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Krise in Mazedonien


vom:
02.08.2001


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Krise in Mazedonien:

  Hintergrund-Informationen

Der Kampf ein Groß-Albanien wird aus Westeuropa geschürt und finanziert

Die Mafia lässt befreien?

Johannes von Dohnanyi

Die Nato hat der serbischen Herrschaft über das Kosovo ein Ende gemacht. Doch seitdem hat der Konflikt zwischen Serben und Albanern in Südserbien und Mazedonien zu neuer Gewalt geführt. Dahinter stehen nicht nur Rufe nach Groß-Albanien, also der Vereinigung aller albanisch besiedelten Gebiete in einem Staat; eine Rolle spielt auch, dass einflussreiche Albaner am Drogenhandel über die Balkanroute verdienen. Albanische Nationalisten sind seit langem in ein Netz von Diaspora-Gruppen in Westeuropa und den USA eingebunden, und militante Formationen wie die UCK stehen in enger Verbindung zu Mafiosi, die das Kosovo und angrenzende Gebiete zu einer Drehscheibe des Drogenschmuggels gemacht haben.


Die Europäische Union und die Nato fordern in ihren Erklärungen zur jüngsten Frühlingskrise auf dem Balkan den Verzicht auf Gewalt als Instrument der Politik. Das einzig Neue an diesen Aufrufen ist der Adressat. Zehn lange Jahre wurden solche Sätze in erster Linie an das Regime des Serben Slobodan Milosevic gerichtet - und das vergeblich. Jetzt versucht die internationale Gemeinschaft mit ebenso geringem Erfolg, die albanische Minderheit in Serbien und Mazedonien zum friedlichen Dialog zu bewegen.

Kaum etwas spricht dafür, dass in diesem - vielleicht - letzten Kapitel der Neuordnung des Balkans weniger Blut fließen wird als auf dem zerstörerischen und gescheiterten Weg nach Groß-Serbien und Groß-Kroatien. Erstaunlich ist allein das allgemeine Erstaunen über die erneute Beschleunigung der Spirale der Gewalt. Was sich im südserbischen Presevo-Tal und im mazedonischen Grenzland zum Kosovo abspielt, ist keine obskure Laune weniger Extremisten. Das groß-albanische Menetekel stand seit Jahren unübersehbar an der balkanischen Wand. Nur wussten allzu viele die Sturmzeichen nicht zu deuten.

An einem heißen Sommertag des Jahres 1997 beugte sich der wegen Korruption aus dem Amt gejagte albanische Ex-Präsident Sah Berisha in Tirana über eine Landkarte, die die politische Geografie des Balkans auf den Kopf stellte. Mit der Spitze seines teuren Stifts fuhr er eine dicke rote Grenzlinie entlang, die von der Nordgrenze Albaniens quer durch Montenegro über die südlichen Regionen Serbiens und Bulgariens nach Mazedonien verlief und nach einem weiten Schlenker durch Griechenland schließlich wieder an der Südspitze Albaniens endete. Dies, erklärte Berisha dem Besucher, sei die seit dem Ersten Weltkrieg und mit dem Wissen der Siegermächte zerstückelte Heimat der Albaner: "Frieden wird es auf dem Balkan erst dann geben, wenn alle Albaner wieder vereint unter einem einzigen nationalen Dach leben." Der Besucher lächelte und schwieg höflich.

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Krise in Mazedonien
Im Sommer 1998 drängten sich auf der verrosteten Fähre nach Tropoje an der nordalbanischen Grenze zum Kosovo zwischen turmhoch beladenen Lastwagen ein schwarzer Mercedes aus Deutschland, ein Opel aus Holland, zwei Autos aus Dänemark, eins aus Schweden und ein Geländewagen aus der Schweiz. Junge Männer in schwarzen Lederjacken warfen misstrauische Blicke auf den Außenseiter an Bord. Von Waffentransporten zu den albanischen Rebellen im Kosovo wollten sie ebenso wenig wissen wie von Trainingslagern der Befreiungsarmee Ushtria Cirimtare e Kosoves (UCK) in den Bergen hinter Tropoje. Ob auch sie, wie tausende junger Albaner aus allen Teilen der Welt, hier für den kosovanschen Befreiungskrieg ausgebildet würden? Nichts als beredtes Schweigen. Schließlich der im Schatten der Kommandobrücke in bestem Schwäbisch erteilte leise Rat: "Wer nichts fragt, nichts sieht und nichts hört, lebt vor allem in Gegenden wie dieser lang und sicher." Und so sagte der neugierige Reisende auch nichts darüber, welche Chancen er den romantisch-kämpferischen Jungpatrioten auf dem Weg in eine blutige Lektion von Seiten des serbischen Militärs gab.

