Naher Osten, Israel/Palästina

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14.08.2006


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 Archiv: Libanonkrieg 2006

Rede auf der Kundgebung der Demonstration gegen Krieg im Nahen Osten am 10. August 2006 in Bremen

Liebe Teilnehmer der Demonstration,
liebe Zuhörerinnen und Zuhörer,

Hartmut Drewes

Neuaufnahme: Bitte bearbeiten!

über vier Wochen führt Israels Regierung Krieg gegen den Libanon, noch länger gegen die Palästinenser in Gaza. Dieser zweite Krieg, über den nur am Rande berichtet wird, findet im Schatten des ersten statt. Ich weiß nicht, wie viele Tote dort inzwischen zu beklagen sind.

Im Libanon ist die Zahl von tausend Toten längst überschritten. Weit über neunhundert von ihnen sind Zivilisten, davon etwa 280 Kinder unter 12 Jahren. Die Zahl der Verletzten geht in die Tausende. Auf der Flucht sind Hunderttausende, etwa ein Viertel der ganzen Bevölkerung.

Die Hilfsorganisation Caritas International hat kürzlich gesagt, dass das Land vor einer humanitären Katastrophe stehe. Zerstört wurden nicht nur Wohnungen, sondern Krankenhäuser, Straßen, Brücken, Kraftwerke. Durch die Bombardierung eines Kraftwerkes wurde eine Umweltkatastrophe herbeigeführt. An 120 Kilometer libanesischer und syrischer Küste breitet sich ein Ölteppich mit giftigen Substanzen aus. 60 Prozent der Krankenhäuser werden bald nicht mehr funktionstüchtig sein, da ihre Stromgeneratoren nicht mehr betrieben werden können. Es kann kein Öl geliefert werden. Am Montag ist die letzte intakte Verkehrsroute zu den am meisten leidenden Menschen im südlichen Libanon gekappt worden. Konvois mit Lebensmitteln, Medikamenten und Treibstoff können nicht in den Süden gelangen. Das liegt nicht nur an den zerstörten Brücken.

Vorgestern teilte die israelische Armee mit, dass Schießbefehl auf alle Fahrzeuge im Südlibanon gegeben sei.

Ich könnte jetzt noch einige der vielen Tragödien beschreiben, die sich für viele Familien im Libanon ergeben haben. Aber ich breche hier ab.

Das alles macht uns Ältere hilflos, uns Ältere, die wir selbst Krieg und Kriegsfolgen noch erlebt haben, als Kinder und Jugendliche. Besonders hilflos sind wir deswegen, da sich die entscheidenden Staaten nicht zu einer Friedensfront wie damals in der Antihitlerkoalition zusammenschließen, sondern tatenlos zusehen oder gar das Morden und Brennen unterstützen. Es deutet einiges darauf hin, dass seit längerem diese beiden Kriege von Israel gemeinsam mit den USA geplant worden sind. Davon berichtet nicht nur ein Artikel der San Francisco Chronicle vom 21. Juli, sondern das sagen auch die Friedenskräfte in Israel. Ja, das macht uns hilflos. Was sollen wir noch tun? Hilflos macht uns auch, dass die deutsche Regierung Waffenlieferungen an Israel möglich macht, besonders Panzer und U-Boote werden geliefert. Noch die Schröder-Regierung hat den Export von zwei weiteren U-Booten genehmigt. Nicht nur, dass dieser Export uns Steuerzahler 330 Millionen Euro kostet - denn unser Staat übernimmt ein Drittel der Kosten - nein, diese Schiffe, die mit Atomwaffen ausgerüstet werden können, verstärken die Gefahr, dass die Lage im Nahen Osten weiter destabilisiert wird und ein Inferno entstehen kann. Und noch eine dritte Bemerkung: Wie will der Außenminister Steinmeier als Vermittler wirken, wenn Deutschland Israel massiv aufrüstet?! Er kann für die Palästinenser und Libanesen kein ehrlicher Makler sein.- Ja, das alles macht hilflos.

Um so mehr sind wir den Jüngeren unter uns dankbar, die vor 14 Tagen im Internet eine Demonstration gegen diese Kriege gefordert haben. Genauso dankbar sind wir den Black Women aus Jerusalem und Haifa, die uns per Internet aufgefordert haben, dass wir uns mit ihren Friedensbemühungen solidarisieren. Deswegen haben wir unsere Hilflosigkeit überwunden. Deswegen sind wir hier heute zu dieser Demonstration zusammen gekommen. Wir freuen uns, dass Libanesen und Palästinenser unter uns sind. Und wir drücken Ihnen unser Mitgefühl für das Leid aus, das diese Völker nicht erst jetzt, sondern schon seit Jahrzehnten ertragen müssen.

