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14.04.2001


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Vorabfassung der Rede beim Ostermarsch Rhein-Ruhr 2001 in Duisburg, 14.04.2001 (bitte Sperrfrist beachten!)

Die Politik zivilisieren (Duisburg)

Eberhard Przyrembel

Der Wahnsinn des Krieges

Wer mich kennt, weiß von meinem Einsatz für Pax Christi, die katholische Friedensbewegung, weiß von meiner Mitarbeit im Friedensforum Duisburg. Im vorigen Jahr habe ich vom "Unsinn des Krieges" geredet: ein ungeheurer Aufwand an Geld und Menschen - während die vorzeigbaren Erfolge in keinem vernünftigen, also politisch vertretbaren Verhältnis zu den eingesetzten Mitteln stehen. Zerstören statt Lösen von Problemen, von Frieden zwischen den Menschen gar nicht zu reden.

Heute unter der Überschrift: Der Wahnsinn des Krieges. Dieser Titel soll kurz und knapp zusammenfassen, dass der Unsinn des Krieges normale, nämlich humane Maßstäbe und Verhaltensweisen zerstört, auf den Kopf stellt, eben ver-rückt. Wer heutzutage auf militärische Mittel zur Problemlösung setzt, offenbart ein Krankheitsbild, das umgangssprachlich Wahnsinn heißt. Wer heute militärische Mittel zur Problemlösung einsetzt, muß sein Vorgehen legitimieren. Also konstruiert man gespenstische Wirklichkeit, biegt die Wahrheit zurecht und kann dann tun, was man will. Das nenne ich den Wahnsinn des Krieges. "Es wird in unserem Land zuviel ganz schlicht gelogen, es wird zuviel verheimlicht, vertuscht, unter den Teppich gekehrt. Es wird zuviel gefälscht, zuviel verleumdet, zuviel geleugnet. Es wird Wirklichkeit auf den Kopf gestellt." Das hat Jörg Zink, ein evangelischer Theologe, vor 20 Jahren auf der Funkausstellung in Berlin gesagt.(G. Marx: Eine Zensur findet nicht statt, S.10). Seitdem hat sich die Vorgehensweise in der offiziellen Politik noch verschlimmert.

Kanzler Schröder bekam im März den Medienpreis 2000 und hielt eine Rede über Demokratie und Kommunikation. Das beides gehöre untrennbar zusammen. Wesentlich sei freier Informationsfluß. Aber vor 2 Jahren, am 24. März, sagte derselbe Mann: "Liebe Mitbürger und Mitbürgerinnen, heute Abend hat die NATO mit Luftschlägen gegen militärische Ziele in Jugoslawien begonnen ... Der Präsident Milosevic führt dort einen erbarmungslosen Krieg, aber wir sind aufgerufen, eine friedliche Lösung im Kosovo auch mit militärischen Mitteln durchzusetzen ... Wir führen keinen Krieg." Wer gegen diesen Wahnsinn protestierte und zur Befehlsverweigerung, zum Desertieren aufrief, bekam ein Gerichtsverfahren an den Hals.

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Wenn Politiker sich in Wort oder Tat vergreifen - Bimbesvorgänge, Unterschrift- oder Plakataktionen, Skinheadvergleich - dann entsteht eine Aufregung, eine Betroffenheit ... und wie dergleichen Gefühlsreaktionen noch heißen mögen ... jedenfalls ein Getöse in der Öffentlichkeit, und es rauscht im Blätterwald. Aber wenn im Fernsehen (sogar 2x) ein dokumentarischer Film läuft "Es begann mit einer Lüge", dann wirkt das wie der Schlag gegen eine Gummiwand. Ein paar Kommentare, ein zynischer Nachweis von nebensächlichen Unrichtigkeiten. Aber politische Konsequenzen? Fehlanzeige. Dabei hat Herr Loquai, inzwischen General außer Dienst wie sein Kollege Schmähling, präzise formuliert: "Eine solche humanitäre Katastrophe als völkerrechtliche Kategorie, die einen Kriegseintritt rechtfertigte, lag vor Kriegsbeginn im Kosovo nicht vor." Oder eindeutig (in "Blätter für deutsche und internationale Politik" 3/2000): "Die NATO hat gegen ein souveränes Land einen Krieg begonnen. Daran kommt keine Umdeutung vorbei. Ohne ein UN-Mandat und ohne dass ein NATO-Land angegriffen war."