Im Mai 1999 unterbrachen vier Kondensstreifen über Mazedonien die improvisierte Lehrstunde über die groß-albanischen Träume. Von der Terrasse des Kaffeehauses in Tetovo aus verfolgten alle den Kurs der Nato-Flugzeuge auf dem Weg zum Einsatz über dem Kosovo. Lang genug habe das albanische Volk unter fremder Knechtschaft, gelitten, erklärte ein an einer Universität in Norddeutschland arbeitender mazedonischer Albaner dem Besucher in fließendem Deutsch. Seine Landkarte mit dem Umriss Groß-Albaniens reichte sogar bis nach Apulien in Süditalien: "Wo immer Albaner leben, ist Albanien." Seine Zuhörer klatschten begeistert Beifall. Vorsicht, warnte der zufällige Gast: "Der Kosovo-Einsatz der westlichen Soldaten ist nicht für die Albaner, sondern gegen Slobodan Milosevic." Die Geschichte, bekam er zur Antwort, werde sich nicht aufhalten lassen.

"Eine Einigung mit Belgrad?" fragte die junge Albanerin aus dem südserbischen Presevo-Tal entgeistert. "Die Serben sind unsere Unterdrücker. Sie werden sich nie ändern." Es war eine der Nächte im Frühherbst des Jahres 2000, in denen die Guerilla ihre Waffendepots aus dem Kosovo in den Süden Serbiens verlagerte. Die in diesem Abschnitt patrouillierenden US-Soldaten der Kfor-Friedenstruppe schienen die Waffentransporte zu dulden. Jedes Mittel war recht, um den Druck auf das Belgrader Regime zu erhöhen. Nur Monate noch, gab die Dolmetscherin sich siegessicher, bis die Serben aus dem Presevo-Tal vertrieben sein würden. "Wollt Ihr denn nach zehn Jahren Krieg den Balkan noch einmal in Brand setzen?", fragte der Reporter fassungslos. Nicht ein Jahrzehnt, sondern seit Jahrhunderten werde dieser Krieg geführt, erwiderte die Begleiterin: "Und er wird erst aufhören, wenn alles zu Ende ist."

Was wäre das Ende? "Wo bleibt das Selbstbestimmungsrecht der Völker?" fragte der albanische Bekannte aus Mazedonien im ersten März des neuen Jahrtausends empört am Telefon, als ihm jede Sympathie für die geisterhafte Nationale Befreiungsarmee in den Bergen über Tetovo verweigert wurde. Die Regierung in Skopje hatte ihre mehrfach angedrohte Offensive gegen die Rebellen begonnen. Die Kfor hatte - endlich - auf die Angriffe der albanischen Rebellen im Presevo-Tal und in Mazedonien reagiert und die Kontrolle der Grenzen verstärkt. Wenige Tage zuvor hatte die Nato der serbischen Armee auch die Rückkehr in einen Teil der Pufferzone erlaubt. "Wie schon nach dem Ersten Weltkrieg haben Europa und Washington die Albaner auch diesmal betrogen", sagte der Mann aus Tetovo. "Jetzt bleibt uns nur eine Wahl: Wir werden unsere Rechte mit Gewalt erkämpfen müssen."

Die Gedanken gingen zurück zu Sah Berisha und seiner als lächerlich abgetanen Landkarte: Korrupt? Sicherlich. Undemokratisch? Ohne jeden Zweifel. Aber auch ein unbelehrbarer Phantast aus einer in Europa vergangenen Epoche? Leider nicht! Berisha und mit ihm die außerhalb der albanischen Grenzen lebenden Albaner haben es immer gewusst: Die Geschichte mag zwischenzeitlich mit anderem beschäftigt sein. Vergessen tut sie nie.