Die offiziellen Gründe für die beiden militärischen Offensiven Israels in Gaza wie im Liba

non waren die Gefangennahmen von israelischen Soldaten, zusammen drei. Aber sie sind nicht die wahren Gründe. Das wird allein schon daran deutlich, dass die israelische Bevölkerung sich zu 58 Prozent dafür aussprach, dass durch einen Gefangenenaustausch der Konflikt beigelegt werde. Aber die Regierung wollte das nicht. Die Gefangennahme des israelischen Besatzungssoldaten Shalid in Gaza war nur ein willkommener Anlass, diese Offensive in Gaza zu beginnen. Ihr wahrer Grund lag darin, dass einen Tag zuvor Hamas, Fatah und andere palästinensische Fraktionen sich über eine Zweistaatenlösung geeinigt hatten. Und eine Zweistaatenlösung bedeutet praktisch eine Anerkennung des Staates Israel von Seiten der Palästinenser. Das war eine Gelegenheit für Frieden. Aber die israelische Regierung hat sie abgelehnt, ebenso auch George W. Bush.

Israels Regierung antwortete auf diesen Friedensschritt mit Raketen, Panzern und Flugzeugen. So sagte es kürzlich die in Deutschland lebende Israelin Felicia Langer.

Von dem israelischen Soldaten Shalid wird nicht mehr gesprochen. Das Töten und Zerstören in Gaza aber wird fortgesetzt. Palästinensische Minister werden inhaftiert, kürzlich auch der Parlamentspräsident.-

Der Zwischenfall, bei dem die Hisbollah zwei israelische Soldaten gefangen genommen hatte, ist noch nicht geklärt. Aber es gibt Anzeichen dafür, dass sich die israelischen Soldaten bei der Gefangennahme auf libanesischem Gebiet befanden. Aber ganz gleich, wie es geschehen ist und ob wir diese Aktion für sinnvoll halten: Auch diese Gefangennahme war für die israelische Regierung ein Anlass, gegen den Libanon loszuschlagen. Nicht die Befreiung ihrer Soldaten war das Ziel - von ihnen wurde bald nicht mehr geredet. Dieser nach eigenen Worten der israelischen Armee seit Jahren vorbereitete Krieg soll den Libanon "in den Zustand vor 20 Jahren zurückbomben". So wörtlich der israelische General Dan Halutz. Zugleich, so hat sich der israelische Publizist Uri Avnery geäußert, soll damit auch die Souveränität des libanesischen Staates zerstört werden, sozusagen ein Schritt in die Richtung der Veränderung des Nahen Osten, wie ihn sich die USA vorstellen. Man möchte sich dieses Gebiet, das für den Rohstoff Öl so wichtig ist, durch Installieren von Marionettenregierungen für seine Interessen sichern. Aber das wird nicht gelingen. Die Situation im Irak macht das überdeutlich. So sagte jemand kürzlich: "Auch wenn sie den Libanon dem Erdboden gleichmachen, haben sie dabei nichts gewonnen." Frieden wird so nicht einkehren.

Im Gegenteil: Der Hass wird weiter verstärkt. Und aus dem Hass gegen Unterdrückung und Militärherrschaft sind z. B. die Organisationen Hamas und Hisbollah entstanden. Beide sind die Kinder israelischer Besatzungspolitik. Besatzung ruft Widerstand hervor. Wer kann es den Menschen verdenken, sich zu wehren. Das sagen wir, ohne uns mit ihren Aktionen ohne weiteres zu identifizieren.

Nächstes Jahr werden es 40 Jahre, dass Israel die palästinensischen Gebiete besetzt hält. Ich kenne keine Parallele dafür, dass ein Land solange besetzt gehalten wird, wenn wir einmal vom Kolonialzeitalter absehen.

40 Jahre Besatzung sind 40 Jahre tiefste Demütigung,

sind 40 Jahre Unterdrückung.

40 Jahre lang wird Land geraubt, werden jüdische Siedlungen errichtet, wird palästinensische Heimat zerstückelt.

In 40 Jahren wurde ein soziales Elend herbeigeführt.

