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Ostermär-
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vom:
03.04.2002


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Rede bei der Auftaktveranstaltung "Ostermarsch 2002 Nürnberg" in Erlangen, 01.04.02

"Krieg und Abbau demokratischer Rechte"

Hans Hoyer (Erlanger Bündnis für den Frieden)

- Es gilt das gesprochene Wort -



Liebe Friedensfreundinnen und -freunde,

ich bin vom Erlanger Bündnis für den Frieden gebeten worden, heute einen Beitrag zum Thema "Krieg und Abbau demokratischer Rechte" zu halten.

Ich heiße Hans Hoyer und habe eine Vergangenheit im Umgang des Staates mit meinen und damit Ihren Verfassungsrechten.

1977 erhielt ich von der bayerischen CSU-Regierung Berufs- und Ausbildungsverbot als Lehrer - weil ich an der Erlanger Universität als Mitglied im MSB Spartakus und in der DKP Flugblätter unterzeichnet, Infostände angemeldet oder zum Studentenparlament kandidiert hatte.

Heute arbeite ich im Klinikum am Europakanal als Krankenpfleger. Ich bin aktives Mitglied in der Gewerkschaft ver.di und im Personalrat des Klinikums.

Für mein Berufsverbot bin ich bis heute weder rehabilitiert noch sozial entschädigt worden.

Als ich im November letzten Jahres die Zeitung aufschlug, dachte ich, bitte nicht schon wieder. In Siegen wurde der Lehrer Bernhard Nolz kurz nach dem 11. September vom Dienst suspendiert, weil er öffentlich für den Frieden gesprochen hatte. In den Neuen Bundesländern wurden 2 Lehrerinnen schikaniert bzw. suspendiert, weil sie die "bedingungslose Solidarität" von Kanzler Schröder mit der Bush-Regierung kritisierten. In Lüdenscheid wurde dem Türken Metin Serefoglu von der Firma Kostal fristlos gekündigt, weil er nicht an der betrieblich verordneten Schweigeminute teilgenommen hatte.

Berufsverbote und Entlassungen aus politischen Gründen haben eine unselige Tradition. Von den Berufsverboten der Nazis bis zum sogenannten "Radikalenerlass" vom 28.1. 1972, den der damalige Mitunterzeichner Bundeskanzler Willy Brandt als einen großen "Irrtum" bezeichnete, bis zu den Suspendierungen von heute.

In Nürnberg erhielten Mitte der 70er Jahre Heinrich Häberlein, damals Landesvorsitzender der DFG-VK, Helmut Leonhardt, Gerhard Bitterwolf, Manfred Lehner-Wendt, Peter Weiß Berufsverbot. Die Staatsbehörden hielten ihnen vor allem ihr Engagement in der damaligen Friedensbewegung und ihren Einsatz für die friedliche Koexistenz unterschiedlicher Gesellschaftssysteme vor.

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Bernhard Nolz ist seit dem 6.12. 2001 wieder als Lehrer tätig. Er wurde an eine andere Schule versetzt - aber nicht rehabilitiert. Heinrich Häberlein und die anderen genannten sind heute teilweise als Lehrer tätig. Bis heute sind sie aber weder rehabilitiert noch sozial entschädigt worden.

Metin Serefoglu, Vater von 4 Kindern, erhielt nach seinem Rausschmiss eine dreimonatige Sperre des Arbeitslosengeldes. Wie es mit ihm weitergegangen ist, konnte ich leider nicht in Erfahrung bringen.

An dieser Stelle fordere ich die Rehabilitierung und die materielle Wiedergutmachung für all die Opfer von Berufsverboten.

Das Grundgesetz garantiert das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung - auch dann, wenn diese Meinung den Überlegungen der Regierenden widerspricht. Die aufgeführten "Fälle" zeigen aber, wer nicht "bedingungslos solidarisch" mit den Kriegstreibern ist, riskiert seinen Job.

Was geschieht seit dem 11.9. mit unseren demokratischen Grundrechten?

