Panzer in die Türkei? - Inhalt vom: 12.07.2000 vorheriger nächster Artikel | Panzer in die Türkei?: Aktuelles Leopard II-Export wird zur Existenzfrage der deutschen Panzerindustrie Panzerschlachten Stefan Gose (Bestandsaufnahme Mitte 2000) Verräter auf der Regierungsbank Erinnern Sie sich? Im Oktober 1999 berichtete die "Berliner Morgenpost", der deutsche Panzerhersteller Krauss-Maffei Wegmann hätte sich auf eine türkische Ausschreibung für den Bau von 1.000 Kampfpanzern beworben.(1) Der streng geheim tagende Bundessicherheitsrat/BSR hatte am 20.10.99 die Lieferung eines Testpanzers an den Bosperus genehmigt.(2) Mittlerweile sucht die Berliner Staatsanwaltschaft das "Informationsleck" im Kreise der beteiligten MinisterInnen.(3) Nach einer Regierungskrise einigten sich die rot-grünen Koalitionspartner im Dezember 1999 darauf, den Leopard II A5-Testpanzer an die Türkei zu liefern und im Gegenzug die deutschen Rüstungsexportrichtlinien unter stärkerer Gewichtung der Menschenrechtslage im Empfängerland neu zu formulieren.(4) Sollte sich die türkische Regierung für den deutschen Leopard-Kampfpanzer entscheiden, wären nach den neuen Exportrichtlinien vom 19. Januar 2000 deutliche Verbesserungen der Menschenrechtslage in der Türkei für eine Panzerausfuhr erforderlich. Erwartungsgemäß fiel die Wahl des türkischen Militärs schon im April auf den deutschen Leo,(5) doch von einer Verringerung staatlicher Repression konnte in der Türkei nicht die Rede sein. Kurdenführer Abdullah Öcalan wurde zum Tode verurteilt, Grenzgefechte gegen den Irak halten an, ebenso Folter durch türkische "Sicherheitsorgane", im Mai verurteile der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die türkische Regierung erneut. Nach einigem diplomatischen Kettenrasseln einigten sich die geschäftsfreudigen Regierungsvertreter beider Seiten, daß zunächst kein offizieller Leo-Exportantrag gestellt wird. Damit verschob Rot-Grün die nächste Regierungskrise, die türkische Seite stellte ihre Forderung zurück, für das 14-Milliarden-DM-Geschäft deutlich vor 2006 in die EU aufgenommen zu werden, zumal die türkische Liquidität nach einem größeren Erdbeben im Frühjahr 2000 mittlerweile fragwürdig ist. |
zum Anfang Panzer in die Türkei? - Inhalt | Inzwischen allerdings muß ein türkischer Exportantrag vorliegen, denn Anfang Juli plauderte das Berliner Boulevardblatt "B.Z." aus dem streng geheimen Bundessicherheitsrat: Am 28.6.00 habe der BSR beschlossen, die Entscheidung über das Milliarden-Panzergeschäft auf September zu vertagen, da wegen der andauernden Menschenrechtsverletzungen in der Türkei keine BSR-Zustimmung hätte gegeben werden können.(6) Auch das Nachrichtenmagazin "Stern" zeigte sich bestens über die geheime BSR-Sitzung informiert: gegen die Stimmen von Außenminister Fischer und Entwicklungshilfeministerin Wieczorek-Zeul hätten die Herren Schröder, Scharping und Müller im BSR den Export von 1.200 Panzerfäusten an den autoritären Krisenstaat Saudi-Arabien bewilligt,(7) Taiwan-Exporte abgelehnt(8) und den Export militärischer Aufklärungs-Software an die Türkei zurückgestellt.(9) Daneben wird demnächst mit einem positiven Bescheid für den Export von Fuchs-Spürpanzern an die autoritären Vereinigten Arabischen Emirate/VAE gerechnet.(10) Friedens- und Menschenrechtsgruppen wie das Netzwerk Friedenskooperative, die Gesellschaft für bedrohte Völker, der Kasseler Friedensratschlag und Pro Asyl starteten Ende Juni eine erneute Protestkampagne gegen den bevorstehenden Panzerexport. Ungebetene "humanitäre Hilfe" erhielt der Protest vom neuen CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz, der die Türkei vor einer Hinrichtung des PKK-Führers Öcalan warnte, um das Panzergeschäft nicht zu gefährden.