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Panzer in die Türkei? - Inhalt


vom:
27.10.1999


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Panzer in die Türkei?:

  Hintergrund-Informationen

Türkei: Panzer statt Menschenrechte

Business as usual

Stefan Gose (ami)

Menschenrechtsverletzungen verhindern laut Bundesregierung seit vielen Jahren die Aufnahme der Türkei in die EU. Der Krieg in Kurdistan, die regelmäßigen türkischen Angriffe auf den Irak, das Kettenrasseln auf Zypern oder zuletzt das Todesurteil gegen Abdullah Öcalan waren jedoch zu keiner Zeit ein Hindernis für die Bundesregierung, Waffen an die Türkei zu liefern. Daß deutsche Waffen vielfach bei jenen Menschenrechtsverletzungen eingesetzt wurden, die die Türkei für die EU diskreditierte, ist mehrfach dokumentiert. Im März 1992 mußte der damalige Verteidigungsminister Stoltenberg zurücktreten, weil er sogar illegal Leopard I-Panzer an die Türkei exportieren ließ. Seit 1964 lieferte die Bundesrepublik Deutschland Kampfpanzer, Kampfflugzeuge, Raketen, U-Boote, Fregatten, Maschienenpistolen, Panzerfäuste und vieles mehr für etwa 7 Milliarden DM an die Türkei. Hinzu kamen unentgeltliche Militärhilfen aus Bundeswehr- und NVA-Beständen, Ausstattungshilfen für die türkische Polizei sowie Ausbildungshilfen, etwa zur Terrorismusbekämpfung durch die GSG-9.

Eigene Vorsätze im Giftschrank
Laut rot-grünem Koalitionsvertrag sollten deutsche Rüstungsexporte künftig von der Menschenrechtssituation des Empfängerlandes abhängig sein. Auch der 1998 von der EU verabschiedete Code of Conduct zu Waffenexporten fordert die - freiwillige - Berücksichtigung der Menschenrechtslage. Wohl nicht zufällig wurden die neuen Politische[n] Grundsätze für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern von der Bundesregierung dem Parlament vorenthalten. Denn in dem Bestreben,... durch seine Begrenzung und Kontrolle einen Beitrag zur Sicherung des Friedens, der Menschenrechte und einer nachhaltigen Entwicklung in der Welt zu leisten.... [kommen] Einwendungen der Bundesregierung gegen die Verwendung deutscher Zulieferungen... in folgenden Fällen in Betracht: Exporte in Länder, die in bewaffnete Auseinandersetzungen verwickelt sind... - so der rot-grüne O-Ton 1999.

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Als am 6. September die türkische Regierung um Angebote zur Lieferung von 1.000 Kampfpanzern bat, wollte Bundeskanzler Schröder allerdings der Türkei eine Perspektive für Europa geben. Neben den fünf Konkurrenten General Dynamics/Sterling Hights (USA/Kampfpanzer M1A2 Abrams), GIAT Industries (Frankreich/Leclerc), Oto-Breda/Iveco (Italien/C1 Ariete), Ukrspetsexport (Ukraine/T-80D) und Wah Cantonment (Pakistan/T-69 Khalid) bot Krauss-Maffei-Wegmann/MaK seinen schweren Kampfpanzer Leopard IIA5 an. Als türkischer Hoflieferant, der bereits 150 Leopard I an den Bosperus lieferte, hat die deutsche Rüstungsindustrie gute Aussichten, den Zuschlag für den 14 Milliarden DM Auftrag zu bekommen. Ein Exportantrag über 150 weitere Leopard I aus Bundeswehrbeständen liegt dem Bundessicherheitsrat vor. Die Wegmann & Co. GmbH, mit der Krauss-Maffai im Dezember 1997 fusionierte, liefert nicht nur 185 Panzerhaubitzen 2000 für 1,75 Milliarden DM an die Bundeswehr. Das türkische Militär möchte auch das Kalte Kriegs-Fossil PzH 2000 für 2,8 Mrd. DM in Lizenz bauen.

3 Männer für 14 Milliarden
Erst durch die Behandlung im Bundessicherheitsrat gelangte das Milliardengeschäft Anfang Oktober an die Öffentlichkeit. Denn der Kanzler, der Außen-, der Wirtschafts-, der Verteidigungs- und die Entwicklungshilfeministerin müssen derartigen Waffenexporten laut Kriegswaffenkontrollgesetz zustimmen. Da Joschka Fischer und Heidemarie Wieczorek-Zeul jedoch den Panzerexport an die Türkei ablehnten, verzichtete der Bundessicherheitsrat auf Einstimmigkeit. Die Herren Schröder, Scharping und Müller beschlossen am 20. Oktober mehrheitlich, einen Testpanzer an die Türkei zu liefern. Ab Februar sollen die konkurrierenden Modelle ein Jahr lang erprobt werden. Für 1,8 Millionen DM hat das türkische Heer dafür eigens ein Testgelände angelegt. Im Jahre 2002 will sich die türkische Regierung entscheiden, mit welchem Panzer die türkische Armee ab 2004 ausgerüstet werden soll. Geplant ist ein Joint Venture, bei dem etwa die Hälfte des Vertragswertes in Lizenz von einem der türkischen Rüstungsproduzenten FNSS Defense Systems, Roketsan Missiles, BMC, Agir Sanayi Makinalari oder Otokar gebaut werden soll. Mit dem bewilligten Test-Leo gilt - auch entgegen anders lautender Behauptungen - eine spätere Zustimmung für das Hauptgeschäft durch den Bundessicherheitsrat als gesichert. Denn nach einer Probelieferung das eigentliche Produkt zu verweigern widerspräche Glaubwürdigkeit und Geschäftsinteresse von Bundesregierung und Rüstungsindustrie.

