NATO goes East:
Wiederaufnahme der atomaren Ost/West-Konfrontation verhindern

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Militär- und Machtpolitik


Überblick NATO-Ost-
erweiterung

von Xanthe Hall

Die geplante Osterweiterung der NATO hat für Verstimmung, teilweise sogar für neue Vorbehalte gegenüber dem Westen gesorgt. Dies berichteten Kollegen unserer russischen Sektion der "Ärzte gegen Atomkrieg" (IPPNW) unlängst während eines internationalen Workshops in Berlin.

Die Befürchtung der Russen wird genährt durch die Tatsache, daß NATO-Mitgliedsstaaten in aller Regel verpflichtet sind, die Stationierung von Atomwaffen auf ihrem Territorium zu akzeptieren. Aus diesem Grund könnten neue Mitgliedsstaaten der westlichen Verteidigungsallianz dazu benutzt werden, nukleare Sprengköpfe aus westlichen Arsenalen dichter an die Grenzen Rußlands heranzuführen.

Vor dem Hintergrund dieses bedrohlichen Szenarios entschieden die Teilnehmer des Berliner Workshops, sich in der Öffentlichkeit massiv für eine atomwaffenfreie Zone in Zentral- und Osteuropa einzusetzen und damit präventiv gegen die Stationierung westlicher Atomprojektile an Rußlands Grenzen anzugehen. Seitdem haben viele Friedensorganisationen, Forschungsinstitute sowie Vertreter der russischen, weißrussischen und ukrainischen Regierung dazu aufgerufen, die Initiative zu unterstützen.

Der Vorschlag, eine atomwaffenfreie Zone in der Region zwischen Ostsee und Schwarzem Meer einzurichten, reicht zurück in die 50iger Jahre und wurde 1990 von Weißrußland wiederbelebt. Aber ausgerechnet die Staaten, die zum Kernland einer solchen atomwaffenfreien Zone gehören müßten, nämlich die geplanten neuen NATO-Mitgliedsländer Polen, Tschechien und Ungarn, erklärten sich öffentlich bereit, Atomwaffen auf ihrem Territorium zu akzeptieren.

Als Folge dieser neuen Sicherheitslage drohte Rußland mit allen möglichen Sanktionen, einschließlich einer Neubewertung bereits abgeschlossener Abrüstungsabkommen, wie des START-II- und des ABM-Vertrages, falls die NATO die Osterweiterung in die Tat umsetzt. Sogar Weißrußland zog noch einen Pfeil aus dem Köcher, indem es wegen der atomaren Stationierungspläne der NATO die bereits angelaufene Verschrottung weißrussischer Arsenale wieder stoppen wollte.

Auf Anregung von NGO- und IPPNW Vertretern fügte die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bei einem Treffen im Juli 1996 in Stockholm einen Passus in ihre Abschlußerklärung ein, in dem die Einrichtung atomwaffenfreier Zonen in Europa befürwortet wird. Erst durch Initiativen dieser Art war es möglich, daß die NATO während des OSZE-Gipfels vom Dezember 1996 in Lissabon ihren Verzicht auf die Stationierung von Atomwaffen in den neuen Mitgliedsstaaten erklärte. Diese Erklärung kann einen völkerrechtlich bindenden Vertrag allerdings nicht ersetzen.

Vertraglich abgesicherte, atomwaffenfreie Zonen überziehen fast die gesamte südliche Welthemisphäre. Afrika, Lateinamerika, Antarktis, Südostasien, und der Südpazifik zeigen uns damit den juristisch und ethisch einwandfreien Weg zu einer atomwaffenfreien Welt. Die dort abgeschlossenen Abkommen sind über viele Jahre verhandelt worden. Zur Zeit werden weitere derartige Zonen in Südasien, im Nahen Osten und Ostasien offiziell ins Auge gefaßt. Warum, so bleibt angesichts dieser Entwicklungen zu fragen, sollten nicht auch in Europa atomwaffenfreie Zonen gebildet werden? Es wäre nicht zuletzt und vor allem eine vertrauensbildende Maßnahme zwischen der NATO und Rußland.

Verträge, die die Zahl von Kernsprengköpfen in bestimmten Gebieten auf Null herunterschrauben, könnten insgesamt auch zur dauerhaften Reduktion der gesamten weltweiten Atomarsenale führen und der Druck zur Modernisierung der veralteten Systeme könnte auf diese Weise reduziert werden. Atomwaffenfreie Zonen sind insofern ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer Welt ohne nukleare Schreckensszenarien.

Rußland kann in diesem technologischen Waffenwettbewerb ohnehin kaum mehr Schritt halten. Es wird allerdings durch die zu befürchtende NATO-Strategie der Stationierung von Atomwaffen auf den Territorien seiner Nachbarländer dazu gezwungen, das eigene, russische Kernwaffenarsenal unter größten finanziellen Kraftanstrengungen beizubehalten. Vor diesem Hintergrund wäre eine atomwaffenfreie Zone in Osteuropa genau das richtige politische Signal, um die gespannte Atmosphäre im Verhältnis zwischen Rußland und dem westlichen Verteidigungsbündnis zu entkrampfen. Mit einem entsprechenden Abkommen in der Tasche wären sowohl die Länder West- als auch Osteuropas in der Lage, eine wirklich neue Art der Sicherheitspartnerschaft ohne Bauchschmerzen wegen atomarer Altlasten zu diskutieren.

Allerdings: die neuen deutsch-französischen Überlegungen zu einer gemeinsamen Verteidigungsstrategie unter Einbeziehung einer nuklearen Komponente schlagen allen Befürwortern einer atomwaffenfreien Zone zwischen Ostsee und Schwarzem Meer voll ins Gesicht.

Xanthe Hall ist Leiterin der Kampagne gegen Atomwaffen bei der deutschen Sektion der IPPNW in Berlin