Im Krieg stirbt immer die Wahrheit zuerst. Die Freiheit stirbt im Krieg dann mit Sicherheit.

Unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung wird die Angst benutzt zum Abbau demokratischer Rechte und Freiheiten in großem Stil. Wir haben von der SPD-Grünen-Regierung im Bündnis mit der CDU/CSU zwei sogenannte Sicherheitspakete erhalten, die es in sich haben.

Was vor allem mit dem sogenannten 2. Sicherheitspaket von dieser Bundesregierung durchgesetzt wurde, trägt nach Burkhard Hirsch (FDP) den "totalitären Geist".

Martin Kutscha, Berliner Staats- und Verwaltungsrechtler spricht von "der Nähe zu totalitären Staaten".

Die ehemalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) erblickte am Tag der Verabschiedung in verschiedenen Regelungen ein "deutliches Zeichen auf dem Weg in einen Polizei- und Überwachungsstaat".

Wovon reden die drei Genannten? Ich kann nur einige wesentliche Aspekte nennen.

Bundeskriminalamtes BKA:

Die Kompetenzen des Bundeskriminalamtes BKA wurden ausgeweitet. Das Tor zu verdachtsunabhängigen BKA-Ermittlungen wurde geöffnet. Das BKA kann jetzt auch Anhänger sogenannter ausländischer "Terror"-Organisationen verfolgen. Die Zentralstellenfunktion des BKA wurde gestärkt.

Geheimdienste:

Die Geheimdienste werden mit den Polizeibehörden vernetzt. Damit wird ein rechtspolitisch höchst bedeutsamer Weg weiter beschritten: Die de-facto-Abschaffung des Trennungsgebotes zwischen Polizei und Geheimdiensten, das nach dem NS-Faschismus die Entstehung übermächtiger (weil unkontrollierbarer) Sicherheitsapparate verhindern sollte. Die Regierung der BRD befreit sich damit von Einschränkungen, die die Alliierten dem deutschen Rechtssystem nach den Erfahrungen mit der Gestapo usw. auferlegt hatten.

Der Verfassungsschutz erhält mit der Befugnis zur Kontrolle von Geldströmen auf Konten de facto den Charakter einer quasi-polizeilichen Ermittlungsbehörde, freilich ohne irgendeiner justiziellen Kontrolle zu unterliegen.

Ausländerrecht:

Die ausländerrechtlichen Regelungen wurden drastisch verschärft. Wer von Ihnen, die sie jetzt hier stehen, einen Ausländer zu sich einlädt, steht bereits im Fadenkreuz geheimdienstlicher Ausforschungen. Wer als Flüchtling oder anderer Ausländer zukünftig in die BRD einreist, wird in vielerlei Hinsicht als potentieller Tatverdächtiger behandelt. Deutsche Einladende und ausländische Gäste werden grundsätzlich als potentielle "Verfassungsfeinde" behandelt.

Sämtliche Nichtdeutsche mutieren in den Augen des Gesetzes zu überwachungsbedürftigen Sicherheitsrisiken.

Rassistische Parolen gehören schon lange wieder zum Alltag in der BRD. Durch die neuen Programme zur "inneren Sicherheit" wird das ausländerfeindliche Klima bewusst weiter geschürt. Auch das Asylrecht wird praktisch aufgehoben.

Mit der Ausweitung der Rasterfahndung und der Regelanfrage zur Verfassungstreue wollen die Regierenden die Sache abrunden. Erst vor kurzem wiesen aber zwei Gerichte der zweiten Instanz die Rasterfahndung, die nach dem 11. September durchgeführt wurde, zurück, weil es dafür keine rechtliche Grundlage gebe. Es handelt sich dabei um das Landgericht Berlin (15.1.2002) und das Landgericht Wiesbaden (6.2.2002)

Heribert Prantl, einer der Herausgeber der Süddeutschen Zeitung schreibt am 15.12.2001 dort:

" Der Geist des Präventionsstaates sieht so aus: Jeder Bürger ist potenziell gefährlich; es muss also erst einmal festgestellt werden, dass er konkret nicht gefährlich ist - er muss sich also entsprechende Überprüfungen gefallen lassen. Bisher war dies umgekehrt. Man nannte das Rechtsstaat."