(11) Schröder und Scharping als Panzerlobbyisten Szenenwechsel. Im Januar 2000 übernahm der britische Telekommunikationskonzern Vodafone-Airtouch den Mannesmann-Konzern. Damit gelangte auch die 49%-Mannesmann-Demag-Beteiligung am Leopard-Produzenten Krauss-Maffei Wegmann/KMW in britischen Besitz. Die übrigen 51% an dem Joint Venture KMW sind im Besitz der Kasseler Wegmann-Gruppe. Da Vodafone-Airtouch nur am Mobilfunk-Geschäft von Mannesmann interessiert ist, soll das Atecs-Industriegeschäft (u.a. die KMW-Beteiligung) von Mannesmann für ca. 18 Milliarden DM an Bosch und Siemens verkauft werden.(12) Siemens ist aber bereits 1998 aus dem Rüstungsmarkt ausgestiegen(13) und auch Bosch produziert nur kleinere militärische Teilkomponenten. Deshalb fürchtet die Bundesregierung, die 49%-KMW-Beteiligung könnte an den amerikanischen Konkurrenten General Dynamics (Kampfpanzer M1A2 Abrams) verkauft werden.(14) Trotz Dementis von General Dynamics ist das Szenario nicht unwahrscheinlich, geht es dabei doch um nicht weniger, als die Hegemonie im weltweiten Panzerbau. Zum näheren Verständnis ist der Blick auf einen iberischen Nebenkriegsschauplatz hilfreich: der spanische Staatsbetrieb Santa Barbara Blindados/SBB produziert mit einer Lizenz von Krauss-Maffei Wegmann 219 Leopard-II Panzer für die spanische Armee. Das defizitäre spanische Unternehmen steht zum Verkauf und Anfang des Jahres gab KMW gemeinsam mit dem Konkurrenten Rheinmetall ein Übernahmeangebot ab.(15) Doch auch General Dynamics bewarb sich mit einem lukrativeren Angebot um den spanischen Panzerbauer. Bekäme der US-Konzern den Zuschlag, erhielte General Dynamics nicht nur das Leopard-Know How, sondern auch ein stabiles Standbein in Europa. Bekäme General Dynamics zudem die 49%-KMW-Anteile von Bosch/Siemens, wäre der deutsche Panzerbau um Wegmann und Rheinmetall mittelfristig erledigt. Denn Rheinmetall fuhr 1999 mit weltweit 33.000 Mitarbeitern einen Verlust von 12 Mio. DM ein (Gewinn 1998: 240 Mio. DM) Der Rheinmetall-Vorstandschef wurde gefeuert, hartnäckig hält sich das Gerücht, daß der Rheinmetall-Großaktionär, die Röchling Industrie Verwaltung GmbH, seine 66%-Beteiligung verkaufen möchte.(16) |
zum Anfang Panzer in die Türkei? - Inhalt | Deshalb schrillten bei der Bundesregierung im Juni die Alarmglocken. Bundeskanzler Schröder versuchte mehrfach, seinen spanischen Amtskollegen Jose Maria Aznar zu einem SBB-Verkauf an KMW/Rheinmetall zu überreden. Am 3. Juli flog VerteidigungsminiSter Scharping nach Madrid, um seinen Amtskollegen Frederico Trillo zu dem unattraktiven deutschen Angebot zu drängen. Zuletzt schlug die Bundesregierung sogar einen neuen europäischen Panzerkonzern vor, für den keinerlei Vorplanungen bei den entsprechenden Unternehmen bestehen. Auch ein Rabatt oder vergünstigter Kauf der 108 Leopard II-Panzer, die die spanische Regierung 1995-2000 für etwa eine Milliarde DM bei Krauss-Maffei geleast hatte, standen bei den aktuellen Vertragsverlängerungen zur Debatte.(17) Die abenteurlichen Vorschläge der Bundesregierung lassen nur einen Schluß zu: die Übernahmeschlacht ist - zumindest in Spanien - verloren. Zeitgleich verbuchen die deutschen Panzerlobbyisten eine zweite Schlappe: der konfliktfreudige Türkei-Nachbar Griechenland entschied sich im Juli für den Kauf von fast 250 britischen Challenger 2-Kampfpanzern (Vickers) für etwa 3,7 Mrd. DM - und damit gegen den Konkurrenten Leopard II, der ca. 10% teurer gewesen sein soll.(18) Nun rüstet Rudolf Scharping zu Rückzugsgefechten: die heimische Panzerindustrie soll mit Aufträgen gegen drohende Übernahmen gestärkt werden. Das Problem: niemand braucht Panzer, ja selbst die Bundeswehr hat 700 Leos zuviel, wenn ihr Bestand von derzeit 2.300 nach neuesten Plänen des Ministers um 30-40% gesenkt werden soll.(19) Die Lösung: 225 Leopard II der neuen "Einsatzkräfte" (bisher Krisenreaktionskräfte) sollen nun mit der "Kampfwertsteigerungsstufe III" modernisiert werden, die Scharping noch im Sommer 1999 aus Bedarfsmangel verworfen hatte.