Naher Osten, Israel/Palästina

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25.07.2006


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 Archiv: Libanonkrieg 2006

Rede für die Kundgebung am 22. Juli 2006 in Bonn

Stoppt Israels Krieg in Libanon und Palästina

Karin Leukefeld

"(.) Eine Märtyrerin, Tochter einer Märtyrerin, Tochter eines Märtyrers und Schwester eines Märtyrers und Schwester einer Märtyrerin, Schwiegertochter der Mutter eines Märtyrers, Enkelin des Großvaters eines Märtyrers, Nachbarin des Onkels eines Märtyrers und so weiter und so fort . Und keine dieser Nachrichten stört die zivilisierte Welt, denn die Zeit der Barbarei soll vorbei sein, und den Namen des Opfers kennt gewöhnlich keiner, das Opfer, wie die Wahrheit, ist relativ, und so weiter und so fort . (.)".

(Mahmoud Darwish, Belagerungszustand *)

Über Medien in Zeiten des Krieges **

Die öffentliche Meinung in einem Krieg ist wichtig für Regierungen, ob sie direkt oder auch nur indirekt daran beteiligt sind. Die deutsche Regierung ist seit dem Krieg gegen Jugoslawien wieder an Kriegen beteiligt - doch hierzulande bezeichnet man diese Einsätze lieber als "Friedensmissionen". Bei diesem Krieg im Libanon sind zwar nicht deutsche Soldaten, doch deutsches Geld und deutsche Waffen im Einsatz - auf Seiten Israels, das den Libanon am 12. Juli ohne Vorwarnung überfiel und in nur einer Woche die gesamte Infrastruktur des Landes zerstörte, bis heute 350 Zivilisten tötete und fast 1 Millionen Menschen zu Flüchtlingen im eigenen Land machte.

Regierungen, die direkt oder indirekt an Kriegen beteiligt sind, brauchen eine entsprechende Berichterstattung und so werden Medienanstalten, Rundfunk, Fernsehen, Zeitungen und die Journalisten - ob gewollt oder ungewollt - zu einem Instrument der Kriegsberichterstattung. Medien sind, wie ein deutscher Kollege es neulich beschrieb, die "vierte Waffengattung", Journalisten sind, wie ein arabischer Kollege es beschrieb, Soldaten in einem Krieg.

Vor, während und nach Kriegen spielen auch Geheimdienste eine große Rolle. Geheimdienstmitarbeiter treten als Geschäftsleute, humanitäre Helfer, als Soldaten oder politische Analysten auf, besonders gern schlüpfen sie in die Rolle eines Journalisten, was wirkliche Journalisten einer zusätzlichen Gefährdung aussetzt. Erinnern Sie sich noch daran, als Anfang des Jahres (im Internetdienst der Tagesschau) darüber berichtet wurde, wie Mitarbeiter des deutschen Auslandsgeheimdienstes, des Bundesnachrichtendienstes, BND, getarnt als Journalisten, im ehemaligen Jugoslawien Angehörige eines Inhaftierten in Guantanamo interviewt haben? Sie erzählten der Ehefrau des Mannes, das Interview sei für eine deutsche Tageszeitung, deren Redaktion allerdings die beiden "Journalisten" gar nicht kannte. Andere Journalisten haben, als freie Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes, aus Afghanistan und Irak berichtet und nicht nur das, sie haben andere Journalisten auch ausgehorcht.

Ich bin selber freie Journalistin und berichte aus Ländern des Mittleren Ostens. Daher weiß ich, wie gefährlich das Vorgehen nationaler Geheimdienste für unsere Arbeit ist, mindestens ebenso gefährlich, wie das der Militärs. Es untergräbt journalistische Glaubwürdigkeit. Zeiten des Krieges - und in solchen leben wir - erfordern besondere Maßnahmen, so die Reaktion der Regierungen. Für Journalisten bedeutet das, besonders wachsam zu sein und die eigene Arbeit immer wieder zu hinterfragen. Im Sommer 2003, als ich in Basra/Südirak den Presseoffizier der britischen Truppen dort zu einem Interview traf, begrüßte dieser mich freundlich mit den Worten: "Ohne Sie, die Journalisten und Medien, hätten wir diesen Krieg so schnell nicht gewinnen können.

