Naher Osten, Israel/Palästina

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25.07.2006


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 Archiv: Libanonkrieg 2006

Rede bei der Mahnwache vor dem Aachner Rathaus am 19.07.2006 um 18 Uhr

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

Otmar Steinbicker

ich freue mich, dass Sie trotz der Ferien, der Kürze der Zeit und der geradezu tropischen Hitze unserem Aufruf zu einer Mahnwache anlässlich des eskalierenden Krieges im Nahen Osten gefolgt sind. Ich habe heute den einen oder anderen Anruf bekommen von Aachener Bürgerinnen und Bürgern, die leider heute nicht an dieser Mahnwache teilnehmen können, die gerne dabei gewesen wären, die jetzt in Gedanken jetzt bei uns sind, so auch Ulla Schmidt, unsere Gesundheitsministerin.

Es sind schreckliche Szenen, die wir an unseren Fernsehgeräten verfolgen, tödliche Bombardements der israelischen Armee auf Wohnviertel in Beirut, Katjuscha- und Raketenangriffe der Hisbollah auf den Norden Israels, dramatische Szenen bei den Flüchtlingstrecks im Libanon in Richtung syrische Grenze - Tote, Verletzte, traumatisierte Kinder, der ganze Schrecken des Krieges. Und darüber gerät fast in Vergessenheit der brutale israelische Militäreinsatz im Gaza-Streifen.

In diesen dramatischen Stunden und Tagen steht der Aachener Friedenspreis fest an der Seite seiner israelischen Preisträgerinnen und Preisträger.



Uri Avnery, der Mitbegründer des israelischen Friedensblocks "Gush Shalom",



die "Frauen in Schwarz" die jetzt fast täglich in Tel Aviv gegen den Krieg ihrer Regierung demonstrieren.



Nabila Espanioly, die in Nazareth, im Norden Israels, lebt und streitet, unweit der Raketeneinschläge der Hisbollah, und deren Freunde, die arabischen Staatsbürger Israels zumeist keine Bunker und Schutzräume haben



Reuven Moskovitz, der immer wieder auf Vortragsreisen durch Deutschland zieht, um für deutsches Engagement zur Lösung des Nahostproblems zu werben.


Mit allen von ihnen hatten und haben wir in diesen Tagen engen, fast täglichen Kontakt per Email oder per Telefon.

Gemeinsam mit ihnen rufen wir in diesen Stunden dazu auf, die Trauer über die Opfer des Krieges in Protest zu verwandeln.

Wir müssen unsere Bundesregierung drängen, nicht länger tatenlos der Eskalation der Gewalt im Nahen Osten zuzusehen, sondern sich mit aller Kraft und mit allem diplomatischen Geschick einzusetzen



für einen sofortigen, bedingungslosen Waffenstillstand



für den Rückzug der israelischen Truppen aus dem Libanon und dem Gaza-Streifen



für ein Ende der Abriegelung der palästinensischen Gebiete



und selbstverständlich für die sofortige Freilassung der als Geisel genommenen israelischen Soldaten.


Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

Als unsere israelischen Preisträgerinnen und Preisträger von unserer heutigen Mahnwache erfuhren, haben sie mich gebeten, herzliche Grüße auszurichten an die Teilnehmer der Aktion, an ihre Aachener Freundinnen und Freunde Uri Avnery, in Deutschland geboren, als Kind vor den Nazis ge?ohen, Of?zier im israelischen Unabhängigkeitskrieg, ehemaliger Abgeordneter des israelischen Parlaments, der Knesset, mit über 80 Jahren noch immer aktiver Journalist, Aachener Friedenspreisträger 1997 schreibt uns:

Ich möchte mich aus tiefstem Herzen bei allen denen bedanken, die in dieser schweren Stunde ihre Solidarität mit den leidenden Menschen im Libanon, in Israel und in Palästina bekunden. Ihr Handeln ist besonders wichtig, weil Europa in dieser Krise so jämmerlich versagt. Wieder einmal schaut die Welt zu, während Schreckliches passiert.

Die Krise im Libanon ist eine Folge des Kon?iktes zwischen Israel und Palästina.

Es gibt nur einen Weg, um eine Fortsetzung dieses Unheils zu verhindern: Aufhören zu schießen, Verhandlungen aufnehmen, Frieden schließen. Das ist möglich!

Dafür kämpfen die konsequenten israelischen Friedensbewegungen, die jetzt täglich gegen den Krieg demonstrieren.

