Netzwerk Friedenskooperative



Die Gewaltspirale durchbrechen


vom:
10.10.2001


 vorheriger

 nächster
 Artikel

Die Gewaltspirale durchbrechen!:

  Dokumente / Bundestag / Parteien

Die Terroranschläge in den USA und ihre Folgen

"Nichts wird bleiben wie es war?"

Martina Fischer, Dieter Reinhardt, Albert Statz

"Nichts wird so bleiben wie es war" - dieser Satz wurde nach den Anschlägen in New York und Washington vom 11. September zur geflügelten Redewendung. Der britische Journalist Timothy Garton Ash wies in einem Beitrag für die Süddeutsche Zeitung darauf hin, die Zerstörung des World Trade Centers markiere den wahren Anfang des 21. Jahrhunderts, denn dieser Terrorakt werde möglicherweise "das gesamte internationale System umkrempeln". Man werde jetzt "unter schlimmsten Voraussetzungen" herausfinden müssen, inwieweit die Vereinigten Staaten ihre Außenpolitik unilateral oder multilateral ausrichten. ("Amerikas Entscheidung", SZ 14.9.)


Jeder Terrorakt macht die Welt ein Stück unmenschlicher. Jede derartige Gewalt, die aus der Sicht der Täter "erfolgreich" ist, stärkt fundamentalistische Strömungen und schwächt die Kräfte, die demokratische Rechte, Frauenrechte, friedliche Formen der Konfliktlösung und rechtsstaatliche Strukturen einfordern. Aber auch Reaktionen, die von Prinzipien wie Rache und Vergeltung getragen sind, statt sich auf das Recht zu gründen, oder die sich in kurzfristigem, militantem Aktionismus erschöpfen, können dazu beitragen, terroristische Strukturen langfristig ungewollt zu stärken, anstatt ihre Auflösung zu befördern.

1. Amerikanische Reaktionen: Militärische Allianzbildung

In den Tagen nach den Anschlägen bewegte sich die Rhetorik der amerikanischen Regierung zwischen der Beschwörung fragwürdiger christlicher Symbolik der Kreuzzüge und direkter Verhöhnung islamischer Konzepte ("unendliche Gerechtigkeit" als Bezeichnung für einen geplanten "Feldzug", obgleich für Menschen muslimischen Glaubens eine solche Gerechtigkeit nur durch Gott ausgeübt werden kann). In seiner Ansprache an die Nation ging Präsident Bush zu einer bedächtigeren Wortwahl über. Jedoch machte er gleichzeitig klar, dass die USA nicht nur politisch und ökonomisch, sondern auch militärisch reagieren werden, und zwar in einer Weise, die "umfassender" sein werde "als der Golfkrieg und als der Kosovokrieg" und die Opfer mit sich bringen werde.

 zum Anfang


Die Gewaltspirale durchbrechen
Das bisherige Vorgehen der amerikanischen Regierung zeugt vom Bemühen, keine isolierten Schritte zu unternehmen, die Unterstützung der Partner des nordatlantischen Bündnisses zu sichern und Verbündete in der arabischen Welt zu suchen. Am 12.9.01 erklärte der VN-Sicherheitsrat die Anschläge zu einer "Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit". Der NATO-Rat erklärte, dass der Bündnisfall nach Artikel 5 des NATO-Vertrags für den Fall in Kraft tritt, wenn die USA belegen können, dass der Anschlag von außen erfolgt sei. Der US-Regierung ist es offensichtlich darüber hinaus gelungen, zunächst eine allgemeine Zustimmung für ihren Kampf gegen den Terrorismus auch von Ländern wie Russland und China zu sichern.

Die USA haben sich allerdings bislang nicht für ein wirklich multilaterales Vorgehen entschieden. Der UN-Sicherheitsrat wurde über die Ebene der ersten Entschließung hinaus nicht beteiligt. Die USA, nicht die Vereinten Nationen, haben die politische und militärische Initiative übernommen. Über das Mittel "Militäreinsatz" wurde längst entschieden, bevor die Ziele bekannt gegeben wurden. Diese werden bislang (zumindest offiziell) weder mit den Verbündeten noch mit den UN-Gremien abgestimmt. Gewiss kann man erleichtert sein darüber, dass die US-Regierung - entgegen ersten Befürchtungen - nicht rein unilateral agiert hat, sondern sich der Solidarität multilateraler Institutionen vesicherte. Jedoch kann das nicht darüber hinwegtäuschen, dass damit kaum mehr gemeint ist, als die Legitimation einseitig entschiedener, aber gemeinsam zu tragender Militäraktionen.