Die Idee des "Eingebetteten Journalismus" war eine hervorragende Idee."

Eingebetteter Journalismus schließt unabhängige Berichterstattung aus. Das schrieb kürzlich auch eine US-amerikanische Kollegin, die 45 Tage lang für die Nachrichtenagentur Reuters im US-Stützpunkt im irakischen Tikrit "stationiert" war: "Ich war ein Sprachrohr des Militärs", so ihr Fazit.

Eingebettete Journalisten gibt es zur Zeit im Libanon nicht, hier bestimmt das israelische Militär selbst die Berichterstattung. Es stellt Filmaufnahmen vom Truppenaufmarsch an der israelischlibanesischen Grenze oder aus Cockpits von F16-Kampfbombern zur Verfügung, die von den Fernsehstationen übernommen und übertragen werden. An diese Militärberichterstattung haben sich viele Kolleginnen und Kollegen schon gewöhnt, das Material wird, ebenso wie die Stellungnahmen der Militärs, übernommen. So auch die Begründung, Israel kämpfe im Libanon gegen die Hisbollah und damit gegen Syrien und Iran, die die Hisbollah militärisch und finanziell unterstützten. Der Ehrenkonsul Israels in Washington, dessen Namen ich leider nicht notiert habe, ging in der BBC sogar so weit, zu sagen, Israel tue Libanon einen Gefallen mit seinen Angriffen gegen die Hisbollah.

Immerhin hätte die Hisbollah ja den Libanesen den großartigen Tourismusboom dieses Sommers verdorben! Berichte über israelische Opfer der Katjuscha-Raketen fehlen nie, doch was erfahren wir über die israelische Friedensbewegung, die bereits zum dritten Mal am heutigen Samstag in Tel Aviv eine Demonstration gegen den Krieg im Libanon macht?

Korrespondenten haben für ihre Berichte aus der Region in der Regel nur wenige Minuten. Im Fernsehen sollen sie in zwei Sätzen prägnante Aussagen zum Geschehen machen, eine unmögliche Aufgabe ist das, wie ich meine. Analysten und Experten versorgen uns dann aus den hiesigen Studios mit Hintergrundwissen.

Ausführlich erörtern sie in Talkshows, Kommentaren oder Interviews, dass Syrien und Iran, zusammen mit den "radikal-islamischen Organisationen Hisbollah und Hamas" die Achse des Bösen bilden im Mittleren Osten, gegen die Israel jetzt kämpft. Es gibt Ausnahmen ja, aber die Mehrheit spiegelt genau diese Sichtweise aus unterschiedlichen Perspektiven wieder.

Wie oft aber kommen arabische Analysten oder Politiker zu Wort? Nicht nur solche, die im westlichen Ausland leben, sondern auch solche aus den Ländern selber? Aus Libanon, Palästina, aus Syrien oder Iran? Was wissen wir eigentlich über diese Länder?! Was wissen wir darüber, wie die Menschen dort denken, was wissen wir über Hisbollah und Hamas?

Wussten Sie, dass Hisbollah im Jahre 1982 entstand, als Antwort auf die israelische Besatzung des Libanon? 18 Jahre hielt Israel den Südlibanon besetzt und es war nicht zuletzt der bewaffnete Widerstand der Hisbollah, der Israel im Jahre 2000 schließlich zum Rückzug zwang.

Und die Hamas? Erinnern Sie sich, dass die Hamas erst vor kurzem bei transparenten, demokratischen Wahlen von den Palästinensern zur Regierung gewählt wurde? Wahlen, die von internationalen Wahlbeobachtern begleitet wurden? Erinnern Sie sich, dass Israel sich fast umgehend weigerte, der Hamas die ihr zustehenden Gelder weiter zu leiten, die EU sich anschloss und zugesagte Hilfs- und Unterstützungsgelder einfror? Erinnern Sie sich, dass die Entführung des israelischen Soldaten geschah, nachdem israelisches Militär fast eine ganze palästinensische Familie am Strand von Gaza durch einen Raketenangriff auslöschte?

