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Krieg in Tschetschenien - Inhalt


vom:
03.03.1995


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Krieg in Tschetschenien:

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HSFK - Standpunkte / Extra

Tschetschenien und die Folgen: Brauchen wir eine neue Rußland-Politik?

HSFK zum Tschetschenienkrieg 1995, Bruno Schoch/Hans-J. Spanger

Rußlands Krieg in Tschetschenien hat alte Dämonen geweckt. Der "strategische Partner" des Westens im Osten hat ein weiteres Mal demonstriert, daß in Moskau heute nur eines berechenbar scheint: die Neigung, politische Konflikte mit militärischer Gewalt zu lösen.


Machte die Beschießung des Weißen Hauses am 4. Oktober 1993 nach als blutiger Preis für den Sieg der Demokratisierung erscheinen, so signalisiert nun der Feldzug gegen die "kriminelle Freihandelszone" im Kaukasus vielen das Ende dieses für Rußland nicht gerade typischen Experiments. Der Machtkampf zwischen Präsident und Parlament galt 1993 als tragische Begleiterscheinung all der Turbulenzen, die zu den postsozialistischen Übergangsperioden im Osten nun einmal gehören. Jelzins Krieg in Tschetschenien dagegen weckt Erinnerungen an alte und junge imperiale Verhaltensformen Rußlands: vom zaristischen Sprung nach Süden bis zu Breschnews Afghanistan-Abenteuer.

Westliche Forderungen, Rußland heute nicht anders zu behandeln als die Sowjetunion gestern, konnten da nicht ausbleiben. Ob indes Sanktionen oder gar eine Politik der Eindämmung die richtigen Konsequenzen sind, ist fraglich. Manche Reaktionen aus dem Westen stehen in ihrer Heftigkeit den abrupten seismographischen Ausschlägen der russischen Politik nur wenig nach. Doch bergen solche Rezepte auch die Gefahr, daß unter dem Eindruck frustrierter Erwartungen vorschnell abgeschrieben wird, was es überhaupt erst zu schaffen gilt: ein demokratisches und marktwirtschaftliches Rußland.

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Wachsende Kluft zwischen Staatsspitze und Gesellschaft
Sowohl nach innen als auch nach außen bietet die russische Politik ein höchst widersprüchliches Bild. Daran hat auch das in Tschetschenien angerichtete Blutbad prinzipiell nichts geändert. Der Zerfall der Sowietunion hat vielmehr ein Erbe hinterlassen, an dem der neue russische Staat bis heute krankt.

Dazu gehört ein Staatsapparat, der seine Inkompetenz täglich unter Beweis stellt, kaum über Steuerungskapazitäten verfügt, weder Recht verbindlich setzen kann noch bereit ist, sich den eigenen Normen zu unterwerfen. Dazu gehört eine Wirtschaft, die auf den Trümmern des alten Kommandosystems immer noch Orientierungspunkte für die Zukunft sucht und die in den weiten legalen Grauzonen aus dem Reichtum des Landes exorbitante private Profite schöpft und große Teile der einstigen lndustrielandschaft dem Verfall preisgibt. Dazu gehört auch, daß die über Nacht aus der sozialistischen Homogenität und staatlichen Fürsorge in eine frühkapitalistische Gründerzeit katapultierte Gesellschaft weder über konsensfähige Leitbilder verfügt noch von ausgebildeten Organisationen partikularer Gruppeninteressen wie Parteien oder Gewerkschaften getragen wird. Vielmehr gründet das dünne soziale Geflecht aus abrupt atomisierten Individuen im täglichen Überlebenskampf auf familiäre, klientelistische oder ethnische Beziehungen sowie auf personale Autoritäten. Schließlich gehört dazu ein Verhalten Rußlands nach außen, das ziellos schwankt zwischen romantischer Verklärung vergangener Größe, dem Eingeständnis gegenwärtiger Schwäche und hilflosen Versuchen, auf den wachsenden äußeren Problemdruck angemessene Antworten zu finden.