Verhandlungen müssen geführt werden zwischen den gewählten Regierungen beider Seiten. Das heißt:

mit der demokratisch gewählten palästinensischen Regierung. Ja, auch mit Hamas.

Es gibt keine Lösung außer einem gerechten Frieden zwischen Israel und Palästina: dem Ende der Besatzung, einem Staat Palästina neben dem Staat Israel, der Grünen Linie von 1967 als Grenze, Ost- Jerusalem als Hauptstadt Palästinas, einer gerechten und praktischen Lösung für die palästinensischen Flüchtlinge von 1948 und 1967.

Reuven Moskovitz, Holocaust-Überlebender, Mitbegründer des Friedensdorfes Neve Shalom/ Wahat al Salam in Israel, in dem israelische Juden und Palästinenser gleichberechtigt zusammen leben, Aachener Friedenspreisträger 2003 schreibt:

Liebe Freundinnen und Freunde,

ich begrüße Eure Entscheidung, zu dieser Mahnwache aufzurufen, um gegen den verbrecherischen Krieg, den unsere israelischen Machthaber absolut maßlos und willkürlich entfacht haben, zu protestieren.

Ich bedauere es zutiefst, dass sich meine Behauptung immer wieder bestätigt, dass die militärischen und politischen Machthaber Israels seit der Staatsgründung keine Gelegenheit verpasst haben, einen Krieg anzufangen, mit der Absicht, jede Friedensaussicht zu zerstören. Das meinte ich, wenn ich wie- derholt geschrieben habe, dass man sich keine Hoffnung auf Frieden machen kann angesichts einer hoffnungslosen Politik.

Die Behauptung, dass Israel das Recht hat, sich mit allen Mitteln zu verteidigen, ist schon lange eine abgedroschene Lüge. Man entfacht keinen Krieg, der drei Völker in einen Wirbel von Gewalt, Mord und Zerstörung verstrickt, um drei Menschen zu retten. Das ist nur der sichere Weg, diese drei Menschen zum Tode zu verurteilen. Genau so machen es der israelische Geheimdienst, der militärische Generalstab und die mithinkenden Politiker, wie z.B. der angebliche "Friedensvisionär" Shimon Peres mit den palästinensischen Widerständlern, die sie zum Tode verurteilen und ohne Rechtsgrundlage hinrichten.

Ich prangere das an, auch wenn ich diese Art von Widerstand nicht rechtfertigen kann.

Ihr wisst, dass ich seit Jahren Deutschland und die friedfertigen Deutschen gegen diese Art von Verbrechen mobilisiere und zum Widerstand gegen das Töten von Palästinensern, Libanesen und Juden aufrufe.

Eine israelische Historikerin, Edit Zertal, schreibt in ihrem Buch " Die Nation und der Tod - der Holocaust in der israelischen Öffentlichkeit" den folgenden zutreffenden Satz: "Mit Hilfe von Auschwitz, Israels ultimativer Trumpfkarte bei seinen Beziehungen zu einer Welt, die immer aufs Neue als antisemitisch und auf ewig feindselig de?niert wurde, immunisiert sich Israel selbst gegen jedwede Kritik und genehmigt sich einen quasi sakrosankten Status, verschloss sich einem kritischen, rationalen Dialog mit seiner Umwelt"

Ich rufe Euch auf, alles nur Mögliche zu tun, um die noch höhere Mauer als die Gefängnismauer, hinter der man die Palästinenser einsperrt - die Mauer des Schweigens - zu durchbrechen. Jeder Mensch, der zu diesem Verbrechen, dass sich in Palästina, Libanon und Israel abspielt, schweigt, macht sich mitschuldig.

Euer Reuven

Nabila Espanioly, Palästinenserin und Christin, israelische Staatsbürgerin, Vorsitzende der palästinensisch- jüdischen Frauengruppe für Menschenrechte, Mozavar, Aachener Friedenspreisträgerin 2003

Lieber Otmar,

Danke, es ist sehr hilfreich zu wissen, dass es Leute wie Dich und deine Mitstreiter gibt, die weiter arbeiten, damit alle Menschen in Frieden und Gerechtigkeit leben können.

Liebe Friedensaktivisten,

Liebe Freunde,

In diesen Tagen, wo es so aussieht als ob der Donner der Kanonen alles andere übertönt, ist es so wichtig, die Stimmen all der Menschen unüberhörbar zu machen, die wissen, dass Krieg keine Probleme löst, sondern nur hundert andere Probleme erzeugt.

