NATO goes East:
Nato-Fieber an der Ostsee stößt auf Widerspruch

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Militär- und Machtpolitik


Überblick NATO-Ost-
erweiterung

Das Baltikum will, darf aber nicht - Schweden und Finnland dürfen, wollen aber nicht.

von Bruno Kaufmann

Seit dem Ende des Kalten Krieges hat die EU-Frage die außenpolitischen Tagesordnungen der Ostseeanrainerstaaten dominiert. Jetzt aber steht die NATO-Mitgliedschaft zuoberst auf der Wunschliste der baltischen Staaten Ï und auch in Skandinavien wollen führende PolitikerInnen den neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen mit traditionellen Mitteln begegnen.

Nicht einmal 400 Kilometer trennen die schwedische Hauptstadt Stockholm und Riga. Bis vor wenigen Jahren gehörten Lettlands Hauptstadt und Stockholm aber zu ganz verschiedenen Welten. Mitten durch die Ostsee verlief der Eiserne Vorhang. Das hat sich grundlegend verändert. Nach dem Auseinanderfallen der Sowjetunion ist ein enges skandinavisch-baltisches Kontaktnetz entstanden. "Wir teilen die Sache der Balten", erklärte der schwedische Ministerpräsident Göran Persson kürzlich und weckte damit Hoffnungen, daß Schweden im Falle einer Aggression Rußlands auch militärisch zugunsten der BaltInnen aktiv würde. Der bisherige Kurs heißt: "Allianzfreiheit in Friedenszeiten, Neutralität im Kriegsfall." Allerdings hat Schweden diese Neutralität im Gegensatz zu Österreich, Finnland und Ï vor allem Ï der Schweiz immer schon sehr flexibel angewandt.

Baltikum will Sicherheitsgarantien

Die drei baltischen Staaten drängen unterdessen, fünf Jahre nach der Wiedererlangung ihrer nationalen Unabhängigkeit, immer ungeduldiger nach Westen.

Dänemark und Norwegen gehören der Nordatlantischen Allianz an, Schweden und Finnland sind neutral. Während die nordischen NATO-Mitglieder nicht dazu verpflichtet sind, in Friedenszeiten Atomwaffen zu beherbergen, sicherten sich Stockholm und Helsinki ihre Neutralität durch mehr (Finnlands Beistandsabkommen mit der Sowjetunion) oder weniger (Schwedens NATO-Kooperation) formalisierte Kontakte zu den Supermächten ab. Im Rahmen des "neuen" Europa Ï in dem keine militärpolitischen Blockbildungen die Zusammenarbeit über die Grenzen hinweg behindern Ï ist im Nordosten Europas in den vergangenen fünf Jahren ein enges und vielschichtiges Kooperationsnetz entstanden. Dabei stehen die "weichen" Dimensionen der Sicherheitspolitik im Vordergrund: Umweltschutz, Demokratieentwicklung, Handel. Die Europäische Union, der neben Finnland und Schweden auch die Ostseeanrainer Dänemark und Deutschland angehören, bietet sich dem Ostseeraum als Partnerin an.

Sicherheitspolitische Arbeitsteilung?

Ein ähnliches Modell schwebt den NATO-Großmächten auch für die "harte" militärische Sicherheitspolitik vor. Laut Angaben des Londoner Institutes für Strategische Studien wird die Schaffung einer regionalen Sicherheitsordnung im Ostseeraum angestrebt. So könnte die Ï im Falle der baltischen Ex-Sowjetrepubliken äußerst heikle Ï Nord-osterweiterungsfrage umschifft und zudem eine Arbeitsteilung vorgenommen werden: Die westlichen Großmächte kümmern sich um Moskau, die nordischen Länder ums Baltikum. Eine solche Perspektive stößt jedoch an der Ostsee auf wenig Verständnis. Eine Regionalisierung der "harten" Sicherheits- politik wird aus Angst, zu einer Pufferzone zwischen der NATO und Rußland zu werden, abgelehnt.

Laut einer Meinungsumfrage erachten 76% der SchwedInnen die UNO als wichtigen Beitrag für den Frieden und die Sicherheit ihres Landes. Die entsprechenden Werte für die USA betragen 67%, für die NATO 61% und für die EU 49%. Auf der anderen Seite betrachten 60% der SchwedInnen Rußland nach wie vor als Problem für den Frieden und die Sicherheit.

Die sozialdemokratischen Regierungen der beiden Länder sind Ï trotz gegenteiliger Beteuerungen Ï voll auf NATO-Kurs. Helsinki und Stockholm beteiligen sich aktiv an der NATO-Partnerschaft für den Frieden (PfP) und sind neben Österreich Beobachter im Kooperationsrat NAKA. In Bosnien stehen finnische und schwedische Truppen unter NATO-Kommando.

Teilnahme ohne Membercard

Parteipolitisch befürwortet die bürgerliche Opposition einen schwedischen Beitritt zum Bündnis, während die links-grünen Kräfte einen solchen kategorisch ablehnen. In der Mitte verfolgen die SozialdemokratInnen zusammen mit der Zentrumspartei die "Nein aber"-Linie. Dies bedeutet eine Teilnahme ohne Membercard, ganz ähnlich dem Verhalten Norwegens als Mitglied der EWR gegenüber der EU.

Während die baltischen Länder derzeit viel Geld in die NATO-Fähigkeit ihrer Armeen stecken, wird bei den nordischen Nachbarn die NATO-Mitgliedschaft aus gegenteiligem Grund in Betracht gezogen, nämlich als Konsequenz der aus finanziellen und politischen Gründen verkleinerten nationalen Streitkräfte.

Offiziell halten Finnland und Schweden jedoch vorläufig an ihrer Neutralität fest Ï und werden im Rahmen von EU und WEU aktiv. Die sozialdemokratischen Außenministerinnen von Finnland und Schweden, Tarja Halonen und Lena Hjelm-Wallen, haben auf der EU-Regierungskonferenz einen Vorschlag präsentiert, der auf die Stärkung der friedenserhaltenden Rolle der Westeuropäischen Union abzielt.

Noch zu erobernde Bastion

Im Rahmen der PfP-Zusammenarbeit wollen sich Helsinki und Stockholm alle Optionen offen lassen. Finnland hat im Rahmen der PfP mit der NATO einen formellen Dialog zur Osterweiterung eingeleitet, Schweden will in diesem Jahr erstmals auch mit eigenen Kampflugzeugen an einem PfP-Manöver teilnehmen. Zudem haben die skandinavischen Länder auch ihre militärische Hilfe an das Baltikum (Ausbildung, Waffenlieferungen) verstärkt. Kurzfristig sollen so weder Rußland provoziert noch das Baltikum im Stich gelassen werden. Mittelfristig aber streben auch die nordischen Länder eine Einbindung des Ostseeraumes in eine europäische Friedens- und Sicherheitsordnung an. Die Qualität einer solchen grenzüberschreitenden Ordnung wird Ï so wird auch im nordischen Raum deutlich Ï davon abhängen, inwieweit sich die BürgerInnen als AkteurInnen daran beteiligen werden können. Als "letzte" Bastion der MinisterInnen, Militärs und "Experten" gilt es, den sicherheitspolitischen Bereich für die Bürgerbewegung erst noch zu erobern.

Bruno Kaufmann ist Korrespondent für Schweizer Zeitungen und Radiosender in Schweden

Der Text ist ein Beitrag für die Zeitschrift "Zoom" in Wien