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Erstellt:
30.10.1998


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zu: Friedensorganisationen zu Rot-Grün

Erklärung von Friedensorganisationen zum Koalitionsvertrag

Viel Schatten - wenig Licht

Rüstungsinformationsbüro Baden-Würtembberg (RIB)

Erklärung aus der Friedensbewegung zu den außen- und sicherheitspolitischen Vereinbarungen der neuen Bundesregierung

Trotz einiger guter Ansätze in Teilbereichen (OSZE-Stärkung, zivile Konfliktbearbeitung) bleibt die Gesamtvereinbarung mehr als unbefriedigend und ist in dieser Form für uns nicht akzeptabel. Eine Friedenspolitik der Trippelschritte ist unangebracht, sogar schädlich. Statt konkrete politische Handlungsschritte zu benennen und einzuleiten, werden unverbindliche Formulierungen aus dem SPD Wahlprogramm wiederholt, ohne daß ein wirklich neuer politischer Gestaltungswille deutlich wird. Mit diesem diffusen und halbherzigen Regierungsprogramm läßt sich der längst überfällige Politikwechsel und der dringend notwendige friedenspolitische Aufbruch ins 21. Jahrhundert nicht bewerkstelligen.

A. Die Schattenseiten

1. Keine sofortige Kürzung des Verteidigungshaushaltes

Es wird, zumindest in den nächsten zwei Jahren, keine Abrüstung geben. Die Ausgaben für die Bundeswehr und für neue Waffenbeschaffungen bleiben weitgehend unangetastet und werden auf unverantwortlich hohem Niveau verstetigt. Die seitens der Friedensbewegung geforderte und auch im Wahlprogramm der GRßNEN enthaltene jährliche degressive Kürzung des Verteidigungshaushaltes um mindestens 5% und die längst überfällige drastische Verkleinerung der Bundeswehr sind unter den Tisch gefallen. Ebenso gibt es keine Aussage über die Stornierung von Rüstungsgroßprojekten. Vor gut einem Jahr haben SPD und GRÜNE im Bundestag nahezu einstimmig gegen den Eurofighter gestimmt. Jetzt, wo sie formal die Macht hätten, den Beschaffungsbeschluß rückgängig zu machen und damit auch den geplanten Export des Kampfflugzeuges wesentlich zu erschweren, kneift die neue Regierung. Die Vereinbarung der Koalitionspartner, daß vor Abschluß der zweijährigen Arbeit der Wehrstrukturkommission "keine Sach- und Haushaltsentscheidungen getroffen werden", die die Bundeswehr und ihre Finanzierung "wesentlich verändern oder neue Fakten schaffen", ist nichts weiter als der Kotau von SPD und Grünen vor Bundeswehrverband und Rüstungslobby. Die Regierungskoalition legt sich in diesem, angesichts seines Umfangs auch haushaltspolitisch wichtigen Bereichs Handschellen an. Damit wird die geplante Wehrstrukturkommission zur Mogelpackung. Das erinnert fatal an die Taktik des Aussitzens, wie wir sie von der abgewählten Regierung gewohnt waren.

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Friedensorganisationen zu Rot-Grün
Wir fordern: Einstieg in die nachhaltige Abrüstung durch mindestens 5%ige jährliche Kürzung des Verteidigungshaushaltes. Keine neuen Waffenbeschaffungen und Kündigung der Eurofighter-Verträge durch die neue Bundesregierung! Die Bundeswehr muß drastisch verkleinert werden.