Wahnsinn des Krieges bedeutet: Ursachen verheimlichen, Zusammenhänge verschleiern, Verdrehen der Wahrheit. Der Wahnsinn des Krieges wirkt weiter: Kein Nachdenken,kein Umdenken, keine Perspektive für eine Zivilisierung der Politik.

Ein anderes Beispiel für den zynischen Umgang mit der Wahrheit sehe ich in den amtlichen Reaktionen auf Fragen zum Gebrauch von Uranmunition (Depleted Uranium 238).

Ich muß dabei etwas weiter ausholen: Was Gefahr durch atomare Strahlung bedeutet, haben wir im letzten Jahrhundert gelernt, lernen müssen. 1895 hatte Röntgen die X-Strahlen entdeckt. Wenig später Bequerel ähnlich durchdringende Strahlen von Uranverbindungen. Marie Curie nannte dieses Phänomen "Radioaktivität". Als Bequerel ein Glasfläschchen mit Radium ein paar Tage in seiner Jackentasche herumgetragen hatte, stellte er fest, dass es ihm Hautverbrennungen verursacht hatte. Trotzdem blieb die allgemeine Einstellung im Umgang mit strahlendem Material: "Ich werde das Zeug schon vertragen." 1911 erhielt das Ehepaar Curie den Nobelpreis für Chemie, weil sie Eigenschaften und Wirkweise des strahlenden Radium exakt beschrieben hatten.

Im Ersten Weltkrieg (1915) machte ein findiger Unternehmer in New Jersey/USA ein blühendes Geschäft mit dem Bemalen von Armbanduhrzifferblättern mit Radiumfarbe, weil die in der Dunkelheit leuchtet. 1924 beschrieb ein Arzt eine neue Krankheit bei den ehemaligen Zifferblattbemalerinnen: Skelettschäden, morsche Kiefer- und Wirbelknochen, geschrumpfte Beine ... Ursache: in die Knochen eingelagerte Radiumpartikel, die Alphastrahlen aussenden. Denn die Frauen hatten damals die Pinsel mit den Lippen anspitzen sollen, um feine Linien zu erzielen. Dabei hatten die Frauen jedes Mal ein winziges Quantum Radiumfarbe geschluckt, ohne die schaurige Spätwirkung zu ahnen. Die Gruppe der ehemaligen Zifferblattmalerinnen siechte dahin, erregte als "Legion der Verdammten" internationales Aufsehen und erkämpfte sich - für die meisten zu spät - eine lächerlich geringe Entschädigung. Als 20 Jahre später im Manhattan-Projekt die erste Atombombe entwickelt wurde, gab es deshalb Sicherheitsvorkehrungen für alle Beschäftigten, die mit strahlendem Material arbeiten mussten. Für die Bevölkerung aber hieß die Aufklärung über "Fall-out": In den Häusern bleiben, bis die Wolke vorbei ist, und die Autos waschen, bevor man wegfährt. Dabei hatte die wissenschaftliche Strahlenforschung inzwischen gezeigt, dass überhaupt keine Strahlendosis als ungefährlich betrachtet werden kann, und dass selbst geringste Strahlungsmengen zu Genmutationen führen. Es dauert eben lange, bis eine allgemeine Bewusstseinsänderung eintritt: Manche werden sich erinnern, dass bis in die 70er Jahre den Kindern beim Schuhkauf bedenkenlos die Füße geröntgt wurden. Die Röntgenreihenuntersuchungen wurden um dieselbe Zeit bei uns abgeschafft. Aber spätestens seit Tschernobyl wissen alle, wie stark und wie verhängnisvoll Radioaktivität in unser Leben hineinwirkt. Wenn vor diesem Hintergrund, also nach 100 Jahren Erfahrung Radioaktivität, strahlender Abfall aus der Atombombenproduktion (Uran 238) zu Munition verarbeitet wird, dann ist das Menschenverachtung, dann passt das genau in das Krankheitsbild vom Wahnsinn des Krieges.