An all diesen schwer lastenden Hypotheken laboriert Rußland bis heute. Das schafft obektive Bedingungen, die weder innere Stabilität noch äußere Berechenbarkeit erwarten lassen können. Zwar leuchtete am Beginn die Vision, daß lediglich das sowjetische System zerschlagen und die Produktivkräfte entfaltet werden müßten, um auch in Rußland den "allgemeinmenschlichen Werten" nach westlichem Vorbild zum Durchbruch zu verhelfen. Solche Hoffnungen zerschellten jedoch bald an den harten Realitäten der Transformationskrise. Und sie scheiterten auch daran, daß die anfangs dominierenden jungen Reformer im Umfeld des russischen Präsidenten zwar klare politische Ziele hatten, über deren Umsetzung jedoch nur vage Vorstellungen besaßen und zudem wenig sens commun zeigten, um sich den harten "Mühen der Ebene" zu unterziehen. Daß die erwartete umfassende Hilfe des Westens sich weithin in Beifallsbekundungen für das mutige russische Reformprogramm erschöpfte, tat ein übriges.

Endgültige Wende zum Autoritarismus?
Was folgte, war die "schleichende Revanche des Apparats und der Nomenklatura"` wie der russische Außenminister Andre Kosyrew bereits 1992 halb warnte, halb drohte. Sie wurde von einer Öffentlichkeit kaum bemerkt, die sich 1993 vom Machtkampf zwischen Präsident und Parlament fesseln und nach den Wahlen zur Duma im Dezember von den Ungeheuerlichkeiten eines Schirinowskii blenden ließ, um 1994 schließlich beruhigt zu registrieren, daß Rußland offenbar in ruhigeres Fahrwasser gelangt sei. Der "schwarze Dienstag" im Oktober 1994, an dem der Rubel nach Monaten relativer Stabilität auf einen Schlag ein Viertel seines Wertes einbüßte` vollends dann der militärische Einmarsch in Tschetschenien im Dezember, offenbarten jedoch die brüchigen Fundamente der neuen, prekären Ordnung schonungslos.

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Die "Revanche des Apparats" gründete sich auf den beifallheischenden Anspruch, das tägliche Chaos durch einen starken Staat - Jelzins Leitmotiv im vergangenen Jahr - bändigen zuwollen. Tatsächlich aber war sie von wenig mehr angetrieben als vom politischen wie ökonomischen Selbsterhaltungstrieb der Bürokraten, die aufgrund fehlender Korrektive von unten, von seiten der Wirtschaft, Gesellschaft und des Parlaments, ein munteres Eigenleben entfalteten.

Im Ergebnis zeitigte das Stillstand, nicht Stabilität, aufgeregte Kämpfe hinter den Kulissen und gähnende Leere auf der Bühne. Pars pro toto seien dafür genannt: ein Ministerpräsident Tschernomyrdin, der es sich zur wichtigsten Aufgabe gemacht hat, als Lobbyist des welt-größten Konzerns, der Gazprom, zu wirken; sein Erster Stellvertreter Soskowez, der die genau entgegengesetzten Interessen der Schwer- und Rüstungsindustrie zu fördern sucht; der Privatisierungsminister Polevanov, der sein neues Amt dazu nutzt, um für die neuerliche Verstaatlichung dieser Industriezweige zu plädieren und keine drei Monate nach seiner Ernennung vom Präsidenten wieder gefeuert wird. Die Liste läßt sich fast beliebig erweitern, etwa um das Außenministerium, das - im Sinne der geforderten "Reintegration" - die Umwandlung der GUS in eine russisch dominierte (Kon-)Föderation vorantreibt, während das Außenwirtschaftsministerium alle Anstrengungen unternimmt, um eben dies zu verhindern.

An der Spitze dieser oft unsichtbaren Pyramide hat sich ein mächtiger Apparat des Präsidenten etabliert. Mit seinen analytischen Zentren, Abteilungen des Sicherheitsrates, geheimen Diensten, Schutztruppen und Beraterstäben ist er in Umfang und Ranküne ein getreues Ebenbild der Regierung geworden - mit ungleich größeren, von der Verfassung garantierten und im Zweifel auch jenseits davon exekutierten Rechten, nicht aber mit größerer Kompetenz.

