Logo Friedenskooperative


Erstellt:
21.04.1999


 nächster
 Artikel

zu: Stop! - Zeitung gegen den Krieg - Inhalt

Über verpasste Möglichkeiten

Konflikte im Ansatz zivil lösen

Christine Schweitzer

Die verschiedenen Optionen für die Zukunft des Kosovo standen im wesentlichen seit Mitte der achtziger Jahre fest:

- Die Vertreibung der Albaner aus dem Kosovo
  ("ethnische Säuberung") war spätestens seit dem
  Bosnien-Krieg als Möglichkeit in allen Köpfen.

- Eine Teilung des Kosovo in einen serbischen und
  einen albanischen Teil wurde von der
  nationalserbischen Opposition (inklusive des
  früheren Staatspräsidenten Cosic) und der
  Orthodoxen Kirche ins Spiel gebracht.

- Eine Beibehaltung des Status Quo vor Beginn des
  Krieges, das heißt der völligen Eingliederung des
  Kosovo in Serbien, war die Position der serbischen
  und jugoslawischen Regierung.

- Wiederherstellung irgendeiner Form von Autonomie
  innerhalb Serbiens (entweder nur kultureller
  Autonomie oder auch Gewährung von politischen
  Rechten nach dem Vorbild der Verfassung von 1974).
  Diese Lösung wurde von einer Minderheit der
  Kosovo-Albaner und der serbischen Opposition
  befürwortet.

- Kosovo als dritte Republik in der Bundesrepublik
  Jugoslawien

- Kosovo als Staat in einer Föderation von drei
  souveränen Staaten (Serbien, Montenegro und
  Kosovo). Dieser Vorschlag wurde unter dem Namen
  "Balkania" von dem späteren Sprecher der UCK, Adem
  Demaci, ins Spiel gebracht.

- Unabhängigkeit des Kosovo, die Forderung der LDK
  und der Kosovarer Regierung.

- Anschluß des Kosovo an Albanien (Forderung von
  Teilen der UCK, aus deren Kreisen auch zu hören
  ist: "Wo Albaner leben, ist Albanien").

 zum Anfang


Stop! - Zeitung gegen den Krieg - Inhalt
Zivile Konfliktbearbeitung: Über Prozesse statt über Lösungen sprechen

Aus dem Blickwinkel der zivilen Konfliktbearbeitung hätte es aber weniger um diese verschiedenen Status-Optionen und mehr um das Finden eines Prozesses gehen müssen, wie man zu einer für alle befriedigenden Lösung hätte kommen können. Ein solcher Prozeß hätte generell drei Elemente beinhalten müssen:

1. Dialog und Gespräche auf allen Ebenen zwischen Serben und Kosovo-Albanern, um Bereitschaft zur Verständigung zu wecken und zu stärken.

2. Wiederherstellung normaler Verhältnisse im Kosovo, um die Gewalt zu deeskalieren und die Köpfe der Menschen offen zu machen für Kompromißlösungen.

3. Verhandlungen auf politischer Ebene, um eine Lösung der Status-Frage zu finden.

Diese Elemente hätten abgesichert werden können durch internationale (unparteiische) Vermittler, Präsenz ziviler BeobachterInnen (z.B. einer starken OSZE-Mission) und Wirtschaftshilfe für Jugoslawien und die Nachbarländer.

1. Dialog auf allen Ebenen

Im Unterschied zu Kroatien und Bosnien-Herzegowina kann man im Kosovo-Konflikt nicht davon sprechen, daß vor Eskalation des Krieges ein reger Kontakt zwischen den Bevölkerungsgruppen geherrscht habe, man lebte eher nebeneinander als miteinander. (Zum Beispiel ist die Zahl von Mischehen zwischen Serben und Kosovaren sehr gering.) Zur Strategie des gewaltlosen Widerstandes gehörte explizit der Boykott aller serbischen Institutionen, was (leider) auch ein de facto Gesprächsverbot mit serbischen Politikern beinhaltete. Nur wenige Persönlichkeiten aus der kosovarer Führungsschicht (z.B. Maliqi) setzten sich darüber hinweg und redeten mit Oppositionellen in Serbien. Genau solche Probleme und Vorbehalte hatten auch Bürgerinitiativen und Organisationen auf Basisebene. Und von serbischer Seite herrschte auf allen Ebenen eine Mischung aus Ablehnung und Angst; auch hier war die Dialogbereitschaft sehr gering. Daß sie aber geweckt werden konnte, zeigten z.B. die Erfahrungen des internationalen Freiwilligenprojektes Balkan Peace Team, das erfolgreich dabei helfen konnte, daß Friedens- und Menschenrechtsgruppen und StudentInnen aus Serbien und dem Kosovo einander begegneten.