Das israelische Militär hat im Libanon eine Spur der Zerstörung hinter sich gelassen, hunderte Tote und Verletzte, tausende Menschen, die Ihre Häuser verlassen mussten und Zu?ucht suchen in Schulen, Kirchen und Moscheen, Menschen, die ohne Strom und Wasser leben müssen, die den Libanon nicht verlassen wollen oder können. Diese Menschen brauchen unser Solidarität und unsere Forderung:

Stoppt die Zerstörung, stoppt diesen Krieg, stoppt den Staatsterror.

Die Stimmen der Vernunft werden in diesen Tagen in Israel nicht gehört. Es sind die Stimmen von hunderten Friedensaktivisten - Juden und Arabern - die täglich demonstrieren gegen diesen Krieg. Sie fordern alle Vernünftigen in der Welt auf, mit einzustimmen in die Forderungen: "Verhandlungen: Ja!

Kriege: Nein! Verhandeln: Jetzt!"

Es sind die Stimmen der einfachen Menschen in Israel, die nicht zu Worte kommen. Die Stimmen von hunderten und tausenden Menschen, die Tag und Nacht in Bunkern und Schutzräumen verbringen. Die Stimmen der Palästinenser in Israel, in deren Häusern es meistens keine Schutzräume gibt und in deren Dörfern der Staat keine öffentlichen Bunker und Schutzräume gebaut hat. Es sind die Stimmen der Verletzten, die mit uns rufen: Stoppt diesen Krieg!

Es sind die Palästinenserinnen und Palästinenser im Gaza-Streifen, die weiterhin Tag und Nacht unter israelischen Luftangriffen sterben, die aus Mangel an Medikamenten und ärztlicher Versorgung sterben, die im größten Gefängnis der Welt leben. Sie rufen alle Menschen in der Welt auf, Druck auszuüben auf Israel, um diesen Terror zu stoppen.

Ich schließe mich all diesen Stimmen an und ich rufe euch - liebe Freunde in Aachen - auf, weiter Druck auszuüben auf Ihre Bundesregierung und auf das Europäische Parlament, damit sie dazu beitragen, Frieden zu schaffen in unserer Region. Es gilt, Israel und die Hisbollah zu Verhandlungen zu motivieren, statt zum Schusswaffengebrauch.

Unsere Forderungen sind: Sofortiger Stopp aller militärischen Aktionen im Libanon, in Israel und in Palästina.

Verhandlungen mit der Palästinensischen Regierung mit dem Ziel der Beendigung der Okkupation und der Bildung eines Palästinensischen Staates neben Israel.

Verhandlungen mit Hisbollah, um die Geiseln und die Gefangenen zu befreien.

Verhandlungen mit Libanon und Syrien, um Frieden zu schaffen.

Solidarische Grüße

Nabila Espanioly aus Nazareth

Soweit die Stimmen unserer Aachener Friedenspreisträger aus Israel.

Stimmen, die uns mahnen, Stimmen, die uns persönlich fordern, Stimmen, die uns aber auch Mut machen.

Denn wir brauchen angesichts dieses siebzigjährigen Kon?ikts, dieses sechzigjährigen Krieges - unterbrochen bestenfalls durch längere Phasen Waffenstillstand ohne dauerhafte Friedenslösung einen langen Atem und wir müssen weiter denken, über den heutigen Tag, die nächste Woche, den nächsten Monat hinaus.

Uri Avnery hat mit seinen heutigen Worten an uns hier in Aachen Recht: Frieden schließen ist möglich!

Lange schien der Kon?ikt zwischen Israel und den Palästinensern nicht lösbar, zu konträr und sich gegenseitig ausschließend lauteten die Forderungen beider Seiten. Real waren tiefe Verletzungen, manchmal theatralisch war der verbale Schlagabtausch. Nur leise waren die Stimmen der Vernunft.

Es war Uri Avnery, der in den 80er Jahren als erster Israeli öffentlich mit Yasser Arafat zusammentraf, um nach Lösungen zu suchen. Zu einer Zeit als Kontakte mit der PLO für einen Israeli noch strafbar waren. Und es war Fatih Arafat, der Bruder des PLO-Vorsitzenden, der mir Mitte der 80er Jahre in einem Gespräch unter vier Augen die Bereitschaft der PLO signalisierte, Israel anzuerkennen - unter der einzigen Bedingung, dass auch Israel bereit sei, das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser anzuerkennen.