Die Medien vermitteln in einem überwiegenden Maße die Interpretation Israels, die Luftangriffe würden Libanon und der libanesischen Regierung helfen, die UN-Resolution 1559 umzusetzen, in der es heißt, dass Milizen im Libanon, also die Hisbollah, entwaffnet werden sollen. Es heißt, die UN sei zu schwach dazu, ebenso wie die libanesische Regierung, die israelische Armee müsse also nachhelfen. Hört sich an wie ein Freundschaftsdienst.

Erfahren wir aus den Medien aber auch, dass Israel seit 1948 eine Fülle von UN-Resolutionen schlicht und ergreifend ignoriert hat? Und dabei immer von den USA unterstützt wurde? Erfahren wir, dass die israelische Luftwaffe UN-Stützpunkte im Südlibanon angreift? Wussten Sie, dass im Jahre 1996 bei einem israelischen Luftangriff auf den UN-Stützpunkt bei Qana fast 200 Libanesen ums Leben kamen, die dort gerade vor diesen Angriffen Schutz gesucht hatten?! Ein Bild ging damals - zumindest durch die arabischen Medien. Das Bild eines blutigen Babykörpers, dem bei dem Luftangriff der Kopf abgetrennt worden war. Haben Sie aus den Medien erfahren, dass erst vor wenigen Tagen ein gezielter Luftangriff Israels zwei UNMitarbeiter und vier weitere Personen in ihrem Haus tötete? Bis heute waren UN-Mitarbeiter nicht in der Lage, die Leichen zu bergen, weil ständig neue israelische Angriffe in der Region geflogen werden.

Haben Sie davon gehört, dass in der Stadt Tyros, die 80 Leichen libanesischer Zivilisten in einem Massengrab beerdigt wurden? Dass eine deutsch-libanesische Familie in ihrem Ferienhaus in einem südlibanesischen Dorf bei einem Luftangriff getötet wurde und nur der Sohn den Angriff schwer verletzt überlebte? Wussten Sie, dass Krankenhäuser angegriffen wurden, Brücken, Straßen, Tankstellen, Elektrizitätswerke? Dass alle drei Häfen Libanons angegriffen wurden, Fernseh- und Mobilfunkantennen zerstört wurden? Mindestens eine Kirche und eine Mosche wurden schwer beschädigt. Die größte Molkerei des Landes wurde zerstört, eine Papierfabrik, eine Fabrik zur Herstellung von Medikamenten - und so weiter und so fort .

Jetzt hat sich Israel bereit erklärt, einen "humanitären Korridor" zu öffnen, d.h. teilweise die Blockade des Hafens von Beirut aufzuheben, um Flüchtlinge aus- und Hilfsgüter der UN einschiffen zu lassen. Was aber ist mit den Zivilisten im Süden, die von Israel per Flugblättern und Lautsprecher erst aufgefordert werden, ihre Dörfer zu räumen, und dann auf der Flucht von der Luftwaffe angegriffen und in vielen Fällen getötet werden?

Wussten Sie, dass Syrien allein 150.000 libanesische Flüchtlinge aufgenommen hat, Tendenz steigend? Sie versorgt mit Unterkunft, Lebensmittel und medizinischer Hilfe? Zypern soll für die Aufnahme der aus Libanon geflohenen Ausländer jetzt finanzielle Hilfe der EU erhalten, wer unterstützt Syrien?

Berichterstattung hängt davon ab, welche Fragen man stellt. Ich frage Sie heute: Beantworten die Fernseh- und Radioberichte zum Krieg im Libanon, zur Lage im Mittleren Osten Ihre Fragen? Wenn nicht, stellen Sie Ihre Fragen den Medien, den Redaktionen, greifen Sie ein, rufen Sie an, schreiben Sie Leserbriefe, damit die Redaktionen und die Journalisten auch in Zeiten des Krieges die Chance und den Druck bekommen, ihre eigene Arbeit immer wieder neu zu überprüfen!

Zum Abschluss möchte ich Ihnen die Meinungen arabischer Medien über diesen Krieg nicht vorenthalten. Sie betreffen uns, hier, in der westlichen Welt. Sie sind ein Zeugnis von Zynismus, Wut und Enttäuschung.