Platzvorteile im Fusionszirkus
Für Krauss-Maffei, die gerade die letzten Kampfwertsteigerungen an den Leopard II der Bundeswehr vornehmen, ergäbe sich durch eine türkische Bestellung ein willkommener Anschlußauftrag. Uns drohen Auftragslöcher, drängelt der Kieler MaK-Chef Winkler. Denn die Bundeswehr hat ihre verbliebenen 1.950 Leopard II (von 2.125) zwar seit 1979 in Betrieb, ein Nachfolgemodell ist aber nicht in Planung. Exportiert wurden bisher über 2.000 Leopard II an Italien (753 Stück), die Niederlande (445), die Schweiz (380), Schweden (238), Spanien (108), Dänemark (10), Belgien und Österreich. Nach etwa 5.000 verkauften Leopard I-Panzern und dem ältlichen Fugabwehrpanzer Gepard hofft Krauss-Maffei, mit dem gepanzerten Transportfahrzeug GTK, von dem die Bundeswehr 3.000 Stück für 6 Milliarden DM geordert hat, wieder ein modernes Panzerfahrzeug abbieten zu können. Der Türkeiexport des Leopard II dürfte weniger dem Erhalt von 6.000 Arbeitsplätzen bei Krauss-Maffei dienen, als der Steigerung des Marktwertes der Panzerschmiede. Denn Krauss-Maffei, zu 90% im Besitz der Mannesmann AG, stünde beim gegenwärtigen Fusionspoker im angeschlagenen Markt um schwere Landfahrzeuge gestärkt gegenüber dem Hauptkonkurrenten Rheinmetall da. Rheinmetall hatte im September gerade den größten schweizer Rüstungskonzern Oerlikon Contraves geschluckt und stieg damit zum europäischen Marktführer für Rohrwaffen und Munition auf. Zur Disposition steht augenblicklich auch der britische Marktführer Vickers (Kampfpanzer Challenger), der nach der Übernahme durch den Triebwerkproduzenten Rolls Royce ausgegliedert werden soll. Daneben sucht die französische Regierung einen Interessenten für ihren defizitären Hoflieferanten GIAT. Der türkische Milliardenauftrag könnte damit zur Vorentscheidung darüber werden, unter wessen Label sich die überdimensionierte europäische Panzerindustrie zusammenschließt.

Aufrüstung der NATO-Südostflanke
Militärisch ist der türkische Großauftrag bemerkenswert, weil schwere Kampfpanzer zu Zeiten hochmobiler Interventionstruppen ein Anachronismus sind. Im bergigen Kurdistan ist der 55-60-Tonner kaum einsetzbar, dies gilt auch für den gebirgigen Nordirak. Ein Ringen der türkischen Teilstreitkräfte um Ressourcen und Einfluß, also um ein starkes Heerespotential unabhängig von seiner Zweckmäßigkeit, erklärt nur die halbe Wahrheit. Gegenüber Syrien, dem die türkische Regierung erst im Herbst 1998 mit einer Militäraktion gedroht hatte, vor allem aber gegenüber Griechenland und gegenüber der ökonomisch interessanten Kaukasusregion ergibt diese enorme Aufrüstung einen militärischen Sinn. Die NATO-Südostflanke wird nach der Kalten Kriegs-Logik von Panzerschlachten hochgerüstet, die sich gerade wieder in Tschetschenien studieren läßt. Sollte Krauss-Maffei nicht zum Zuge kommen, ist ein attraktives Angebot von General Dynamics zu erwarten. Dies wird dadurch unterstrichen, daß die USA mit dem M1A2 Abrams der Türkei erstmals eines ihrer modernsten Waffensysteme anbieten. Als Zugabe für eine türkische Bestellung haben die USA bereits 350 gebrauchte M1-Panzer gratis versprochen. Sollte der M1A2 Abrams den Zuschlag bekommen, würde er mit einem deutschen Getriebe und einem Europack Dieselmotor von MTU/DASA ausgerüstet. Eine laizistische, nicht islamisch-fundamentalistische Türkei ist von überragendem europäischen und deutschen Interesse, wirbt Rudolf Scharping für den deutschen Leo-Export. Und als Garant von religionsfreier Westorientierung galt den NATO-Regierungen noch immer der stets bedürftige türkische Generalstab, nicht Demokratie, Parlament oder Menschenrechte. Laut Scharping ist die Türkei von enormer strategischer Bedeutung für die Stabilisierung ihres gesamten Umfeldes.

