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Ostermär-
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vom:
16.04.2001


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Rede beim Ostermarsch 2001 am 16. April 2001, Schlossplatz Stuttgart

Schritte auf dem Weg zu einer Bundesrepublik ohne Armee und Rüstungsindustrie

Jürgen Grässlin

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

in den letzten Wochen eine Frage die politische Diskussion um die Zukunft der Streitkräfte bestimmt: Hat die Bundeswehr genug Geld, um ihren Auftrag auszuführen?

Die Oppositionsparteien CDU/CSU und FDP haben dadurch hervorgetan, dass sie vehement mehr Geld für die Ausrüstung der Bundeswehr gefordert haben. Die Rot-Grüne-Bundesregierung vertrat dagegen mehrheitlich die Ansicht, die Bundeswehr könne bereits heute ihrem Auftrag voll und ganz gerecht werden.

Allerdings versuchte Bundesverteidigungsminister Scharping, weiteres Geld für seine Truppe und deren Bewaffnung locker zu machen. Sein Vorschlag lautete: Über einen Zwischenkredit sollten Erlöse von bis zu 3 Milliarden DM aus dem anstehenden Verkauf militärischer Liegenschaften im Voraus erstattet werden.

Diese Diskussion ist abstrus! Denn die Bundeswehr verfügt heute über viel zu viel und nicht über zu wenig Geld!

Rechnet man die Ausgaben aus dem Einzelplan 14, dem Verteidigungsetat, die im Einzelplan 60 versteckten Ausgaben für den Kosovo-Kampfeinsatz und die so genannten "NATO-investiven Ausgaben" zusammen, dann kommt man auf eine Summe von jährlich mehr als 60 Milliarden DM.

Pro Jahr werden mehr als 60 Milliarden DM für Kampfeinsätze und Waffenbeschaffungen zum Fenster hinaus geworfen, die an anderer Stelle fehlen: vor allem im Arbeits-, Sozial-, Gesundheits-, Bildungs- und Entwicklungshilfeetat sowie bei den Renten.

Diese Rot-Grüne-Rüstungs- und Finanzpolitik ist unsozial, denn sie geht zu Lasten der sozial Schwachen!

Die eigentlichen Fragen aber werden bisher viel zu selten und längst nicht laut genug erörtert:

Wohin marschiert diese Bundeswehr?
Wofür benötigt sie neue Angriffswaffen?


Wir wollen die Schlüsselfragen bei unserem heutigen Ostermarsch in Stuttgart stellen - und die passenden Antworten darauf geben.

Bereits Anfang der 90er Jahren haben wir als Friedensbewegung kritisiert, wie der damalige Verteidigungsminister Volker Rühe unter dem Deckmantel so genannter "humanitärer Friedensmissionen" die schrittweise Umwandlung der Bundeswehr von einer Verteidigungs- zu einer Interventionsarmee vollzog.

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Neue Feindbilder wurden gesucht und gefunden: Gaddafi, Hussein, Milosevic, Führer der "Schurkenstaaten".

Mit seiner "Salamitaktik", die Bundeswehr immer tiefer in militärische Konfliktbereiche zu führen, machte Rühe Kampfeinsätze out of area salonfähig.

 1991 Minensuchverband "Südflanke" im Persischen Golf

 1991 "Engel von Phnom Penh" in Kambodscha (UNTAC)

 1992 Luftbrücke Sarajewo der UNPROFOR im ehemaligen Jugoslawien

 1993 Luftüberwachung durch Awacs-Flugzeuge im ehemaligen Jugoslawien und in Bosnien-Herzegovina

 1993 Nachschub- und Transportbataillon für UNOSOM II in Somalia

Mit diesen Out-of-Area-Einsätzen schufen die liberal-konservative Bundesregierung und die Hardthöhe Sachzwänge als Vorbereitung für deren nachträgliche Legitimation durch das Bundesverfassungsgericht. Diese erfolgte im Nachhinein:

 Urteil Zweiter Senat BVG vom 12. Juli 1994

 1995/1996 Auch Bündnis 90/DIE GRÜNEN stimmten dem IFOR-I- und dem IFOR-II-Einsatz zu.