Es hätte nicht allzu großer Anstrengung und vor allem nur geringer Phantasie bedurft, um zu wissen, dass mit dem Militäreinsatz der Nato im Kosovo und dem Ende der Regierung Milosevic das balkanische Pulverfass nicht entschärft sein würde. Denn die Zerstörung der jugoslawischen Föderation hatte zwar die Geburt von fünf neuen Staaten erlaubt - neben der Rumpf-Föderation von Serbien und Montenegro entstanden noch Bosnien und Herzegowina, Kroatien, Mazedonien und Slowenien. Doch ein zentrales Problem war wieder einmal ungelöst geblieben: die albanische Frage.

Sie geht auf das Ende des Osmanischen Reiches zurück. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren dessen Kräfte ausgelaugt. Im Oktober 1912 brach der erste Balkankrieg des 20. Jahrhunderts aus. Ein Jahr später hatten Serbien, Montenegro, Bulgarien und Griechenland die Besatzer so gut wie endgültig vom europäischen Kontinent verjagt. Mit einer Friedenskonferenz in London wurde das Ende des Türkenreichs definitiv besiegelt. Aus seinen Trümmern am südöstlichen Ufer der Adria formten die Sieger den albanischen Staat.

Er war eine gefährliche Missgeburt. Sechzig Prozent aller Albaner lebten nach den Beschlüssen der Konferenz von London nicht, wie erhofft, in einem eigenen Staat, sondern als misstrauisch kontrollierte Minderheit unter der Herrschaft anderer. Das mehrheitlich von Albanern besiedelte Kosovo fiel an das serbische Königreich. Mazedonien, Bulgarien und Griechenland teilten die übrigen albanischen Gebiete untereinander auf.

Die neuen christlich-orthodoxen Herren, die den Albanern den "verräterischen" Übertritt zum Islam nie verziehen hatten, sahen in ihrer Politik Integration nicht vor. Belgrad versuchte das Kosovo, in dem siebzig Prozent der unfreiwilligen Auslands-Albaner lebten, durch die massenhafte Umsiedlung von Bauern aus Serbien und Montenegro unter Kontrolle zu bringen. Nicht viel besser erging es den albanischen Minderheiten in Griechenland, Bulgarien und Mazedonien. Blutige Krisen waren damit vorprogrammiert.

Dokumente aus den Jahren des Zweiten Weltkriegs belegen, dass die Vorwürfe der Kollaboration mit den deutschen und italienischen Besatzungstruppen, die nach dem Krieg vor allem Serben immer wieder gegen die Albaner im Kosovo und den übrigen Gebieten erhoben, am Kernproblem vorbeizielen. Die Albaner schlossen sich Hitler und Mussolini weniger aus ideologischen Gründen an als in der Hoffnung, nach dem "verräterischen" Londoner Friedensschluss nun in Berlin und Rom Verbündete für einen vereinten und unabhängigen albanischen Staat gefunden zu haben.

Doch die Strafe für die Kollaboration mit den Besatzern war die mehr oder minder sanfte Vertreibung der albanischen Minderheiten. Zu Beginn der fünfziger Jahre ermutigte das jugoslawische Regime die Albaner im Kosovo und in Mazedonien, sich bei Volkszählungen als Mitglieder der türkischen Minorität registrieren zu lassen. In kaum vier Jahren verzehnfachte sich durch dieses bürokratische Wunder fast die offizielle Zahl der jugoslawischen "Türken". Über 150.000 "türkischen" Albanern wurde in den folgenden Jahren mit sanftem Nachdruck aus Belgrad "erlaubt", in die "Heimat" östlich des Bosporus auszuwandern. Viele blieben nicht in der Türkei, sondern zogen als Gastarbeiter weiter nach Westeuropa oder über den Atlantik nach Nordamerika. Hunderttausende mehr emigrierten auch aus Griechenland und später aus Bulgarien.

Beileibe nicht alle kamen aus politischen Gründen. Die meisten wollten die Chancen nutzen, die die boomenden Volkswirtschaften der westeuropäischen Demokratien boten. Und dass ihre Pässe sie als Türken, als Griechen und als Jugoslawen auswiesen, genügte den meisten ihrer Gastgeber - mehr wollten sie nicht wissen. Ihre wahre, die albanische Identität wurde erst mit dem Ende Jugoslawiens relevant, als ethnische und religiöse Gegensätze und Feindschaften auf dem Balkan zu Tage traten.

Zu Beginn der neunziger Jahre war die albanische Diaspora auf über eine Million Menschen angewachsen. Zwei Drittel von ihnen lebten in Westeuropa, vor allem in Deutschland und der Schweiz. Dreihunderttausend hatten den Weg nach Nordamerika gefunden. Zehntausende hatten sich in Australien niedergelassen.