Bei 70 Prozent liegt die Arbeitslosigkeit der Palästinenser, in den palästinensischen Lagern z. T. bei 90 Prozent.

Ein palästinensischer Bauer hat nicht einmal das Recht, einen Brunnen auf eigenem Boden zu bauen. Und für das Wasser muss er dreimal mehr bezahlen als ein jüdischer Siedler in der Nachbarschaft.

Durch die Besatzung wurden viele Menschen umgebracht.

Politische Führer der Palästinenser wurden immer mehr durch militärisch gezielte Maßnahmen liquidiert.

Fast Zehntausend befinden sich in israelischen Gefängnissen, Palästinenser, auch Libanesen. Es gibt fast 1000 von Israel Entführte. Sie bleiben ohne Gerichtsverfahren, sind Gefangene in Administrativhaft.

Das alles und anderes mehr kann Israel keine Sicherheit bringen. Auch die Mauer wird es nicht schaffen. So kann kein Vertrauen wachsen.

Wir sind nicht gegen Israel. Wir treten für das Existenzrecht dieses Staates ein. Aber genauso erwarten wir auch von Israel, dass es den Palästinensern ihr Existenzrecht zusichert und ihre Existenz in der von ihnen gewählten Form respektiert, so auch die Mitwirkung der Hamas und der Hisbollah bei den Regierungsgeschäften. Übrigens verlangen wir das auch von der Bundesregierung. Es ist schon dreist, Kontakte mit der Hamas-Regierung abzulehnen, da man sie in die Kategorie "Terrororganisation" einstuft. Mit welchem Recht, fragen wir. Aber so war das oft. So wurde einst auch der ANC mit Nelson Mandela an der Spitze tituliert, genauso die SWAPO in Namibia, die Frente Frelimo in Mosambique und die MLVA in Angola, die für die Befreiung von Apartheid und Kolonialismus kämpften.

Es gibt zwei Grundvoraussetzungen für ein neues Verhältnis zwischen Israel und seinen Nachbarn. Und die sind: Ein Ende des Krieges und ein Ende der Besatzung. Diese Schritte werden von der israelischen Regierung verlangt. Das sind auch die Forderungen unserer Freunde in der Friedensbewegung in Israel. Ich nenne hier nur einige Namen von ihnen: der Publizist Uri Avnery, Gila Svirsky, die vor wenigen Jahren im Bremer Rathaus zusammen mit der palästinensischen Friedensaktivistin Sumaya Farhat-Naser mit dem "Bremer Solidaritätspreis" ausgezeichnet wurde.

Ich nenne Hannah Safran, eine von den Black Women in Haifa, der Partnerstadt Bremens, die mit anderen Frauen zusammen täglich für das Ende des Krieges demonstriert. Sie schrieb kürzlich: "Der Krieg muss enden. Jede Minute zählt, denn Menschenleben sind in Gefahr. Tut alles, um diesen Wahnsinn zu beenden." Ich nenne auch den Rabbiner Jeremy Milgrom in Jerusalem, der erst vor wenigen Monaten in Bremen dargelegt hat, dass die beste Zukunft der Völker Palästinas und Israels in einem gemeinsamen Staat liegt. Das wirkt jetzt unrealistisch, ist aber, glaube ich, wirklichkeitsnäher als eine irrationale Kriegspolitik.

Ich ende mit zwei Versen aus einem Gedicht "Worauf es ankommt" von Erich Fried:



... es kommt darauf an
nicht nur klagend oder erstaunt
den Kopf zu schütteln
über diese Verr+brechen
sondern endlich
etwas dagegen zu tun.

Es kommt nicht darauf an
Was man ist
Moslem, Christ, Jude, Freigeist:
Ein Mensch
der ein Mensch ist
kann nicht schweigen
zu dem was geschieht.

... es kommt darauf an
nicht nur klagend oder erstaunt
den Kopf zu schütteln
über diese Verr+brechen
sondern endlich
etwas dagegen zu tun.

Es kommt nicht darauf an
Was man ist
Moslem, Christ, Jude, Freigeist:
Ein Mensch
der ein Mensch ist
kann nicht schweigen
zu dem was geschieht.



Hartmut Drewes ist aktiv beim Bremer Friedensforum.

E-Mail: hartmut_drewes (at) web (Punkt) de

Website: www.bremerfriedensforum.de
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