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09.04.1999


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zu: OM 99: Redebeiträge

Redebeitrag von Mathias Kohler, Friedensplenum Mannheim, auf dem Ostermarsch in Mannheim am 3.4.99

Mathias Kohler

Liebe Mitmenschen,

ich begrüße Sie alle herzlich zur Ostermarsch-Kundgebung des Mannheimer Friedensplenums, zu der wir uns aufgrund der aktuellen Entwicklung des Krieges im Balkan erst vor wenigen Tagen entschlossen haben. Lassen Sie mich gleich vorneweg feststellen, daß wir als Friedensbewegung uns prinzipiell und uneingeschränkt der Gewaltfreiheit und der friedlichen Lösung der Konflikte verpflichtet haben! Deswegen bitte wir auch alle Menschen auf diesem Platz, gleichgültig welcher Herkunft Sie sind und gleichgültig welche Meinung Sie haben, Ihre eventuell unterschiedlichen Meinungen auch friedlich und ohne Aggression miteinander auszudiskutieren. Wir lehnen Gewalt gegen andere Menschen grundsätzlich ab und bitten alle, dies auch hier zu respektieren.

Lassen Sie mich namens des Mannheimer Friedensplenums zum Zweiten ebenso unmißverständlich sagen, daß wir keine Gegnerschaft zu den Kosovo-Albanern, keine Gegnerschaft zu den Serben und keine Gegnerschaft zu einer anderen Volksgruppe im Balkan empfinden. Unsere Gegnerschaft richtet sich ausschließlich gegen den Krieg und das damit verbundene menschliche Elend und gegen eine Politik, die den Krieg als Mittel der Politik legitimiert!

Unser tiefes Mitgefühl gilt den zehntausenden Menschen die aus dem Kosovo nach Montenegro, nach Albanien, nach Mazedonien und nach Serbien aus Angst vor Bomben und Verfolgung flüchten!

Unser tiefes Mitgefühl gilt den Menschen in Jugoslawien, die von den NATO-Bomben bedroht oder getötet werden!

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OM 99: Redebeiträge
Unser tiefes Mitgefühl gilt allen Menschen, die unter diesem Krieg, der Vertreibung, der Verfolgung und dem Elend leiden!

- Deswegen fordern wir, daß der Krieg in Jugoslawien von allen Kriegsparteien sofort und ohne Bedingungen beendet wird.

Der Krieg in Jugoslawien bewegt in diesem Tagen die Menschen in diesem Land so stark und emotional wie selten ein Thema zuvor. Das ist gut so. Kriege dürfen uns nicht gleichgültig lassen.

Bertold Brecht hat 1952 in seiner Rede für den Frieden darauf hingewiesen, daß das Gedächtnis der Menschheit für erduldete Leiden erstaunlich kurz ist. "Der Regen von gestern macht uns nicht naß, sagen viele. Diese Abgestumpftheit ist es, die wir zu bekämpfen haben, ihr äußerster Grad ist der Tod." Brecht fährt fort: "Laßt uns das tausendmal Gesagte immer wieder sagen, damit es nicht einmal zu wenig gesagt wurde!" Dies ist unsere Aufgabe als Friedensbewegung.

Wir sind aus sechs Gründen gegen den Krieg in Jugoslawien:

1. Wir sind gegen den Krieg, weil wir kein taktisches sondern ein prinzipielles Verhältnis zum Krieg haben! Es gibt keinen gerechten und keinen heiligen Krieg. "Wir sind aufgerufen, eine friedliche Lösung im Kosovo auch mit militärischen Mitteln durchzusetzen," sagte am Donnerstag letzter Woche unser Bundeskanzler. "Der Krieg ist nichts anderes als eine Fortsetzung der Politik mit anderer Mittel", sagte im letzten Jahrhundert Clausewitz. Beiden - Clausewitz und Schröder - versagen wir unsere Zustimmung. Kriege schaffen immer nur größere und neue Probleme, sie lösen kein einziges. "Einen Krieg beginnen, heißt nichts weiter als einen Knoten zerhauen, statt ihn aufzulösen," schrieb 1907 Morgenstern.