Die US-amerikanische Öffentlichkeit scheint die Einschätzung, dass militärische Einsätze unabdingbar seien, mehrheitlich zu teilen. Ausnahmen hiervon bilden die Stimmen der amerikanischen Grünen und von Intellektuellen, wie zum Beispiel der Schriftstellerin Susan Sontag (1) (siehe FAZ 15.9.) oder von Tony Judt (2), Leiter des Remarque Zentrums an der New York University (siehe SZ, 15./16.9). Die schockierenden Bilder und die Erfahrung der eigenen Verletzbarkeit haben in der amerikanischen Gesellschaft eine Traumatisierung bewirkt, deren Folgen für das internationale System noch nicht absehbar sind. Die Reaktion einer amerikanischen Kollegin wenige Tage nach dem 11. September, sie fühle sich angesichts der Bilder von New York und Washington an "Hiroshima und Nagasaki erinnert", macht dies deutlich. Die Berechtigung des Vergleichs sei hier nicht kommentiert, er illustriert jedoch eine weit verbreitete Empfindung, Opfer der schlimmsten aller denkbaren Katastrophen geworden zu sein. Er weist aber gleichzeitig darauf hin, dass für das Verständnis von Sicherheit eine Zäsur stattfindet: Das Versprechen eines wirksamen Schutzes ist nicht mehr zu halten; die Trennung zwischen Kombattanten und Zivilbevölkerung ist weniger möglich denn je. Damit stößt aber auch das Militär als Mittel der Politik endgültig an seine Grenzen. Gefordert sind politische Antworten, eine "Weltinnenpolitik".

2. Risiken der Militärlogik

In seiner Ansprache an die Nation kündigte Präsident Bush einen langjährigen Kampf gegen den Terrorismus an, der auf verschiedenen Ebenen geführt werde - der politischen, der wirtschaftlichen, der polizeilich-geheimdienstlichen und der militärischen. Wird jedoch Militärlogik einmal in Gang gesetzt, so droht sie die Möglichkeiten der Problembewältigung auf den übrigen Ebenen völlig in den Hintergrund zu drängen.

Über die Kriegsziele erfährt man jetzt höchst Widersprüchliches: US-Präsident Bush forderte in seiner Rede die afghanischen Talibanführer zur Auslieferung aller Führer der Organisation Ussama bin Ladens (Al Qaida) auf. Außerdem verlangte er die Schließung aller Ausbildungslager und deren Kontrolle durch die USA, sowie die Freilassung aller in Afghanistan inhaftierten internationalen Helfer. Das klang nach einem Ultimatum, bei dessen Nichtbefolgung den Taliban der Krieg erklärt werde. Zwei Tage später, am 22.9. formulierte die Präsidenten-Beraterin Condoleezza Rice ganz andere, weitgehendere Ziele, nämlich die Entmachtung der Taliban-Regierung. Dies wurde zunächst von Außenminister Powell dementiert. Alles deutet jedoch darauf hin, dass die USA in jedem Fall mit militärischen Mitteln einen Umsturz herbeiführen wollen. Im gleichen Atemzug sprechen Teile der amerikanischen Regierung davon, das "Problem Irak" gleich mit "lösen" zu wollen. Bei all dem wird die Solidarität der NATO-Mitglieder eingefordert.

Bevor man Gegenmaßnahmen unterstützt, sollte man prüfen, ob sie zur Erreichung der erklärten Ziele angemessen bzw. effektiv sind. Militärschläge gegen Afghanistan (oder den Irak) werden vermutlich eher die ohnehin stark verelendete Zivilbevölkerung als die militärischen Führer treffen.