2. Verbeugung vor der Rüstungsindustrie

Der Kotau vor der Rüstungslobby zeigt sich überaus deutlich in der Textpassage: "Die Koalition unterstützt aktiv die Bemühungen um den Zusammenschluß der europäischen Luft- und Raumfahrtindustrie." Damit wird einer offensiven Stärkung der Rüstungsindustrie, inklusive Subventionen, das Wort geredet. Indirekt bedeutet dies die Zustimmung zum Eurofighter und einer Vielzahl weiterer Rüstungsprojekte sowie dem militärischen Teil der europäischen Raumfahrt. Der geplante Zusammenschluß erfolgt mit der Absicht, die europäische Rüstungsindustrie gegenüber der US-amerikanischen konkurrenzfähiger zu machen und ihr neue Export-Märkte zu eröffnen. Dies gefährdet den Frieden und schafft neue Bedrohungspotentiale innerhalb und außerhalb Europas. Nur eine zielstrebige Abrüstungs- und Konversionspolitik kann Bedrohungspotentiale abbauen und Kriege unwahrscheinlicher machen.

In der Rüstungsexportpolitik wird prinzipiell weitergemacht wie bisher. Wenn es in der Koalitionsvereinbarung heißt: "Der nationale deutsche Rüstungsexport außerhalb der NATO und der EU wird restriktiv gehandhabt", dann unterscheidet sich diese Formulierung nicht von der Behauptung der alten Bundesregierung. Und deren Beteuerungen in dieser Sache waren oftmals das Papier nicht wert, auf dem sie standen. Für das NATO-Land Türkei und die anderen NATO-Staaten bedeutet dies auch weiterhin ungehinderten Import deutscher Kriegswaffen aller Art. Unklar ist, ob Lieferungen innerhalb der EU künftig keinen Einzelfallprüfungen mehr unterliegen. Zudem fehlt in der Vereinbarung ein Verbot der Gewährung von Hermeskreditbürgschaften für rüstungs- und rüstungsrelevante Güter.

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Friedensorganisationen zu Rot-Grün
Wir fordern weiterhin einen Stopp aller Rüstungsexporte.

3. Abrüstung und Rüstungskonversion werden nicht organisiert

Die neue Bundesregierung behauptet, deutsche Außenpolitik sei Friedenspolitik. Da sie Friedenspolitik jedoch ohne Abrüstung betreiben will, enthalten die einschlägigen Passagen der Koalitionsvereinbarung auch keine Hinweise darauf, wie Abrüstung finanziert und organisiert werden kann. Es wird nicht, wie von uns gefordert, ein Bundesamt für Abrüstung, Konversion und Zivile Friedensdienste eingerichtet.

Es wird lediglich unverbindlich die Absicht erklärt, die neue Bundesregierung wolle sich für den Aufbau einer Infrastruktur zur Krisenprävention und zivilen Konfliktbearbeitung einsetzen und bestehende Initiativen vernetzen. Hier könnten sich neue Chancen für einen dauerhaften Frieden eröffnen, wenn die Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen gut koordiniert und beispielsweise die Ausbildung und der Einsatz von Friedensfachkräften und -diensten finanziell und organisatorisch gefördert wird.

Wir fordern eine mit Kompetenzen, Sach- und Finanzmitteln ausreichend ausgestattete Koordinationsstelle für Abrüstung, Konversion und Zivile Konfliktbearbeitung sowie die Umstellung der Rüstungsindustrie auf zivile Produktion!

Ohne den gleichzeitigen Einstieg in die systematische und nachhaltige Umstellung der Rüstungsproduktion auf zivile Produkte (Konversion) greifen die wenigen positiven Ansätze zu kurz.

4. Keine ersatzlose Abschaffung der Wehrpflicht

Von der im Wahlprogramm der GRÜNEN geäußerten Absicht, die Wehrpflicht abzuschaffen und die Bundeswehr drastisch zu verkleinern, ist in den Koalitionsvereinbarungen nichts übrig geblieben. Bis zum Spätjahr 2000 bleibt die Bundeswehr Tabubereich, wird ihre Finanzierung, Bewaffnung, Personalstärke und Bewaffnung nicht beschnitten - den allgemeinen Haushaltsvorbehalt einmal ausgenommen.