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Grüne, die bellen...
Während Umweltminister Trittin das Panzergeschäft für unverantwortlich hält, spricht Verteidigungsminister Scharping von Übertreibungen, Gerhard Schröder hält die Einwände für hergeholt. Die SPD-Abgeordneten im Europaparlament fordern eine Korrektur der Drei-Mann-Entscheidung, um ein Minimum an sozialdemokratischer Glaubwürdigkeit wiederherzustellen. Laut grünem Fraktionschef Rezzo Schlauch bedeutet der Panzerdeal keine Koalitionskrise, wohl aber eine ernsthafte Belastung. Ob Kosovo-Krieg oder Panzerexport - an den Grünen soll s nicht scheitern. Stattdessen wollte der grüne Bundesgeschäftsführer Reinhard Bütikofer außerparlamentarische Gruppen gegen seinen Koalitionspartner mobilisieren. Die viel gescholtene Unterschriftenkampagne der CDU zur doppelten Staatsbürgerschaft nannte er als grünes Vorbild. Die verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen, Angelika Beer, schloß eine solche Unterschriftenkampagne jedoch aus. Als rot-grüner Kompromiß gilt nun, daß der Testpanzer geliefert wird, aber die Lieferung der übrigen 1.000 Leos von Verbesserungen der Menschenrechtslage in der Türkei abhängig gemacht werden sollen. Die noch nicht verabschiedeten neuen Exportrichtlinien sollen unter Beteiligung von Gernot Erler (SPD) und Claudia Roth (Grüne) mit den Staatssekretären der Bundessicherheitsratsressorts erneut überarbeitet werden.

So schäbig die Doppelmoral von Gerhard Schröders Küchenkabinett, so naiv ist das Gebell des grünen Koalitionspartners. Erst kürzlich bescheinigte Parteichefin Radtke den Grünen Profillosigkeit. Wo aber Konturen zu verteidigen wären, sucht der Beobachter vergeblich nach grünem Rückrat. Selbst regierungstaktisch geht die grüne Rechnung nicht auf. Als Deadline für das Kabinett Schröder gilt die Landtagswahl in Nordrhein Westfalen im Mai 2000. Sollte sie Schröders Kragen kosten, gilt eine Große Koalition als ausgemacht. Nur vor dieser Wahl hätten die Grünen noch die Chance, im Rahmen einer rot-grünen Koalition ihre Interessen durchzusetzen. Doch stattdessen lassen sie sich wahlweise von Schröder, Scharping oder dem eigenen Parteifreund Fischer vorführen in dem Irrglauben, diese Koalition hinge von grünem Kadavergehorsam ab. Auf der Strecke bleiben die Menschenrechte. Zynisch hallt mittlerweile der Satz des Koalitionsvertrages. Deutsche Außenpolitik ist Friedenspolitik.

Aktuelle Wunschliste der türkischen Armee nach deutschen Waffen:
 800-1.000 Transportpanzer Fuchs (Thyssen-Henschel) (davon ca. 800 Lizenzbau)

 1.000 Kampfpanzer Leopard IIA5 (Krauss-Maffei-Wegmann)

 120mm Panzermunition im MKEK-Lizenzbau (evtl. Rheinmetall)

 ca. 500.000 Gewehre HK33E oder G36 (Heckler&Koch/Royal Ordnance)

 SS 109 5,56mm Munition (Metallwerk Elisenhütte)

 1.500 Granatwerfer (Heckler&Koch/Royal Ordnance)

 max. 145 Kampfhubschrauber Tiger (Eurocopter[DASA/Aérospatiale]) (ein Testmodell wurde 1999 über Frankreich geliefert)

 150 Leopard I (Krauss-Maffei aus Bundeswehrbeständen)

 Panzerhaubitze 2000 (Krauss-Maffei-Wegmann) (z.T. Lizenzbau)

 Brückenlegepanzer (Rheinmetall)

 Bergepanzer Büffel (MaK/Rheinmetall)

 Flak-Panzer auf Leo I-Basis oder Gepard (Krauss-Maffei)

 6 TF 2.000 Fregatten

 6 Minenjagdboote (Abeking&Rasmussen/Lürssen)

 3 Schnellboote FPB 57 Dogan-Kl. (Lürssen/Taskizak)

 4 U-Boote Kl. 209 (HDW/Thyssen Nordseewerke)

 42 Torpedos DM2A4 (Systemtechnik Nord/DASA)

 6 Marineaufklärungsflugzeuge CN 235 (CASA/DASA)

 2 MEKO 200T-Fregatten (Blohm&Voss)

 12 Korvetten zur U-Boot-Abwehr

 8 Patrouillenboote

 80 Raketenwarnsysteme für Kampfflugzeuge (DASA)

 25 mittlere Transportflugzeuge/FTA

 500 Unimog-LKWs (DaimlerChrysler)

 C-Waffenlabor


Stefan Gose ist Geschäftsführer der "antimilitarismus-informationen" (ami)

E-Mail:  ami@zedat.fu-berlin.de
Internet: http://userpage.fu-berlin.de/~arend/aim.html
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