In der saudischen Webzeitung "Arab News" erschien ein Cartoon, der das Verhältnis der Internationalen Gemeinschaft und Israel beschreibt. Ein menschlicher Körper im Anzug ist da abgebildet, auf einem Namensschild ist zu lesen "Internationale Gemeinschaft". Doch dort, wo normalerweise ein Kopf auf dem Körper sitzt, ist nur ein Halsstumpf zu sehen, der Körper ist kopflos. Stattdessen steckt in dem Stumpf eine israelische Fahne.

In Kommentaren wird deutliche kritisiert, dass die westliche Welt nicht in der Lage sei, Israel für sein Vorgehen zu verurteilen. In der libanesischen Daily Star heißt es im Editorial, der (israelische) "Überfall auf Libanon verhöhne die Genfer Konvention", die als Lehre aus dem Zweiten Weltkrieg seit 1949 den Schutz der Zivilbevölkerung in Kriegszeiten regeln sollte. Viele Kommentatoren und Analysten sind sich einig, dass das Vorgehen Israels nicht nur den islamischen Terrorismus, sondern auch die Hisbollah stärken werde. Besonders scharf wird USPräsident George W. Bush kritisiert.

In der Tageszeitung Al Hayat ist man sich sicher, dass Israel nicht ohne die Zustimmung der USA den Angriff auf Libanon gestartet habe. Mit Blick auf Irak und Palästina heißt es weiter: "Es ist nicht das erste Mal, das die US-Administration ungeachtet der Konsequenzen handelt, die die Situation weiter verkomplizieren."

Monatelang habe Bush scheinbar die Souveränität Libanons (gegen Syrien) verteidigt, jetzt "unterstützt er die blutige Aggression Israels gegen die Unabhängigkeit und Souveränität Libanons." Diese bittere Ironie stachele "den Hass der Araber gegen die US-Politik nach zweierlei Maß zu handeln weiter an, nicht nur im Libanon, sondern in der ganzen Region." Ebenfalls in Al Hayat wird die Arabische Liga für ihre Untätigkeit kritisiert. Sie sei diplomatisch und politisch schwach, militärische Kraft sei ohnehin nicht vorhanden. Den Friedensprozess im Mittleren Osten als "gescheitert" zu erklären, während die Libanesen mit Raketen und Bomben überschüttet werden, sei ein falsches Zeichen. Mit Blick auf den G 8-Gipfel in St. Petersburg wird in Al Hayat kritisiert, dass "die G 8-Staaten (sich) nicht im Geringsten von der Katastrophe, die das libanesische Volk getroffen hat, berührt zeigten." Dieser Krieg Israels werde mit Unterstützung der internationalen Gemeinschaft geführt. Die Zerstörung ziviler Infrastruktur, das Morden der Zivilbevölkerung, Hubschrauberangriffe auf Flüchtlingskonvois - das alles sei nicht Terrorismus, sondern "das Recht Israels, sich selbst zu verteidigen", wie der amerikanische Präsident sage. Auf diese internationale Gemeinschaft brauche man keine Hoffnungen zu setzen, sie habe "jeden Anschein von Gewissen und Verständnis für Menschlichkeit und Gerechtigkeit verloren."

Das, meine Damen und Herren, liebe Bonnerinnen und Bonner, betrifft auch uns hier in Bonn, einer Stadt, die sich seiner internationalen Kontakte rühmt, Sitz vieler Organisationen ist, die in aller Welt arbeiten. Die Vereinten Nationen haben erst vor wenigen Tagen ihr Büro im ehemaligen Regierungsviertel bezogen. Was also sagt Bonn, was sagen die Bonner gegen Israels Krieg im Libanon?



Anmerkungen:

* Mahmoud Darwish, Belagerungszustand (Die Texte entstanden im Jahr 2002 während der monatelangen Belagerung Ramallahs und des Hauptquartiers von Präsident Yassir Arafat im Frühjahr 2001, in deren Verlauf Darwishs Arbeitsplatz, das Sakakini-Kulturzentrum in Ramallah, beschossen und sein Büro von israelischen Soldaten verwüstet wurde)

** Bearbeitete Rede von Karin Leukefeld (Journalistin) auf der Kundgebung des Bonner Friedensbündnisses gegen den Krieg im Libanon und Gaza am 22. Juli 2006



Karin Leukefeld ist freie Journalistin aus Bonn.
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