- Deswegen verlangen wir die sofortige und bedingungslose Beendigung aller Kriegshandlungen in Jugoslawien.

2. Wir sind gegen den Krieg, weil wir Deutschlands europaweite machtpolitischen Interessen nicht mittragen wollen! "Nie wieder Krieg!" hieß es 1945 nach Ende des Zweiten Weltkrieges. Jetzt auf dem Weg der Bonner zur Berliner Republik erlebt die Bundeswehr eine zweite Neugeburt, so Volker Rühe. Rühe weiter im O-Ton: "Die Bundeswehr ist ein zentrales Element der politischen Handlungsfähigkeit Deutschlands. Das politische Gewicht Deutschlands wird nicht nur von seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sondern ebenso von dem militärischen Beitrag der Bundeswehr im Bündnis bestimmt. ... Wir brauchen ein neues sicherheitspolitisches Bewußtsein."

Nach humanitären Einsätzen der Bundeswehr in Kambodscha und Somalia, die auch zum Ziel hatten, die Menschen in unserem Land schrittweise auf Auslandseinsätze der Bundeswehr vorzubereiten, kommt es jetzt in Jugoslawien zum ersten Kampfeinsatz der Bundeswehr. Nach fast 60-jähriger Pause hat Deutschland - zusammen mit anderen - vor 12 Tagen wieder einen Krieg begonnen.

Die alte Bundesregierung hat die Konflikte im ehemaligen Jugoslawien als ein Beispiel für die Sicherheit Deutschlands bezeichnet. Ich frage, um welche Sicherheit und um welche Interessen geht es eigentlich? Ich zitiere wörtlich:

  "Die geostrategische Lage Deutschlands,
 Förderung des Demokratisierungsprozesses und des
 wirtschaftlichen Aufschwungs in den Ländern
 Mittelost-, Südost- und Osteuropas,

ð Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des Zugangs zu strategischen Rohstoffen."

Das sind geschmeidige Worte, die übersetzt mit einem Begriff auch als "Imperialismus" bezeichnet werden könnten. Wie ist es anders zu erklären, daß mit der Bombardierung Jugoslawiens an der Walstreet die Kurse der Rüstungskonzerne in die Höhe geschossen sind?

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OM 99: Redebeiträge
Ich zitiere: "In Deutschland hört man derzeit wenig von Kriegsverhinderung. Dafür wird von friedensstiftenden Einsätzen und von Friedensmission geredet... Was sie mit ihren Friedensschalmeien übertönen, ist der Übergang von unserer bisherigen Kriegsverhinderungs- zu einer Kriegsführungsstrategie, derzufolge die Politik deutsche Soldaten in Länder schicken könnte, die unser Land nicht angegriffen haben", so bereits vor sieben Jahren der damalige deutsche NATO-General Gerd Schmückle. Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.

- Deswegen lehnen wir sogenannte "out-of-area"-Einsätze der Bundeswehr strikt ab! Die Soldaten sollen in ihre Kasernen zurückkehren!

3. Wir sind gegen den Krieg, weil er eindeutig gegen das Völkerrecht verstößt, dem sich Deutschland und alle anderen NATO-Staaten verpflichtet haben. Die Charta der Vereinten Nationen verbietet grundsätzlich jede Form von Gewaltanwendung. Sie erlaubt nur zwei Ausnahmen:

1. "das naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung" und

2. vom UN-Sicherheitsrat einstimmig beschlossene Zwangsmaßnahmen.

So eindeutig ist die völkerrechtliche Lage! Beide Ausnahmen liegen jedoch nicht vor, so daß der Angriff gegen die Bundesrepublik Jugoslawien ein eindeutiger Verstoß gegen geltendes Recht ist. Alles andere Gerede ist dummes Zeug und dient nur der Verharmlosung eines eklatanten Rechtsbruchs. "Die allgemeinen Regeln des Völkerrechts sind Bestandteil des Bundesrechts," steht im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Und wer die Beschlüsse der UN nur dann akzeptiert, wenn sie ins eigene politische und militärische Konzept passen, treibt ein gefährliches Spiel, das die Weltorganisation an den Rand der Bedeutungslosigkeit treibt. "Gegängelt von den USA haben wir das internationale Recht und die Charta der Vereinten Nationen mißachtet," hat selbst Altbundeskanzler Helmut Schmidt - den ich bisher ungern zitiere - festgestellt. Er ist der Meinung, daß Deutschland am Chaos auf dem Balkan Mitschuld trage.

