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Erstellt:
09.04.1999


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zu: OM 99: Redebeiträge

Redebeitrag bei der Abschlußkundgebung der Ostermärsche 1999 in Köln im Kattenburg

Andreas Buro

Als am 24 März die NATO-Luftangriffe auf Jugoslawien begannen, stiegen in mir die Erinnerungen an 1939 auf; wie ich die schnarrende Stimme im Volksempfänger sagen hört:

Ab 5.45 Uhr wird zurück geschossen. Ich erinnerte mich mit Schrecken der Bilder von Sturzkampfbombern, die ihre tödliche Last in fremde Länder und auf die Menschen dort warfen. 1941 stürzten sich die Stukas auf Belgrad nieder. Nun wird Belgrad erneut auch von deutschen Kampflugzeugen bombardiert. Wie für mich wird dies auch für viele Deutsche ein Schock sein. Hatten wir nicht alle geglaubt, von Deutschland würde nie wieder Krieg ausgehen? Viele Menschen sind innerlich zerrissen, zwischen dem Wunsch, Menschen vor Terror zu schützen, und der Abscheu vor dem Mittel des Krieges. Sie fragen nach Alternativen. Meinungsumfragen zeigen, daß eine Hälfte der BürgerInnen der Bombardierung zustimmt, während die andere Hälfte ablehnt.

In diesen Tagen wurde ich oft nach den ersten Ostermärschen in Deutschland gefragt, die 1960 begannen. Wir marschierten drei und vier Tage, oft auch durch Kälte und Regen durch die politische Landschaft des Kalten Krieges dieser Zeit. Auf unseren Schildern stand "Gegen Atomwaffen in Ost und West" oder auch "Barbarisch werden wir durch barbarische Mittel". Das war eine entscheidende Aussage gegen Krieg, der nicht nur Menschen tötet und Gebiete verwüstet, sondern auch die Kriegführenden selbst zu Barbaren verwandelt. Wie furchtbar hat sich nun auch wieder der rassistisch-nationalistische Krieg im ehemaligen Jugoslawien auf das Bewußtsein der Menschen ausgewirkt! Wie schwer fällt die Rückkehr zu Versöhnung und respektvoller Zusammenarbeit! Wir bitten deshalb die Menschen des Balkan, und insbesondere in dieser Kriegssituation die Menschen in Serbien und dem Kosovo, sich nicht rassistisch-nationalistisch verhetzen zu lassen, denn wie jeder einzelne die Menschenrechte für sich beansprucht, so sind sie auch allen anderer Herkunft in genau gleicher Weise zuzubilligen. Rassismus zerstört die Menschlichkeit. Wir protestieren hier gegen die NATO, und gegen die von Belgrad praktizierte Politik der ethnischen Säuberung - ein furchtbares Wort - gegen die Terrorisierung und Vertreibung der albanischen Bevölkerung aus ihren Lebensgebieten. Die Untergrundarmee der UCK hat mit ihrem militärischen Kampf für die Unabhängigkeit des Kosovo, der auch von Terror nicht zurückschreckte, zu der fürchterlichen gegenwärtigen Situation erheblich beigetragen.

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OM 99: Redebeiträge
Die Menschen der NATO-Staaten fordern wir auf, sich von der Arroganz der Macht der militärisch starken und reichen Industrieländer abzuwenden, und der Bombardierung durch überlegene Waffen eine Absage zu erteilen. Laßt Euch nicht durch die Sprache der Militärpolitiker verwirren, welche den Angriffskrieg zu einer humanitären Intervention umlügen. Bomben sind niemals humanitär. Sie sind mörderisch und ein Eingeständnis politischen Versagens. Diese bombenhaltige "humanitäre Intervention" ist zusätzlich unglaubwürdig. Die NATO-Staaten unterstützen nach wie vor militärisch und finanziell die Vertreibung der Kurden in der Türkei aus ihren Siedlungsgebieten - zwei bis drei Millionen Flüchtlinge und etwa 3000 zerstörte Dörfer. Kurdische Flüchtlinge schicken sie zurück in die Armee ihrer Verfolger - doppelte Moral!

