Logo Friedenskooperative


Erstellt:
09.04.1999


 nächster
 Artikel

 siehe auch:

 Oster-
 Termine
 1999

 Kosov@-
 Krieg:
 Aktuelles


zu: OM 99: Redebeiträge

Redebeitrag von Johannes Pöhlmann auf dem Erlanger Ostermarsch am 5.4.99

Johannes Pöhlmann

Mein Name ist Johannes Pöhlmann, ich bin Mitglied der Grünen in Erlangen. Trotz oder gerade wegen der Beteiligung meiner Partei am Krieg möchte ich heute sprechen, um gegen den Angriffskrieg der NATO zu protestieren.

Mein Vorredner hat schon klar gemacht, daß der Angriff gegen die Republik Jugoslawien ein Verstoß gegen die UNO- Charta und auch die deutsche Verfassung ist.

Das sagen nicht nur angeblich unbelehrbare PazifistInnen.

Altkanzler Schmidt - gegen dessen sogenannte Nachrüstung damals die Friedensbewegung aufstand - wurde in der Presse mit den Worten zitiert, daß eine deutsche Beteiligung an einem Krieg nur gerechtfertigt sei, um das eigene Land oder ein anderes zu verteidigen.

I. Die rot-grüne Regierung will die Bombardierung damit rechtfertigen, daß sie eine humanitäre Katastrophe verhindern müsse. Das Ergebnis ist eine noch viel schlimmere humanitäre Katastrophe. Seit die Beobachter der OSZE abgezogen wurden, haben Sonderpolizei und Paramilitärs erst richtig freie Hand. Über 100.000 Menschen sind jetzt auf der Flucht aus dem Kosovo. Das war vorhersehbar, und wurde von der NATO in Kauf genommen.

II. Die rot-grüne Regierung sagt, daß "die Serben" selber schuld sind, wenn ihr Land angegriffen wird, weil ihr Führer den Vertrag von Rambouliett nicht unterschrieben hat. Versuchen wir uns zu erinnern, was in Rambouliett passiert ist, soweit wir das bei der Medienpropaganda überhaupt wissen können.

Am Anfang der Verhandlungen wollte die jugoslawische Seite die "Principles" unterschreiben, Teile der kosovo- albanischen Delegation weigerten sich aber, die Forderung nach einem eigenen Staat aufzugeben. Der ursprüngliche Friedensplan sah nämlich vor, daß das Kosovo wieder eine autonome Provinz werden sollte, wie es im sozialistischen Jugoslawien unter Tito der Fall war.

 zum Anfang


OM 99: Redebeiträge
Damit droht ein Scheitern der Verhandlungen und Milosevic wäre nicht der Schuldige am Scheitern gewesen.

Von Seiten der NATO wurde dann die Forderung nachgeschoben, daß NATO Truppen im Kosovo stationiert werden, anstatt der ursprünglich vorgesehenen Friedenstruppen unter Beteiligung Rußlands. Außerdem wurde verlangt, daß Jugoslawien nach drei Jahren ein Referendum über die Unabhängigkeit des Kosovo akzeptiert.

Diese zwei neuen Punkte waren für Jugoslawien unannehmbar, und ich meine, das war den Verantwortlichen klar. Für mich steht deshalb fest, daß die NATO angreifen wollte, und nicht an einer politischen Lösung interessiert war, die dem Westen keinen entscheidenden Einfluß verschafft.

III. Die rot-grüne Regierung sagt, der Angriff war das letzte und einzige Mittel, um die Massaker an der Zivilbevölkerung zu stoppen. Das stimmt nicht.

Ich bin überzeugt, daß auf Basis der "Principles" von Rambouliett ein Abkommen über die Autonomie des Kosovo und die Stationierung einer UNO- Friedenstruppe erreichbar gewesen wäre. Die NATO hätte dazu allerdings auf den Oberbefehl über diese Truppen verzichten müssen. Auch die Unveränderbarkeit der Grenzen der Repulik Jugoslawien hätten garantiert werden müssen. Stattdessen wurde die UCK bei ihrer Forderung nach einen eigenen Staat ermutigt.