- Deswegen verlangen wir eine Rückkehr zum Völkerrecht! Das alte Faustrecht darf nicht zum Cruise-Missiles-Recht "modernisiert" werden.

4. Wir sind gegen den Krieg, weil man so den Flüchtlingen und den Vertriebenen nicht helfen kann! Aber wie kann man ihnen helfen? Wie kann man die Kriegstreiber und Verbrecher stürzen, egal ob sie Belgrad oder anderswo sitzen? Mit Sicherheit nicht mit Bomben und Raketen. Was kommt den eigentlich nach den Bomben? Kommen dann Bodentruppen und ein zweites Vietnam? Was passiert, wenn die Bomben nicht das gewünschte Ziel erreichen? Heiligt der Zweck die Mittel? Die beste Abwehr von Tyrannen ist die Stärkung von demokratischen und den Frieden suchenden Kräften im Lande. Der Bombenkrieg der NATO hat genau das eskaliert, was er vorgab, beenden zu wollen. Die Kriegsspirale wurde eine Stufe höher geschraubt.

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OM 99: Redebeiträge
- Deswegen verlangen wir, um den Menschen im Kosovo zu helfen: den sofortige Stopp der Bombardements, den sofortige Waffenstillstand aller Kriegsparteien, die Entwaffnung aller paramilitärischen Kräfte, die sofortige Aufnahme von Friedensverhandlungen unter dem Mandat der OSZE oder der UN aber nicht unter dem Bombendiktat der NATO und nicht zuletzt die ernsthafte und gleichberechtigte Einbeziehung Rußlands zur einvernehmlichen Lösung des Kosovokonflikts.

Gestatten Sie mir an dieser Stelle eine kritische Anmerkung: Es gibt nicht wenige Menschen, die in den 80er Jahren gegen die Stationierung der Mittelstreckenraketen "Cruise Missiles" in unserem Land gekämpft haben und heute den Abschuß dieser Raketen gegen Belgrad gutheißen. Ich frage diese Bellizisten: sind Raketen nur dann abzulehnen, wenn sie das eigene Land und das eigene Leben bedrohen? Gibt es gute und schlechte Waffen?

Eine zweite kritische Anmerkung: In den letzten Tagen wird wieder öfters von Auschwitz gesprochen. Die in den KZs inhaftierten Menschen seien auch von Soldaten befreit worden. Auschwitz wird bemüht, um den Einsatz der Bundeswehr im Kosovo zu begründen. Auschwitz als Legitimation für den nächsten Griff Deutschlands nach weiterer Macht - das ist meines Erachtens eine schlimme Form der Funktionalisierung. Der Vergleich des organisierten und des geplanten industriellen Massenmords von über 6 Millionen Juden mit einem durch nichts zu verharmlosenden Massenmords relativiert die Einmaligkeit der Verbrechen des Hitlerfaschismus und stellt das Dritte Reich in eine Kette von vielen anderen Verbrechen an der Menschlichkeit. Das ist für mich und sicherlich viele andere Menschen unerträglich!

5. Wir sind gegen den Krieg, weil für uns Menschenrechte - ob in Jugoslawien, ob in Ruanda, ob in Afghanistan, ob in Angola oder ob in Kurdistan - unteilbar sind! Bundeskanzler Schröder will nicht zulassen, daß "die grundlegenden Werte von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten nur eine Flugstunde von uns entfernt, mit Füßen getreten werden." Herr Schröder, welche Glaubwürdigkeit haben diese Sprüche, wenn Sie und Ihre Partner schon seit Jahren zulassen, daß nur einundeinhalb Flugstunden von uns entfernt in Kurdistan ebenfalls die grundlegenden Werte von Freiheit, Demokratie und Menschenwürde - allerdings von einem NATO-Land - mit Füßen getreten werden? In Türkisch-Kurdistan wurden 3.428 Dörfer total zerstört und ihre Einwohner vertrieben, 3 Millionen Menschen sind auf der Flucht oder wurden vertrieben und über 30.000 Menschen fanden den Tod. Und die Bundesrepublik Deutschland hat dem türkischen Staat Waffen im Wert von 1 Mrd. DM kostenlos überlassen. Herr Bundeskanzler, diese Doppelmoral ist unerträglich! US-Präsident Clinton war hier ehrlicher, als er gefragt wurde, warum er sich nicht für die Flüchtlinge in Burundi oder anderswo einsetzen würde. "Da haben wir andere Interessen" lautete seine Antwort.