Die doppelte Moral der NATO-Bombardierung zeigt sich auch darin, daß für die Flüchtlinge aus dem Kosovo keine angemessene Vorsorge getroffen wurde. Das Kriegsszenarium der Vertreibung war vorab zu erwarten. Wenn die verantwortlichen Politiker sagen, das hätten sie nach den Erfahrungen aus Bosnien nicht gewußt, so sollten sie schleunigst abtreten. So tödlich naiv darf man nicht sein. Oder haben sie dies in K/auf genommen, wie sie den Tod hundertausender Menschen, vorzugsweise Kinder, im Irak in kauf nahmen? Augenblicklich scheint die größte Sorge der Deutschen und der EU-Politik zu sein, die Flüchtenden von der `Festung Europa` fern zu halten. Humanitäre Intervention?

Der Grundkonflikt zwischen Serbien und dem Kosovo beruht auf dem Wunsch der überwiegenden Mehrheit der Kosovo-Albaner, Serbien und Jugoslawien zu verlassen und einen eigenen Staat zu gründen: ein Sezessionskrieg. Bei dem sich ankündigenden Zerfall des ehemaligen Jugoslawien hat Belgrad die Autonomie des Kosovo weitgehend beschnitten und starke Repression ausgeübt. Die Kosovo-Albaner haben sich zunächst über Jahre dagegen weitgehend gewaltfrei gewehrt. Dabei hat sie der Westen niemals ernsthaft gestützt und gefördert. Erst das gewaltsame Auftreten der UCK-Untergrundarmee hat zu einer Eskalation von Gewalt geführt. Die internationale Staatengemeinschaft lehnt Sezession und entsprechende Grenzverschiebungen ab, wenn sie nicht gütlich vereinbart sind. Bei den Konferenzen in Rambouillet, die ein Diktat unter Bombardierungsdrohung waren, lag eine großzügige Autonomieregelung in greifbarer Nähe. Belgrad war aber nicht bereit, die Perspektive einer Sezession und eine Stationierung von NATO-Truppen im Kosovo zuzulassen. Ich frage provokativ: Würde Deutschland unter Bombendrohung Verträge unterzeichnen, die möglicherweise zu einer Abtrennung von Landesteilen führen würde?

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OM 99: Redebeiträge
Der gegenwärtige Bombenkrieg gegen das heutige Jugoslawien mit Serbien als Hauptmacht steht noch in einem sehr wichtigen anderen Zusammenhang. Seit dem Ende des Ost-West-Konfliktes hat sich die bipolare Konstellation der gegenseitigen Abschreckung zu einem unipolaren Machtgefüge verändert. Es besteht nur noch ein dominantes, hoch effizientes Militärsystem unter Führung der USA. Die NATO ist das wichtigste Instrument darin. Statt abzurüsten, wurde im Sinne von globaler Intervention um- und aufgerüstet. Nur die unbrauchbaren Waffen aus dem Ost-West-Konflikt wurden verschrottet oder in die Dritte Welt exportiert. Mit dem militärischen Machtmonopol wurde der Anspruch verbunden, die Interessen der reichen, nördlichen Industriestaaten notfalls auch mit militärischen Mitteln und unter Mißachtung des internationalen Rechtes und der Vereinten Nationen durchzusetzen.

Die anstehende 50-Jahr-Feier der NATO soll diese Strategie, welche die Schranken Verteidigung und geographische Begrenzung beiseite fegt, öffentlich verankern. In der Entwicklung dieses militärisch gestützten Weltherrschaftsanspruchs ist nicht nur die UN ständig desavouiert worden. Auch in Europa wurde die OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa), die zur Grundlage für eine gesamteuropäische Friedensordnung werden sollte, durch die NATO beiseite gedrängt.

Die zugeordnete militärische Strategie wird als counter-proliferation bezeichnet - eine Strategie in der gegebenenfalls von westlicher Seite auch Atomwaffen als erste eingesetzt werden sollen. So wie gegenwärtig der Irak einer ständigen Bombardierung jenseits aller völkerrechtlichen Regeln ausgesetzt wird, so können in Zukunft auch andere im Westen mißliebige Staaten (Pentagon-Jargon "Schurkenstaaten") der militärischen Knute ausgesetzt werden, bis sie weichgebombt ihre Politik im Sinne westlicher Forderungen verändern. Ist der gegenwärtige Bombenkrieg gegen Belgrad bereits ein erster Fall dieser neuen Strategie der Neuen NATO? Es scheint fast so. Müßte man nicht den Satz in der rot-grünen Koalitionsvereinbarung ändern, der da heißt, Außenpolitik sei Friedenspolitik? Muß man nun schreiben: "... Außenpolitik ist militärgestützte Interventionspolitik gemäß westlichen Interessen"? Gegenüber einer solchen Politik brauchen wir dringend die Entfaltung der Instrumente zur Bewältigung von Konflikten mit zivilen Mitteln - zivile Konfliktbearbeitung!