Wir fordern: Weg mit der Wehrpflicht! Die Bundeswehr muß drastisch verkleinert werden.

5. Keine Auflösung der Krisenreaktionskräfte und des Kommandos Spezialkräfte

Eine Stärkung der OSZE als einziger gesamteuropäischer Sicherheitsorganisation und der Aufbau einer Infrastruktur zur Krisenprävention und zivilen Konfliktbearbeitung können nur dann glaubwürdig vollzogen werden, wenn die zum Zwecke der Sicherung der Rohstoffversorgung der bundesdeutschen Industrie und zur militärischen Intervention außerhalb des eigenen Staats- und Bündnisgebietes aufgestellten Krisenreaktionskräfte und deren Speerspitze, das Kommando Spezialkräfte, aufgelöst werden. Denn diese haben mit den Aufbau einer gesamteuropäischen Friedensordnung nichts zu tun. Sie sind vielmehr Bestandteil der NATO-Interventionsdoktrin von out-of-area-Einsätzen. Die Krisenreaktionskräfte sind ein absolut ungeeignetes (und darüberhinaus äußerst kostspieliges) Instrument, den ökonomischen, technologischen, sozialen und ökologischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu begegnen.

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Friedensorganisationen zu Rot-Grün
Wir fordern die Auflösung der Krisenreaktionskräfte und des Kommandos Spezialkräfte.

Ergänzend dazu sind die verteidigungspolitischen Richtlinien von 1992 zu revidieren, weil sie mit Landesverteidigung nichts mehr zu tun haben.



B. Vereinzelte Lichtblicke

Vor diesen Schattenseiten sind die Lichtblicke kleine Lichtlein. Immerhin eröffnen sich in einigen wenigen Bereichen aber auch Chancen für eine Wende zum Besseren, die es zu nutzen gilt. Hierzu gehören:

1. Stärkung der OSZE

Die neue Bundesregierung will Initiativen ergreifen, um die rechtliche Basis der OSZE zu stärken und die obligatorische friedliche Streitschlichtung im OSZE-Raum durchzusetzen. Neben einer besseren personellen und finanziellen Ausstattung der OSZE gehört der Aufbau einer Infrastruktur zur Krisenprävention und zivilen Konfliktbearbeitung dazu. Daran müssen vor allem die Nichtregierungsorganisationen mitwirken. Wir erwarten, daß die neue Bundesregierung in großem Umfang die Errichtung flächendeckender Ausbildungseinrichtungen für Friedensfachkräfte fördert und die Friedens- und Konfliktforschung intensiviert.

2. Verbot von Landminen

Die neue Bundesregierung hat sich im Koalitionsvertrag verpflichtet, "besonders grausame Waffen wie Landminen weltweit (zu) verbieten". Das ist ein großer Fortschritt. Wir werden darauf achten und darauf drängen, daß die neue Bundesregierung die Bestimmungen des Ottawa-Vertrages in allen Punkten, einschließlich Unterstützung bei der zivilen Minenräumung und der Opferhilfe erfüllt und darüberhinaus Initiativen und Maßnahmen ergreift, um alle Arten von Landminen, einschließlich Panzerabwehrminen, Flächenverteidigungsminen und minenähnlicher Systeme (auch Submunitionen) international zu verbieten. Wir erwarten von der neuen Bundesregierung, daß sie keine Mittel für die Forschung, Entwicklung und Beschaffung neuer Minen bereitstellt und die Mittel für die zivile Minenräumung vervielfacht.

3. Eindämmung des weltweiten Kleinwaffenhandels

Die neue Bundesregierung hat sich verpflichtet, eine Initiative zur Kontrolle und Begrenzung von Kleinwaffen zu ergreifen. Wir begrüßen dies und erwarten von der neuen Bundesregierung, daß sie hierbei eine internationale Vorreiterrolle spielt und den Export deutscher Kleinwaffen und von Lizenzen, insbesondere des unangefochtenen deutschen Marktführers und globalen Exporteuers, Heckler&Koch, verbietet.