Es gibt auf beiden Seiten Menschen, die sich dem Nationalismus und dem Hass entgegenstemmen:

Seit 10 Jahren kämpfen Kosovo- AlbanierInnen unter Führung des Pazifisten Ibraim Rugova friedlich gegen ihre Unterdrückung durch das Milosevic-Regime. Sie haben im Untergrund eigene Schulen, Universitäten und Krankenhäuser aufgebaut, nachdem sie die staatlichen nicht mehr benutzen durften. Die Kosovo-Albaner hatten Rugova in inoffiziellen Wahlen als Präsident des Kosovo gewählt.

Der Westen hat diese Bewegung nie unterstützt, obwohl die unerträglich Situation im Kosovo allgemein bekannt war.

Erst als die bewaffnete Bewegung UCK die ersten Anschläge verübte und ein Bürgerkrieg begann, interessierte sich die NATO für den Kosovo. Die UCK fordert im Gegensatz zu Rugova einen eigenen Staat Kosovo und will auch ein Großalbanien. Sie beansprucht, die Vertretung der Kosovo-AlbanerInnen zu sein.

Zuletzt hat der Westen die UCK gegenüber dem demokratisch gewählten Untergrund-Präsidenten Rugova auch noch aufgewertet, in dem die UCK als Verhandlungspartner eingeladen wurde. Anders als z.B. in Nordirland, wo eben nicht die IRA am Tisch sitzt, sondern die Partei Sinn Fein.

Es stimmt auch nicht, daß alle Serben wie ein Mann hinter Milosevic und seinem nationalistischen Kurs steht. Seit vielen Jahren protestieren die "Frauen in Schwarz" in Belgrad gegen Nationalismus und Krieg. Viele wollen nicht zur Armee, Reservisten versuchen sich der Einberufung zu entziehen, Desertion scheint recht häufig zu sein.

 zum Anfang


OM 99: Redebeiträge
Nur: Wo sollen die Deserteure hingehen ? Wenn sie erwischt werden, müssen sie jetzt damit rechnen, erschossen zu werden. Schaffen sie es, aus dem Land zu kommen, werden sie nirgends aufgenommen und wahrscheinlich zurückgeschickt. Deserteure bekommen in Deutschland bis heute kein Asyl. Viele der serbischen Soldaten, die in den nächsten Tagen bei der "Zerstörung militärischer Einheiten" ihr Leben verlieren werden, könnten überleben, wenn der Westen ihnen Asyl anbieten würde.

Bis zum Kriegsbeginn gab es unabhängige Medien, die für Frieden und Volkerverständigung und gegen die nationale Propaganda aufklärten. Wurden die vom einer deutschen Regierung unterstützt ?

Hat einer der NATO Staaten der antinationalen serbischen Opposition Radiosender zur Verfügung gestellt, die überall zu empfangen sind?

Hat der Westen dafür gesorgt, daß die wenigen unabhängigen Zeitungen trotz Wirtschaftsembargo Papier erhalten können ?

V. Die rot-grüne Regierung wirft uns KriegsgegnerInnen vor, wir seien gleichgültig gegen das Leiden der Menschen, der Angriff diene schließlich der Durchsetzung der Menschenrechte. Die grüne und Variante ist, den weltweiten Einsatz der Bundeswehr zur antifaschistischen Pflicht zu erklären.

Das hat viele Menschen verunsichert, die prinzipiell gegen Krieg sind.

Dabei ist das total verlogen: Ist die Situation in Kurdistan nicht seit Jahren so schlimm wie jetzt im Kosovo ? Sind nicht Millionen kurdischer Menschen aus ihren Dörfern vertrieben worden, werden nicht jeden Tag Oppositionelle verschleppt, gefoltert, nachts abgeholt?

Der Unterschied ist, daß die bewaffneten kurdischen Separatisten nicht Freiheitskämpfer, sondern Terroristen genannt werden.