Die Daheimgebliebenen wehrten sich gegen die ständige Repression vor allem dadurch, dass sie sich in die Geborgenheit ihrer gegen jede soziale Modernisierung weitgehend abgeschotteten Clangesellschaft zurückzogen. Zugleich begannen die radikalen Kräfte unter ihnen, sich mehr und mehr an Tirana zu orientieren. Treibende Kraft des radikal-kommunistischen Untergrunds im Kosovo war der Intellektuelle Adam Demaci, der nach den Studentenunruhen in Pristina von 1981 zu langjähriger Haft verurteilt wurde.

Auch die Albaner in der Diaspora hingen nostalgischen Erinnerungen an die Heimat nach. Ihre unerfüllten politischen Träume und Traditionen pflegten sie in nach außen hin unpolitischen kulturellen Vereinen. Dieses Netzwerk sollte sich in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre als äußerst effiziente Struktur bei der Rekrutierung freiwilliger Guerillakämpfer und deren Finanzierung erweisen. Zunächst einmal gingen aber junge Kosovaren - wie etwa der spätere UCK-Führer Hashim Thaci in der Schweiz - im europaischen Ausland zur Schule. Die von den Emigranten nach Hause geschickten Gelder garantierten dem von Belgrad vernachlässigten Kosovo, aber auch in den albanischen Dörfern Griechenlands einen ersten bescheidenen Wohlstand.

Der serbische Nationalismus des Slobodan Milosevic war dann der Funke, der die Albaner aus ihren Träumen riss und unausweichlich zur nationalistischen Kettenreaktion führte. Die Gesellschaft der Vereinigten Staaten hat sich - anders als die Regierung dort, die geostrategische Ziele verfolgt - ein Herz für den Freiheitswillen der in den USA vertretenen Minoritäten in ihren jeweiligen Herkunftsländern bewahrt. Als Slobodan Milosevic im Oktober 1989 vor dem Monument der historischen Schlacht auf dem Amselfeld den Serben im Kosovo die Befreiung; von der "Unterdrückung" durch die Albaner versprach und der Provinz ihre garantierten Autonomierechte nahm, war es eine Selbstverständlichkeit, dass die Proteste dagegen unter den Amerika-Albanern auf all gemeine Sympathie stießen.

Erheblich größer war der Schock in 6 Westeuropa. Hunderttausende Gastarbeiter, die bis in die achtziger Jahre entweder "Griechen" oder "Jugoslawen" gewesen waren, definierten sich plötzlich als Albaner mit für ihre Gastgeber zunächst unverständlichen eigenen politischen Zielen.

Das friedliche Gesicht des albanischen Widerstands bestimmte in der ersten Phase die öffentliche Debatte. Der schnell als "balkanischer Gandhi" apostrophierte Intellektuelle Ibrahim Rugova und sein gewaltfreier Widerstand gegen Belgrad ließen den Vertretern der kosovo-albanischen Diaspora in ihren Gastländern weiten Handlungsspielraum. Ein viel beachteter demokratischer Kontrapunkt zur serbischen Repression waren die 1991 im kosovarischen Untergrund organisierten freien Wahlen, die Rugova zum Präsidenten einer virtuellen Republik Kosova wählten Ihre Exilregierung unter Bujar Bukoshi etablierte sich in Bonn. Der Aufbau eines "parallelen" albanischen Staates im Kosovo mit eigenen Krankenhäusern, Schulen und sogar einer eigenen Universität wurde über ein Sondersteuer von drei Prozent auf das Einkommen der Diaspora-Kosovaren finanziert. Das erklärte Ziel Rugovas und mit ihm der Mehrheit der Kosovaren war zu diesem Zeitpunkt noch der Verbleib einer selbstständigen kosovarischen Republik in der jugoslawischen Föderation.

Doch während die Öffentlichkeit noch solchen Gesten der Solidarität applaudierte, registrierten die politischen Beobachter und Geheimdienste bereits erste Alarmzeichen. Sie hatten die Radikalisierung vor allem der jungen Exil-Kosovaren nach der blutigen Unterdrückung ihrer Studentenbewegung Anfang der achtziger Jahre nicht übersehen. Die Ermordung mehrerer jugoslawischer Politiker in Westeuropa ging auf das Konto ebenso konspirativer wie gewaltbereiter Gruppierungen wie der "Roten Nationalen Front", die von Deutschland aus operierte und sieh am stalinistischen Regime des albanischen Diktators Enver Hodscha orientierte. Die Antwort der jugoslawischen Geheimdienste war genauso brutal. Immer wieder kam es zu regelrechten Hinrichtungen exil-albaniseher Führer im europäischen Ausland.

