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10.10.1998


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zu: Friedensorganisationen zu Rot-Grün

Zum außen- und friedenspolitischen Teil der Koalitionsvereinbarung von SPD und Bündnis 90/Die Grünen

Friedenspolitischer Aufbruch oder Kapitulation?

Angelika Beer, Winfried Nachtwei, Christian Sterzing

Bonn, den 23.10.1998

Die Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und Bündnis 90/Die Grünen ist unterzeichnet. Damit haben die beiden Regierungsparteien den Rahmen und die Schwerpunkte der kommenden vier Jahre vertraglich festgelegt. Viele Beobachterinnen und Beobachter waren überrascht, wie rasch und harmonisch die Koalitionsverhandlungen über die Bühne gingen. Die Beurteilung der Verhandlungsergebnisse fällt demgegenüber - je nach Standpunkt der Urteilenden - sehr unterschiedlich aus. In erster Linie melden sich jene Interessengruppen zu Wort, die sich von der neuen Regierung ein deutlicheres Reformzeichen erwartet haben oder jene, denen das Vereinbarte schon zu weit geht.

Im Vorfeld der Wahlen und der Koalitionsgespräche hieß es in den Medien meist, in der Außen- und Sicherheitspolitik bestünden die gravierendsten Widersprüche zwischen SPD und Grünen. Um so mehr muß deshalb erstaunen, daß auch die außenpolitischen Vereinbarungen relativ komplikationslos zustande gekommen zu sein scheinen. Liegt das vielleicht daran, daß man sich auf lauter Formelkompromisse einigte - oder daß die SPD der Empfehlung der FAZ folgte, die Koalitionsverhandlungen zur Außenpolitik als Kapitulationsverhandlungen zu führen und die Grünen sich nur noch unterwarfen?

Als Mitglieder der Fachkommission Außenpolitik, die der zentralen grünen Verhandlungskommission zuarbeitete, erlebten wir die Kompromißfindung aus der Nähe und möchten deshalb einige Anmerkungen zum Ergebnis machen.

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Friedensorganisationen zu Rot-Grün
Koalitionsvereinbarung als Wegweiser

Um die Aussagen der Koalitionsvereinbarung einordnen zu können, ist es hilfreich, sich den Charakter einer Koalitionsvereinbarung und die Bedingungen, unter denen er geschlossen wird, vor Augen zu führen. In der Koalitionsvereinbarung verpflichten sich die unterzeichnenden Parteien auf die Eckpunkte ihrer künftigen Regierungspolitik. Unter der Vorgabe, innerhalb von zwei Wochen eine knappe und möglichst klare Vereinbarung zu treffen, wurden in der Koalitonsvereinbarung vor allem politische "Wegweiser" für zentrale Reformprojekte und einzelne Politikfelder formuliert. Auf die Benennung konkreter Projekte und Einzelforderungen wurde deshalb in der Regel weitgehend verzichtet. Aufgabe der Koalition wird es sein, die Wegweiser in politische Einzelschritte zu übersetzen und ein gemeinsames Arbeitsprogramm zu entwickeln. Einzelforderungen wie z. B. die Senkung der militärischen Übungsbelastung für die Bevölkerung, die sich nicht explizit auf Projekte der Koalitionsvereinbarung beziehen, können dennoch Gegenstand von künftigen Regierungsmaßnahmen sein.

Orientierungsgrundlage für die inhaltliche Ausrichtung z. B. des außen- und friedenspolitischen Teils waren die Wahlprogramme und außenpolitischen Grundsatzbeschlüsse der Parteien aber auch die existierenden (internationalen) vertraglichen und bündnispolitischen Verpflichtungen. Die Reforminitiativen mußten deshalb nicht nur die Forderungen unseres eigenen bündnisgrünen Mitglieder- und Wählerklientels berücksichtigen, sondern auch die der SPD und derjenigen, die uns zwar nicht gewählt haben, von den Entscheidungen aber maßgeblich betroffen sein werden. Mitentscheidend war und ist deshalb auch die internationale und innenpolitische Akzeptanz der Reformvorschläge.

