Naher Osten, Israel/Palästina

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30.08.2006


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 Archiv: Libanonkrieg 2006

Quelle: taz, 29.8.2006, Seite 12,

Der Feind meines Feindes

Marcel Pott

Die strategische Allianz zwischen Syrien und Iran hält - trotz ideologischer Gegensätze. Um Syrien aus dem Bündnis zu lösen, muss man mit dem Regime in Verhandlung treten.

Der Krieg im Libanon hat deutlich gemacht, dass die von George W. Bush zur "Achse des Bösen" erklärte Allianz zwischen Iran und Syrien mittlerweile ein echter Machtfaktor ist. Dabei passen die ungleichen Bettgenossen in Damaskus und in Teheran auf den ersten Blick so gar nicht zusammen: In Syrien herrscht ein säkulares Regime, das sich die panarabisch-sozialistische Ideologie der Baath-Partei auf seine Fahnen geschrieben hat und Islamisten im eigenen Land als seine Todfeinde betrachtet. Im Iran hingegen sind schiitische Geistliche am Ruder, die der "Herrschaft des Gottesgelehrten" folgen und dessen Legitimation direkt von Gott ableiten. Die beiden Regime sind einander so wesensfremd, dass nur geopolitische Interessen Iran und Syrien verbinden können.

Jüngst warnte der syrische Präsident Baschar al-Assad, die Stationierung von UN-Truppen an der libanesischen Grenze werde als "feindlicher Akt" betrachtet. Fragt sich nur, ob Syrien tatsächlich noch so viel Störpotenzial besitzt, wie es gerne vorgibt. Lange schon benutzte Syrien die Hisbollah-Miliz im Libanon, um Israel an seiner Nordgrenze unter Druck zu setzen, ohne selbst ein militärisches Risiko einzugehen. So machte man Israel klar, dass es für die Besetzung der Golanhöhen einen hohen Preis zahlen müsse.

Auch wenn Syrien im vergangenen Jahr seine Besatzungstruppen aus dem Libanon abziehen musste und sein Einfluss auf die Hisbollah gemindert wurde, seine Schlüsselrolle blieb bestehen: Die Hisbollah braucht Syrien weiterhin als Transitland für seinen militärischen Nachschub. Vor allem aber war und ist es der gemeinsame Feind Israel, der diese "Interessengemeinschaft" geformt und in einer "destruktiven Realpolitik" vereint hat.

Nun lässt sich kaum sagen, dass die "Gottesstaatler" der Hisbollah und die Baath-Sozialisten in Syrien Brüder im Geiste wären. Das gilt auch für die strategische Partnerschaft zwischen Damaskus und Teheran, die auf den Vater des heutigen syrischen Präsidenten zurückgeht. Nach der Islamischen Revolution im Iran 1979 ging der alte Hafis al-Assad auf Ajatollah Chomeini zu, um einen Verbündeten gegen Saddam Hussein zu gewinnen; beide sahen in ihm eine Bedrohung ihrer Sicherheit. Israel war der zweite gemeinsame Feind dieser ungleichen Partner - und, nicht zu vergessen, die USA.

Als Israel 1982 den Libanon angriff, um die PLO von dort zu vertreiben und eine israelfreundliche Regierung in Beirut zu installieren, war Syrien froh über das Hilfsangebot aus Teheran: Gemeinsam hob man die Hisbollah aus der Taufe, die heutige Massenbewegung der libanesischen Schiiten. Ali Akbar Mohtaschemi, damals Botschafter des Iran in Damaskus, war 1982 der Geburtshelfer der "Gottespartei". Mit Billigung der Syrer stationierte er einige hundert "Revolutionswächter" in Baalbek, und die kampferprobten Revolutionswächter begannen mit der Ausbildung der "Soldaten Gottes", kurz nachdem die israelische Armee den größten Teil des Libanon besetzt hatte. So wuchs die Hisbollah zu Israels gefährlichstem Gegner heran.

Heute hoffen die Herrscher in Syrien und im Iran, dass sich die USA im Irak eine blutige Nase holen und damit die Lust an weiteren Regime Changes verlieren, denen sie selbst zum Opfer fallen könnten. Teheran diente der Kampf der Hisbollah gegen Israel auch dazu, die Islamische Revolution des Iran in den Augen der sunnitischen Araber als gesamtislamisches Unternehmen erscheinen zu lassen. Darüber hinaus wollte der Iran damit jeden Nahost-Friedensprozess unterlaufen - auch weil die Mullahs fürchteten, ein Frieden zwischen Israel und den Arabern würde den iranischen Gottesstaat auf die Dauer isolieren.