In Wahrheit geht es auch dieser Regierung genau dann um die Menschenrechte, wenn es den eigenen Interessen entspricht. Die Menschenrechte werden heute als Rechtfertigung für den Krieg mißbraucht, so wie früher die Religion mußbraucht wurde, als die Pfarrer noch die Kanonen segnen mußten

VI Der Bundeskanzler hat behauptet, die Angriffe gelten militärischen Zielen. Wir sehen jeden Tag im Fernsehen, daß das eine Lüge ist: Seit wann sind Brücken, Kraftwerke oder Wasserwerke militärische Ziele ? Die Realität des modernen Krieges sieht anders aus: Auf einen getöteten Soldaten kommen - nach offiziellen Zahlen - 10 Zivilisten, d.h. der Angriff richtet sich vor Allem gegen die serbische Zivilbevölkerung. Das Flugzeug A20 Thunderbolt verschießt Munition, in der schwach radioaktives Abfall-Uran statt Blei enthalten ist. Das Uran verbrennt und verteilt sich, wenn das Geschoss einen Panzer trifft. Im Golfkrieg wurden 600.000 solcher Geschosse abgefeuert, das sind um die 300.000 Kilogramm giftiges und radioaktives Material. Noch heute spielen Kinder damit und werden krank.

 zum Anfang


OM 99: Redebeiträge
Wir wissen, wie der Irak nach einigen Wochen "chirurgischer Schläge" aussah. Es wurden mehr Bomben abgeworfen, als im zweiten Weltkrieg, das Land wurde "in die Steinzeit" gebombt. Vor unserer Haustüre liegt demnächst ein zweites Vietnam.

Ich möchte mit einigen Zeilen aus dem letzten Artikel von Veran Matic schließen. Veran Matic ist Friedensaktivist und der abgesetzte Leiter des unabhängigen Radiosenders "Radio B92". Dieser Sender hatte offen zur Desertion aufgerufen und wurde nach dem Beginn der Angriffe von der Polizei geschlossen, Veran Matic wurde eingesperrt.

"Das Leben von 10,5 Millionen Menschen wird aufs Spiel gesetzt und eine Angriffswelle in Kosovo und in Serbien ausgelöst, mit der die demokratischen Kräfte in die Flucht geschlagen werden. Der Bombenteppich hat die Arbeit der reformorientierten Kräfte in Montenegro und in den serbischen Gebieten von Bosnien-Herzegowina sowie ihre Anstrengungen für den Frieden unterminiert. Die unabhängigen Medien in Serbien haben während Jahren Nationalismus, Hass und Krieg bekämpft. Als Vertreter dieser Medien, und als Mensch, der mehr als einmal die Konsequenzen seiner politischen Überzeugungen zu tragen hatte, rufe ich US-Präsident Bill Clinton auf, die Angriffe der Nato gegen mein Land zu beenden. Ich rufe ihn auf, Verhandlungen zu beginnen, die auf eine Absicherung des Rechts auf ein friedvolles Leben und auf Demokratie für alle Menschen in Jugoslawien, unabhängig von ihrer ethnischen Herkunft, abzielen."







 nächster
 Artikel

Einige weitere Texte (per Zufallsauswahl) zum Thema

Kosovo/Kosova:
FF2/98 - Und wieder pennt Europa
Brief an B90/Grüne zur Sonder-BDK 13.5.99
EL Ratschlag Kassel 5.6.99
Ostermarsch-Rede in Calw
Kommt zum 19.6.in Köln und Stuttgart
Wie lange noch?

Einige weitere Texte (per Zufallsauswahl) betreffend Land

Republik Jugoslawien:
FF2/98 - Kosova-Zuspitzung
UN-Resolution für den Kosovo
G8-Plan für den Kosovo
zum Waffenstillstand
Resümée des Krieges

Bereich

 Themen 

Die anderen Bereiche dieser Website

              
 Netzwerk FriedensForum   Termine   Ex-Jugo-Hilfe  Aktuelles