Naher Osten, Israel/Palästina

update:
08.08.2006


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 Archiv: Libanonkrieg 2006

Rede für die Friedenskundgebung am 5. August 2006 in Kassel

Frieden im Nahen Osten

Werner Ruf

"Das Existenzrecht des Einen kann und darf nicht auf der Verweigerung des Existenzrechts der Anderen fußen"

Die seit drei Wochen andauernde und sich täglich verschärfende Gewalt im Libanon muss gestoppt werden. Dafür stehen wir hier. Und dafür appellieren wir vor allem auch an die Bundesregierung, ihren Einfluss geltend zu machen, um einen sofortigen Waffenstillstand zu erreichen, das wechselseitige Morden zu beenden, den Rückzug der israelischen Armee hinter ihre Staatsgrenzen zu fordern.

Was im Libanon seit drei Wochen geschieht, kann wohl kaum etwas mit der anfänglichen Begründung der Invasion zu tun haben, nämlich der Befreiung zweier gefangen genommener israelischer Soldaten. Vielmehr ist dies ein Angriffskrieg, dessen erklärtes Ziel es ist, die libanesische Bevölkerung dazu zu bringen, ihrerseits die Hizbullah zu bekämpfen, eine legale Partei des Libanon, die in Regierung und Parlament vertreten ist. Käme es dazu, würde der Libanon abermals in einen verheerenden Bürgerkrieg gestürzt. Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg, die Zerstörung der Infrastruktur eines souveränen Landes, die Bombardierung ziviler Ziele mit inzwischen weit über 1.000 zivilen Toten und Tausenden Verletzten, sind nichts Anderes als Staatsterrorismus! Dieser brutale Einsatz von Gewalt wird nur weitere Gewalt produzieren.

Die Tatsache, dass Israel seine Aggression ungestraft und unwidersprochen fortsetzen kann, zeigt dass sie in Absprache und im Einverständnis mit den USA durchgeführt wird. Dieser Krieg wird propagandistisch begleitet mit dem konstruierten Argument, die Hizbullah sei nichts anderes als der verlängerte Arm iranischer Einmischung im Vorderen Orient - eine These, die sogar die Frankfurter Allgemeine Zeitung in ihrer heutigen Ausgabe bezweifelt. Damit erhält dieser Krieg sein wahre Dimension: Die provozierte Explosion der Gewalt, die Beschwörung iranischer Verantwortung für den von Israel begonnenen Krieg ist nichts Anderes als die propagandistische Vorbereitung eines weiteren Angriffskrieges: des geplanten Krieges der USA gegen den Iran, der vielleicht stellvertretend von Israel geführt werden soll. Nach Afghanistan, Irak und jetzt Libanon ginge so die gesamte Region in Flammen auf. Gerade deshalb ist die Bundesregierung gefordert, ihren Einfluss in Washington geltend zu machen, um einen Flächenbrand der Gewalt zu verhindern!

Nirgendwo sonst auf der Welt werden Menschenrechte und Völkerrecht derart mit Füßen getreten wie gerade in dieser Region. Und dies geschieht auch noch unter dem Vorwand, den Menschen dort solle Demokratie gebracht werden! Wen wundert es, dass solch unrechtmäßige Gewalt weitere Gewalt hervorbringt? Dass Staatsterrorismus ungestraft praktiziert werden darf, gewaltförmiger Widerstand, der sich seinerseits terroristischer Mittel bedient, aber allein und ausschließlich verurteilt wird? Wenn Recht nicht mehr auf dem Gleichheitsgrundsatz basiert, verliert es seine Gültigkeit. Recht ist dann nicht mehr Recht, sondern Faustrecht. Hier werden nicht nur tausende unschuldiger Menschen bestialisch ermordet, hier wird auch eine Rechtsordnung, das Völkerrecht, vernichtet, für dessen Errichtung und Durchsetzung seit über einhundert Jahren gekämpft wurde!

Niemand hier spricht dem Staat Israel sein Existenzrecht ab! Aber auch die anderen Staaten und Völker der Region haben das Recht in Sicherheit zu leben, ihre Regierungen selbst zu wählen - ob und das passt oder nicht! Und wer die besondere Verantwortung Deutschlands für Israel beschwört, muss wissen, dass solche Verantwortung niemals den Bruch des Rechts rechtfertigen kann. Verantwortung für Israel heißt dann, nicht durch Krieg und Mord und die Duldung aller Verletzungen der Normen der Zivilisation die Sicherheit Israels zu schaffen, sondern durch die Gewährleistung der Sicherheit aller Staaten und Menschen in der Region. Das Existenzrecht des Einen kann und darf nicht auf der Verweigerung des Existenzrechts der Anderen fußen. Das ist die Voraussetzung für einen umfassenden und dauerhaften Frieden im Nahen Osten.

Deshalb fordern wir:



Eine sofortigen Waffenstillstand im Libanon ohne Vorbedingungen;



den Rückzugs der israelischen Armee aus dem Libanon;


den endgültigen Rückzug Israels aus dem Gaza-Streifen;



die Anerkennung der frei und demokratisch gewählten palästinensischen Regierung;



den Rückzug Israels aus den 1967 besetzten Gebieten;



die Schaffung eines souveränen und lebensfähigen palästinensischen Staates;



die Rückgabe der völkerrechtswidrig besetzten Golanhöhen;



das Ende der militärischen Interventionen der USA und ihrer Verbündeten in der gesamten Region;



die Einsetzung einer Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit, die umfassend die Probleme der Region löst und im Rahmen eines Systems der kollektiven Sicherheit allen Staaten der Region Sicherheitsgarantien gibt;



Langfristiges Ziel dieser Konferenz muss die Schaffung einer atomwaffenfreien Zone in der Region sein - die beste Garantie der Sicherheit aller Staaten.


Die militärischen Interventionen der vergangenen Jahre haben nichts bewirkt außer einer Eskalation der Gewalt. Es ist doch in Afghanistan, im Irak wie im Nahen Osten mit Händen zu greifen: Nicht militärische Gewalt, Unterdrückung und Folter sichern den Frieden, sondern die Anerkennung der Rechte der Anderen und ihres Rechts auf Selbstbestimmung. Selbstbestimmung ihrer politischen Ordnung und Selbstbestimmung über ihre ökonomischen Reichtümer! So wie die USA nicht in der Lage sind, im Irak und anderswo den Frieden herbei zu bomben, so wird Israel begreifen müssen, dass seine Sicherheit nicht seiner Militärmacht und seinem Status als drittgrößte Atom-Macht der Welt geschuldet ist, sondern dem friedlichen Zusammenleben mit den Menschen und Völkern der Region. Die Sicherheit Israels ist nur zu gewährleisten durch die Sicherheit seiner Nachbarn!



Prof. Dr. Werner Ruf war bis 2003 Professor für Internationale Politik an der Uni Kassel und Mitglied der AG Friedensforschung.

E-Mail: werner_ruf (at) gmx (Punkt) net

Website: www.werner-ruf.net
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