Von einem anständigen Arbeitgeber können die Beschäftigten - also auch Soldaten -erwarten, dass sie über die Risiken aufgeklärt werden, die mit ihrer Arbeit verbunden sind. Aber im Geschäftsbereich der Atomwirtschaft wird immer wieder das Gegenteil praktiziert: Verschweigen, Verharmlosen, Ausblenden der Langzeitfolgen. Für Betroffene wie die "Golfkriegsveteranen" ist es unendlich schwer, exakte Ergebnisse und schlüssige Beweise zusammenzubringen. Dabei wäre alles einfach, wenn das Verursacherprinzip durchgesetzt würde: Nicht die Betroffenen müssen die Schädigung durch Strahlen sondern die Anwender strahlenden Materials müssen die Unschädlichkeit nachweisen.

Aus der Fülle des Materials nur ein Beispiel (Felicity Arbuthnot: Vergiftetes Erbe, in Junge Welt, 17.01.2001): Mrs Amy West in Mississippi/ USA bekommt nach der Rückkehr ihres Mannes aus dem 2.Golfkrieg ein missgebildetes Kind. Sie erfährt, dass weitere zwei Frauen ehemaliger Wüstenstürmer gleichfalls missgebildete Kinder zur Welt gebracht haben. Daraufhin verbringt Amy West ein Jahr lang ihre Abende damit, alle diejenigen in ihrer Stadt auszumachen und anzurufen, deren Männer ebenfalls im Golfkrieg waren. Gleichbleibende Frage: Haben Sie ein Kind bekommen? Ist es gesund? Ergebnis: 251 Familien haben Kinder bekommen und zwei Drittel berichten von angeborenen Schäden bei ihren Kindern, dh fehlende Augen, Ohren, Finger. Bluterkrankungen, Atemprobleme. Amy West stellt mit Hilfe ihres Hausarztes ihre Ergebnisse zusammen und sendet alles an den Beratungsausschuß des Präsidenten für Golfkriegserkrankungen: Ihre Untersuchung wird als unwissenschaftlich zurückgewiesen. Ihr Hausarzt bedauert, dass er nicht mehr mit Amy West zusammenarbeiten kann und dass er nicht sagen kann weshalb.

Wer aber tatsächlich wissenschaftlich die dunklen Machenschaften der Atomwirtschaft untersuchen und in die Öffentlichkeit bringen will, erlebt "ein blaues Wunder" (cf PUBLIK FORUM, Nr. 10/2000, Nr. 2/2001). Der Tropenarzt und emeritierte Professor Siegwart-Horst Günther, der sich für Menschen engagiert, die unter Kriegsfolgen leiden, beschreibt Krankheitssymptome, die nach dem 2. Golfkrieg im Iran auftreten: Zusammenbruch des Immunsystems, schwere Störungen der Leber, der Niere und der Lunge, Leukämie, bösartige Hautgeschwulste und andere Krebsarten, sowie genetische Störungen. Inzwischen wird dieser Komplex in Fachkreisen als "Morbus Günther" bezeichnet - umgangssprachlich: Golfkriegssyndrom. Zwingend beweisen kann Günther nicht, dass die hochtoxische Uranmunition die Ursache ist. Doch die Symptome finden sich stets bei Menschen, die irgendwie mit den Auswirkungen der Uranmunition Kontakt hatten. Günther sieht zB im Iran entsetzlich missgebildete Säuglinge und Kinder, die nicht lange leben konnten. Zugleich sieht er Kinder mit Patronenhülsen und Projektilen spielen. Er nimmt eine "Kostprobe" mit, die er an der Freien Universität Berlin analysieren lässt. Ergebnis: Das Projektil ist gesundheitsgefährdend radioaktiv. Professor Günther erhält einige Zeit später vom Amtsgericht Tiergarten einen Strafbefehl über DM 3ooo.- wegen Freisetzung ionisierender Strahlung. Weil er sich weigert zu zahlen, kommt er nach 2 Jahren ins Gefängnis, wird unglaublich schlecht behandelt, gegen Kaution freigelassen und muß sich 1 Jahr lang zweimal die Woche bei der Polizei melden. Albrecht Schott, Chemieprofessor an der F. U. Berlin, ebenfalls emeritiert, hat mit Leuten aus der Friedensbewegung für seinen Kollegen Günther ein Bündnis gegen Diskriminierung gegründet.