Die Albaner im Kosovo mochten noch immer an ein friedliches Miteinander mit den Serben glauben. Unter den Exil-Kosovaren hingegen machte sieh nicht nur die Überzeugung breit, dass dies unmöglich sein werde. Sie begriffen die zunehmende Schwäche des historischen Feindes Serbien auch als die wahrscheinlich letzte Gelegenheit, die 1913 von der Friedenskonferenz in London verweigerte gesamt-albanisehe Unabhängigkeit zu erreichen.

Die Befreiungsarmee UCK, die Anfang der neunziger Jahre bei einem Treffen kosovarischer Rugova-Gegner in der Schweiz gegründet wurde, wurde im bayrischen Innenministerium frühzeitig als terroristische Organisation eingeschätzt. Wie die kurdische PKK, hieß es in einem vertraulichen Bericht, sei auch die UCK konspirativ organisiert und hermetisch abgeschirmt. Schon in diesem frühen Stadium tauchten Zweifel an der Version auf, die kosovarisehe Guerilla finanziere sich einzig über eine zunehmend brutal unter den Exil-Albanern eingeforderte Sondersteuer für die Sammelaktion "Die Heimat ruft". Denn in Deutschland und der Schweiz drängten Kosovo-Albaner auf den Drogenmarkt. In Italien übernahmen Albaner die Kontrolle über die Straßenprostitution.

Dennoch, und trotz starken Drucks aus Washington, war in diesem Stadium niemand bereit, die UCK offiziell mit dem Terror-Etikett zu brandmarken. Die Krisenszenarien drehten sieh allein um Slobodan Milosevic und sein Regime. Hätten die Regierungen Westeuropas und der USA den Balkan als Gesamtproblem begriffen und das Kosovo frühzeitig in ihre unzureichenden Konfliktlösungs-Versuche einbezogen - vielleicht hätte sieh der letzte Akt des Dramas verhindern lassen, der sieh jetzt entfaltet. Doch stattdessen erzwangen die Verträge von Dayton einen künstlichen und bis heute nicht gesicherten Frieden allein für Bosnien und Herzegowina. Slobodan Milosevie, zu Hause mit wachsender Opposition konfrontiert, öffnete im Winter 1996 das letzte für sein politisches Überleben verbliebene Sicherheitsventil. Für drei Jahre forcierte Belgrad die Kosovo-Krise.

Drei Jahre, die die auslandserfahrenen Kosovaren um Hashim Thaci geschickt zur Vorbereitung ihres militärischen Endziels nutzten. In Amerika wurden die Exil-Kosovaren Schritt um Schritt zu einer einflussreichen Lobby aufgebaut; mit den Unabhängigkeitsplänen ihrer Führer in Europa fand sie bei der US-Regierung und im Kongress zunehmend Gehör. Die politische Spitze der UCK arbeitete von Deutschland aus, die Geldeintreiber hatten ihren Sitz in der Schweiz. Und das militärische Oberkommando der kosovarischen Guerilla verlegte ihr Hauptquartier nach Tirana.

Spätestens im Sommer 1998 hatte Washington die Politik der Distanz zur kosovarischen Guerilla aufgegeben. Der US-Sonderbeauftragte Richard Holbrooke hatte sieh bei einem Besuch bei Hashim Thaei im UCK-Hauptquartier in der Nähe von Drenica von den demokratischen Zielen der Guerilla überzeugen lassen. Ob der erfahrene Diplomat sich von den Kosovaren wirklich hinters Licht führen ließ oder ob Washington die ideologischen Mängel der neuen Partner bewusst übersah, wird auf lange Zeit wohl noch Gegenstand heftiger Debatten bleiben.