Was geschaffen wurde, um die politischen Grundlinien festzulegen, hat sich so zum eigentlichen operativen Machtzentrum entwickelt. Seine Steuerungsfähigkeit ist indes ebenfalls höchst begrenzt, häufig Zankapfel rivalisierender Gruppierungen. Der Krieg in Tschetschenien bietet dafür ein plastisches Beispiel, hat er doch gezeigt, daß dieser Apparat zu allem fähig ist - und zugleich zu nichts.

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Unbeabsichtigte Eskalation
Die Gewaltaktion im Kaukasus ist das Gegenteil einer langfristig geplanten und kühl kalkulierten militärischen Operation. Wie sollte dies auch anders sein in einem Land, in dem der Präsident glaubt, internationale Macht und Handlungsfähigkeit durch die ostentative Aktivierung seiner Atomwaffen - so geschehen am 25. Januar 1995 nach dem Start einer norwegischen Testrakete - demonstrieren zu müssen, während ein halbes Jahr zuvor die Moskauer Elektrizitätswerke dem Kommando der Nuklearstrategischen Streitkräfte den Strom abstellten, weil das Verteidigungsministerium seit Monaten mit der Begleichung offener Rechnungen im Verzug war?

Solche das postsozialistische Rußland insgesamt charakterisierenden Diskrepanzen zwischen bedrohlicher staatlicher Prärogative und der Dynamik kaum mehr zu überschauender gesellschaftlicher Widersprüche haben die Entscheidung zum Militäreinsatz in Tschetschenien wesentlich geprägt. Zwar mögen auch rationale Kalküle eines autoritären Präzedenzfalls eine Rolle gespielt haben: das Interesse, den Subjekten der Föderation ihre Schranken zu zeigen und wirtschaftliche Interessen an stabilen Versorgungsrouten zu verteidigen; der Wille, den kaukasischen Unruheherd auszutreten, der zudem in den vorhergehenden Kaukasus-Konflikten seine Moskauer Schuldigkeit getan hatte; der Wunsch, dem vielbeschworenen Kampf gegen den islamischen Fundamentalismus und die Kriminalität endlich Taten folgen zu lassen; oder das Interesse, Aserbaidschan enger an Moskau zu binden. All dies mag in die Entscheidung eingeflossen sein. Dennoch erscheint als zweifelhaft, ob sie als Krönung einer weitreichenden Kräfteverschiebung zum politischen Autoritarismus und zur Revision der bisherigen Reform-Perspektiven zu deuten ist.

Verlauf und Ergebnis des Tschetschenien-FeIdzuges stärken vielmehr die Vermutung, daß es sich um den klassischen Fall einer unbeabsichtigten Eskalation handelt. Großmacht-Überheblichkeit, unzulängliche Lageanalyse, fehlende operative Planung, sträfliche Mängel der Instrumente und empörend gleichgültiger Umgang mit dem Leben der Soldaten und der Zivilbevölkerung sind dabei eine unheilvolle Verbindung eingegangen.

Unter solchen Voraussetzungen gerät eine Politik, die ultimativ und demonstrativ mit dem Einsatz militärischer Gewalt droht, schnell in selbst produzierte Handlungszwänge und wird zum Opfer der Logik des Krieges - ein Ablauf, der sich in Tschetschenien von anfänglich verdeckten Operationen über den Aufbau einer militärischen Drohkulisse, den sukzessiven Vormarsch auf Grosny bis hin zur Belagerung, Bombardierung und schließlich Erstürmung der Stadt im Häuserkampf minutiös verfolgen läßt. Die Greuel des russischen Militärs und seiner politischen Führung entschuldigt das alles nicht. Für eine angemessene und effektive Reaktion jedoch sind solche Hintergründe wichtig.

