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Krieg in Tschetschenien - Inhalt


vom:
01.10.1999


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Krieg in Tschetschenien:

  Hintergrund/Informationen

Schlacht um das Kaspi-Öl

Freitag, Detlef Bimboes

WUCHERNDE KONFLIKTE / Wegen seines Reichtums Rohstoffen wird Mittelasien zwischen globalen und regionalen Mächten neu aufgeteilt Tschetschenien nimmt dabei eine Schlüsselstellung ein
Als sich Ende 1991 die Sowjetunion auflöste, entstanden in der kaspischen Region acht selbständige Staaten: Kasachstan, Armenien, Aserbeidschan, Turkmenistan, Usbekistan, Georgien, Kirgysstan, Tadschikistan - allesamt autoritär geführt, mit Minderheitenproblemen und einem krassen Sozialgefälle belastet, doch zum Teil mit beträchtlichen Ölvorkommen ausgestattet. Für die OECD-Länder - allen voran die USA - bot sich mit den neuen Nationalstaaten eine willkommene Gelegenheit, mittelfristig die Abhängigkeit von den nicht unerschöpflichen Ölquellen am Persischen Golf zu verringern. Derartige Ambitionen wurden durch den Umstand begünstigt, dass die Völker am Kaspischen Meer selbst Anschluss an den "Westen" suchten, was sich mit Bestrebungen vorzugsweise der USA traf, einen strategisch-geographischen Keil zwischen Russland sowie die neuen ölreichen. Länder zu treiben und den Einfluss der NATO bis an die Grenze Chinas und zum Himalaya auszudehnen.

Russland den Schneid abkaufen
An diesem Interessengefüge hat sich seither wenig geändert - allein die Rahmenbedingungen sind nicht mehr die gleichen -, man denke nur an den Sieg der islamistischen Taliban in Afghanistan (1996) oder die Osterweiterung des Nordatlantik-Paktes (1999). Nahziel der USA wie auch der Staaten Mittelasiens und des Kaukasus bleibt es, das Transportmonopol Russlands für Erdöl und Erdgas um jeden Preis zu brechen. Russland soll dauerhaft aus der gesamten Region des Nahen und Mittleren Ostens verdrängt werden. Allerdings kann dieses Monopol nur mit zusätzlichen Pipelines unterlaufen werden, weil die kaspische Region selbst keinen natürlichen Zugang zu den Weltmeeren besitzt. Alle betreffenen Staaten sind außerdem am Transfer von Öl und Gas über ihr eigenes Gebiet interessiert. Es geht schließlich um hohe Gebühreneinnahmen und den Gebrauch der Transitrechte als politisches Druckmittel. Bislang führen die in Betracht kommenden Routen durch ausgesprochene Krisenregionen wie Tschetschenien, Georgien und Armenien oder die Kurdengebiete in der Türkei.

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Von größtem strategischen Interesse für die USA ist daher die Planung einer Trasse von Baku über Armenien oder Georgien zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan. Inzwischen finanzieren die weltweit größten Ölkonzerne Chevron, Mobil und Shell eine Machbarkeitsstudie zu diesem Projekt. Eine entsprechende Übereinkunft wurde im Dezember 1998 in Washington im Beisein des US-Energieministers unterzeichnet. Die Trassenführung würde die Einflussmöglichkeiten Russlands spürbar einschränken, da dessen Pipelines für den Öltransport zum Schwarzen Meer nicht mehr gebraucht würden. Dem Westen könnte so eine eigene Versorgungsvariante offenstehen, deren militärische Sicherung dem NATO-Mitglied Türkei zu übertragen wäre, das im Gegenzug den Löwenanteil der Transportprofite einstreichen dürfte. Mittlerweile hat Aserbeidschan der NATO sogar direkt die Einrichtung von Militärbasen auf seinem Staatsgebiet angeboten.