Zeitgleich mit dem Regierungswechsel in Berlin legitimierte der Deutsche Bundestag erstmals einen gleichermaßen grundgesetz- wie völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen einen souveränen Staat. Die Bundesluftwaffe unterstützte die Luftangriffe auf militärische und zivile Ziel in Serbien. Ziel, so die Vorgabe, war die "Wahrung der Menschenrechte".

Heute zeigt sich dagegen dreierlei:

1.Die Umstrukturierung der Bundeswehr war und ist ein aktiver Beitrag zur Kriegsführung.

2
.Der völkerrechtswidrige Kampfeinsatz im Kosovo konnte seitens der Bundesregierung nur durch eine Vielzahl verfälschter Darstellungen und offensichtlicher Lügen - z.B. Scharpings "Hufeisenplan" - durchgesetzt werden.


Genau aus diesem Grund unterstütze ich die Kampagne der zur Einrichtung eines "Untersuchungsausschusses zum Krieg in Jugoslawien".

3.Die unzureichende Einflussnahme auf die russische Regierung und der Staatsempfang von Präsident Putin bei gleichzeitiger Besetzung und Zerstörung Tschetscheniens zeigen die Instrumentalisierung der Menschenrechtsfrage im Sinne der NATO-Staaten.

Menschenrechte lassen sich nicht herbei bomben - weder seitens der russischen Armee in Tschetschenien noch seitens der NATO im Kosovo! Denn Gewalt erzeugt neue Gegengewalt.

Wer Menschenrechte verwirklichen will, muss erst einmal bei sich selbst anfangen: Die Profiteure der weltweit 49 stattfindenden Kriege und Bürgerkriege sind die Rüstungsproduzenten und -exporteure in den Industrieländern.

In den Jahren 1995 bis 1999 handelte sich dabei um:





1. USA


53 Mrd Dollar


Ständiges Mitglied Sicherheitsrat VN




2. Russland


4 Mrd Dollar


Ständiges Mitglied Sicherheitsrat VN




3. Frankreich


11 Mrd Dollar


Ständiges Mitglied Sicherheitsrat VN




4. Großbritannien


7 Mrd Dollar


St. Mitglied Sicherheitsrat VN




5. Deutschland


6 Mrd Dollar


Mitglied VN




7. China


2 Mrd Dollar


Ständiges Mitglied Sicherheitsrat VN





(Quelle: SIPRI Yearbook 2000, p. 372)

Spätestens an dieser Stelle zeigt sich die Verlogenheit der so genannten "Menschenrechtspolitik" der Staaten, die als Ständige Mitglieder im UN-Sicherheitsrat darüber entscheiden, wo eine Militärintervention zugunsten der "Menschenrechte" stattfindet - und wo nicht. Bei ihren Kampfeinsätzen sammeln ihre Militärs genau die Waffen ein, die ihre Rüstungsindustrie zuvor gegen teures Geld geliefert hat.

Denn 85 Prozent der Rüstungsexporte erfolgen durch amerikanische, russische, französische, britische und chinesische Waffenschmieden.

Wenigstens in diesem Sinne gäbe es ein durchaus ernst zu nehmendes Argument, auch die BR Deutschland in den UN-Sicherheitsrat aufzunehmen: Dann nämlich würden die sechs Ständigen Mitglieder mehr als 90 Prozent des Weltwaffenhandels bestimmen. Bei ihren Out-of-Area-Einsätzen - ob in Somalia oder in Jugoslawien - sammeln Bundeswehrsoldaten deutsche Waffen.

Hier geht es um Schröders Arbeitsplätze in der Rüstungsindustrie. Mit Humanität hat diese Politik absolut nichts zu tun!

Denn neun von zehn Kriegsopfern - in der Militärsprache "Weichziel" oder "Kollateralschaden" genannt - sind Zivilistinnen und Zivilisten: Kinder, Frauen, alte Menschen.

In der Türkei tobt seit Jahren ein tödlicher Bürgerkrieg. Er ist Ursache für die Flucht von Hunderttausenden von Menschen.