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OM 99: Redebeiträge
- Deswegen verlangen wir von der Bundesregierung Schluß mit der Heuchelei und daß sie sich konsequent für Menschenrechte ohne Unterschiede und ohne Rücksicht auf eigene wirtschaftliche und geostrategische Interessen überall einsetzt.

6. Wir sind gegen den Krieg, weil den Menschen in unserem Land nicht die volle Wahrheit gesagt wird. Der moderne Krieg wird von der Politik und den Militärs immer mehr in den Medien vorbereitet. Wer den Krieg anfängt erklärt immer, daß er einen gerechten Krieg führt. In unseren Medien findet eine einseitige Parteinahme statt. Immer dann, wenn die NATO einen Krieg führt, wird sehr schnell ein Despot und Kriegsherr zum nächsten Hitler erklärt, damit der Krieg bei der Bevölkerung eine Akzeptanz findet. Wir werden schrittweise hingeführt, den Krieg als Mittel deutscher Außenpolitik wieder zu akzeptieren. In den Stäben der Militärs ist die Presseabteilung ein zentraler Stützpfeiler der strategischen Planung.

- Deswegen verlangen wir von den Medien, daß dort kritische Stimmen zum Krieg und alternative gewaltfreie Konzepte von Konfliktlösungen mehr Platz eingeräumt wird.

Liebe Mitmenschen, Der Öffentlichkeit in unserem Land und den anderen NATO-Staaten wird weisgemacht, die Bomben der NATO würden sich nur gegen militärische Ziele richten. Das erste Opfer in jedem Krieg ist jedoch die Wahrheit. Spätestens seit dem Irakkrieg wissen wir, daß es keinen chirurgischen Krieg gibt. Die Bomben treffen immer auch Zivilisten und richten große Blutbäder an.

Liebe Mitmenschen, unterstützen Sie unsere Forderungen:

Die Bundesregierung, die sich laut Koalitionsvertrag "aktiv dafür einsetzen wird, das Gewaltmonopol bei den Vereinten Nationen zu bewahren und die Rolle des Generalsekretärs der Vereinten Nationen zu stärken", muß sofort das Bombardement Jugoslawiens beenden!

- Wir fordern eine friedliche Lösung des Kosovokonflikts!

- Wir verlangen von der deutschen Regierung und der NATO keine einseitige Parteinahme für eine der beiden Konfliktparteien im Kosovo!

- Wir verlangen das schützende Asylrecht für Kriegsdienstverweigerer, egal ob sie aus Serbien oder aus dem Kosovo kommen!

- Wir verlangen von unseren beiden Mannheimer Abgeordneten Dr. Konstanze Wegner und Lothar Mark, daß sie der Bonner Interventionspolitik laut und aktiv entgegentreten!

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OM 99: Redebeiträge
Liebe Mitmenschen,

- Helfen Sie mit, die Minderheit in diesem Land, die gegen den Krieg ist, zu einer Mehrheit zu machen!

- Schweigen Sie nicht und werden Sie aktiv!

- Beteiligen Sie sich an den Ostermärschen und den Aktionen der Friedensbewegung die - solange der Krieg dauert - anhalten werden!

- Engagieren Sie sich in vielfältiger Weise in Ihrem familiären, persönlichen und beruflichen Umfeld gegen den Krieg!

- Unterstützen Sie die humanitären Hilfsorganisationen!

- Denn, auch wer schweigt, trägt Mitverantwortung!



E-Mail:   mathias.kohler@t-online.de





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