Netzwerk Friedenskooperative



Ostermär-
sche 2001


vom:
14.04.2001


 vorheriger

 nächster
 Artikel

Ostermärsche und -aktionen 2001:

  Reden/Kundgebungsbeiträge

Rede beim Ostermarsch in Bruchköbel am 13.04.2001

Matthias Jochheim

Liebe Friedensfreundinnen und -Freunde,

alljährlich stattfindende Ereignisse sind ein besonders guter Anlass, den Stand des eigenen Anliegens zu überprüfen, in Vergleich zu setzen zu den Vorjahren und zu versuchen, daraus Schlußfolgerungen für die weitere Arbeit zu ziehen. Ich danke euch deshalb für diese Gelegenheit, öffentlich ein wenig den aktuellen Stand und die Problemstellungen unserer Bewegung für den Frieden zu reflektieren.

Erhebliche Aufmerksamkeit der Medien hat ja unlängst der Verdacht produziert, die von der NATO in Jugoslawien eingesetzte
Munition mit abgereichertem Uran sei möglicherweise für gehäufte Leukämie-Fälle bei Soldaten der Besatzungsarmee im Kosovo verantwortlich. Unsere IPPNW-Kollegin Gina Mertens hat sich besonders mit dem Problem befasst, und ist deshalb auch im Kosovo unterwegs gewesen. Zu ihrer Überraschung ergab sich dann sogar ein guter Kontakt mit dem Bundeswehr-Verband (eine Art Interessenvertretung der Soldaten), der an ihrer Sachkenntnis großes Interesse zeigte. 11 Tonnen des chemisch und radioaktiv toxischen Schwermetalls wurden über Jugoslawien verschossen; zwar wurden die NATO-Armeen vor möglichen Schäden gewarnt, und auf Vorsichtsmaßregeln hingewiesen, nicht aber die viel stärker betroffene örtliche Bevölkerung, die weder über die kontaminierten Gebiete noch über die Gefährlichkeit dieser besonderen Munition aufgeklärt wird. Aus dem Irak, wo 1991 sogar 300 Tonnen uranhaltiger Munition von der US-Armee verschossen wurde, wird von dortigen Ärzten eine Vervielfachung der Krebserkrankungen gerade auch bei Kindern gemeldet, und eine wesentlich erhöhte Zahl schwerer Mißbildungen bei Neugeborenen. Die rätselhafte sogenannte "Golfkriegskrankheit" bei einer großen Zahl von US-Soldaten, die dort eingesetzt waren, kann ebenso mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auf den Kontakt mit freigesetztem Uranstaub aus diesen Granaten zurückgeführt werden. Bekanntlich hat die US-Armee schon eine gewisse Tradition darin, auch ihre eigenen Leute ungeschützt solchen Schäden auszusetzen: man braucht dabei nur an die Atombombenversuche von Los Alamos zu denken, oder auch an die Vergiftung der US-Soldaten mit agent orange, dem Dioxin-haltigen Entlaubungsmittel, das im Vietnamkrieg zum massenhaften Einsatz kam.

 zum Anfang


Ostermär-
sche 2001
Auch an diesem Punkt finden wir keinerlei Grund mehr, Angaben von Mitgliedern der aktuellen deutschen Bundesregierung Glauben zu schenken. Außenminister Fischer ließ der IPPNW während der Bombardierung auf Anfrage kurzerhand mitteilen, dass bei dieser Munition "Gefährdungen der von ihnen beschriebenen Art für Mensch und Umwelt nicht auftreten". Minister Scharping, der auch in anderen Fragen eine beträchtliche Neigung zum Fälscherhandwerk erkennen ließ, erschien mit einer Uran-Granate im Bundestagsausschuß, um deren Harmlosigkeit zu beweisen, vermutlich wohl wissend, dass erst ihr Aufschlag die gefährlichen Partikel, Stäube und das Uranoxyd freisetzt, die nach Aufnahme in den menschlichen Organismus krankmachende und potenziell tödliche Wirkungen entfalten können. Übrigens wurde der Mediziner Prof.Günther 1992 zu 3000,- DM Geldstrafe verurteilt, als er ein solches Geschoß 1992 zur weiteren Untersuchung aus Irak mit nach Deutschland brachte. Im Urteil hieß es damals: "Durch falschen Umgang mit dem Projektil entsteht die Gefahr der Kontamination und Inkorporation radioaktiven Materiels, was zu einer Gesundheitsgefährdung führen kann."

