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vom:
14.09.2001


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Hintergrundinfos Terroranschläge / Afghanistan:

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Die US-Sicherheitsbehörden haben selbst am Mythos des Osama bin Laden mitgewirkt

Der Dämon und seine Bruderschaft

Frankfurter Rundschau / Rolf Paasch

Schon mit den ersten Bildern der sich in die beiden Hochhaustürme von Manhattan bohrenden Passagiermaschinen tauchte sein Name auf: Osama bin Laden; Hauptbeschuldigter in einer allumfassenden Verschwörungsklage des US-Justizministeriums; Hauptverdächtigter, wenn es irgendwo in der Welt einen Anschlag gegen die Vereinigten Staaten gibt. Der schlanke, hoch gewachsene muslimische Ex-Kämpfer gegen die sowjetischen Invasoren in Afghanistan gilt in den USA als die Inkarnation allen terroristischen Übels.

Der Doppelschlag gegen die Türme des World Trade Centers und den monumentalen Bau des Pentagons trage Osama bin Ladens "Handschrift", hieß es im ersten Schock, ohne dass es für seine Verwicklung zunächst Beweise gegeben hätte. Dann wurden am Mittwoch in Washington erste Indizien bekannt, von denen "viele in Richtung bin Laden deuten", wie es Senator Orrin Hatch, Mitglied des Geheimdienstausschusses im Kongress, formulierte. Mitglieder der von ihm gegründeten Organisation Al Qaeda seien dabei abgehört worden, wie sie auf privaten Funkkanälen untereinander den Erfolg der Anschläge diskutierten. Auf "weit über 90 Prozent" schätzt ein hoher US-Regierungsbeamter mittlerweile die Wahrscheinlichkeit, dass Osama bin Laden mit der von ihm geführten Gruppe aus afghanisch-arabischen Glaubenskriegern hinter den jüngsten Terrorattacken steht.

Wenn dem so wäre, dann stünden die US-amerikanischen Sicherheitsbehörden vor ihrer größten Niederlage überhaupt. Hatte doch der jährlich mehr als 30 Milliarden Dollar teure Sicherheitsapparat der USA seine Ressourcen seit Jahren auf die Verfolgung von Osama bin Laden konzentriert. Von seiner Heimat Saudi-Arabien über das fünfjährige Exil in Sudan bis zu den Verstecken in den Bergen Afghanistans hatten US-Agenten seine Spur verfolgt. Sechzig Marschflugkörper hatte die Clinton-Administration im August 1998 auf die terroristischen Trainingslager im Land der Taliban abgefeuert: ohne Osama bin Laden zu treffen oder die Infrastruktur der Al Qaeda zu schwächen. Al Qaeda bedeutet im Arabischen so viel wie "Basis", steht aber in diesem Fall für ein lockeres, dabei weltumspannendes Netzwerk.

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Und damit ist schon das Problem der US-Sicherheitsdienste benannt: Das Gesicht des Terroristen-Sponsors mag jedem bekannt sein; doch die Struktur seiner "Bruderschaft" auf ihrem "heiligen Krieg" gegen Amerika ist für ihre Verfolger kaum zu fassen. Hin und wieder werden einzelne Mitglieder oder Mittäter vor oder nach ihren Anschlägen gefasst und sogar verurteilt. Doch der Bedrohung Amerikas durch die Al Qaeda, zu der weltweit etwa 4000 Mitglieder gezählt werden, hat dies keinen Abbruch getan.

So liest sich die 238-seitige Anklageschrift des US-Justizministers gegen Osama bin Laden vom November 1998 wie eine juristisch-symbolische Kompensation für die strafverfolgende Hilflosigkeit. Darin wird dem 44-jährigen Sohn eines saudischen Bauunternehmers eine zehnjährige Verschwörung zum Mord an US-Bürgern vorgeworfen, ohne dass seine Rolle im Einzelnen ausgeführt wird. Vom Mord an den 18 US-Soldaten 1993 in Somalia bis zum Angriff auf das US-Schiff Cole (2000) soll bin Laden stets die terroristischen Drähte gezogen haben. "Absurd" nennt selbst Robert Oakley, ehemaliger Terrorismus-Experte des US-Außenministeriums, einige der Anschuldigungen. Noch vor drei Jahren beschwerte sich ein der Clinton-Administration nahe stehender Sicherheitsexperte der FR gegenüber, dass die Konzentration der Ressourcen auf bin Laden zur Vernachlässigung wichtiger nationaler Sicherheitsaufgaben führte.

