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Ostermär-
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vom:
03.04.2002


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Rede beim Ostermarsch 2002 in Würzburg, 30.03.2002

Stimmen gegen den Krieg - gegen den Krieg stimmen

Dieter Reichert

- Es gilt das gesprochene Wort -



Liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer am diesjährigen Ostermarsch,
liebe Zuhörerinnen und Zuhörer

die Ostermarschbewegung hatte sich entwickelt mit dem Widerstand gegen die Wiederaufrüstung nach dem 2. Weltkrieg und in den Zeiten des Kalten Krieges.

Sie wandte sich gegen Atomwaffen und die Stationierung der Mittelstreckenraketen in der BRD, sie leistete Widerstand gegen den Krieg in Vietnam und den Einfluss der Rüstungsindustrie in der Landes- und Weltpolitik.

Heute stehen wir einer neuen Erfahrung gegenüber. Deutschland ist aktiv an der direkten Kriegführung in Afghanistan beteiligt. Elitetruppen des Kommandos Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr führen im Rahmen der Operationen der US-Streitkräfte einen Vernichtungskrieg gegen Truppen der Taliban und der Terror-organisation Al Qaida.

Angesichts dieser Tatsache und auch angesichts der aktuellen Entwicklung im Nahen Osten müßten heute eigentlich mehr Menschen protestieren als hier stehen. Was gibt es für Gründe und was können wir für den Aufbau einer starken Friedensbewegung tun?

Jahrzehntelang war das Freund- Feindbild in der Welt geprägt von der Konkurrenz der beiden Blöcke unter den jeweiligen "Supermächten" USA und Sowjetunion. Auch ohne direkten militärischen Krieg gegeneinander hat das sogenannte "Reich des Bösen" - die Sowjetunion diesen "Kalten Krieg" verloren und ist Ende der 90er Jahre zerbrochen. Ihr verlorener Krieg in Afghanistan hat dazu nicht unwesentlich beigetragen.

Bis dahin war der Kampf um die Macht in der Welt, um Einfluss auf die natürlichen Ressourcen und die Menschen immer versteckt hinter der "Systemfrage": angebliche Verteidigung von Freiheit und Demokratie gegen Unterdrückung und Diktatur.

Und heute? Es gibt noch eine Weltmacht, aber wer ist der Gegner?

Das Reich des Bösen wurde ersetzt durch die sogenannten Schurkenstaaten. Der Krieg ums Öl gegen den Irak wurde so verkauft, getroffen hat er die Zivilbevölkerung. Dem Widerstand gegen einen Diktator Saddam Hussein im eigenen Land hat er nur geschadet.

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Ostermär-
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Die Auflösung Jugoslawiens, eines vorher führenden Landes der Blockfreien-bewegung und der Krieg im Kosovo wurde mit dem Schurken Milosevic begründet. Es gibt dort inwischen kein eigenständiges, auf die Dauer lebensfähiges Land mehr.

Die Schurkenstaaten wurden nach dem Anschlag am 11. September und dem Krieg in Afghanistan von George Bush präzisiert durch die "Achse des Bösen", die Länder Iran, Irak und Nordkorea.

Terror bedroht die Welt und muss ausgemerzt werden, sagt Bush. Niemand kann Terror befürworten. Aber muß man deshalb für Krieg sein, darf man deshalb nicht mehr für Frieden auf die Strasse gehen? Wir alle stehen hier um das Gegenteil zu beweisen.

Terror gedeiht dort, wo Armut und Hoffnungslosigkeit, wo Not und Demütigung herrschen. Er kann furchtbare Ausmasse annehmen wenn sich fremde Interessen dieser Not bemächtigen und für ihre Zwecke nutzen. Er gedeiht dort wo versucht wird mit einfachen schwarz-weiss Strickmustern die Welt zu erklären und mit Gewalt zu lösen. Es ist wohl dieser Zusammenhang der die indische Schriftstellerin Arundhati Roi veranlasste in den Reaktionen Bushs seine dunkle Kehrseite im Vergleich zu Bin Laden zu erkennen.

