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vom:
12.11.1999


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Panzer in die Türkei?:

  Echo/Presse

Europäische Staaten sind beim Rüstungsexport führend: Kritiker fordern ein Ende des Versteckspiels

Das Waffenkarussell

FR, Harald Gesterkamp

Ob Flugzeuge oder Flugabwehrraketen, ob Panzer oder Minen, ob Schnellfeuergewehr, Schlagstock oder Fußfessel - auf nahezu allen Kriegsschauplätzen der Erde und bei vielen Übergriffen durch staatliche "Sicherheitskräfte" sind Waffen aus Europa im Einsatz. Wer Waffen produziert, will diese auch verkaufen - diese eigentlich banale Feststellung führt in Deutschland zur Zeit wieder einmal zu heftigen Diskussionen. Dabei gibt es neben dem Beschluss des Bundessicherheitsrates, einen deutschen Testpanzer "Leopard 2" in die Türkei zu liefern, zahlreiche andere "Geschäfte mit dem Tod".

Waffen aus der Bundesrepublik und anderen europäischen Ländern werden in Konfliktregionen eingesetzt, obwohl es sowohl in der deutschen Gesetzgebung als auch im europäischen Rahmen Regelungen gibt, die das verhindern sollen. Sieben der führenden zehn Waffenexporteure sind europäische Staaten. Aber nur zwei der zehn kauffreudigsten Rüstungsimporteure sind Regierungen aus Europa.

Nach Angaben des angesehenen schwedischen SIPRI-Instituts sind in den Jahren 1994 bis 1998 nach den USA mit Frankreich, Großbritannien, Deutschland, den Niederlanden und Italien gleich fünf Staaten der Europäischen Union in den "Top Ten" der Exporteure von Großwaffen. Dazu kommen mit Russland und der Ukraine zwei ehemalige Warschauer-Pakt-Staaten sowie China und Kanada. Insgesamt wurden in den vergangenen fünf Jahren mehr als 112 Milliarden US-Dollar für Großwaffen ausgegeben. Fast die Hälfte davon setzten die USA um, immerhin ein Drittel die EU-Länder.

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Die wichtigsten Empfänger sind Taiwan, Saudi-Arabien, die Türkei, Ägypten und Südkorea. Außerdem sind noch die tatsächlichen oder potentiellen Krisenherde Indien, Kuwait, Malaysia, Pakistan, China, Israel und Indonesien unter den 20 Großeinkäufern zu finden. Weitere Rüstungswettläufe sind vorgezeichnet. Die einzigen in größerem Stil Waffen importierenden EU-Staaten sind Griechenland, Spanien und Finnland.

Wie genau diese Statistiken stimmen, weiß indes niemand. So unterscheiden sich die SIPRI-Zahlen von den jüngst veröffentlichten des Londoner Instituts für Strategische Studien (IISS) oder denen des Forschungsdienstes des US-Kongresses. Die Dunkelziffer bei Waffenlieferungen sei, so sind sich die Experten einig, enorm hoch. "Es gibt keine Transparenz. Das vollständige Ausmaß der ausländischen Beihilfe zu den Verbrechen lässt sich nicht genau benennen", sagt Mathias John vom Arbeitskreis "Rüstung und Menschenrechte" bei Amnesty International. Doch Beispiele gebe es aus allen Teilen der Welt. Dass deutsche Panzerfahrzeuge in der Vergangenheit auch gegen Kurden in der Türkei eingesetzt wurden, ist schon seit Jahren mehr als ein offenes Geheimnis. Britische Kampfflugzeuge und gepanzerte Kampffahrzeuge wurden 1997 nach Indonesien geliefert - und dürften auch in Osttimor eingesetzt worden sein. In Ruanda haben Franzosen die späteren Täter des Völkermordes 1994 nicht nur mit Waffen versorgt, sondern sogar ausgebildet. In fast allen Konfliktherden in Afrika - etwa in Burundi, Ruanda, Kongo, Angola, Äthiopien, Sierra Leone oder Sudan - sind europäische Rüstungsgüter und Kleinwaffen zu finden.

Für die Exportgeschäfte ist es offenbar unerheblich, ob Regierungen von Konservativen oder von Sozialdemokraten gestellt werden. Die deutsche Panzerlieferung an die Türkei belegt das genauso wie die Tatsache, dass die Labour-Regierung in London trotz vollmundiger Erklärungen des Außenministers Robin Cook über eine "neue moralische Außenpolitik" die Militärexporte - etwa nach Indonesien - bis in die jüngste Vergangenheit fortsetzte. Auch Frankreich wahrt weiterhin seine Interessen auf dem afrikanischen Kontinent - auch militärisch.