Während der Jagd auf bin Laden haben sich die Ausgaben für die Terrorismusbekämpfung im US-Haushalt seit 1995 auf heute zwölf Milliarden Dollar verdoppelt. Nach dem ersten Anschlag auf das World Trade Center in New York (1993) und der Sprengung der Stadtverwaltung von Oklahoma (1995) legten alle US-Bundesbehörden und Bundesstaaten kostspielige Anti-Terrorismus-Programme zum Schutz von Gebäuden und Bürgern auf. Nach dem Inferno in New York und Washington aber argumentieren einige Sicherheitsexperten, dass man sich in blindem Eifer politischer Rechtfertigung gegen die falschen Attacken gewappnet habe: gegen Autobomben und gegen einen Angriff mit ABC-Waffen, "aber nicht gegen die Dinge in der Mitte", so Bruce Hoffman von der Rand Corporation in Washington. Dabei folgten die Attacken vom Montag durchaus einer grausamen Logik. Nach dem verbesserten Schutz von Gebäuden kombinierten die Täter die Flugzeugentführung als terroristisches Mittel der 70er Jahre mit der heute in Israel angewandten Strategie palästinensischer Suizid-Bomber. Diese Logik nicht rechtzeitig erkannt zu haben, wird nicht nur in der großen Politik, sondern auch in den US-Sicherheitsapparaten eine bittere Diskussion über die Versäumnisse in der Terroristenbekämpfung nach sich ziehen.

Dabei hatten auch die internen Kritiker der Fixierung auf die Figur bin Ladens nie dessen Gefährlichkeit in Frage gestellt. Auf die Frage, wie die USA reagieren sollte auf diesen Gegner mit beträchtlichen Ressourcen, aber ohne festes Hauptquartier, mit einer blinden Gefolgschaft, aber ohne straffe Organisation, wie sie also mit dieser bisher einmaligen Form der Bedrohung umgehen sollten, wussten auch diese Sicherheitsexperten keine Antwort. Doch Osama bin Laden vor Gericht alle Untaten zuzuschieben und ihn mit dem Einsatz von Marschflugkörpern in einigen islamischen Ländern zum Märtyrer zu machen, dies hielten nicht wenige Geheimdienstler für kontraproduktiv. Die Clinton-Administration, schrieb der New Yorker im Januar 2000, habe nur das Gleiche getan, was Osama bin Laden seit Jahren selbst mit großem Geschick betrieben habe: "Sie hat ihn zu einem Mythos aufgebaut."

Die Attraktivität dieses Mythos wiederum ermöglichte es dem wirklichen bin Laden, in zahlreichen islamischen Ländern hingebungsvolle Mitglieder für sein Netzwerk zu rekrutieren. Wenn jetzt alle Terrorismus-Experten allein seiner Organisation Al Qaeda die Fähigkeit zuschreiben, einen logistisch so anspruchsvollen Doppelanschlag auf die Zentren des verhassten Gegners durchzuführen, beweist dies nur, wie sehr die Verteufelung seiner Sache diente.

Diese Sache ist ein "heiliger Krieg" gegen Amerika, der sich vor allem aus Osama bin Ladens Biografie erklärt. Als Spross einer wohlhabenden, aber von der feudalen Gesellschaft Saudi-Arabiens nie voll anerkannten Familie war er 1979 nach Afghanistan gegangen, um mit seinem geerbten Geld den Kampf der Mudschaheddin gegen die sowjetische Armee zu finanzieren. Nach seiner Rückkehr nach Saudi-Arabien geriet er unter den Einfluss militanter Kleriker und wurde 1992 vom saudischen Königshaus des Landes verwiesen, nachdem dort die US-Truppen für den Golf-Krieg ein- und aufmarschiert waren. In seinem Denken, so schreibt Mary Ann Weaver im New Yorker, seien die USA für Saudi-Arabien geworden, was die Sowjetunion für Afghanistan war: "eine gottlose Besatzungsmacht, die eine korrupte, repressive und unislamische Regierung stützt".

Osama bin Laden also führt mit seiner großzügig finanzierten und locker vernetzten radikalen Gefolgschaft einen doppelten Kampf: gegen das saudische Königshaus und gegen die Vereinigten Staaten. Bis zum Dienstag wurde er von US-Geheimdiensten nicht nur als Terrorist verfolgt, sondern auch als latentes Sicherheitsrisiko für die Stabilität Saudi-Arabiens eingeschätzt. Ein massiver, falsch geführter Vergeltungsschlag der USA im Nahen Osten - und Osama bin Laden könnte mit den "heiligen Kriegern" der Al Qaeda gleich auf zwei Schlachtfeldern siegen. Ob er die Katastrophe in den USA nun zu verantworten hat oder nicht.

Quelle: Frankfurter Rundschau 13.09.2001


Rolf Paasch arbeitet im Berliner Büro der Frankfurter Rundschau

E-Mail:   berlin@fr-aktuell.de
Internet: http://www.fr-aktuell.de
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