Of?ziell lautete die PLO-Position in dieser Zeit noch: Keine Anerkennung Israels!

Es dauerte bis 1993, bis der ehemalige General Yitzak Rabin und der ehemalige Guerillakommandant Yasser Arafat sich die Hand gaben und diese gegenseitige Anerkennung aussprachen.

Von den Hoffnungen, die auf beiden Seiten danach aufkeimten, ist wenig geblieben. Den vertrauensbildenden Maßnahmen des Händedrucks und des Osloer Abkommens ist kein Vertrauen gefolgt, kein ernsthaftes Verhandeln über den endgültigen Status eines palästinensischen Staates. Aber es gibt realistische Lösungsansätze für den scheinbar so unlösbaren Kon?ikt. Im November 2003 stellten prominente israelische und palästinensische Persönlichkeiten in Genf einen mutigen, weit reichenden Vorschlag für ein unterzeichnungsreifes Abkommen vor, das realistische und für beide Seiten akzeptable - wenn auch schmerzhaft akzeptable - Kompromisse enthält. Der Aachener Friedenspreis hat diese Genfer Initiative vom ersten Augenblick an unterstützt.

Wenn irgendwann ein Friedensabkommen zwischen einer israelischen und einer palästinensischen Regierung geschlossen werden wird, dann wird der Text dieses Abkommens nicht weit von dem Text dieser Genfer Initiative entfernt sein können.

Aber ein solches Abkommen passt jenen nicht ins Konzept, die keine Kompromisse eingehen, sondern ihre Maximalpositionen durchsetzen wollen, zu jenen gehört die derzeitige israelische Regierung, zu jenen gehören derzeit Hisbollah und Hamas.

Wer aber eine Lösung für den Nahostkon?ikt will, muss mit ihnen verhandeln, mit der israelischen Regierung, mit der Hisbollah und mit der Hamas. Das wird nicht einfach sein, aber einen anderen Weg gibt es nicht!

Der Aachener Friedenspreis hat mit der Auszeichnung an Uri Avnery, an die "Frauen in Schwarz", an Nabila Espanioly und an Reuven Moskovitz internationale Verantwortung übernommen und wir werden mit den uns zur Verfügung stehenden Kräften versuchen, dieser Verantwortung gerecht zu werden.

Schon heute helfen wir der israelischen Friedensbewegung dabei, Kontakte zu den deutschen Medien zu knüpfen, um auch die Stimme des anderen, des friedensbewegten Israel in unserem Land zur Geltung zu bringen. Aktuell vergeht kein Tag ohne konkrete Vermittlung von Interviewwünschen für Zeitungen,

Radio- und Fernsehsender.

Jetzt geht der Aachener Friedenspreis einen großen Schritt weiter. Wir laden unsere israelischen Friedenspreisträger und Vertreter der Palästinenser zu einer Nahostkonferenz nach Aachen ein. Hier sollen sie im Gespräch miteinander, aber auch mit Politikern, Journalisten, Wissenschaftlern und Vertretern der deutschen und europäischen Friedensbewegung die Möglichkeiten sondieren für eine Trendwende weg von der Waffengewalt hin zum Dialog am Verhandlungstisch. Und das wird nicht nur eine Aufgabe für Israelis und Palästinenser sein. Da sind auch wir gefordert - in Deutschland und in Europa - in der Politik, in den Medien und in der Öffentlichkeit, den Druck von außen zu entfalten, der offensichtlich nötig ist, um die israelische Regierung, die Hamas und die Hisbollah an den Verhandlungstisch zu bringen und zu Verhandlungsergebnissen zu kommen.

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

so, wie Sie sich nicht von der Hitze abhalten ließen, hier heute an der Mahnwache teilzunehmen, so rechne ich fest mit ihrer Unterstützung für dieses Projekt.

Israel und der Nahe Osten brauchen eine starke Friedensbewegung und diese braucht eine starke Unterstützung aus Europa, aus Deutschland, aus Aachen. Und gerade auch deshalb braucht Aachen einen starken Aachener Friedenspreis!



Otmar Steinbicker ist Vorsitzender des Aachener Friedenspreis.

E-Mail: steinbicker (at) aachener-friedenspreis (Punkt) de

Website: www.aachener-friedenspreis.de
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