Wir haben also 100 Jahre Erfahrung mit radioaktiver Strahlung. Weltweit anerkannte Fachleute auf dem Gebiet der Strahlenforschung (IPPNW) verurteilen die Verwendung der Uranmunition als Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Trotz all dieser Fakten leugnet die NATO hartnäckig die Gefährlichkeit der Uranmunition. Ausgerechnet ein "Grüner" Außenminister behauptet im ZDF (13.6.2000), dass die Verwendung dieser Uranmunition "unbedenklich sei". Was denkt der sich denn?

Für mich wird hier anschaulich der Wahnsinn des Krieges. Erst wird Saddam Hussein gegen den Iran aufgerüstet - dann wird er als 2.Hitler bekämpft. Erst wird Milosevic als Garant des Friedens auf dem Balkan aufgebaut - danach wird er als noch ein Hitler verteufelt. Erst wird die UCK als Befreiungsbewegung mit modernster Militärtechnik beschenkt - danach ... . "Was wir sagen, geschieht", war die Definition des Präsidenten George Bush für eine "Neue Weltordnung". Ohne Skrupel wird seitdem der Irak - und zwischendurch auch schon ´mal der Sudan - bombardiert: eine wiederholte Verletzung der UN-Charta. Aber angeblich verachten nur "Schurkenstaaten" internationales Recht und die Charta der Vereinten Nationen. So wirkt der Wahnsinn des Krieges: Das praktische Vorgehen wird nicht mehr diskutiert, sondern von den demokratischen Partnern hingenommen. MENSCHENRECHTE ???

Dagegen bleiben die wirklich wichtigen Probleme auf der Strecke: Die überall und auf allen Ebenen anwachsende Gewalttätigkeit. Ich habe neulich ein Radiofeature (WDR 5) gehört. "Mexiko - Hauptstadt der Gewalt". Da wird ein Horrorszenario beschrieben, denn vom Taxifahrer bis in die Familien der höchsten Politiker ist öffentliche Arbeit und Politik nach dem Schema der Mafia organisiert. BSE sowie Maul- und Klauenseuche offenbaren nur die Katastrophe der europäischen Agrarwirtschaft: jährlich mit 100 Milliarden DM unterstützt, soll jetzt den Polen und den anderen Beitrittswilligen dasselbe System aufgezwungen werden. Die Klimakatastrophe als Folge einer gewissenlosen Technik ... . Mir persönlich ist das Stichwort "Gerechtigkeit" wichtig. "Gerechtigkeit ist die zentrale Kategorie für friedensfähige Nord-Süd-Beziehung, und ohne Gerechtigkeit wird der Menschheit der Schutz ihrer natürlichen Lebensgrundlagen nicht gelingen."(M.Linz: Wann werden wir tun, was wir wissen? In PUBLIK FORUM Nr. 3/ 2001) Umgangssprachlich formuliert :Wir 20 % der Menschheit in den Industrieländern verbrauchen 80 % von dem, was allen Menschen zusteht: Energie, Rohstoffe, Technik und Kapital. Wenn alle 6 Milliarden Menschen durch eine Art Zauberpolitik plötzlich unseren Lebensstandard erreichen, dann hält das unsere Erde nicht aus und wir auch nicht. "Zukunftsfähig", "nachhaltig" sind die neuen Schlagworte, die aber einen grundsätzlichen Wandel unserer Lebens- und Wirtschaftsform fordern, wenn wir für eine lebenswerte Zukunft gerüstet sein wollen. Diese grundlegende Umsteuerung in Richtung auf eine demokratische Marktwirtschaft - diese Umsteuerung muß von der Politik ausgehen, zB die Rahmenbedingungen schaffen, die eine sozial gerechte und umweltverträgliche Wirtschaftsweise belohnen (cf W.Kessler: Wirtschaften im 3. Jahrtausend, S,395). - Nur diese skizzenhaften Bemerkungen.

Ich wollte deutlich machen, dass der Wahnsinn des Krieges eine menschliche Politik verhindert, obwohl das Wort humanitär verwendet wird. Der Wahnsinn des Krieges schafft Probleme, die wie Sackgassen alle Zukunftschancen und Hoffnungen ersticken. Der Wahnsinn des Krieges verschwendet sinnlos unsere menschlichen Ressourcen.

Sperrfrist: Beginn der Rede; es gilt das gesprochene Wort!

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