Viel spricht dafür, dass die USA und ihre Verbündeten nur allzu genau wussten, mit wem sie sich da einließen. Die UCK, heißt es in einem geheimen Nato-Dokument, das den Regierungen von Polen und Ungarn Anfang 1999 zugestellt wurde, finanziere sich inzwischen vorwiegend über die Zusammenarbeit mit der organisierten Kriminalität. Über Albanien und Kroatien garantiere die UCK den Transport eines erheblichen Teils des Heroins, das aus dem Goldenen Halbmond - dem Anbaugebiet von Opium, das von Pakistan und Afghanistan über den Iran reicht und zunehmend die islamischen Republiken der ehemaligen Sowjetunion bis hin in die Türkei umfasst - nach Westeuropa kommt. Der Drogenprofit werde in die Bewaffnung der Guerilla investiert. Die UCK habe über den grauen und den schwarzen Markt Kontakt zu Waffen-Lieferanten in Zypern, Malta, Israel, Südafrika und einigen westeuropäischen Staaten aufgenommen.

Die perfekt eingespielte Operation machte selbst vor dem Missbrauch humanitärer Hilfsorganisationen nicht Halt. Mehrfach entdeckten italienische Fahnder etwa auf Lastwagen der bosnischen Caritas versteckte Waffenladungen. Eine in der Schweiz unter dem Namen des Ordens von Theresa von Kalkutta registrierte Organisation entpuppte sich als Umschlagplatz für Präzisionsgewehre und Drogen. Und ein in Mailand verhafteter kosovarischer Drogenboss bat seinen Richter um die Aussetzung seiner Strafe bis zum Ende des Kriegs. Seine Straftat wollte er in einer Fronteinheit der UCK "absitzen", für die er jetzt kein Geld mehr beschaffen können.

Trotz dieser Erkenntnisse wurde die UCK in die taktischen Überlegungen des Pentagon einbezogen. Im März 1999 schließlich setzte Washington gezielt auf das Scheitern der Friedenskonferenz von Rambouillet, um das Problem Milosevic über den Militäreinsatz der Nato ein für alle Mal zu lösen.

Das von der Nato erzwungene Ende der serbischen Herrschaft über das Kosovo hat weder zu einer Demokratisierung der Provinz noch zu einer Auflösung der kriminellen Strukturen der Kosovaren in Europa geführt. Das Machtvakuum, das nach dem Ende der Kampfhandlungen entstand, weil die europäischen Regierungen und die Vereinten Nationen nicht bereit waren, sofort die Verantwortung im de-facto- Protektorat zu übernehmen, wurde von Hashim Thaci und der UCK gefüllt. Auch wenn die Partei des moderaten Ibrahim Rugova aus den Gemeindewahlen als klarer Siege vorging, weigert sich die ehemalige Guerilla - notfalls auch mit nackter Gewalt -, die politische Kontrolle über das Kosovo geben. Mehrere Politiker aus Rugovas Umfeld wurden in den letzten Monaten kaltblütig ermordet.

Öffentlich - und unter Druck aus Brüssel und Washington - mag Thaci immer wieder Abstand von den Rebellen in Süd-serbien und Mazedonien nehmen. Tatsächlich ist das von ihm kontrollierte albanische Netzwerk in der Diaspora für den nächsten Schritt auf dem Weg nach Groß-Albanien längst wieder aktiviert worden. Der angebliche Kulturfonds "Die Heimat ruf hat neue Konten eröffnet. Und unter der Kosovaren in Westeuropa werden wieder Sondersteuern eingetrieben, diesmal für die Befreiung der "unterdrückten" Brüder im Presevo-Tal und in Mazedonien.

Doch es stellt sich die Frage, inwieweit der Kampf für Groß-Albanien nicht längst zum Ablenkungsmanöver geworden ist, um weit weniger edle Ziele zu vertuschen Freiheitskampf als billiges Alibi, um das lukrative kriminelle Netzwerk der kosovarischen Diaspora am Leben zu halten.

Es ist sicher kein Zufall, du. die Rebellionen zu einem Zeitpunkt ausbrachen, zu dem Mazedoniens Regierung den durch die Balkankriege provozierten Zustand allgemeiner Recht- und Gesetzlosigkeit überwinden wollte und in Belgrad ein demokratisch gewähltes neues Regime Fuß zu fassen versucht. Das südserbische Presevo-Tal und die albanischen Gebiete Mazedoniens sind die östlichen Stützpunkte der albanischen Drogenmafia, die mit den ehemaligen UCK-Spitzen eng kooperiert. Von hier aus kontrolliert sie die lukrative Drogenroute aus der Türkei nach Westeuropa. Mazedonien, Kosovo, Montenegro und Albanien gelten längst als gigantische Waschanlagen für die schmutzigen Profite des organisierten Verbrechens. Hier werden die Kontaktstellen zwischen der italienischen Mafia und dem islamischen Terrorismus vermutet. Unter den Augen der Nato-Truppen, warnt etwa Italiens oberster Mafia-Jäger Pierluigi Vigna, entstehen auf dem Balkan neue Narkokratien nach dem Vorbild Kolumbiens, die für die Stabilität des reichen westlichen Europa zur Gefahr werden könnten.