Bereits im Januar 1993 habe ich mit Freundinnen und Freunden der Friedens- und Menschenrechtsbewegung Strafanzeige wegen Beihilfe zum Völkermord durch Rüstungsexporte in die Türkei gestellt.

Wir begründeten damals unsere Strafanzeige mit folgenden Argumenten, ich zitiere:

"Mitten in Europa herrscht Krieg - doch niemand sieht hin... Eine Zurückweisung der Strafanzeige wäre ein weiterer Beweis für die Doppelmoral der deutschen Politik und Gerichtsbarkeit, die von internationaler Geltung der Menschenrechte... spricht, aber gleichzeitig die eigenen Kriegsverbrecher ungestraft weiter Beihilfe zum Völkermord am kurdischen Volk leisten lässt." (Vorwort der Broschüre zur Strafanzeige)

Diese Aussagen stammen von Angelika Beer, damals Mitglied im Bundesvorstand der GRÜNEN. Sie haben bis heute nichts an ihrer Gültigkeit verloren.

Heute aber sind SPD und GRÜNE an der Regierung. Viele von uns haben sie im September 1998 gewählt, weil sie uns versprochen haben, die menschenverachtende Rüstungsexportpolitik zu beenden.

Die Zahlen des Rüstungsexportberichts 1999 sprechen für sich: Unter Rot-Grün verdoppelte sich die Zahl deutscher Rüstungsexporte von 1997 auf 1999.

Die Türkei - nach wie vor Krisen- und Kriegsgebiet - liegt mit Waffentransfers in Höhe von rund 1,9 Milliarden DM mit deutlichem Abstand an erster Stelle der Empfängerländer. Gleichzeitig werden weiterhin Kurdinnen und Kurden in die Türkei abgeschoben.

Die Sachlage als solche hat sich verschärft: Unter Rot-Grün morden mehr deutsche Waffen und deutsches Geld in aller Welt!

Mittlerweile hat der Bundessicherheitsrat die Lieferung einer Munitionsfabrik der deutschen Rüstungsfirma Fritz Werner in die Türkei genehmigt.

Diese Rüstungsexport- und diese Flüchtlingspolitik sind inhuman!

So lange die Grenzen offen sind Waffenlieferungen und geschlossen für Flüchtlinge, halte ich das Gerede um Humanität für verlogen.

Wenn nicht Menschenrechte im Mittelpunkt bundesdeutscher Außenpolitik stehen, was dann?

Die Antwort hat Verteidigungsminister Rudolf Scharping im Juli 2000 gegeben, als er bekundete: "Wir erhalten 90 Prozent unserer Rohstoffe aus dem Ausland." (TV-Diskussion Phoenix 09.07.00)

Eine solche Aussage steht im Einklang mit den gültigen Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR). Dort heißt es: "Deutsche Politik lässt sich von vitalen Sicherheitsinteressen leiten..." Zu diesen zählen laut Punkt 8. die "Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt..."

Im Rahmen der neuen NATO-Strategie dienen hierzu hoch professionelle Soldaten der so genannten "Krisenreaktionskräfte" als schlagkräftige Eingreiftruppe, die juristisch wie geographisch grenzenlos intervenieren.

Volker Rühe schuf die so genannten Krisenreaktionskräfte (KRK) und das Kommando Spezialkräfte (KSK) in Calw zur Durchsetzung seiner globalen Interessenspolitik.

Noch in ihrem Wahlprogramm zur Buntestagswahl 1998 forderten die GRÜNEN: "Die Krisenreaktionskräfte und insbesondere das Kommando Spezialkräfte sind aufzulösen." (Wahlprogramm BTW S. 146) Heute stimmen sie der Verdreifachung ihrer Zahl von 50.000 auf 150.000 zu.

Die neue europäische Interventionsstreitkraft soll 60.000 Soldaten umfassen.

Als Bundestagskandidat von B90/GRÜNE 1998 stehe ich weiterhin zum Wahlprogramm.

Aus meiner Sicht ist die heutige GRÜNEN-Politik verlogen: Denn nie zuvor in der deutschen Geschichte hat eine Partei ihrer Wählerinnen und Wähler derart getäuscht.