Bei der Durchsetzung bündnisgrüner Einzelvorstellungen spielte auch das Wahlergebnis (SPD 40,9 %, Bündnisgrüne 6,7 % = 6:1) eine spürbare Rolle. Dem deutlich kleineren Koalitionspartner wurden freundlich aber bestimmt wiederholt die Grenzen der Durchsetzungsfähigkeit deutlich gemacht. Daß dieser machtpolitische Druck international erheblich verstärkt werden kann, mußten wir vor dem Hintergrund der Kosovo-Krise in extremem Maße erfahren. Die vom 12. bis 16. Oktober stattfindenden Verhandlungen zum außen- und friedenspolitischen Teil der Koalitionsvereinbarung vollzogen sich vor dem Hintergrund der Bundestagsabstimmung über den ersten eindeutigen, und darüber hinaus völker- und verfassungsrechtlich höchst fragwürdigen Bundeswehr-Kampfeinsatz zur Friedensunterstützung. 1

Dieser Zwang zum Kompromiß ist für den Einzelnen bzw. für bestimmte Interessengruppen besonders an jenen Punkten schmerzhaft, wo die eigene politische Identität eng mit der Umsetzung konkreter Einzelprojekte verbunden ist. Auf der Ebene politischer Bekenntnisse wird die Koalitionsvereinbarung für viele Pazifisten und Friedensbewegte teilweise unerträglich sein. Kompromisse, die im Rahmen eines Arbeitsprogramms für die nächsten vier Jahre geschlossen werden, bedeuten nicht die Aufgabe der bündnisgrünen Ziele. In der Politik kommt es neben dem Grundsätzlichen und Langfristigen auch auf die konkreten Schritte und ihre Richtung an. Und da ist für uns unverkennbar: Es gibt aus friedenspolitischer Sicht kräftig Bewegung in die richtige Richtung!

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Klares Bekenntnis zur Krisenprävention und zivilen Konfliktbearbeitung

Die Vereinbarungen zur aktiven Zivilisierung der Außenpolitik sind nach Jahren der friedenspolitischen Dürre wie ein Frühling. Bereits die Eingangsformulierung der Koalitionsvereinbarung "Deutsche Außenpolitik ist Friedenspolitik" zeigt, welche Leitlinie die neue deutsche Außenpolitik prägen soll. Während in der Außenpolitik der alten Regierung das Militärische ein immer größeres Gewicht bekam und die Sicherheitspolitik militärfixiert war, wird nun das Gewicht ziviler Außenpolitik gestärkt. Wir brauchen nicht verschweigen, daß wichtige Passagen zur Abrüstung sowie zur strukturellen und aktuellen Krisenprävention wesentlich von uns eingebracht bzw. geprägt wurden.

SPD und Bündnisgrüne haben an mehreren Stellen der Koalitionsvereinbarung vertraglich festgehalten, daß sie der Krisenprävention und zivilen Konfliktbearbeitung größte Prioriät beimessen:

- "(Die neue Bundesregierung) wird sich mit aller
  Kraft um die Entwicklung und Anwendung von
  wirksamen Strategien und Instrumenten der
  Krisenprävention und friedlichen Konfliktregelung
  bemühen. Sie wird sich dabei von der Verpflichtung
  zur weiteren Zivilisierung und Verrechtlichung
  der internationalen Beziehungen, zur
  Rüstungsbegrenzung und Abrüstung, zu einem
  ökonomischen, ökologischen und sozial gerechten
  Interessenausgleich der Weltregionen und zur
  weltweiten Einhaltung der Menschenrechte leiten
  lassen." (1. Ziele und Werte)

- "Die GASP (Gemeinsame Außen- und
  Sicherheitspolitik der Europäischen Union) soll in
  ihrer weiteren Entwicklung verstärkt dazu genutzt
  werden, die Fähigkeit der EU zur zivilen
  Konfliktprävention und friedlichen
  Konfliktregelung zu steigern." (3. Europäische
  Außen- und Sicherheitspolitik)

- "Eine wesentliche Aufgabe sicht die neue
  Bundesregierung in der präventiven
  Rüstungskontrolle." (6. Abrüstung und
  Rüstungskontrolle)