Das tückische an diesem Abbau von Rechtsstaatlichkeit ist, Sie spüren ihn in der Regel nicht sofort.

Deshalb kann die Nürnberger Nachrichten am 4.12. 2001 kaum widersprochen titeln: "Der gläserne Bürger schreckt niemanden mehr."

Mich schreckt der gläserne Bürger.

Wer Krieg nach außen führt, braucht die Friedhofsruhe im eigenen Land. Da gilt es, jeden Widerstand von vornherein zu unterdrücken. Um dies zu erreichen, wurde die BRD auf den Weg zum Polizeistaat gebracht. Die Schily`schen Gesetze sind nicht dazu gemacht, Terroristen zu enttarnen. Mit der Ideologie von umfassender Sicherheit und Kontrolle soll das Vertrauen der Bevölkerung in den Staat gesichert werden. Gesetzlichen Schutz vor Missbrauch ihrer Gesetze haben sie aber überhaupt nicht vorgehen. Niemand weiß, was mit den Daten geschieht.

Mit den Schily`schen Gesetzen wurde die erkennungsdienstliche Behandlung zur Standardmaßnahme für jedermann erhoben. Es ist nicht so, dass wer sich nichts zu Schulden kommen lässt, auch keine Probleme bekommt. Die Redlichkeitsvermutung der Bürger als Leitgedanke unserer Rechtsordnung wurde abgeschafft. Das ist deshalb so bemerkenswert, weil unter JuristInnen weitgehend anerkannt ist, dass eben dieses Prinzip den Rechtsstaat vom Polizeistaat unterscheidet. Es wird ein Boden bereitet, auf dem das Überwachtwerden zur Normalität für die Menschen zu werden droht. Niemand kann wissen, in welchen Bereichen er dem allseits präsenten und allseits informierten Staat noch entgehen kann. Genau dies hat das Bundesverfassungsgericht 1983 aber als verfassungswidrig gebrandmarkt.

Es wird mit den Gesetzen der Boden bereitet für ein undemokratisches Staatswesen, in der die Bürgerinnen und Bürger auf heute noch ausgeübte Freiheitsrechte schlicht verzichten, um nicht die Aufmerksamkeit der Sicherheitsbehörden zu erregen.

Wer immer noch nicht spurt, soll mit Existenzbedrohung- wie im jüngsten Berufsverbotsfall Bernhard Nolz demonstriert - eingeschüchtert werden.

Wem nützt der Anschlag? habe ich mich am 11.9. letzten Jahres gefragt - mal völlig unabhängig davon, wer in nun wirklich ausgeübt hat. Die Nato-Länder, allen voran die Bush-Regierung wollten ihren Krieg zur Durchsetzung ihrer Interessen auf dem ganzen Erdball. Dazu brauchen sie Friedhofsruhe im Inneren. Die Regierung Schröder/Fischer hat dies verstanden und sie hat entsprechend gehandelt. Und so getrauen sich die Nürnberger Nachrichten in einer Überschrift in ihrer Weihnachtsausgabe 2001 zu schreiben: "Auslandseinsätze regen niemanden mehr auf".

Da haben sie sich aber getäuscht. Die bisherige Bilanz der diesjährigen Ostermärsche zeigt dies deutlich und macht mir Hoffnung. Wer für den Frieden streiten will, der braucht die demokratische Luft der Freiheit zum Atmen. Diese Luft wird uns nicht geschenkt. Wir müssen sie uns täglich erstreiten.

Ich kann leider nicht mit nach Nürnberg fahren. Um viertel nach eins beginnt meine Spätschicht. Ihnen allen wünsche ich für Nürnberg einen tollen Ostermarsch.

Danke schön.



E-Mail:   friedensbündnis-er@gmx.de
Internet: http://www.fen-net.de/~fi106/ebf.html
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