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Ostermär-
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vom:
17.04.2001


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Ansprache beim Ostermarsch Ruhr 2001 an der Herner Kreuzkirche, Ostersonntag, 15.April 2001

Sonderangebot!

Harald Rohr

"Sonderangebot! 400.000 Sturmgewehre G3, Heckler&Koch, 1A deutsche Wertarbeit, von deutschen Soldaten fachmännisch und liebevoll gepflegt, in erstklassigem Zustand; umständehalber abzugeben - nur in vertrauenswürdige NATO-Hände"

Bei solchen Angeboten, wie sie derzeit unser Verteidigungsminister macht, fängt die Aufgabe an, die der Ostermarsch Ruhr 2001 proklamiert: "Die Politik zivilisieren."

Zugegeben: 400.000 alte Knarren, die der Minister wegen leerer Kassen nicht in die Schrottpresse, sondern auf den Waffen-Weltmarkt werfen will, das ist nicht gerade die Raketenabwehr im Weltall. Aber Kleinvieh macht Mist; tödlichen Mist, wenn es sich bei dem Kleinkram um sogenannte Kleinwaffen handelt.

90% aller Toten und Verstümmelten in den Kriegen unserer Tage fallen nicht Panzern, Flugzeugangriffen, schon garnichts Schiffsattacken zum Opfer. Sie werden ganz einfach totgeschossen mit ganz banalen Gewehren. Und neben dem AK 47, der russischen Kalaschnikow, erfreut sich das deutsche G3 dabei eines verzweifelt guten Rufes.

Minister Scharping kann uns nicht weismachen, dass er an das Märchen vom sicheren Verbleib deutscher Waffen in den Händen ehrlicher NATO-Partner oder guter Schweizer und Japaner glaubt. Kleinwaffen sind wie Wasser. Sie fließen in jede Ritze im Gebirge der politischen Konflikte und landen in den Händen derer, die sie auch benutzen, Männer, Frauen und mindestens 300.000 Kindersoldaten.

Also: wenn Herr Scharping seinen Jungs und Mädels neue high-tech-Knarren austun will, für den Zug in die schöne neue Welt der humanitären oder nicht ganz so humanitären Kampfeinsätze, dann erwarten wir, dass er das alte Zeug verschrotten lässt und nicht noch ein paar läppische Millionen für die Reisekasse seiner Truppe herausschlägt.

Die Politik zivilisieren: eine Bundesregierung, die das wollte, fände viele lohnende Aufgaben. Eine Sache, von der anderenorts beim Ostermarsch 2001 kaum die Rede sein dürfte. Aber hier in Herne ist sie ein Thema - wegen partnerschaftlicher Beziehungen der hiesigen evangelischen Kirche:

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Afrikas Erster Weltkrieg, auf den "killing fields" des Kongo, ironischerweise "Demokratische Republik Kongo" genannt. Selbst hier, unter den Teilnehmenden dieser Kundgebung werden nicht alle wissen, wovon wir da reden. Zugegebenermaßen nicht von Weltraum, neuer Atomrüstung, Computerkriegen der Zukunft und einer Bundeswehr, die weltweit als "Knüppel aus dem Sack" dient.

Wir reden von einem Krieg, der in Wahrheit aus einer Kette von Kriegen besteht und in den letzten vier Jahren unvorstellbare 1,7 Millionen Menschen verschlungen hat. Gut und gerne ein Dutzend Staaten und innerkongolesische Kriegsparteien sind offen beteiligt. Die Weltwirtschaft, auch unsere, zieht im Hintergrund die Fäden. Denn wie fast immer in den Kriegen unserer Zeit geht es jenseits aller offensichtlichen und propagandistischen Kriegsziele um Milliarden und Billionen. Holz, Diamanten, Kupfer und eine ganze Latte seltener Rohstoffe, die jeder Wirtschaftsstratege auf seiner Rechnung hat - und von denen wir kaum die Namen kennen. Oder sagt euch der Name Coltan sehr viel? Dies seltene Metall steckt in jedem Handy und in vielen Komponenten der high tech-Rüstung. Die Kriegskassen im Kongo bleiben gefüllt, weil der Weltmarkt jedes Kilo Kongo-Coltan gierig aufsaugt.

Die Politik zivilisieren: da hätten Außenminister und Kanzler in ihrer Afrika-Politik gut zu tun. Aber da, wo eine schnelle Eingreiftruppe nichts auszurichten vermag, versteckt sich Joschka Fischer hinter Brüssel und Paris. Eine eigene deutsche Politik zur Kriegsregion in und um den Kongo sei nicht zu erwarten, hat er uns ausdrücklich wissen lassen.

Wir lassen uns damit angesichts des vielleicht schauderhaftesten Krieges unserer Zage nicht abspeisen. Berlin kann, wenn es will. Und zwar nicht nur einen Beitrag zur Finanzierung der UN-Blauhelme zahlen.