Gleichzeitig beinhalten Militärschläge eine unabsehbare Eskalationsdynamik. Sie bedienen geradezu die mutmaßliche Erwartung des unsichtbaren Gegners, weil eine Kriegserklärung erfolgt, die wiederum beantwortet werden wird. Weitere Anschläge, die sich weltweit gegen das Territorium oder Einrichtungen der USA oder ihrer Verbündeten richten, könnten die Folge sein. Durch ihre Ankündigung, militärisch auf die Anschläge reagieren zu wollen, hat die US-amerikanische Regierung sich selbst unter Zugzwang gesetzt. Wer Rache und Vergeltung durch Waffengewalt ankündigt, hat nicht mehr die freie Wahl der Mittel.

Militärische Maßnahmen bergen eine Reihe unkalkulierbarer Risiken, die wenig zur Eindämmung sondern eher zur Verfestigung von Terrorismus beitragen:

1.Militärische Schläge, die Unschuldige in Mitleidenschaft ziehen, werden Märtyrer schaffen und dadurch zu weiteren Solidarisierungseffekten gegen die USA beitragen. Die US-Administration ist sich dieses Risikos ganz offensichtlich bewusst. Vieles deutet darauf hin, dass sie Aktionen vermeiden möchte, die die Afghanen im Kampf für bin Laden und gegen ausländische Besatzer vereint. Das erklärt, warum die Bush-Administration nun in Erwägung zieht, die gegen die Taliban kämpfende sogenannte "Nordallianz" finanziell zu unterstützen, auszurüsten und so die Rolle der Bodentruppen übernehmen zu lassen. Verteidigungsminister Rumsfeld sprach bereits offen von dieser Zusammenarbeit und Arbeitsteilung. Bei der "Nordallianz" wiederum handelt es sich um einem Verbund der usbekischen und tadschikischen Minderheiten im Norden Afghanistans, die im bisherigen Bürgerkrieg ihrerseits einer Reihe von Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen - zum Beispiel nach Angaben von Frauenorganisationen der massenhafter Vergewaltigungen - beschuldigt werden.

2.Die von den USA vorgegebene Militärlogik führt nicht zur Lösung, sondern ist Teil des Problems. Die von amerikanischen Regierungen in den vergangenen Jahrzehnten leider immer wieder bevorzugte Praxis, terroristische und militarisierte Gruppen oder Führungspersonen immer dann wohlwollend zu dulden, zu unterstützen oder sogar massiv aufzurüsten, wenn sie die für ihre Ziele nutzen konnten (sei es, um sie gegen missliebige Regime in Stellung zu bringen oder aus anderen Stabilitätserwägungen heraus) muss vehement kritisiert werden. Der Aufstieg Saddam Husseins ist ein Beispiel dafür, ebenso der Ussama bin Ladens, und man könnte die Liste fortführen bis hin zur UCK in Kosovo und Mazedonien. Es ist keineswegs ausgeschlossen, dass eine amerikanische Strategie, die die afghanische Nordallianz nun gegen die Taliban aufrüstet und in Stellung bringt, wiederum zu einer vergleichbaren Entwicklung führt. Mit Sicherheit wird dies in der Region vorhandene Bürgerkriegsökonomien zusätzlich nähren und den Kreislauf von Gewaltkulturen nur verstetigen.


Dies illustriert eine ausführliche Reportage der Süddeutschen Zeitung vom 9.10. über Frauenorganisationen, die sich unter schwierigsten Bedingungen für Bildung und psychosoziale Versorgung von Frauen in Afghanistan einsetzen. Sie haben sich zum Ziel gesetzt, nicht nur den Taliban, sondern allen Fundamentalisten entgegenzuarbeiten . Eine Aktivistin der Gruppe RAWA wird mit den Worten zitiert: "Wir sind gegen all die Warlords und Kriegsfürsten, und von denen gibt es viel zu viele (...). Die Nordallianz unter ihrem Führer Ahmed Scham Massoud - das waren doch genau die Leute, die zehntausende von Frauen vergewaltigt und unser ganzes Land zerstört haben. Da ist kein Unterschied zu den Taliban." Die Leidtragenden des nun bevorstehenden Krieges wären nach ihren Einschätzung Frauen, Kinder und Alte, die in den Städten und Dörfern verbleiben, während sich die Taliban in die Berge zurückziehen. Und sie führt weiter aus: "Die USA haben damals diese Leute völlig unbedacht mit an die Macht gebracht und damit beigetragen zu der katastrophalen Lage der Frauen in unserem Land. Hoffentlich machen sie nun nicht wieder einen schweren Fehler". Die einzige Chance für eine Entwicklung ihres Landes sieht sie in Maßnahmen zur Entwaffung aller Milizen und Kriegsherren im Rahmen einer UN-Verwaltung.