Bis heute bildet die Hisbollah für Teheran ein vielfältig einsetzbares Instrument der "Abschreckung" - vor allem für den Fall eines US-Angriffs auf den Iran. Dies erklärt auch die Haltung der USA im Libanonkrieg: Die Bush-Regierung zögerte die Waffenruhe so lange hinaus, weil sie hoffte, die israelische Armee könne die militärischen Strukturen sowie das von iranischen Ingenieuren gebaute unterirdische Bunkersystem der Hisbollah zerstören. Für Syrien diente die Hisbollah vor allem dazu, Israel dahin zu bringen, die syrischen Gebietsansprüche am Verhandlungstisch zu befriedigen; bislang erfolglos. Heute, wo Damaskus über keine Truppen mehr im Libanon verfügt, ist die Hisbollah der letzte syrische Trumpf, um die Entwicklung in seinem Sinne zu beeinflussen.

Doch heute, da die Hisbollah eine "libanesische Identität" besitzt und über großen Einfluss bei den Schiiten im Lande verfügt, ist sie eher ein gleichberechtigter Partner Syriens als dessen regionaler Handlanger. Hinzu kommt, dass die "Gottespartei" in allen ideologisch und strategisch wichtigen Fragen dem Iran folgt. Die Syrer sind in dieser Allianz folglich zum Juniorpartner geworden: Sie sind es, die iranische Hilfe brauchen, wenn Israel oder die USA sie bedrohen sollten.

Klar ist indes, dass Syrien vom Ausgang des Libanonkrieges und der politischen Stärkung der Hisbollah profitieren will. Wäre Damaskus also eventuell bereit, die Partnerschaft mit Iran gegen einen substanziellen Dialog mit den USA einzutauschen? Offenbar geht es Syrien darum, seine internationale Isolation zu beenden. Damaskus will eine Garantie, dass George W. Bush auf Dauer davon ablässt, einen Regimewechsel zu betreiben. Außerdem verlangt es die Zusicherung, dass seine "besondere Rolle" im Libanon akzeptiert wird; zumindest will man in Beirut keine Regierung dulden müssen, die gegen ihre Interessen agiert. Und schließlich fordert Damaskus die Rückgabe der Golanhöhen von Israel.

Wenn die USA, Europa und nicht zuletzt Israel klären wollen, ob Syrien tatsächlich zum Partner für einen Frieden werden könnte, dann müssen sie mit dem Regime in Damaskus reden - unabhängig davon, ob Baschar al-Assad aus taktischen Gründen seine antiisraelische Rhetorik pflegt. Im Kern geht es ihm nur um eines: Er will die Macht seines Clans und seines Regimes sichern. Um Prestigeverluste zu vermeiden, müssen solche Verhandlungen aber fern der Öffentlichkeit auf dem Wege der Geheimdiplomatie erfolgen. Vielleicht sollten die EU und die USA erwägen, den Kreml einzuschalten, um Damaskus zu einem konstruktiven Kurs zu bewegen. Putins Russland beliefert Syrien mit Waffen, ist schon seit den Zeiten des Kalten Krieges der alte Schutzpatron der Syrer und sucht nach Wegen, zumindest teilweise seinen verlorenen Einfluss im Nahen Osten zurückzuerlangen. Eine Garantie, dass sich Syrien dafür vom Iran löst, gibt es allerdings nicht.

Der Iran ist - dank der Politik der USA - inzwischen zur einflussreichsten Macht in der Region aufgestiegen. Und wenn die USA weiter "Poker spielen", während der Iran "Schach spielt", wie es im jüngsten Bericht von Chatham House - einer der führenden britischen Denkfabrik - heißt, dann wird der iranische Einfluss noch weiter wachsen. Für den Westen sind das keine schönen Aussichten.



Marcel Pott, geboren 1946, war lange Jahre Korrespondent und Leiter des ARD-Hörfunkstudios Nahost, heute lebt er als Publizist in Bonn. Zuletzt erschien von ihm "Schuld und Sühne im Gelobten Land" (KiWi, 2004).

E-Mail: info (at) marcel-pott (Punkt) de
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