- "Die neue Bundesregierung wird sich ... mit
  Nachdruck um international abgestimmte Strategien
  zur Bekämpfung von Menschenrechtsverletzungen und
  ihrer Ursachen sowie ihrer Prävention bemühen."
  (8. Menschenrechtspolitik)

- "Entwicklungspolitik ist heute globale
  Strukturpolitik, deren Ziel es ist, die
  wirtschaftlichen, sozialen, ökologischen und
  politischen Verhältnisse in den
  Entwicklungsländern zu verbessern. Sie orientiert
  sich u. a. an dem Leitbild einer globalen
  nachhaltigen Entwicklung. Die neue Bundesregierung
  wird die Entwicklungspolitik entlang diesen
  Leitzielen reformieren, weiterentwickeln und
  effizienter gestalten und die
  entwicklungspolitische Kohärenz mit anderen
  Ressorts sicherstellen." (11.
  Entwicklungspolitik)

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Friedensorganisationen zu Rot-Grün
Der Vorrang der Krisenprävention und zivilen Konfliktbearbeitung ist jedoch mehr als nur ein politisches Lippenbekenntnis. Um diese Zielsetzung zu erreichen, haben sich die Koalitionsparteien auf eine Reihe konkreter Projekte geeinigt. Sie machen den außenpolitischen Kurswechsel deutlich.

Stand-by-forces

"Den Vereinten Nationen werden eigenständige Einheiten für friedenserhaltende Maßnahmen (peacekeeping) als "stand-by-forces" angeboten." (7. UNO)

Sanktionshilfefonds

"Die neue Bundesregierung setzt sich dafür ein, daß das Instrumentarium zur Durchsetzung von Wirtschaftssanktionen ausgebaut und durch einen Sanktionshilfefonds untermauert wird." (7. UNO)

Menschenrechtsinstitut

"(Die neue Bundesregierung) unterstützt die Einrichtung eines unabhängigen Menschenrechtsinstitutes in Deutschland." (8. Menschenrechtspolitik)

Stärkung der OSZE

"Die neue Bundesregierung wird ... Initiativen ergreifen, um die rechtliche Basis der OSZE zu stärken und die obligatorische friedliche Streitschlichtung im OSZE-Raum durchzusetzen. Instrumente und Kompetenzen sind durch bessere personelle und finanzielle Ausstattung zu stärken und ihre Handlungsfähigkeit auf dem Feld der Krisenprävention und Konfliktregelung zu verbessern." (5. OSZE)

Polizeikräfte

"Im Rahmen der Friedenskonsolidierung soll zur Schaffung einer stabilen Ordnung das Instrument nicht-militärische internationale Polizeieinsätze entwickelt und genutzt werden." (5. OSZE)

Ausbildung Peacekeeping/Peacebuilding

"Die neue Bundesregierung wird für die Aufgaben im Bereich von Peacekeeping und Peacebuilding Ausbildungsmöglichkeiten schaffen." (5. OSZE)

Friedensforschung/ Infrastruktur zivile Konfliktbearbeitung

"Eine besondere Bedeutung kommt der Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen zu. Die neue Bundesregierung setzt sich für den Aufbau einer Infrastruktur zur Krisenprävention und zivilen Konfliktbearbeitung ein. Hierzu gehört neben der finanziellen Förderung der Friedens- und Konfliktforschung und der Vernetzung bestehender Initiativen, die Verbesserung der juristischen, finanziellen und organisatorischen Voraussetzungen für die Ausbildung und den Einsatz von Friedensfachkräften und -diensten (z. B. ziviler Friedensdienst). (5. OSZE)

Steigerung des Entwicklungshaushalts

"Um dem international vereinbarten 0,7 % Ziel näher zu kommen, wird die Koalition den Abwärtstrend des Entwicklungshaushaltes umkehren und vor allem die Verpflichtungsermächtigungen kontinuierlich maßvoll erhöhen ...