Analoge Projektionen für eine Gaspipeline beziehen sich auf eine Route von Turkmenistan über Afghanistan nach Pakistan (mit der Option zum Ausbau nach Indien) - ein Vorhaben, das ebenfalls aus politischen Gründen von den USA, aber auch von Saudi-Arabien gestützt wird. Allerdings erlitt das Projekt Ende 1998 einen schweren Rückschlag, als das nordamerikanische Öl-Konzern Unocal das Konsortium verließ, dem - unter anderem - die saudische Deltaoil und die japanische Itochu angehören. Die Hoffnungen Turkmenistans richten sich nunmehr auf den denkbaren Bau einer Pipeline, die quer durch das Kaspische Meer über Aserbeidschan und die Türkei bis nach Europa laufen soll.

Wie die USA verfolgen auch Deutschland und die übrigen EU-Staaten dabei Interessen, die auf eine langfristig gesicherte Energieversorgung Westeuropas über die direkte Beteiligung an den großen Öl- und Gaskonsortien der Kaspi-Region gerichtet sind. Westeuropa bestreitet derzeit etwa 20 Prozent des Welterdölverbrauchs, besitzt aber nur zwei Prozent aller Vorräte. Beim Erdgas ist die Situation mit 3,1 Prozent der Weltressourcen nur geringfügig besser. Das Kaspi-Öl ist nichtsdestotrotz eher eine mittelfristige Option, da die EU-Staaten, die heute nahezu. 80 Prozent ihres Erdölbedarfs importieren, über eine breit gefächerte; risikomindernde Importstruktur (Golfregion, Nord- und Westafrika, Russland) verfügen. Auch die Gasvorkommen der Kaspi-Region dürften auf längere Sicht bestenfalls als Reserve von Interesse sein. Das aktuelle EU-Exportvolumen von Erdgas aus Turkmenistan (es besitzt die größten Vorkommen) von circa. 20 Milliarden Kubikmeter spielt für den europäischen Gasimport (215 Milliarden Kubikmeter bei einem Geamtverbrauch von 500 Milliarden 1997) nur eine untergeordnete Rolle. Zudem sind diese Einfuhren teuer und politisch riskant. Ganz anders sieht die Situation angesichts geringer Transportkosten für südosteuropäische Länder wie die Türkei, Bulgarien, Rumänien oder die Ukraine aus.

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Iran und China pokern mit
Die profitablen Geschäfte der Zukunft wollen gut vorbereitet sein. Daher beteiligen sich transnationale Ölkonzerne wie "Agip", "British Gas", "BP", "Royal Dutch Shell", "Statoil" und "Total" an Exploration, Förderung und Pipeline-Ausbau in der Kaspi-Region. Sie betreiben allerdings nicht annähernd den Aufwand solch renommierter US-Gesellschaften Wie "Chevron", "Exxon", "Mobil Oil", "Conoco", die bei den wichtigsten Konsortien in Kasachstan und Aserbeidschan inzwischen Anteile von 40 bis 50 Prozent halten. Allein 1996 flossen 2,5 Milliarden US-Dollar in die entsprechenden Öl- und Gasgebiete. Ein Jahr später waren es bereits fünf Milliarden.

Natürlich betrachtet Russland das Vordringen der Amerikaner in sein angestammtes Revier mit wachsendem Unbehagen. Bereits jetzt ist der Profit- und Prestigeverlust angesichts alternativer Transitrouten klar erkennbar. Um so mehr versuchen die halbstaatlichen Unternehmen "Lukoil" und "Gazprom", wieder mehr als nur einen Fuß in die Tür zu setzen. "Lukoil" ist es nach mehreren Anläufen gelungen, sich in den wichtigsten Konsortien Aserbeidschans und Kasachstans zu etablieren, obwohl der Konzern vor allem am Absatz russischen Erdöls aus sibirischen Vorkommen interessiert ist und demnach eine rasante Entwicklung der Erdölwirtschaft in der Kaspi-Region eher bremst als forciert. Ähnliches gilt für "Gazprom".

