60 Jahre NATO

update:
14.12.1998


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60 Jahre NATO

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Erklärung zur auf der Herbsttagung in Brüssel fortgesetzten Strategiediskussion der NATO

Die Strategiediskussion der NATO notwendig und nicht aufzuhalten

Gernot Erler

Der deutsche Außenminister hat in Brüssel die begonnene Diskussion um das künftige strategische Konzeptder westlichen Allianz nicht etwa als generell wünschenswert angemahnt, sondern auf der Basis des Koalitionsvertrages vom 20. Oktober in der Sache fortgeführt. Das stellt klar: Hier handelt es sich nicht um einen Versuchsballon, der sofort wieder eingezogen wird, wenn er in Höhenschichten anderer argumentativer Flugkörper gerät. Der deutsche Wunsch, einen Konsens über eine Veränderung der NATO-Strategie zu erreichen, ist ernstgemeint. Allein diese Tatsache entfaltet Wirkung, über die erwartbaren ersten Abwehrreflexe wichtiger Allianzpartner hinaus. Der Status quo ante in der Strategiediskussion ist bereits jetzt definitiv verlassen.

Für diese durch Joschka Fischer ausgelöste Bewegung gibt es viel Zustimmung aus den strategischen und sicherheitspolitischen Eliten, gerade auch aus den Vereinigten Staaten. Nur oberflächlich betrachtet handelt es sich um einen banalen Anpassungsprozeß der NATO-Philosophie an die seit 1989 signifikant veränderten Rahmenbedingungen. In zweiter Reihe hinter den beiden Stichworten First-Use und Mandatsfrage steht ein ganzes Bündel ungel
ster politischer Herausforderungen.

So kann man nicht leugnen, daß die atomare Ersteinsatzoption der NATO Unsicherheit für potentielle Angreifer schafft und sie damit abschreckt. Diese Wirkung setzt allerdings voraus, daß der Aggressor rationalen Erwägungen zugänglich und als Adressat eindeutig definierbar bleibt. Das eigentliche Dilemma der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen (Proliferation) besteht aber darin, daß sie heute in die Hände von irrational handelnden Regimen und geographisch schwer definierbaren Terrorgruppen geraten können. In welche Notstände eine Politik geraten kann, die auf militärische Abschreckung setzt, zeigte sich bei der kürzlichen amerikanischen Militäraktion gegen angebliche Einrichtungen der Bin Laden-Gruppe. In Wirklichkeit vermag die Militarisierung der Nonproliferation diese Probleme nicht zu lösen. Ein prioritär politisch orientiertes Nonproliferations-Konzept stellt dann aber zurecht kritische Fragen an die gegenwärtige NATO-Strategie mit ihrer First-Use-Option, ob sie nämlich politisch eher Weiterverbreitungstendenzen hemmt oder fördert. Deshalb taucht der No-First-Use-Ansatz in der Koalitionsvereinbarung im Kontext deutscher Abrüstungs-Initativen auf.

Auch hinter der Frage, inwieweit NATO-Friedenseinsätze ein UN-Mandat brauchen, steckt weit mehr als ein strategisches So oder So. Wer die Kosovo-Entscheidung, also den Verzicht auf das UN-Mandat in dieser konkreten Situation zum Präzedenzfall macht und das mit den Schwierigkeiten einer Konsensbildung im UN-Sicherheitsrat begründet, kapituliert vor der Aufgabe, die Vereinten Nationen zu reformieren und sie auch angesichts veränderter Aufgaben auf Dauer handlungsfähig zu machen. Ein gefährlicher Weg, in dessen Logik eine Umlenkung wachsender Erwartungen und vermuteter Problemlösungskompetenzen von der Weltorganisation auf das westliche Bündnis liegt - Erwartungen, deren Erfüllung die NATO überfordern muß.

Was auch immer der Jubiläumsgipfel der Allianz im April 1999, ändernd oder festhaltend, an eigener Strategie festlegen wird, entscheidend ist, daß die Diskussion über diese Fragen geführt wird, die uns zur Beantwortung aufgegeben sind. Hier nicht lockerzulassen, ist ein Zeichen von Verantwortungsbereitschaft.



Gernot Erler ist Stellv.Fraktionsvorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion

E-Mail: gernot (Punkt) erler (at) mdb (Punkt) bundestag (Punkt) dbp (Punkt) de
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