Das Exekutivkomitee unserer internationalen Ärztevereinigung hat von der US-Regierung und der NATO gefordert,

-die von der Weltgesundheitsorganisition benötigten 20 Millionen $ für eine unabhängige wissenschaftliche Untersuchung der Gesundheitsauswirkungen dieser Munition in Irak und Jugoslawien unverzüglich zur Verfügung zu stellen

-und hat darüber hinaus festgestellt, dass die Wirkung auf die Zivilbevölkerung und die langfristige Kontamination der Einsatzräume zu dem Schluß führt, dass der Einsatz dieser Munition den Tatbestand der ökologischen Kriegsführung erfüllt, welche durch die Genfer Konvention zum Kriegsvölkerrecht international geächtet ist.

Das Beispiel der Uran-Munition beweist einmal mehr: Irreführung der Öffentlichkeit ist zur täglichen Routine der Kriegsherren nicht nur unserer Regierung geworden, und man muß staunen, mit welcher Schamlosigkeit sie das betreiben. Es scheint, dass es gerade diese persönliche Unempfindlichkeit ist, die in unserer Zeit für die höchsten Staatsämter qualifiziert.

Irreführung der Öffentlichkeit, auch wenn sie nur kurze Beine hat, birgt die große Gefahr der Desorientierung und Lähmung aller derer, die im Prinzip wollen, dass der Krieg tatsächlich aus der Realität menschlicher Gesellschaften eliminiert wird. Wir haben dies am Beispiel des Angriffskrieges gegen Jugoslawien erlebt, der als Eintreten für die Menschenrechte der Kosovo-Albaner deklariert wurde. Ihr erinnert euch an Andersens wunderbares Märchen von des Kaisers neuen Kleidern. Etwas abgewandelt könnte man es heute so erzählen: als die NATO-Kriegsherren mit ihren neuen Menschenrechtskleidern sich dem Publikum präsentierten, war diesem suggeriert worden, nur Milosevic- und Saddam-Hussein-Freunde könnten deren Schönheit nicht erkennen

Für uns stellt der Krieg immer eine Verletzung des elementarsten Menschenrechts dar, nämlich des Rechts auf Leben und körperliche Integrität, erst recht in der heutigen Form des modernen Luftkriegs, der in erster Linie die Zivilbevölkerung und ihre Lebensgrundlagen trifft. An dieser Stelle können wir uns sogar auf den früheren Bundeskanzler Schmidt berufen, der in einem Interview im Januar diesen Jahres Scharping und Fischer scharf kritisierte. Diese hätten sich im Zusammenhang mit der deutschen Intervention im Kosovo-Konflikt auf die Menschenrechte berufen, aber (wörtlich) "es hat ihnen keine großen Skrupel bereitet, 800 Zivilisten durch Bomben aus der Luft zu töten".

Wir dürfen uns von den Kriegsherren nicht täuschen lassen, und müssen deshalb möglichst präzise Kriterien dafür entwickeln, wie Kriege verhütet werden können. Die universelle Respektierung, bzw. Verwirklichung der Menschenrechte gehört unverzichtbar zu den Voraussetzungen, innergesellschaftlicher und zwischenstaatlicher Gewalt vorzubeugen, die Arbeit hierfür stellt damit zivile Kriegsprävention dar.

Menschenrechte definieren Normen und Standards von elementaren Bedingungen, die für eine wirklich humane physische, geistige und soziale Entwicklung aller Menschen notwendig und einzufordern sind.

Die universelle Sicherung humaner Lebensbedingungen ist eine gewaltige Aufgabe, die nun tatsächlich nicht national, sondern nur durch globale Anstrengungen zu leisten wäre. Die Konferenz "Umwelt und Entwicklung" 1992 in Rio de Janeiro hat einige Leitlinien hierfür entwickelt, die aber das Regierungshandeln gerade der reichsten und mächtigsten Staaten wenig bestimmen. Wenn Ressourcen, die dringlichste Bedürfnisse der ca. 1 Milliarde im Elend lebenden Menschen sichern könnten, stattdessen in High-tech-Waffen fließen, so zeigt dies eine kalte Gleichgültigkeit gegenüber existentiellem Mangel und Leiden, und führt im Ergebnis eben zu massiver Menschenrechtsverletzung.

Um ein aktuelles Beispiel zu benennen: Wenn die neue Bush-Regierung der USA im Interesse ihrer Öl-Konzerne die Kooperation bei Massnahmen gegen die Aufheizung des Welt-Klimas verweigert, und damit weitere hunderttausende Opfer von Flutkatastrophen und Wirbelstürmen v.a. in der dritten Welt in Kauf nimmt, so ist dies eben eine Menschenrechtsverletzung schwersten Ausmasses, ein Angriff auf die ökologischen Existenzbedingungen von Millionen oder sogar Milliarden von Menschen. Es packt einen kalter Zorn, wenn die gleiche Regierung dann ein bis zu 100 Milliarden $ teures sogenanntes Raketenabwehrprogramm initiiert, dessen eigentliche Nutzniesser die Rüstungskonzerne sein werden, und vielleicht einige von der totalen Weltherrschaft träumende US-Strategen. Und was ist von einer deutschen Bundesregierung zu halten, deren Bedenken sich inzwischen auf die Frage reduziert haben, ob denn auch die einschlägigen deutschen Konzerne angemessen am Profit beteiligt werden können?