Schwarz-weiss und stammtischgerecht wird die Welt mit der Achse des Bösen erklärt. Wer nicht für uns ist ist gegen uns und hat mit unserem Angriff zu rechnen. Wer Terrorist ist bestimmen die Vereinigten Staaten.

Wurde dafür im Pentagon das "Office of Strategic Influence" gegründet, das gezielte Falschmeldungen in der internationalen Presse unterbringen soll, wie einige US-Beamte ausgeplaudert haben? Wer erinnert sich noch an die Story zur Begründung des Golfkriegs, nach der irakische Soldaten in Kuwait Säuglinge aus den Brutkästen gerissen und abgeschlachtet hätten? Die angebliche Zeugin entpuppte sich später als die 15jährige Tochter des kuwaitischen Botschafters in Washington. Eine der Firmen, die damals zu dem PR-Konsortium für diesen Öffentlichkeits-Coup gehörte, die Rendon Group, ist bei dem neuen Office wieder dabei.

Bush erklärte bei seinem Besuch in Japan Mitte Februar: "Sie verstehen,dass unser Einsatz nicht nur in Afghanistan stattfindet, dass uns die Geschichte eine einzigartige Gelegenheit zur Verteidigung der Freiheit gegeben hat. Und wir werden diesen Moment ergreifen und es tun."

Mit dem islamistischen Terror hat der Westen wieder einen Feind, gegen den man nach Argumenten nicht mehr suchen muß. Mit den Anschlägen vom 11. September wurde eine ungeheure Angst geweckt, die jetzt eingesetzt werden kann.

Was aber ist die andere Wahrheit? Die Schurkenstaaten und die Achse des Bösen liegen ausgerechnet in Regionen, in denen die USA ihre strategischen Interessen zur Absicherung eines weltumfassenden Einflusses nutzen können.

Der Militärhaushalt der USA wurde 2002 auf 379 Mrd. $ erhöht - 2003 folgt eine weitere Erhöhung um mehr als 50 Mrd. $, die USA haben damit höhere Wehr-ausgaben als alle 15 nachfolgenden Nationen zusammen.

Im Januar dieses Jahres legte das US-Verteidigungsministerium dem Kongress einen Bericht mit dem Titel "Überblick über die nukleare Stellung" vor. Kern dieses anscheinend harmlosen Berichtes ist die Änderung der atomaren Strategie: Kernwaffen sollen in Zukunft nicht mehr der Abschreckung dienen, sondern eingesetzt werden. Die dafür vorgesehenen Länder: Irak, Iran und Nordkorea, Lybien und Syrien, sowie Rusland und China.

Neu ist, dass damit Atombomben eingesetzt werden sollen gegen Länder die selbst über keine Atomwaffen verfügen. Neu ist, dass atomare Kofferbomben entwickelt werden sollen, liebevoll "mini-nukes" genannt, gegen unterirdische Depots und andere "begrenzte" Ziele. Neu ist auch, dass Atomwaffentests entgegen bestehenden Abkommen wiederaufgenommen werden sollen.

Neu ist, dass die alten Rüstungskontrollmechanismen aufgehoben werden sollen, da "dieser alte Prozess nicht zu der Beweglichkeit passt, welche ... die Streitkräfte der USA heute benötigen" wie es in dem Bericht heisst. Das bisherige Prinzip der garantierten beiderseitigen Vernichtung durch Atomwaffen, das "Gleichgewicht des Schreckens" wird ersetzt durch die garantiert einseitige Vernichtung durch die USA.

Mit dem Militärhaushalt wird die sowieso schon vorhandene Überlegenheit konventioneller Waffen und Raketenabwehrsysteme über alle anderen Länder weiter ausgebaut. Zusammen mit den neuen Atomwaffen kann man nur davon ausgehen, dass Bush die USA zu einer alleinigen Kontrolle der ganzen Welt führen will.

Lasst uns diesen neuen Rüstungswahnsinn stoppen.