3.Militärische Maßnahmen führen darüber hinaus zur weiteren Traumatisierung von Menschen in einer ohnehin seit Jahrzehnten vom Bürgerkrieg geprägten Region (3), so dass deren Befriedung zusätzlich erschwert wird. Es wird überdies weiterer Hass gegen die westlichen Regierungen, die dafür verantwortlich gemacht werden, entspringen. Das bildet einen weiteren Nährboden für zukünftige Terroristen.

4.Militärische Aktionen können zudem zur Destabilisierung des gesamten Nahen und Mittleren Ostens beitragen:

Es wird zu einer sehr großen humanitären Flüchtlings- und Hungertragödie in Afghanistan kommen, von der weit über eine Millionen Menschen betroffen sein werden. Schon die Androhung von militärischer Gewalt hat enorme Flüchtlingsbewegungen ausgelöst, die von den Nachbarstaaten bewältigt werden müssen.


Es kann zur Solidarisierung von Minderheiten in angrenzenden Regionen kommen, die mit den Taliban sympathisieren. Deren Aktivitäten können in Bürgerkriege münden, die ebenfalls kaum mehr kontrollierbar wären. Dies gilt auch, und gerade für solche Staaten, mit denen sich die USA in der arabischen Welt derzeit zu verbünden suchen, bei denen es sich aber teilweise um höchst instabile Gebilde handelt, wie z.B. Pakistan, das von einer Militärregierung beherrscht wird, die nur wenig Rückhalt in der Bevölkerung besitzt.

5.Im Zuge der Militärlogik werden andernorts stattfindende Menschenrechtsverletzungen zugedeckt. Anderen Staaten wird damit eine Legitimationsgrundlage dafür geliefert, "Feldzüge" gegen oppositionelle und separatistische Bestrebungen im eigenen Herrschaftsbereich unter dem Etikett der "Terrorismusbekämpfung" durchzuführen. Russland jedenfalls ergreift nun die Chance, dies für den Krieg in Tschetschenien auszunutzen.

6.Das Sicherheitsversprechen der Politiker, die auf militärische Lösungen setzen, ist nicht zu halten. Dies hat eine fatale Eskalationsdynamik zur Folge, innen- wie außenpolitisch: der Abbau demokratischer Rechte und rechtsstaatlicher Sicherheit auch in den westlichen Ländern wird zunehmen. Dies wird eine erhebliche Belastung für die Freiheitsrechte von Demokratien mit sich bringen.


Bundespräsident Johannes Rau hat in seiner Rede bei der Trauerkundgebung am Brandenburger Tor am 14.9.Wesentliches auf den Punkt gebracht. Er zitierte John F. Kennedy mit den Worten, dass es "nicht darum geht, der Macht zum Sieg, sondern dem Recht zu seinem Recht zu verhelfen". Er forderte, man müsse "durch politisches Handeln dafür sorgen, dass den Propheten der Gewalt der Boden entzogen wird". In einem Interview im Deutschlandfunk am 16.9. bezeichnete Rau die Anschläge ebenso wie viele andere Politiker als "Angriff auf die Zivilisation (...), die in vielen, vielen Jahrhunderten aufgebaut worden ist", aber er zog eine andere Schlussfolgerung, indem er ergänzte: "Und darum müssen wir mit zivilen Mitteln agieren."