Nicht propagandistische, sondern ernsthafte Orientierung an den Menschenrechten, und zwar gerade auch an den sozialen Rechten, wäre also ein entscheidendes Mittel der Kriegsprävention.

Ein weiterer Eckpunkt muß die Konfliktregulierung durch allgemein anerkannte zivile Prozeduren der Vermittlung und internationalen Rechtssprechung sein.

Dies ist in wichtigen Ansätzen von den Vereinten Nationen schon vorgesehen . Demgegenüber weisen aber die neuen Entwicklungen, z.B. das neue NATO-Statut, wieder in Richtung uneingeschränkter Machtpolitik mit kriegerischen Mitteln, des "Rechts des Stärkeren" als Wolfsprinzip der internationalen Politik. Eine "Kultur der Gewalt" manifestiert sich von Jugoslawien über Tschetschenien bis zu Israel/Palästina. Die UN werden dann nur noch als manchmal willkommene, manchmal ungeeignete Staffage beim bewaffneten Vorgehen benutzt bzw. beiseitegeschoben.

Präventive Friedenspolitik muß Wege zu einer demokratischeren, zivilisierten und verrechtlichten Organisierung des internationalen Zusammenlebens ermöglichen. Dies kann nur erreicht werden, wenn Gleichheit vor dem (Völker)-Recht auch in dieser Sphäre anerkannt wird.

Aktuelle Beispiele verletzen gerade dieses Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetz. Es gibt vermutlich gute Gründe, ex-Präsident Milosevic wegen Kriegstreiberei vor Gericht zu stellen. Aber was ist mit den Verantwortlichen für die ökologische Kriegsführung gegen Jugoslawien, die offenbar nicht nur die radioaktive Verstrahlung der dortigen Bevölkerung in Kauf genommen haben, sondern absichtlich Chemieanlagen in Serbien bombardiert und damit krebserregende Chemikalien in riesigen Mengen in die Umwelt freigesetzt haben? Die westlichen Verantwortlichen sind offenbar noch nicht einmal bereit, die Folgen ihres militärischen Tuns öffentlich zu erörtern; oder wo hat man schon genauere Untersuchungen über die Zahl der zivilen Opfer des Luftkriegs erfahren können? Auf eine Anfrage der PDS im Bundestag antwortete die Regierung mit der Behauptung, hierüber keine Kenntnisse zu besitzen. Es scheint, dass bei diesen Herren wenig Interesse an den tödlichen Folgen ihres Tuns besteht.

Ein anderes eklatantes Beispiel für Ungleichheit vor dem Gesetz wird zur Zeit in Südostasien vorgeführt. Die selbsternannte internationale Gemeinschaft hat energisch auf die kambodschanische Regierung eingewirkt, die Verbrechen des Pol-Pot-Regimes durch ein Tribunal mit internationaler Teilnahme anzuklagen und zu bestrafen. Etwa 2 Millionen Kambodschaner soll dieses Regime auf dem Gewissen haben. Wir Älteren erinnern uns aber, dass Pol-Pot erst durch den Widerstand gegen die US-Kriegsführung und deren ebenfalls blutige Vasallen (Lon Nol) zum Machthaber in Kambodscha wurde. Die völkerrechtliche vollkommen illegale und öffentlich nicht zugegebene Bombardierung des Landes durch die US-Luftwaffe hatte zuvor etwa 750.000 Kambodschanern das Leben gekostet. In Vietnam starben in Folge des nie erklärten US-Krieges ca. 3 Millionen Menschen, zum weit überwiegenden Teil Zivilisten, u.a. durch den Einsatz von Napalm-Brandbomben. Noch heute leiden sehr viele Vietnamesen an den Langzeitfolgen der ökologischen Kriegsführung, v.a. durch das Seveso-Gift "agent orange" zur flächenhaften Entlaubung des vietnamesischen Urwalds. Aber mit keinem Wort ist unserer Presse zu entnehmen, dass parallel zum Pol-Pot-Regime auch die US-Kriegsherren für diesen verbrecherischen, durch nichts zu rechtfertigenden Krieg zur Verantwortung gezogen werden sollen. So betrieben, kann internationales Strafrecht eine befriedende Wirkung nicht entfalten, denn es bestätigt nur wieder die alte Erfahrung: "Wer die Macht hat, hat das Recht". Es wird unsere Aufgabe als Bewegung für den Frieden bleiben, auf solche Defizite unermüdlich aufmerksam zu machen, und einzufordern:

-Stärkung des Internationalen Gerichtshofs; Verpflichtung für alle Mitglieder der UN, internationale Konflikte vor diesem verhandeln zu lassen, und dessen Entscheidungen zu akzeptieren

-Schaffung eines effizienten und von nationalen Regierungen unabhängigen Völkerstrafrechts, dass für alle Mitglieder der UN verbindlich ist.