Beide Trusts befinden sich in einem Interessenwiderspruch. Einerseits wollen sie am Öl- und Gasgeschäft in der Region profitieren, andererseits fürchten sie die Konkurrenz. Sie sind daher nicht wie die westlichen Gesellschaften an einem massiven, sondern nur einem selektiven Engagement interessiert, das den Zielen Kontrolle und Dominanz untergeordnet bleibt.

Der Iran dagegen - selbst Anrainer des Kaspischen Meeres - sieht sich als natürliche islamische Vormacht der Region und bietet sein gut ausgebautes Pipelinenetz zur Vermarktung an. Die kürzeste und sicherste Route für eine Trasse führt tatsächlich von Baku nach Täbris im Iran und von dort weiter zum Persischen Golf. Ein Veto der USA blockiert bislang diese Möglichkeit. Die sich abzeichnende Öffnung Irans und das Ende seiner Isolation könnten allerdings alle amerikanischen Planspiele obsolet machen. Denn Erdöl- öder Gasleitungen aus Baku beziehungsweise Mittelasien durch den Iran sind wirtschaftlich weitaus günstiger als alle Westrouten. Daran lassen gerade die US-Konzerne keinen Zweifel.

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Schließlich ist auch China mit von der Partie und will sich über eine Pipeline aus Kasachstan bei der gigantischen Vertragssumme von 9,5 Milliarden Dollar einen Teil der für die eigene wirtschaftliche Zukunft nötigen Energiereserven verschaffen. Die Volksrepublik China avanciert damit zum Rivalen sowohl Russlands als auch der westlichen transnationalen Konzerne.

Unter dem Eindruck dieser recht konfliktgeladenen Situation haben sich strategische Allianzen gebildet. Deren Frontlinien verlaufen mitten durch die Kaspi-Region. Auf der einen Seite stehen die USA, verbunden mit der Türkei sowie Aserbeidschan und Georgien, auf der anderen Seite Russland, Iran, Armenien und - mit Einschränkungen -Turkmenistan. Denkbar ist ferner, dass sich demnächst ein gedemütigtes Rußland in einer Allianz mit Indien und China versucht, um den USA besser Paroli bieten zu können. Das aber droht einen neuerlichen Ost-West-Konflikt mit rasant wachsender Aufrüstung auszulösen.

Ein zusätzlicher Unsicherheitsfaktor ist die zum Teil explosive Situation in den neuen mittelasiatischen Staaten. Hier eignen sich winzige Eliten, Clans und Oligarchien enorme Reichtümer an, während gleichzeitig das soziale Elend der breiten Bevölkerung wächst. Menschenrechtsverletzungen, religiöse und ethnische Spannungen sind an der Tagesordnung. Eine Situation, die sich durchaus mit der instabilen Lage am Golf in den achtziger Jahren vergleichen lässt.

Militärische Lösungsversuche der beschriebenen Konflikte können nur dann verhindert werden, wenn die EU ein Gegengewicht zu den USA bildet und auf der Basis einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) auch zu einer eigenen Russlandpolitik findet. Vor diesem Hintergrund ist es unabdingbar, die Rolle der OSZE in der Region zu stärken. Parallel dazu verdient der Energie-Charta-Vertrag (ECT) mehr Beachtung, der am 16. April 1998 in Kraft trat und bisher von 32 Staaten - darunter allen acht Staaten der Kaspi-Region - ratifiziert wurde, im Unterschied zu Russland und den USA. Der ECT schafft verlässliche Rahmenbedingungen für Investitionen in die Lagerstättenerkundung, in Förderprojekte und Pipelinenetze. Ferner bietet er in Streitfällen ein wirksames Schlichtungsverfahren an.

aus: "Freitag" vom 1. Oktober 1999



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