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Was tun?
1. Rußland Interesse an seiner Territorialen Intregrität und an stabilen Grenzen ist nicht nur legitim, sondern deckt sich auch, wie der UN-Generalsekretär festgestellt hat, mit dem Interesse aller. Doch spricht der Krieg in Tschetschenien den Normen internationalen Rechts und Standards zivilisierten Verhaltens Hohn.

Daß die Staaten des Westens auf Rußlands Souveränität pochten und den Tschetschenien-Feldzug als "innere Angelegenheit" betrachteten, entspricht ihrer Staatsräson.

Weder Völkerrecht noch UNO sind imstande, innerstaatliche Konflikte von außen zu regeln; außerdem ist die demokratische Legitimität des Dudajew-Regimes höchst zweifelhaft. Die westlichen Regierungen freilich zögerten viel zu lange, den Griff zur Gewalt zu kritisieren und gegen die Barbarei der Bombardierung von Zivilisten lautstark zu protestieren. Dieser Kleinmut erweckte den Eindruck, zur Wahrung der Stabilität allzu großzügige Maßstäbe anzulegen, und war so geeignet, die Kritiker des Krieges und das demokratische Lager in Rußland zu schwächen.

2. Unfreiwillig manifestierte der Tschetschenien-Feldzug Rußlands gegenwärtige Schwächen, politisch wie militärisch. Wenn der alte Grundsatz gilt, Staaten nicht allein nach ihren (politischen) Absichten, sondern auch nach ihren (militärischen) Fähigkeiten zu beurteilen, besteht kein Grund, Rußland aufs neue zu dämonisieren.

Über den strategisch wie taktisch dilettantischen Charakter des Einmarsches in Tschetschenien besteht kaum ein Zweifel. Der Kriegsverlauf war ein Debakel für das Militär und straft die offizielle Begründung Lügen, sich lediglich "bewaffneter Banden" entledigen zu wollen. Die Sicherung der eigenen Grenzen um jeden Preis hat zugleich die Grenzen aufgezeigt, die möglichen russischen Ambitionen zur Machtprojektion heute gesetzt sind.

3. Neben den begrenzten Fähigkeiten hat der Krieg in Tschetschenien aber auch dokumentiert, daß Rußland für Europa - wieder einmal - zur unberechenbaren Größe geworden ist. Das erfordert eine koordinierte Strategie der Schadensbegrenzung.

Der Wunsch, Schwierigkeiten und Rückschläge des Transformationsprozesses in Rußland nicht allzu genau wahrzunehmen, scheint bei vielen übermächtig. Daraus erklärt sich der Wunsch, in Präsident Jelzin trotz allem den Bürgen gegen noch schlimmere Entwicklungen wahrzunehmen. Doch hilft Wegsehen nicht mehr weiter. Kooperation und Hilfe kann es nicht um jeden Preis geben. Die Bedingungen für deren Fortführung dürfen sich dabei nicht in den Konditionen des Internationalen Währungsfonds erschöpfen, sondern müssen auch Kriterien wie die verfassungskonforme Durchführung freier Wahlen in diesem und im kommenden Jahr, die Sicherung individueller Grundrechte, die Verteidigung einer freien Presse oder einen zivilisierten Interessenausgleich innerhalb der Föderation beinhalten. Ein aktueller und konkreter Maßstab ist ferner das künftige russische Vorgehen in Tschetschenien, von der Moskauer Bereitschaft, weitere OSZE-Erkundungsmissionen zuzulassen, über die Wahrnehmung internationaler Vermittlung bis hin zur logistischen Unterstützung und freien Verteilung der internationalen humanitären Hilfe.

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4. Im Westen muß mehr getan werden zur Unterstützung der demokratischen und marktwirtschaftlichen Umgestaltung in Rußland.