4. Verzicht auf militärische Ausstattungshilfe und Transparenzgebot

Wir begrüßen, daß die neue Bundesregierung die bestehenden Programme der militärischen Ausstattungshilfe überprüfen und grundsätzlich keine neuen Verträge in diesem Bereich abschließen will. Wir verlangen, daß die Prüfung bestehender Verträge uneingeschränkt mit dem Ziel erfolgt, alle Verträge umgehend zu kündigen.

Wir begrüßen ferner, daß der Rüstungsexport unter dem Transparenzgebot stehen soll und daß bei Rüstungsexportentscheidungen der Menschenrechtsstatus möglicher Empfängerländer als zusätzliches Entscheidungskriterium eingeführt werden soll. Wir verlangen, daß der Menschenrechtsstatus Hauptentscheidungskriterium wird und langfristig ein Verbot aller Rüstungsexporte angestrebt wird. Der jährlich dem Deutschen Bundestag vorzulegende Rüstungsexportbericht muß detaillierte Angaben über Umfang und Art der Exporte sowie die Namen aller Empfängerländer und die Namen aller Firmen enthalten, die Exportgenehmigungen beantragen.

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Friedensorganisationen zu Rot-Grün
Die geplante Aufnahme des Entwicklungshilfeministeriums (BMZ) in den Bundessicherheitsrat entspricht einer alten Forderung von Friedens-, Menschenrechts- und Entwicklungshilfeorganisationen.

5. Europäische Außen- und Sicherheitspolitik

Grundsätzlich ist es zu begrüßen, wenn die neue Bundesregierung die Gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) dazu nutzen will, in der EU ziviler Konfliktprävention und friedliche Konfliktregelung voranzubringen. Hierzu bietet die deutsche EU-Präsidentschaft im nächsten Jahre Chancen, die wahrgenommen werden müssen. GASP darf aber nicht zu einer Abschottung Europas gegenüber den Ländern des Südens führen und auf Kosten der Entwicklung dieser Länder in einer Politik der reinen Wohlstandswahrung bestehen. Die neue Bundesregierung sollte sich unserer Ansicht nach nur dann für eine Verstärkung der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungsidentität einsetzen, wenn gewährleistet ist, daß diese unter dem Primat des Zivilen und der Gewaltfreiheit steht, auf die Androhung und den Einsatz von Gewalt verzichtet und das solidarische und gleichberechtigte Miteinander der Nationen und Völker zum Ziel hat. Diesem übergeordneten Ziel sind wirtschaftliche Interessen unterzuordnen.

Erst-UnterzeichnerInnen (alphabetisch):

Stephan Brües, DFG-VK Infostelle, Velbert, Mitglied im Beirat für den Zivildienst --- Joachim Garstecki, Generalsekretär, Pax Christi, deutsche Sektion, Bad Vilbel --- Jürgen Grässlin, Dachverband Kritische AktionärInnen Daimler-Benz, Stuttgart --- Thomas Klein, Kampagne gegen Rüstungsexporte, Wiesbaden --- Andrea Kolling, BUKO-Kampagne: Stoppt den Rüstungsexport!, Bremen --- Günther Lott, Netzwerk Friedenssteuer, Rauenberg --- Henry Mathews, Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre, Köln --- Dr. Wolfgang Menzel, Rüstungs-Informationsbüro Baden-Württemberg (RIB e.V.), Freiburg i.Br. --- Stefan Philipp, DFG-VK Baden-Württemberg, Stuttgart --- Paul Russmann, Ohne Rüstung Leben, Stuttgart --- Renate Wanie, Werkstatt für gewaltfreie Aktion, Baden, Heidelberg.



E-Mail:   rib@gaia.de
Internet: http://www.geocities.com/rainforest/4872





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