Spätestens jetzt wird auch offensichtlich, worum die Bundeswehr ihre überschüssigen Waffen exportiert: Für ihre Kampfeinsätze in aller benötigt sie Waffensysteme mit höchster Treffsicherheit und Reichweite. Zu ihnen zählen u.a.:

 die Fregatte F 124

 der Eurofighter (Typhoon)

 das neue Transportflugzeug M400

 der Panzerabwehrhubschrauber PAH 2 (Tiger)

 entwickelt und gefertigt vom größten deutschen Rüstungsproduzenten und -exporteur DaimlerChrysler (Stuttgart)

 das G36-Gewehr von Heckler & Koch (Oberndorf)

In einer Beschaffungswelle nie gekannten Ausmaßes stattet die Rot-Grüne-Bundesregierung die Bundeswehr mit neuen High-Tech-Waffen aus. In den kommenden Jahren sollen neue Waffensysteme im Wert von mehr als 200 Milliarden DM beschafft werden.

Um dieses Aufrüstungsprogramm finanzieren zu können, wird der investive Anteil für Beschaffungen im Verteidigungsetat erhöht. Gleichzeitig wird die Personalstärke gesenkt. Ziel ist eine kleinere, jedoch schlagkräftigere Bundeswehr.

Stolz hat Rudolf Scharping im letzten Jahre verkündet, dass der EP 14 seit 1991 zum ersten Mal wieder um 800 Mio DM gewachsen ist. (TV-Diskussion Phoenix 09.07.00) Die Rot-Grüne-Bundesregierung ist integrativer Teil des Militärisch-Industriell-Politischen Komplexes geworden. Das "Diktat der Rüstungsindustrie" hat sich gegen das "Primat der Politik" durchgesetzt.

Die Marginalisierung der UNO durch NATO-Kampfeinsätze, die NATO-Osterweiterung und die schleichende Zustimmung zum US-Raketenabwehrsystem NMD stehen in der Logik dieser Entwicklung.

Denn unsere Werte sind nicht militärischer Machterhalt oder wirtschaftliche Interessen - sondern Toleranz, Mitmenschlichkeit, Humanität und Gerechtigkeit.

Unser Ziel ist der Ausstieg aus der Rüstungsproduktion und die Umstellung auf eine sinnvolle zivile Fertigung.

Wer Frieden schaffen will, muss Frieden organisieren und finanzieren. Den Weg dorthin weist FÜNF FÜR FRIEDEN. Diese internationale Abrüstungsinitiative - unterstützt vom Friedensnobelpreisträger José Ramos-Horta, der DFG-VK, von vielen weiteren Friedensorganisationen und Einzelpersonen - fordert die stufenweise Senkung der Militär- und Rüstungshaushalte um mindestens fünf Prozent pro Jahr.

Die FÜNF-Dividende benötigen wir für

 Beseitigung des Hungers

 Erhalt und Ausbau von Bildungs- und Gesundheitssystemen.

 Bekämpfung von Arbeitslosigkeit,

 Frauenförderprogramme

 Sicherung sozialstaatlicher Aufgaben

 Abbau der Militärapparat
e

 Umschulung von Soldaten

 Konversion der Rüstungsindustrie - Zivilfertigung.

Von der Bundesregierung fordern wir:

 die Reduzierung des Verteidigungshaushalts um mindestens 5 Prozent pro Jahr und die Umwidmung der Gelder im Sinne der FÜNF-Initiative

 die sofortige Abschaffung der Krisenreaktionskräfte und des Kommando Spezialkräfte

 den Stopp aller Waffenbeschaffungsprogramme für Out-of-Area-Einsätze

 die Verwirklichung der Menschenrechte mit einer glaubwürdigen Menschenrechtspolitik - und das heißt auch: den sofortigen Stopp aller Rüstungsexporte!

Vielen Dank.

Jürgen Grässlin ist Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), Sprecher der Kritischen AktionärInnen DaimlerChrysler (KADC) und Mitglied im Vorstand des Rüstungs-Informationsbüro Baden-Württemberg (RIB e.V.), e-mail:
j.graesslin@gmx.de



E-Mail:   buero@friedensnetz.de
Internet: http://www.friedensnetz.de
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