Interessiert es in diesem Zusammenhang, daß die gesamte US-Regierung durch die Wahlkampffinanzierung der Energie- und Erdölkonzerne an die Macht kam, ja dass sie sich zu einem großen Teil aus ihren ehemaligen Managern zusammensetzt.

Nur ein paar Beispiele: die Sicherheitsberaterin Bushs, Condoleezza Rice arbeitete von 1988 bis 92 als Expertin bei Chevron in Kasachstan. Nach 8 Jahren im Aufsichtsrat dieses Konzerns ist heute ein 130 000 to Tanker nach ihr benannt.

Thomas White, Minister der Streitkräfte im Pentagon war Manager beim gerade Pleite gegangenen Konzern Enron und hatte 25 Mio $ Aktien dort gezeichnet. US-Vizepräsident Cheney war vor seinem Wechsel nach Washington Topmanager bei dem Energiedienstleister "Halliburton".

Dazu passt doch ausgezeichnet daß der jetzige afghanische Premier Hamid Karsai Berater der Ölfirma Unocal war, die eine Pipeline von Turkmenistan nach Pakistan plante. Sie führte durch das von den Taliban kontrollierte Gebiet. Unocal wollte Südostasien mit Rohstoffen versorgen.

Es geht schlicht um die Ausbeutung der gigantischen Öl- und Gasreserven des kaspischen Raums, vor allem an russischem Territorium und Einfluss vorbei.

Ist umgekehrt bekannt, dass der Irak den Ölbedarf der USA zu 8% deckt? Dass das Öl aus dem kaspischen Raum nicht unter dem Einfluss der OPEC steht?

Cheney war im Nahen und Mittleren Osten um den Krieg gegen den Irak vorzu-bereiten. Er hat dort zwar keine Verbündeten gefunden, aber die USA werden ihr Ziel mit aller Gewalt durchsetzen. Dafür sind sie inzwischen sogar bereit notgedrungen eine Konfliktlösung zwischen Israelis und Palästinensern zu suchen. Was sich dort abspielt ist eine Beispiel dafür, wie Gewalt eskaliert, wenn sie zum Mittel der Politik wird.

Scharons Strategie der militärischen Dominanz und gewaltsamen Unterdrückung ist kläglich gescheitert. Die Wirtschaft Israel steckt in der absoluten Krise. Die Menschen können die Verteuerung nicht mehr zahlen. Ein Hamburger kostet doppelt soviel wie in New York, ein Liter Orangensaft im Jaffa-Land 3 ?.

Das Elend der Palästinenser in den Flüchtlingslagern und auf den Westbanks steigt. Was kommt heraus, wenn 14 000 Flüchtlinge in einem Lager von 500 x 300 m Ausdehnung leben? Wenn israelisches Militär die Lager plattwalzt ist kein Problem gelöst, genausowenig wie durch die Terroranschläge von Palästinensern in Israel.

Keine vertragliche Regelung die den Palästinensern Land und die Gründung ihres Staates zusagte wurde von Israel eingehalten, obwohl die Palästinenser Israel und sein Existenzrecht anerkannt haben. Dem will die arabische Liga nun einstimmig folgen. Aber auch dieser Plan wird von Hamas, Dschihad und Scharon unterlaufen mit Gewalt und Gegengewalt. Arafat wird zum Popanz degradiert und zum Abschuss freigegeben. Damit wird auf einen Bürgerkrieg der Palästinenser gesetzt oder offenen Krieg in der Region. Ich bin mir allerdings sicher, dass die Mehrheit der betroffenen Bevölkerung in der Region keinen Krieg will.

Der alte / neue Vorschlag Land gegen Frieden funktioniert auf Dauer nur dann, wenn es gelingt dass Menschen aufeinander zugehen, ihre Schranken und ihr schwarz-weiss Denken überwinden.

Die israelische Friedensbewegung Peace Now und andere sind zu neuem Leben erwacht und haben sich zusammengeschlossen. 300 Reservisten der israelischen Armee haben ihre Stationierung in den Besatzungszonen öffentlich verweigert. Israelische Ärzte und Schwestern gehen über die Grenze zu den Palästinensern um sie zu versorgen und in die Krankenhäuser zu holen.