-Stärkung der Generalversammlung der UN, Abschaffung des Veto-Rechts der Atom-Mächte

-Substantielle Aufstockung der finanziellen Ressourcen von UN und deren Regionalorganisationen, z.B. OSZE

Ich will noch einen weiteren Baustein zur Kriegsprävention benennen:

Es ist jedem denkenden Menschen klar, dass der Verkauf von Kriegswaffen das Risiko gewaltsamer Konfliktaustragung schafft bzw. erhöht; Geschäfte mit Kriegswaffen sind also mit Friedenspolitik nicht vereinbar, dies muß gerade den Regierungen der Industrienationen mit Entschiedenheit immer wieder entgegengehalten werden. Es ist doch beschämend, dass die SPD/Grüne-Regierung 1999 alle Rekorde ihrer Vorgänger in Bezug auf Waffenexport gebrochen hat, und z.B. offenbar auch keine Skrupel kennt, dem türkischen Folterregime eine neue Munitionsfabrik zur Verfügung zu stellen.

Unsere Forderung sollte dagegen sein:

-Verbot von internationalen Waffengeschäften; Verpflichtung der nationalen Regierungen hierzu durch ein verbindliches internationales Abkommen.

-Profite durch Handel mit tödlichen Waffen sind ebenso als amoralisch zu brandmarken, wie die Aufrüstung von Stellvertreter-Mächten aus globalstrategischem Kalkül.

Die drängende und manchmal auch bedrückende Frage ist: was können wir als gesellschaftliche Basis denn konkret tun, um so weit reichende Ziele voran zu bringen. Wir mußten die Erfahrung machen, dass die Stimmabgabe bei Wahlen nur eine sehr begrenzte Reichweite hat. Vielleicht sollten wir gerade den grünen Bundespolitikern sogar ein wenig dafür danken, dass sie uns in so unübersehrbarer Weise die Notwendigkeit eigener, außerparlamentarischer Anstrengungen deutlich gemacht haben.

Ganz hilflos sind wir nicht:

Kriegsherrn sind in vielfacher Hinsicht auf Zustimmung und Unterstützung ihrer jeweiligen Bevölkerung angewiesen

Haß auf "die anderen", Verlust der Phantasie und mangelnde Einfühlung in das Leben und Leiden von Mitmenschen, Verbreitung von Denkfaulheit und Mangel an Zivilcourage sind unentbehrlich in der Vorbereitung der Massenbarbarei. Alles, was dem rechtzeitig entgegenwirkt, ist zivile Kriegsprävention.

Das Eintreten für ein Ende der fortschreitenden innergesellschaftlichen Polarisierung von reich und arm, die die Gewaltbereitschaft nach innen und außen immer weiter erhöht; die Sensibilisierung möglichst vieler Menschen für das Schicksal von Flüchtlingen, und das aktive und praktische Eintreten für ihren Schutz - all dies bedeutet die Verteidigung humaner Standards im gesellschaftlichen Alltag, und ist gleichzeitig auch sozialpsychologische Kriegsprävention; eine alltägliche Aufgabe, die jede und jeder von uns an ihrem gesellschaftlichen Platz leisten kann.

Übrigens hatte Andersens Märchen ja fast ein Happy-end: ein kleines Mädchen vertraute seinen eigenen Augen und seinem eigenen Verstand, und sagte zu seinem Vater: "aber er hat ja nichts an!" Das sprach sich herum, und "er hat ja nichts an!" rief zuletzt das ganze Volk. Vielleicht können wir uns als Friedensbewegung in der nur scheinbar machtlosen Rolle des kleinen Mädchens wiederfinden.


Matthias Jochheim ist Mitglied der IPPNW

E-Mail:   matthias.jochheim@t-online.de
Internet: http://www.ippnw.de
 zum Anfang

 vorheriger

 nächster
  
Artikel

       
Einige weitere Texte (per Zufallsauswahl) zum Thema
Ostermärsche
Ostermärsche
OM 2001 Rede Stuttgart
OM 2001 Pressesplitter 17.4.2001
OM 2001 Rede Angenfort
OM 2001 Rede Rohr in Herne
OM 2001 Rede Strutynski in Dortmund

Bereich

 Themen 

Die anderen Bereiche der Netzwerk-Website
         
Netzwerk   F-Forum  Termine  Jugo-Hilfe Aktuell