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OM 99: Redebeiträge
Wenn die militärgestützte Außenpolitik, wie jetzt im Kosovo, so festgefahren ist, fragen uns unsere Kritiker, was denn die Friedensbewegung machen wolle, um den Karren wieder flott zu bekommen. Wenn wir dann kein Wundermittel aus der Tasche ziehen, nahmen sie das als Beweis dafür, daß die betriebene Realpolitik doch richtig sei. Selbstverständlich haben wir keine Wundermittel, aber wir fordern eine andere Politik, und zwar

- dem ganzen Balkan, der äußerst labil ist und durch den jetzigen Krieg und die Flüchtlingsströme zusätzlich destabilisiert wird, muß eine gemeinsame Perspektive der Entwicklung und Kooperation angeboten werden. Oft wird von einem Marshall-Plan gesprochen.

- Alle Staaten und Gesellschaften sollen sich daran beteiligen können, wenn sie in ihren Konflikten bereit sind, auf Gewalt und Unterdrückung zu verzichten.

- Parallel zu einem solchen Angebot muß ein übergreifender Dialog der Menschen und Gesellschaften organisiert werden, der es allen ermöglicht, den Dialog aufzunehmen und einen Prozeß der Versöhnung und gegenseitigen Akzeptanz als zukünftigen Kooperationspartner einzuleiten und nationalistische Schranken zu durchbrechen.

- Humanitäre Hilfe muß nach allen Konfliktseiten hin angeboten werden. Den Flüchtlingen aus dem Kosovo ist ebenso zu helfen, wie denen, die von der Bombardierung in Mitleidenschaft gezogen wurden. Dies wäre ein erstes wichtiges Zeichen für eine konstruktive Friedenspolitik.

- Angesichts der Verbissenheit der Gegner ist eine neue Vermittlung durch bisher unbeteiligte glaubhafte Persönlichkeiten dringend. Die Vereinten Nationen sollten wieder in ihre Recht eingesetzt werden. Kofi Annan, ihr Generalsekretär, und von ihm ausgewählte Vermittler, die für alle Seiten annehmbar sind, könnten diese Aufgabe übernehmen - vielleicht auch andere Persönlichkeiten wie Nelson Mandela. Sie sollten nicht nur Moratorien und Waffenstillstände aushandeln und für deren Einhaltung neutrale Kräfte vorsehen, sondern auch eine weitreichende Perspektive der Entwicklung der Kooperation im Balkan in die Vermittlungsarbeit einbeziehen.

- Das Geld, das gegenwärtig zerstörerisch von allen Seiten für den militärischen Kampf bereit gestellt wird, ist für die Unterstützung des Aufbaus der Region einzusetzen. Die dabei erforderliche zwischenstaatliche Koordinierung kann die Grundlage für die Entfaltung der Kooperation auf dem Balkan legen.

Sicher sind noch weitere Gesichtspunkte bei einem solchen Konzept zu verwirklichen. Zentral ist jedoch, zum Bemühen um eine nicht-militärische, zivile und politische Lösung zurückzukehren.

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OM 99: Redebeiträge
Vorgestern abend hieß es im Fernsehen, es habe zu den Ostermärschen eine beträchtliche Mobilisierung gegeben. Die Sprecherin fügte vorwurfsvoll hinzu, die Breite der Friedensbewegung aus den frühen 80er Jahren sei aber noch nicht erreicht. Ich vermute, wenn die Kriegsparteien nicht bald einlenken, werden wir diese Mobilisierung bald wieder erreichen. Schließlich ist der Krieg in Vietnam nicht zuletzt auch durch die Friedensbewegungen in aller Welt beendet worden. Die stets totgesagte Friedensbewegung wird vielleicht bald lebendiger werden, als es der herrschenden Bombenpolitik lieb ist. Das wünsche ich uns allen für die Zeit nach Ostern.

Andreas Buro ist Friedenspolitischer Sprecher des Komitee für Grundrechte und Demokratie, Kontakt Tel. 06086-3087, Fax 06086-243






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