Diese Ansätze ermutigen in einem schier aussichtslosen Konflikt und sie zeigen die Friedenssehnsucht der Menschen. Stärkung der Kräfte in Israel und Palästina die auf dem Verhandlungswege eine friedliche Lösung suchen ist das Gebot der Stunde.

Während die französische Regierung die weltweiten Kriegspläne der USA zumindest öffentlich kritisiert, windet sich die Bundesregierung darum, wieweit ihre uneinge-schränkte Solidarität gehen soll. Man hat den Eindruck, dass ausgerechnet die Rot-grüne Regierung danach eifert, etwas von dem militärischen Glanz der USA abzubekommen und sich als Hilfssheriff anzubiedern.

Die Umstrukturierung der Bundeswehr zu einer weltweit einsetzbare Berufsarmee, die Beschaffung der dazu notwendigen Truppentransportflugzeuge, die Stationierung von Soldaten und Material in den Krisenherden der Welt und die Teilnahme an Manövern dort, die Belastung der zukünftigen Haushalte mit Militärausgaben und Kürzung dafür vor allem in sozialen Bereichen - von einem verteidigungs- oder friedenspolitischen Auftrag der Bundeswehr bleibt nichts übrig. Gesichert werden soll im Rahmen der US-Militäroperationen ein Anteil an den weltweiten Ressourcen.

Verdunklung ist dabei angesagt und so wundert es nicht, wenn die ersten Kampfeinsätze der Bundeswehr in Afghanistan verschwiegen werden. Schon die Abstimmung im Parlament zur Truppenentsendung konnte nur eine Mehrheit bringen, weil nicht die Kriegsbeteiligung allein zur Abstimmung stand. Auch die Finanzierung der Rüstungsprojekte wird um das Parlament herum eingefädelt.

Hier liegt die ganz gefährliche Seite der gegenwärtig aufgeführten politischen Schmierentheater: in Wahrheit wird mit ihnen die parlamentarische Demokratie ausgehebelt, es wird auf dem Verordnungs- und Verwaltungsweg regiert, die demokratische Kontrolle entfällt. Dieser Entwicklung müssen wir uns mit all unseren Kräften entgegenstellen.

Wir alle stehen hier, weil wir unsere Stimmen gegen den Krieg erheben wollen. Wir müssen uns den neuen Aufgaben stellen. Wer Frieden will ist nicht für Terror und Verbrechen. Die Moral haben bestimmt nicht diejenigen gepachtet, die mit Rekord-Militärhaushalten auf Gewalt setzen und gleichzeitig nur knapp über 0.1 % ihres Bruttosozialproduktes für Entwicklungshilfe zur Verfügung stellen.

Wer Frieden erreichen will muss sich mit den Hintergründen und den wahren Zielen der Kriegführenden auseinandersetzen und sie blossstellen. Solange sich jeder oder jede als Teilnehmer im Kampf gegen Terroristen und Schurken sieht wird es Frieden in der Welt nicht geben.

Ich habe Beispiele aus Israel genannt, die versuchen den Krieg zu überwinden. Dazu gehören auch Stimmen in den USA die langsam lauter werden und das amerikanische Sendungsbewusstsein in seinem Kern angreifen. Dazu gehören die ersten Zivildienstleistenden in Rußland im Nothilfekrankenhaus von Nowgorod.

Angesichts der Tatsache, dass die Kriegsgefahr in der Welt wächst, sie realer wird, ist die Stimme jedes einzelnen von uns gegen alle Vorurteile gefordert, laut und deutlich, auf der Straße, bei der Wahl, am Arbeitsplatz, in der Ausbildung, in der Familie.

Es darf keinen neuen Krieg im Irak oder anderswo geben, eine Friedenslösung zwischen Israel und den Palästinensern hat Vorrang, die Soldaten der Bundeswehr müssen von ihren Einsätzen zurückgeholt und der neue Rüstungswahnsinn muss gestoppt werden.


Internet: http://www.wuerzburg.de/friedensbuendnis
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