3. Alternativen zur Militärlogik?

Orientierung an den Prinzipien Effizienz und Legitimität

Reaktionen auf die Terrorakte müssen sich am internationalen Recht und am Prinzip der Legitimität ausrichten. In diesem Sinne ist auch die Feststellung in der Erklärung des Parteirats von Bündnis 90/Die GRÜNEN, das Völkerrecht "kenne keine Rache", wichtig und folgerichtig. Das bedeutet auch, dass sich alle Reaktionen an der Verhältnismäßigkeit der Mittel orientieren müssen. Daher ist es unerlässlich, dass sie sich wirklich auf die Schwächung des für die Anschläge in New York und Washington verantwortlichen Netzwerks und auf die Ergreifung der Drahtzieher richten und die Tötung Unschuldiger ausschließen. Aber auch im Hinblick auf die "Täter" sollte nicht das Wild-West-Motiv ("tot oder lebendig") zur Anwendung kommen. Sie vor Gericht zu stellen birgt weitaus weniger die Gefahr, Märtyrer zu schaffen - sie zu töten, dagegen schon.

Dafür wäre es wünschenswert, dass Maßnahmen zur Verfolgung der Verantwortlichen seitens der USA nicht nur mit den Verbündeten, sondern vor allem im UN-Sicherheitsrat abgestimmt werden. Nicht ein weiterer Ausbau der militärischen Kapazitäten der NATO und ihrer Mitgliedstaaten, sondern die Schaffung internationaler Regeln zur Strafverfolgung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, ebenso wie effektive Mechanismen und Institutionen auf UN-Ebene sind erforderlich, um eine Prävention und weltweite Verfolgung terroristischer Gewaltakte (von Afghanistan bis zum Balkan, von Sri Lanka bis nach Zentralafrika) sicherzustellen. Langfristig wäre es wünschenswert, wenn der UN-Sicherheitsrat ein internationales Strafgericht etablieren würde, um die für terroristische Anschläge Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.

Überdies müsste die internationale Zusammenarbeit beim Austausch von Informationen effektiviert werden. Vieles deutet darauf hin, dass terroristische Strukturen längst in der Mehrheit der arabischen Staaten, aber auch in den westlichen Ländern selbst errichtet wurden, die sich nur durch gut bedachte und gezielte Maßnahmen der inneren Sicherheit (Beobachtung verdächtiger Gruppen und Vereine, Abstimmung von Fahndungsmethoden und klare Kriterien für die Auswertung geheimdienstlicher Informationen) und Polizeikooperation aufdecken lassen. (4)

Hochentwickelte Industriegesellschaften bleiben jedoch letztlich verletzbar. Auch der Ausbau geheimdienstlicher und polizeilicher Kooperation kann keine absolute Sicherheit garantieren sondern diese allenfalls erhöhen. Terrorismus kann mit diesen Methoden allein nicht eingedämmt werden. Sie müssen mit Maßnahmen einhergehen, die seine Ursachen beseitigen und ihm die ideologische Grundlage entziehen. Unterbleibt dies, so wird die Festsetzung eines jeden Drahtziehers des Terrorismus den Aufstieg von zehn weiteren nach sich ziehen.

Ursachen bekämpfen und Solidarisierungseffekte vermeiden:

1.Lösung des Nahost-Konflikts

Im Nahost-Konflikt liegt eine solche Ursache und ideologische Basis begründet. US-Außenminister Colin Powell hat das indirekt eingestanden, als er unmittelbar nach den Anschlägen in New York und Washington sagte, eine der wichtigsten Maßnahmen sei es nun, Verhandlungen im Nahen Osten wieder in Gang zu bringen. Dabei müsste auch die isrealische Regierung zu Zugeständnissen bewegt werden. Israel wird von Marokko bis Pakistan als Stellvertreter der USA in der Region wahrgenommen. Insofern hängen amerikanische und israelische Politik unauflöslich zusammen.