2. Wiederherstellung normaler Verhältnisse

Eine Wiederherstellung der bürgerlichen Rechte und Verbesserung der Wirtschaftslage und der Infrastruktur (z.B. auch Gesundheitsversorgung) hätte ein erster Schritt zur Deeskalation sein können. Dahinter steht die Annahme, daß bei einer Verbesserung der Lebensumstände die Bereitschaft, Kompromisse bei der Suche nach einem Status für den Kosovo einzugehen, größer sein dürfte. Ein Anlauf hierzu wurde mit dem Abkommen zur Wiedereröffnung der Schulen zwischen den Kosovo-Albanern und der serbischen Regierung unternommen, das unter Vermittlung einer internationalen NGO zustande gekommen war. (Seine Implementierung scheiterte dann allerdings an Unklarheiten in der Abmachung.)

 zum Anfang


Stop! - Zeitung gegen den Krieg - Inhalt
3. Verhandlungen

Hier wurden sowohl im Land wie von Seiten internationaler BeobachterInnen verschiedene Vorschläge und Modelle ins Spiel gebracht. Zu ihnen gehörte z.B. die Schaffung einer institutionellen Dauerkonferenz, die die Aufgabe gehabt hätte, den Rahmen für eine gemeinsame Entwicklung der Region zu erarbeiten. Diese Entwicklung hätte dann in einer Balkan-Föderation münden und durch einen "Balkan-Marshall-Plan" möglich gemacht werden können. Horst Grabert, der ehemalige deutsche Botschafter in Belgrad, schlug die Schaffung eines "Albanischen Rates" vor. Ihm hätten die Republik Jugoslawien, Albanien, Makedonien sowie Vertreter der Albaner im Kosovo, in Makedonien und in Montenegro angehören sollen. (Ein ähnlicher Rat wurde in Nordirland gerade eingerichtet.) Die Errichtung eines Internationalen Protektorates wurde u.a. von Präsident Rugova immer wieder vorgebracht, während gleichzeitig Verhandlungen über den zukünftigen Status stattfinden sollten.

Alternativen zur Militärintervention

Auch auf der Ebene des internationalen Eingreifens hätte es viele Alternativen zu einem Bombenkrieg gegeben, auch wenn hier die möglichen Folgen eines solchen alternativen Handelns noch weniger absehbar sind als bei den oben benannten, mehr auf interne Kräfte setzenden Vorgehensweisen. Deshalb sollen diese Alternativen auch nur in Frageform formuliert werden:

* Was wäre geschehen, wenn die UN zu irgendeinem
  Zeitpunkt zwischen 1989 und heute den Kosovo zu
  einem Protektorat erklärt hätte, während man
  gleichzeitig Jugoslawien massiv wirtschaftlich und
  politisch gefördert hätte?

* Was wäre geschehen, wenn die Verhandlungen seit
  Sommer/Herbst 1998 durch wirklich von beiden
  Seiten als neutral angesehene Vermittler geleitet
  worden wären (z.B. Nelson Mandela, der Dalai Lama
  oder auch UN-Generalsekretär Kofi Annan), und man
  auf eine parallele Drohung mit Militärschlägen
  verzichtet hätte?

* Was wäre geschehen, wenn nach dem Scheitern von
  Rambouillet nicht bombardiert, sondern stattdessen
  die OSZE-Mission um mindestens 2000 weitere zivile
  BeobachterInnen aufgestockt worden wären, anstatt
  sie abzuziehen?

Aufgabe der Prävention heute: Ausweitung des Krieges verhindern

Das "Was wäre gewesen, wenn" von gestern ist Aufgabe für heute. Eine Ausweitung des Konfliktes auf Makedonien, Albanien und auf Montenegro droht, mit weiterem Eskalationspotential in anderen Regionen und Nachbarländern. Hier gilt es, schnellstens umfassende politische Konzepte zu erarbeiten und jene Kräfte in all diesen Ländern zu stärken, die friedensfördernden Einfluß haben.

Christine Schweitzer, Geschäftsführerin des Bundes für soziale Verteidigung



E-Mail:   soziale_verteidigung@t-online.de
Internet: http://www.dfg-vk.de/bsv/





 nächster
 Artikel

Einige weitere Texte (per Zufallsauswahl) zum Thema

Kosovo/Kosova:
FF2/98 - Und wieder pennt Europa
IMI: Keine Bombardierung!
Pressemitteilung FK Halle
Resolution zum Kosovokonflikt
Rede beim Ostermarsch Köln, Kattenburg
PM zur Regierungs-Initiative

Einige weitere Texte (per Zufallsauswahl) betreffend Land

Republik Jugoslawien:
FF2/98 - Kosova-Zuspitzung
FF6/98 - Heute die NATO im Kosov@, ...übermorgen die ganze
A. Radcke: Brief an die Grünen
Presseerklärung des BBU
Bremer Erklärung
Gwr Heidelberg zu Kosov@

Bereich

 Themen 

Die anderen Bereiche dieser Website

              
 Netzwerk FriedensForum   Termine   Ex-Jugo-Hilfe  Aktuelles