Die neue Bundesregierung legt ein besonderes Gewicht auf die entwicklungspolitische Arbeit von Nichtregierungsorganisationen und wird deren Arbeit verstärkt fördern." (11. Entwicklungspolitik)

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nukleare Abrüstung/Massenvernichtungswaffen

"Die neue Bundesregierung hält an dem Ziel der vollständigen Abrüstung aller Massenvernichtungswaffen fest und wird sich in Zusammenarbeit mit den Partnern und Verbündeten Deutschlands an Initiativen zur Umsetzung dieses Ziels beteiligen ...

Sie macht ihren Einfluß geltend, um den internationalen Regimes zur Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen Geltung zu verschaffen, besonders grausame Waffen wie Landminen weltweit zu verbieten und die weitere Reduktion strategischer Atomwaffen zu befördern. Zur Umsetzung der Verpflichtungen zur atomaren Abrüstung aus dem Atomwaffensperrvertrag wird sich die neue Bundesregierung für die Absenkung des Alarmstatus der Atomwaffen, sowie den Verzicht auf den Ersteinsatz von Atomwaffen einsetzen.

Die neue Bundesregierung unterstützt Bemühungen zur Schaffung atomwaffenfreier Zonen." (6. Abrüstung)

unilaterale/ konventionelle Abrüstung

"(Die neue Bundesregierung) ergreift Initiativen, um im Rahmen der KSE-Verhandlungen die Rüstungsobergrenzen deutlich unter das heutige Niveau zu senken ...

In bestimmten Situationen kann ein einseitiger Abrüstungsschritt verantwortbar sein und eine sinnvolle Abrüstungsdynamik in Gang setzen ...

Sie wird eine Initiative zur Kontrolle und Begrenzung von Kleinwaffen ergreifen." (6. Abrüstung)

nationaler und transnationaler Rüstungsexport

"Die transnationale europäische Rüstungsindustrie wird für ihre Exporttätigkeit einem verpflichtenden europäischen Verhaltenskodex unterworfen. Die neue Bundesregierung wirkt darauf hin, daß ein Transparenzgebot und der Menschenrechtsstatus möglicher Empfängerländer dabei als Kriterien enthalten sein sollen.

Der nationale deutsche Rüstungsexport außerhalb der NATO und der EU wird restriktiv gehandhabt. Bei Rüstungsexportentscheidungen wird der Menschenrechtsstatus möglicher Empfängerländer als zusätzliches Entscheidungskriterium eingeführt.

Die neue Bundesregierung wird jährlich dem Deutschen Bundestag einen Rüstungsexportbericht vorlegen.

Die neue Bundesregierung wird die bestehenden Programme der militärischen Ausstattungshilfe überprüfen und grundsätzlich keine neuen Verträge in diesem Bereich abschließen. Statt dessen wird sie verstärkt Maßnahmen der Demokratisierungshilfe fördern und dafür zusätzliche Mittel bereitstellen." (9. Bundeswehr/Rüstungsexporte)



Verteidigungspolitisch relevante Aussagen der Koalitionsvereinbarungen

Weit entfernt von unseren Programmforderungen sind allerdings die Vereinbarungen zur NATO, WEU, Bundeswehr und Rüstungsindustrie. Hier mußten wir aus friedenspolitischer Sicht sicherlich die meisten programmatischen Abstriche machen. Allerdings gibt es mit uns keine NATO-First-Politik. Vielmehr gilt das Ziel der Stärkung der Vereinten Nationen und der OSZE.

NATO

"Die neue Bundesregierung betrachtet das Atlantische Bündnis als unverzichtbares Instrument für die Stabilität und Sicherheit Europas sowie für den Aufbau einer dauerhaften europäischen Friedensordnung ...