"Die Öffentlichkeit muss wissen, welche Waffen wohin exportiert werden", fordert Mathias John ein Ende des Versteckspiels sowie eine parlamentarische Kontrolle jedes Rüstungsgeschäftes. Das gelte auch für Lizenzen, mit deren Hilfe repressive Regime ihre Waffen selbst bauen können. "Wenn brasilianische Militärpolizisten bei einer Meuterei mit MP5-Maschinenpistolen das Gefängnis stürmen und ein Massaker anrichten, sind erst einmal sie selbst dafür verantwortlich. Aber auch die Firmen und Regierungen, die jene Waffen lieferten oder Lizenzen zur Herstellung verkauften, tragen eine Mitschuld", erklärt der Rüstungsexperte von Amnesty.

In einer Aktion hat Amnesty International zusammen mit anderen Initiativen zuletzt das Augenmerk auf sogenannte Kleinwaffen gelenkt. Gerade in Afrika, so die Organisationen, sind die meisten Toten durch Gewehre oder Minen und weniger durch hochmoderne Bomben und Raketen zu beklagen. Eine Einschätzung, die auch Michael Broska vom Internationalen Konversionszentrum in Bonn teilt: "Kleinwaffen sind heute die eigentlichen Massenvernichtungswaffen, weil 90 Prozent der Opfer in Kriegen und Konflikten durch Gewehre oder Minen sterben." Broska schätzt die Zahl der im Umlauf befindlichen Kleinwaffen auf 500 Millionen, die zum einen langlebig und zudem "schon lange nicht mehr unter staatlicher Kontrolle" seien. Nur in wenigen Ländern würden Waffen nach Ende eines Bürgerkrieges eingesammelt und zerstört. Ein "unüberschaubares Waffenkarussell" beklagt auch Thomas Klein von der "Kampagne für das Leben - Rüstungsexporte stoppen". Waffen, die irgendwann einmal legal an staatliche Sicherheitskräfte verkauft worden seien, befänden sich heute oft in den Händen von Banden und Privatpersonen: "Ich glaube nicht, dass noch irgendeine Kontrolle dieser Waffen möglich ist", meint Klein.

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In einer rechtlich verbindlichen "gemeinsamen Aktion" haben sich die EU-Staaten im Dezember 1998 auf die Bekämpfung von Kleinwaffen und leichten Waffen geeinigt. Unter anderem sind Herstellung und Ausfuhr, aber auch die "Förderung vertrauensbildender Maßnahmen und Anreize" für die freiwillige Abgabe solcher Waffen in Krisenregionen geregelt. Bisher ist die Verordnung praktisch jedoch nicht umgesetzt. Und vor allem der Anhang erntet Kritik. Darin werden zwar Maschinengewehre, vollautomatische Gewehre, Kanonen und Panzerabwehrwaffen aufgeführt, doch fehlen Minen, Revolver, Pistolen und jede Art Munition.

Arbeitsplätze gegen Moral - so laufen die Auseinandersetzungen über Rüstungsexporte ab. Um moralische Mindeststandards zu garantieren, sind sowohl in deutschen als auch in EU-Regelungen Einschränkungen von Waffenexporten vorgesehen. Ein Kriterium sind die Menschenrechte. Auch sieht der EU-Verhaltenskodex vor, dass Regierungen sich vertrauliche Benachrichtigungen über abgelehnte Waffentransfers zukommen lassen, damit Exportverbote nicht unterlaufen werden können. "Wenn andere Interessen oder sogenannte Sachzwänge dazwischen kommen, steht die Menschenrechtsklausel nur auf dem Papier. Eine konsequente Umsetzung gibt es jedenfalls nicht", rügt Thomas Klein. Es gelte, alle "Schlupflöcher im EU-Kodex" zu schließen.

"Wenn eine Regierung Exporten zustimmt, soll sie sicher stellen, dass die gelieferten Waffen nicht zu Menschenrechtsverletzungen beitragen werden", meint Mathias John. Aber Waffenhändler, Lieferstaaten und Menschenrechtsverletzer seien in einer Kette der Repression verbunden, die von den "Killing fields" bis in "die Rüstungsschmieden, Regierungssitze und Banken europäischer und amerikanischer Metropolen reicht". Er nennt es "bittere Ironie", dass jene Länder, die Waffenlieferungen in Krisenregionen beschließen oder nicht verhindern, die Grenzen schließen, wenn Flüchtlinge vor dem Morden fliehen.

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aus: Frankfurter Rundschau vom 12.11.1999
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