2.Veränderter Umgang mit den Krisen in der Welt

Anstatt immer wieder darauf zu setzen, dass die Führer jeweils unterschiedlicher militärischer Bewegungen gegeneinander ausgespielt werden können, um vermeintliche Stabilität in strategisch relevanten Gebieten zu erzielen, sind Konzepte zur frühzeitigen Einmischung für Dialog und zum Aufbau von Friedensallianzen gegen Gewaltkulturen gefragt, ebenso wie Konzepte für Entwicklung, Bildung und den Aufbau von Staatswesen, die Menschenwürde und Menschenrechte ernst nehmen. Dies wird fanatische Personen, die aus ideologischer oder religiöser Verblendung zu Selbstmord-Attentaten bereit sind, kurzfristig nicht von ihren Plänen abbringen, terroristischen Kreisen aber auf lange Sicht möglicherweise die Rekrutierungsbasis entziehen.


Auch die außenpolitisch Verantwortlichen der USA akzeptieren, dass Krisen in der Welt konstruktiv bearbeitet werden müssen. Dafür sind differenziertere Mittel vonnöten, als der von außen initiierte Austausch politischer oder militärischer Eliten, deren einzige Qualifikation das Zweckbündnis mit den USA bildet, die aber nicht zum Aufbau freiheitlicher und entwickelter Gemeinwesen willens oder in der Lage sind. Wenn die Verantwortlichen in Regierung und Administration dieses Muster nicht verändern, dann wird eben doch alles so bleiben, wie es war.

3.Kriegsökonomien überwinden

Erforderlich wären zudem konzertierte Maßnahmen zur Schwächung von Kriegsökonomien, die für die Fortdauer von Bürgerkriegen oder terrostistischen Strukturen in zahlreichen Krisenregionen dieser Welt verantwortlich sind. Seit Jahren verhindern westliche Banken Einblicke in Kontenbewegungen. Dafür müssen die Banken kooperieren, auch die Schweizer Banken. Zudem müssen Steueroasen aufgehoben werden, die unerkannte Vermögensakkumulation für Kriegsfürsten und Terrororganisationen ermöglichen.

4.Für eine gerechte internationale Ordnung eintreten


Der "beste Schutz gegen Terror, Gewalt und Krieg" - so führte Bundespräsident Rau in seiner Rede am 14.9.aus - sei "eine gerechte internationale Ordnung". Das beinhaltet die Bekämpfung von Armut und der negativen Begleiterscheinungen der wirtschaftlichen Globalisierung. Das erfordert eine Reform der internationalen Handels- und Finanzinstitutionen sowie den Einsatz für weltweite soziale Gerechtigkeit und Bindung der westlichen Außenpolitik an das Ziel der Unterstützung von Rechtsstaatlichkeit in anderen Teilen der Welt. Auch dafür müssen den VN verstärkt Kompetenzen und größere finanzielle Spielräume übertragen werden.

5.Die Rolle der Europäischen Union

Auf seiner außerordentlichen Tagung am 21.9.01 nahm der EU-Rat eine Bewertung der Anschläge vor und verabschiedete einen Aktionsplan. Er stellte einerseits fest, dass die Resolution des Sicherheitsrates vom 12.9.01 einen "amerikanischen Gegenschlag" auch gegen Staaten, die Terroristen "helfen" rechtfertigt und ruft andererseits zu einer "umfassenden globalen Koalition gegen den Terrorismus unter der Ägide der UN" und zur Unterzeichnung des UN-Übereinkommens zur "Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus" auf. Die EU werde sich verstärkt zusammen mit den USA und Russland an der "Verhütung und Stabilisierung der regionalen Konflikte" beteiligen.


Der schnelle und enge militärische Schulterschluss Großbritanniens zeigte erneut, wie weit die EU von einer eigenständigen und gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik entfernt ist. Sie steht vor einer historischen Entscheidung. Sie besitzt das Potenzial, wesentlich zur Bewältigung von regionalen Krisen und Kriegen und zur weltweiten Stärkung multilateraler Politik beizutragen. Das setzt aber voraus, dass sie bereit ist, sich dort, wo sich die US-Administration dieser Zielrichtung verweigert und hegemoniale Sonderinteressen verfolgt, dem transatlantischen Dissens zu stellen. So sollte sich die EU dafür einsetzen, dass Terrorismusbekämpfung unter der Autorität der VN und ihres Sicherheitsrates erfolgt. Die EU sollte eigenständige friedenspolitische Initiativen in Krisenregionen wie dem Nahen und Mittleren Osten, in Zentralafrika und Lateinamerika ergreifen. Sie sollte aber darüber hinaus auch viel klarer als bisher und gegen die Haltung der USA bei wichtigen Fragen wie etwa der Raketenabwehr, der Eindämmung von Kleinwaffen, des Internationalen Strafgerichtshofs oder auch des Klimaschutzes eigene Positionen vertreten und international propagieren. Dadurch könnten die politischen Kräfte innerhalb der USA, die sich für eine multilaterale Außenpolitik einsetzen, gestärkt werden.