Berlin kann sich stark machen für eine Zertifizierungspflicht für Diamanten. Blutdiamanten für Industrie oder Klunker gehören aus dem Verkehr gezogen. Das geht nicht mit einem Fingerschnipsen, aber Vorschläge des UNO-Generalsekretärs liegen auf dem Tisch. Er könnte die Unterstützung einer der einflussreichsten Industrienationen gut gebrauchen.

Berlin hat sich leider einer UN-Initiative zur Ächtung der Zwangsrekrutierung und des Einsatzes von Kindersoldaten verweigert. Doch wohl nicht deshalb, weil man hierzulande schon mit 17 zum Bund gehen kann und die UNO die Grenze bei 18 ziehen wollte?

Wir können nicht erkennen, dass Berlin den nötigen Druck auf jene Staaten ausübt, deren Truppen heute im Kongo stehen: durch die Bank Länder, die auf der Empfängerliste deutscher staatlicher Entwicklungshilfe stehen. Es ist schon seltsam: afrikanische Regierungen, die bei der Rücknahme von ein paar hundert Flüchtlingen nicht fix kooperieren, sollen nach dem Willen deutscher Minister finanziell abgestraft werden. Aber bei grausamen, sinnlosen und Volksvermögen verschlingenden Kriegen dürfen sie mitmachen, ohne dass Deutschland Konsequenzen zieht. Es ist eben bequemer und fürs Exportgeschäft besser, sich hinter der EU zu verstecken.

Die Politik zivilisieren: dazu noch dieses. Als ich zu reden begann, ist irgend wo in der Ukraine eine Großmutter gestorben, die von 1943 bis 1945 als Zwangsarbeiterin in einem hiesigen Betrieb ausgebeutet worden ist. Ihr Tod ist natürlich keine persönliche, sondern eine statistische Nachricht. Und jetzt, wo ich gleich Schluss mache, stirbt irgendwo in Kanada ein alter Mann. Er braucht die Entschädigungszahlung vielleicht nicht zum Leben, aber für ihn ganz persönlich wäre es vielleicht ein Anlass gewesen, den Deutschen zu verzeihen.

Alle 11 Minuten, hat jemand ausgerechnet, streicht der Tod ein Opfer der Nazi-Kriegswirtschaft von der Anwärterinnen-Liste. Wenn die Auszahlungen tatsächlich etwa, wie jetzt angekündigt, mit der Sommerpause beginnen sollten, wären das noch mal 10.472 alte Leute weniger. Und statistisch, wenn wir mal ganz grob sagen, dass jeder 500. Deutsche in Herne lebt, wären das reichlich 20 Menschen, die damals irgendwie die Zwangsarbeit in Herne und Wanne-Eickel überstanden haben. Aber jetzt leben sie nicht lang genug, um diese Geste der Anerkennung erlittenen Unrechts noch zu erfahren.

Das ist unerträglich. Deshalb fordere ich die Bundesregierung auf, die Entschädigungszahlungen sofort zu beginnen. Sollen doch ihre Juristen Vorbehaltsklauseln formulieren, wie auch immer. Das hat es Bedarf in Politik und Rechtsleben immer wieder gegeben. Der kühle Kopf, der noch mal zehntausend Greisinnen und Greise wegen Rechts-Unsicherheiten wegsterben lässt, ist nicht kühl, sondern eiskalt.

Und noch dies: wir hätten unseren Oberbürgermeister schon längst bitten müssen, sich um die Zahlungsmoral der hiesigen Wirtschaft zu kümmern. Auch wenn die Wirtschaftsverbände inzwischen für den Gesamt-Anteil der Wirtschaft bürgen, bleibt das konkrete Verhalten der einzelnen Unternehmen wichtig. Dabei geht es nicht darum, wer in den letzten 60 Jahren wen wann gekauft hat, oder welches Unternehmen wann ins Handelsregister eingetragen worden ist. Deshalb beteiligen sich ja auch Unternehmen, die es nun wirklich damals noch nicht gegeben hat. Wir brauchen, spät aber noch nicht zu spät, die lokale Diskussion in dieser Sache.

Die Politik zivilisieren: es bleiben all die Herausforderungen, die bei den vielen anderen Veranstaltungen des Ostermarsches Ruhr 2001 angesprochen worden sind.

Aber der Slogan ist gut. Er hat es in sich. Er macht Mut. Denn er unterstellt, dass wir es immer noch in der Hand haben, den Dingen ihren Lauf zu lassen, oder den Mächten des Todes zu widerstehen und sie in die Flucht zu schlagen.

In diesem Sinne: "Frohe Ostern!"


Harald Rohr arbeitet beim Infozentrum III. Welt

E-Mail:   iz3w.kkherne@cww.de
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