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Die neue Bundesregierung verfolgt das Ziel einer stabilen gesamteuropäischen Friedensordnung. Sie fördert deshalb enge Zusammenarbeit, wirksame Koordinierung und sinnvolle Arbeitsteilung zwischen der NATO und den anderen Institutionen, die für die europäische Sicherheit verantwortlich sind. Die neue Bundesregierung wird im Rahmen der anstehenden NATO-Reform darauf hinwirken, die Aufgaben der NATO jenseits der Bündnisverteidigung an die Normen und Standards von VN und OSZE zu binden." (4. NATO/ Atlantische Partnerschaft)

WEU

"Die neue Bundesregierung wird sich bemühen, die WEU auf der Basis des Amsterdamer Vertrages weiterzuentwickeln." (3. Europäische Außen- und Sicherheitspolitik)

Luft- und Raumfahrtindustrie

"Die Koalition unterstützt aktiv die Bemühungen um den Zusammenschluß der europäischen Luft- und Raumfahrtindustrie." (9. Bundeswehr/Rüstungsexport)

Bundeswehr

"Die Bundeswehr dient der Stabilität und dem Frieden in Europa. Als fest in das atlantische Bündnis integrierte Armee ist sie im Sinne von Risikovorsorge weiterhin zur Landes- und Bündnisverteidigung zu befähigen.

Eine vom Bundesminister der Verteidigung für die neue Bundesregierung zu berufende Wehrstrukturkommission wird auf der Grundlage einer aktualisierten Bedrohungsanalyse und eines erweiterten Sicherheitsbegriffs Auftrag, Umfang, Wehrform, Ausbildung und Ausrüstung der Streitkräfte überprüfen und Optionen einer zukünftigen Bundeswehrstruktur bis zur Mitte der Legislaturperiode vorlegen. Vor Abschluß der Arbeit der Wehrstrukturkommission werden unbeschadet des allgemeinen Haushaltsvorbehalts keine Sach- und Haushaltsentscheidungen getroffen, die die zu untersuchenden Bereiche wesentlich verändern oder neue Fakten schaffen." (9. Bundeswehr/ Rüstungsexport)

"Die Beteiligung deutscher Streitkräfte an Maßnahmen zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit ist an die Beachtung des Völkerrechts und des deutschen Verfassungsrechts gebunden. Die neue Bundesregierung wird sich aktiv dafür einsetzen, das Gewaltmonopol der Vereinten Nationen zu bewahren und die Rolle des Generalsekretärs der Vereinten Nationen zu stärken." (7. UNO)

Damit ist in der Koalitionvereinbarung keine Rede von einer Reduzierung der Bundeswehr, der Abschaffung der Wehrpflicht, der Krisenreaktionskräfte und des Kommando Spezialkräfte, von einer Absage an Kampfeinsätze, einer Kürzung des Verteidigungsetats, Änderung der Verteidigungspolitischen Richtlinien oder dem Stop verschiedener Rüstungsgroßprojekte. Daß wir hier in den Koalitionsvereinbarungen keine sichtbaren Ergebnisse vorweisen können, konnte angesichts des öffentlichen Drucks und der Machtverhältnisse nicht überraschen. Denn mit schwachen friedensbewegten Kräften standen wir dem "Rest der Welt" aus Militärisch-Industriellem Komplex, NATO und diesbezüglich besonders konservativer SPD gegenüber - weit unterhalb des sonstigen 6:1-Kräfteverhältnisses.

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Hinzu kommt, daß sich der neue Verteidigungsminister Scharping von Bundeskanzler Schröder und Finanzminister Lafontaine als Preis für den Verzicht auf den Fraktionsvorsitz, eine weitgehende Finanz- und Umfangsgarantie für die Bundeswehr versprechen ließ. Diese SPD-interne Abmachung hat für die Bündnisgrünen keinerlei Bindungswirkung. Vielmehr konnten wir in letzter Minute verhindern, daß in der Koalitionsvereinbarung auf vier Jahre Struktur und Umfang der Bundeswehr sowie eine jährliche Erhöhung des Verteidigungshaushalts um ca. 2,5 % festgeschrieben wurden. Statt dessen gilt der Haushaltsvorbehalt nun explizit auch für die Bundeswehr.

Trotz der auf den ersten Blick eher ernüchternden Perspektiven im verteidigungspolitischen Bereich sind deshalb aber unsere Hauptabrüstungsforderungen keineswegs Makulatur. So sind wir fest davon überzeugt, daß die Bundeswehr in ihrer jetzigen Planung nicht mehr legitimier- und finanzierbar ist. Deshalb gehen wir davon aus, daß die gegenwärtigen sicherheitspolitischen, finanziellen und verfassungsrechtlichen Indikatoren für die von uns angestrebte Reduzierung sprechen.