(20) Mit einem um 1,3m verlängerten "Waffenrohr L 55", GPS-Elektronik und Wärmebilderfassung sollen Reichweite und Durchschlagkraft der Leopard II A6 erhöht werden. Zu den Umbaukosten von 91,4 Mio. DM addieren sich weitere 162 Mio. DM, denn für die neuen Kanonenrohre sollen nun auch 27.000 neue Spezialgranaten beschafft werden.(21) Niemand - außer Rheinmetall - braucht diese "Kampfwertsteigerung":(22) In den vergangenen zehn Jahren deutscher Interventionsgeschichte wurden von den 4.300 deutschen Leopard-Panzern (1990), bzw. 2.300 (2000) genau ein einziges Mal nach dem Kosovo-Krieg 31 Leos auf dem Balkan eingesetzt - ohne zu schießen. Für Übersee-Einsätze sind die 55-Tonner etwas unförmig, mit östlichen Panzerschlachten rechnet das Verteidigungsministerium nach eigenem Bekunden allerdings auch nicht mehr.(23) Für Rheinmetall ist der Aufrüstungsauftrag nach Ansicht der Hardthöhe eher eine steuerfinanzierte Werbemaßnahme: sie soll die Leopard-Fahrer in Österreich, Dänemark, Spanien, der Schweiz und den Niederlanden ebenfalls zum Tank-Tuning ermuntern(24) und damit die Konkurrenz aus Übersee vertreiben. Ein Sieger der bevorstehenden Panzerschlacht steht bereits heute fest: DaimlerChrysler. Die Daimler-Tochter Maschinen- und Turbinen-Union/MTU rüstet nicht nur die britischen Challenger-Panzer mit Dieselmotoren aus. MTU motorisiert auch die deutschen Leos mit 1.500 PS. Im Mai gründete MTU mit General Dynamics Land Systems ein Joint Venture, um künftig auch die amerikanischen Abrams-Konkurrenten zum rollen zu bringen.(25) Heißer Herbst Doch für den Erhalt von Krauss-Maffei Wegmann und Rheinmetall bedarf es größerer Aufträge, womit sich der Kreis zum bevorstehenden Export von 1.000 Leos an die Türkei schließt. Es existieren keinerlei Indizien, daß die Troika Schröder/Scharping/Müller die Menschenrechtslage in der Türkei höher bewerten wird, als ihr eigenes Interesse am deutschen Panzerbau. Angeblich wächst in der SPD der Unmut über Joseph Fischer, dessen Außenamt dem Milliardengeschäft noch im Wege stehen soll: "Die mauern so lange, bis sich die Türken entscheiden, einen anderen Panzer zu kaufen," zitiert die "Welt am Sonntag" namenlose "SPD-Kreise".(26) Wahrscheinlicher ist, daß alle Seiten nach einem Weg für den Panzerdeal suchen, ohne vor der Öffentlichkeit ihr Gesicht zu verlieren. Denn an eine kurzfristige Besserung der Menschenrechtslage in der Türkei dürfte selbst Rudolf Scharping nicht glauben. Waffenexporte stehen im Herbst 2000 noch mehrfach im Zwielicht der Öffentlichkeit: |
Im Europaparlament wird der "Letter of Intend", die Vorstellungen der Rüstungsindustrien der sechs größten EU-Waffenproduzenten von künftigen Rüstungsexportregeln verhandelt, | ||||
im September legt die EU-Ratspräsidentschaft ihren industriefreundlichen Erfahrungsbericht 1999 über den "Code of Conduct" - die freiwilligen Waffenexportrichtlinien der EU - zur weiteren Ergänzung vor, | ||||
Rudolf Scharping muß im Rahmen seiner Bundeswehrreform klären, in welchem Verhältnis seine neue Rüstungsbeschaffungsagentur zu seinen bisherigen Rüstungsbehörden, dem Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung/BWB und der Hauptabteilung Rüstung/HA Rü im Verteidigungsministerium stehen soll, | ||||
Im September wird in Bremen das "European Network Against Arms Trade/ENAAT" tagen. |
zum Anfang Panzer in die Türkei? - Inhalt | 20) vgl. Europäische Sicherheit 6/99, S. 18ff. 21) AP 2.7.00, 12:00h 22) aus ähnlichen Kapazitätsauslastungs- und Referenzgründen beschafft die Bundeswehr gerade 185 Panzerhaubitzen 2000 für 1,75 Milliarden DM bei Wegmann, die niemand braucht. 23) Scharping: "Eine Bedrohung durch große Land-Invasionen ist völlig obsolet geworden." ddp 24.5.00, 17:24 24) ddp 1.7.00, 12:08h 25) dpa 15.5.00, 16:47h 26) Welt am Sonntag 25.6.00 Stefan Gose ist Redakteur der antimilitarismus Information (ami), Berlin E-Mail: stefangose@yahoo.de | ||
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