die Türkei hält 36 Prozent des zyprischen Nachbarstaates mit 30.000 Mann besetzt. Aus dem okkupierten Nordteil wurden 1972 80 Prozent der Bevölkerung, die griechischen, maronitischen und armenischen Zyprer, vertrieben, während etwa die Hälfte der autochthonen türkischen Minderheit das türkisch kontrollierte Zypern wegen der Misswirtschaft der dortigen türkischen Armee unter der "Regierung" Denktasch verlassen hat.

Wer die Türkei mit weiteren Waffenlieferungen hochrüstet, muss wissen, dass diese nicht wenigen Waffen sowohl im Nordirak als auch bei einem möglichen neuen Zypernkrieg (der von Experten nicht mehr ausgeschlossen wird) sowie bei einem Wiederausbrechen des kurdischen Widerstands in der Südosttürkei eingesetzt werden könnten. Eine derartige Hochrüstungspolitik aus Deutschland erscheint uns unerträglich. Unsere Menschenrechtsorganisation wird alles tun, um den Widerstand gegen diese Verantwortungslosigkeit weiter in die Regierungsparteien hineinzutragen. Darum appellieren wir dringend an Sie: Setzen Sie wie schon in Zentraleuropa und auf dem Balkan endlich auf Versöhnung und Solidarität mit verfolgten Minderheiten! Beteiligen Sie sich am Wiederaufbau der 3428 überwiegend von der türkischen Armee zerstörten südostanatolischen Dörfer, damit 2,5 Millionen Binnenvertriebene sowie Flüchtlinge aus dem Exil zurückkehren können! Sie werden dann auch keine deutschen Panzer zur "Terrorismusbekämpfung" mehr liefern müssen. Bitte ändern Sie Ihre persönliche Entscheidung in dieser Frage! Andernfalls werden Sie nur neue Spannungen erzeugen und weitere kriegerische Auseinandersetzungen möglich machen.

Mit freundlichen Grüßen,

Tilman Zülch, GfbV Bundesvorsitzender



E-Mail:  info@gfbv.de
Internet: http://www.gfbv.de
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