Der Krake, wie die Italiener die Mafia nennen, hat seine Tentakel längst in alle Regionen des Kontinents ausgestreckt. Im Schatten der albanischen Diaspora haben sich kriminelle Strukturen eingenistet. Geschützt werden sie durch die Organisation der albanischen Gesellschaft in Clans und den ihr Zusammenleben regelnden Kanun. Dieses die meisten Aspekte des Lebens regelnde "Grundgesetz" entstand nach dem vergeblichen Widerstand gegen die vorrückenden Türken gegen Ende des 14. Jahrhunderts im nördlichen Siedlungsgebiet er Albaner. Über Generationen hinweg wurde es nur mündlich weiter gegeben. Die erste vollständige, vom Franziskanerpater Shtjefen Gjecov gesammelte Niederschrift stammt aus dem Jahr 1931. Von Anfang an hatte der Kodex, der auf ebenso einfachen wie unmissverständlichen Regeln und drakonischen Strafen bis hin zur Blutrache basiert, eine Doppelfunktion. Mindestens ebenso wichtig wie der Frieden zwischen den Clans war ihre Abschottung nach außen.

Doch was in vergangenen Zeiten Sinn machte, kehrt sich in der modernen Welt vor allem gegen die Albaner selbst. Denn die antike Tradition, die schmutzige Wäsche der Clans nach den Regeln des Kanun und damit außerhalb der bestehenden Geize der demokratischen Gesellschaft zu waschen, kommt vor allem der organisierten Kriminalität zu gute. Die Sprach- und Kulturbarrieren, aber auch die Tatsache, dass viele Einwanderer nach dem Zusammenbruch Jugoslawiens und in Folge der Kriege illegal nach Westeuropa gekommen sind, hindert ihre Integration in die Gastgesellschaften. Ein Zustand, den sich wenige Banden und ihre oft zu allem entschlossenen Anführer skrupellos zu Nutze machen: Sie halten die große Mehrheit der Auslands-Albaner mit Terror und Gewalt in Schach.

Die Folgen der Unfähigkeit der Ermittler, diese Strukturen zu durchbrechen, sind in Italien bereits zu sehen. Von der anfänglichen Sympathie zuerst für die Albaner und später für die Kosovaren ist kaum noch etwas geblieben. In wenigen Jahren ist in der öffentlichen Meinung das Wort "Albaner" zum Synonym für Verbrecher geworden. Rückläufige Kriminalitätsraten der letzten Jahre werden nicht zur Kenntnis genommen. Ein irrationales Gefühl zunehmender Bedrohung breitet sich aus hat zu Rufen nach drakonischen Maßnahmen gegen "die Albaner" geführt, die von den rechtspopulistischen Parteien als Munition für den Wahlkampf begierig aufgenommen wurden. Politiker, die sich auf christliche und demokratische Werte berufen, haben gar den Schießbefehl für die Kriegsmarine gegen die albanischen Schlauchboote in der Adria gefordert, mit denen illegale Einwanderer, Drogen und Waffen nach Süditalien gebracht werden.

Das Zögern der westeuropäischen Regierungen, den Kampf gegen die kriminellen albanischen Strukturen auf dem Balkan ernsthaft aufzunehmen, gefährdet nicht nur die Friedensziele des Stabilitätspakts der Europäischen Union. Die Untätigkeit droht auch populistischen Rattenfängern in die Hände zu spielen, die auf der Welle gesellschaftlicher Ängste Stimmung machen gegen eine Integration Osteuropas insgesamt und der balkanischen Staaten im Besonderen.

Johannes von Dohnanyi ist Korrespondent der Züricher Wochenzeitung "Die Weltwoche" für Italien und den Balkan (
jvondohnanyi@weltwoche.ch).


Quelle: Der Überblick [http://www.der-ueberblick.de], 2/2001, S-22-27

E-Mail:   jvondohnanyi@weltwoche.ch
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