Nichts wird bleiben, wie es war: Es ist Aufgabe der EU-Mitgliedstaaten, auf die US-Regierung einzuwirken, eine multilaterale Politik anzustreben, welche die aktuelle Notsituation überdauert. Wenn die USA militärische Schritte ohne eindeutige Beweise, unilateral und als Vergeltung realisieren und wenn die EU-Mitgliedstaaten dies tolerieren oder unterstützen, dann steht einiges auf dem Spiel: die wesentlichen Errungenschaften des Völkerrechts - die enge Interpretation des Rechts auf Selbstverteidigung, das Monopol der Vereinten Nationen auf Durchbrechung des Gewaltverbots und das Gebot der Verhältnismäßigkeit. Dann wird die Weltgemeinschaft der Herausforderung des Terrorismus nicht gewachsen sein.

Kontakt:

Martina Fischer (Sprecherin der Bundesarbeitsgemeinschaft Frieden), martina.fischer@berghof-center.org

Dieter Reinhardt (Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Frieden) dieter_reinhardt@gmx.de

Albert Statz (Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Europa), albert.statz@bigfoot.com

Anmerkungen

1Susan Sontag vetritt die Ansicht, "daß es sich nicht um einen,feigen` Angriff auf die Zivilisation, die,Freiheit`, die,Menschlichkeit` oder,die freie Welt` gehandelt hat, sondern um einen Angriff auf die Vereinigten Staaten, die einzige selbsternannte Supermacht der Welt, um einen Angriff, der als Konsequenz der Politik, Interessen und Handlungen der Vereinigten Staaten unternommen wurde". Sie fragt im gleichen Zusammenhang: "Wie vielen Amerikanern ist bewußt, daß die Amerikaner immer noch Bomben auf den Irak werfen?"

2Toni Judt forderte seine Landsleute zu einer Veränderung des politischen Kurses auf: "Allianzen, Verträge, internationales Recht, Gerichtshöfe und Sonderorganisationen sind keine Alternative zur nationalen Sicherheit - sie sind ihre einzige Hoffnung. Der Rest sind protziges Säbelklirren und eitle Prahlerei. Wird die jetzige Regierung diese unbequeme Wahrheit begreifen?"

3Seit 20 Jahren herrscht Krieg in Afghanistan, in dem 1 Million Menschen starben und mehr als 3 Millionen vertrieben wurden. Zwei Drittel von ihnen leben in Pakistan.

4
Sowohl Washington Post als auch New York Times der vergangenen Tage sind eine Reihe von Meldungen zu entnehmen, die darauf hindeuten, daß die Geheimdienste über viele Informationen verfügten, die aber nicht richtig eingeordnet wurden.


SprecherInnen im Fachbereich Aussenpolitik von Bündnis 90/Die Grünen
Internet: http://www.gruene.de/fb.aussenpolitik/
 zum Anfang

 vorheriger

 nächster
  
Artikel

       
Einige weitere Texte (per Zufallsauswahl) zum Thema
Macht, Globalisg.,"Kampf der Kulturen?"
ff4/2000: Krieg in der DR Kongo
Terror: Hilfslieferungen Afghanistan
Terror: Krieg gegen Terror ist Terror ...
Terror: Abwurf von Medikamenten und Lebensmitteln...
Terror: Gem. Erkl. Versöhnungsbund / Kurve Wustrow
Terror: Schweizer Kundgebung

Bereich

 Themen 

Die anderen Bereiche der Netzwerk-Website
         
Netzwerk   F-Forum  Termine  Jugo-Hilfe Aktuell