Wir wollen keineswegs - wie man uns gerne unterstellt-, daß dieser notwendige Abrüstungs- und Transformationsprozeß der Bundeswehr übers Knie gebrochen wird. Wir wollen, daß der Abschied von der Wehrpflichtarmee möglichst friedens- und abrüstungsförderlich sowie demokratie- und sozialverträglich gestaltet wird. Die von der SPD seit 1991 geforderte und zwischen SPD und Bündnisgrünen vereinbarte Wehrstrukturkommission bietet die Chance, hierfür eine Reihe von Optionen zu entwickeln, die sicherheitspolitisch ins nächste Jahrtausend weisen. Auftrag, Umfang, Ausrüstung, Struktur und Ausbildung müssen konstruktiv, offen und kontrovers diskutiert werden können. Wir erwarten, daß die Wehrstrukturkommission in erster Linie Optionen einer Freiwilligenarmee überprüft und damit Handlungsspielraum für die weitere konventionelle Abrüstung in Europa öffnet. Die Innere Führung muß dabei gestärkt und die Traditionspflege der Bundeswehr auf ein eindeutig demokratisches Fundament gestellt werden. Der Bundeswehr und der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik ist nicht damit gedient, wenn die Wehrstrukturkommssion zu einer Ansammlung von materiellen Besitzstandswahrern und Status-quo-Lobbyisten wird.

Das weiß auch die SPD. Die SPD hat im Dezember auf ihrem Parteitag in Hannover versprochen, daß es durch die Fortführung des KSE-Prozesses auch zu einer Verringerung der Stärke der Bundeswehr kommen wird. Sie hat zugesagt, daß die Wehrpflicht einer "Verringerung der Bundeswehrstärke nicht im Wege stehen darf" und daß die Kommission "realistische zukunftsweisende Lösungsvorschläge erarbeiten und dem Parlament unterbreiten soll." Deshalb steht in der beschlossenen Wehrstrukturkommission nicht weniger als die Zukunft der Bundeswehr zur Debatte.

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Wir hoffen, daß damit endlich eine breite Diskussion über die künftige Ausrichtung deutscher Friedens- und Sicherheitspolitik und eine demokratieverträgliche Reform der Streitkräfte in Gang kommt. Der unter Rühe aufgelaufene Diskussions- und Reformstau in der Bundeswehr, die Entwicklung des Bundeshaushalts und - hoffentlich - der Stabilität in Europa können unseren Positionen Rückenwind verleihen.

Fazit

Wir glauben, daß wir - gemessen an unserer Verhandlungsposition und unseren Zielen- eine gute Ausgangsbasis für einen Politikwechsel im außen- und friedenspolitischen Teil geschaffen haben. Angesichts einer in der Verteidigungspolitik besonders strukturkonservativen SPD könnte den Grünen die Rolle einer Reformkraft zufallen. Es ist ein Gebot der Nüchternheit, hier mit einigem Konfliktstoff zu rechnen. Die Koalitionsvereinbarung zur Außen- und Friedenspolitik ist eine historische Herausforderung für uns in Bonn/ Berlin, die wir die Wegweiser nun umsetzen müssen, und für alle FriedensforscherInnen, -fachleute und -bewegte, die wir aufrufen, sich aktiv, kritisch und konstruktiv an den kommenden Diskussions- und Realisierungsprozessen zu beteiligen.

1 siehe hierzu die Reden von Joschka Fischer und Ludger Volmer und die diversen persönlichen Erklärungen (Plenarprotokoll 13/248, 16.10.1998) sowie den Brief von Winfried Nachtwei zur "Bundestagsentscheidung zum Kosovo-Militäreinsatz der NATO" (20.10.1998)



Die grünen MdBs sind Mitglieder des Verteidigungsausschusses (alter Bundestag) und bilden die AG Frieden, Abrüstung, Verteidigung der Fraktion

E-Mail:   winfried.nachtwei@mdb.bundestag.dbp.de





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