Gewiß lassen sich Demokratie und Marktwirtschaft nicht von außen implantieren. Doch ist eine koordinierte, gezielte und quantitativ sichtbare Hilfe eine unverzichtbare Ergänzung der eigenen Anstrengungen. Richtig eingesetzt ist sie geeignet, jene wirtschaftlichen und politischen Kräfte zu stärken und jene Strukturen zu festigen, die Rußland überhaupt erst zu einem berechenbaren und dauerhaften Partner werden lassen. Das betrifft zum einen die Ausweitung der externen makroökonomischen Unterstützung. Wenn für Mexiko innerhalb weniger Wochen ein Hilfspaket im Umfang von 47,8 Milliarden US-Dollar geschnürt wird, Rußland dagegen in den ersten drei Jahren kaum 5 Milliarden US-Dollar an neuen Ressourcen zugeflossen sind, zeigt dies die Spielräume - und die Prioritäten - westlicher Geldgeber. Noch wichtiger ist die technische Hilfe, die den Strukturwandel in der russischen Wirtschaft beschleunigen, die technologische Kompetenz bewahren und anpassen, mit Nachdruck die rechtlichen und institutionellen Grundlagen schaffen und zum Aufbau demokratischer Parteien, Gewerkschaften und Interessenverbände beitragen kann. Schließlich sind Sonderprogramme zur Abfederung der sozialen Kosten der ökonomischen Transformation aufzulegen. Hier müssen die Prioritäten neu bestimmt und muß Rußland weit stärker als in der Vergangenheit zum Schwerpunkt koordinierter europäischer (auch das lehrt Mexiko) Anstrengungen werden - bei begrenzten Ressourcen im Zweifel auch auf Kosten anderer Empfänger. Dies dient nicht zuletzt den eigenen Interessen, und es dient ihnen langfristig mehr als die so beliebte Ausreichung von Handelskrediten und Exportbürgschaften.

5. Solange die politische Elite Rußlands trotz ihrer autoritären Wendung an Kooperation mit dem Westen interessiert bleibt, gilt es dies zu nutzen. Denn zur Fortsetzung der ökonomischen und politischen Kooperation mit Rußland gibt es keine vernünftige Alternative.

Bei aller rhetorisch-ideologischen Abgrenzung vom Westen gibt es bisher keine Anzeichen dafür, daß die führenden politischen Kräfte die wirtschaftliche und politische Kooperation Rußlands mit dem Westen preisgeben wollen. Ökonomische Interessen sprechen dagegen. Daneben scheuen sie davor zurück, sich vollends in die Isolation internationaler Selbsteinkreisung zu begeben oder sich vom Westen ab- und dem Osten zuzuwenden. Auch wenn sie schmaler geworden ist - das liefert die Basis für Einflußmöglichkeiten von außen.

Da à la longue allein die erfolgreiche marktwirtschaftliche Transformation und gesellschaftspolitische Demokratisierung eine Überwindung der alten Gegensätze in Europa versprechen, muß alles getan werden, um eine Rückkehr zur altbekannten Freund-Feind-Polarisierung - in welchen Kostümen sie auch daherkomme - zu vermeiden. Einer neuerlichen Konfrontation nach außen folgt nolens volens die autoritäre Formierung nach innen, die den in der Moskauer classe politique ohnehin starken Kräften Auftrieb gibt, die à tout prix nach der Restauration von Rußlands Großmachtstatus trachten.

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6. Sicherheit in Europa wird es auch in Zukunft nicht gegen, sondern nur im Einvernehmen mit Rußland geben. Das gilt für den Westen, aber auch für die Staaten Mittel- und Osteuropas.

Die NATO steht vor dem Dilemma, daß ihr traditioneller Auftrag der kollektiven Verteidigung sich überlebt hat und daß ihr Wunsch nach kollektiver Sicherheit ein leeres Versprechen geblieben ist, ja vielleicht bleiben muß. Diesem Dilemma und damit einer grundlegenden Reform der europäischen Sicherheitsinstitutionen durch die seit Dezember 1994 betriebene Osterweiterung der Allianz zu entgehen, ist sehr problematisch. Der Wunsch der Staaten Mittel- und Osteuropas nach einer raschen Einbindung in die Institutionen des Westens verdient Unterstützung. Die Erwartung, ihre Sicherheit wachse durch einen schlichten NATO-Beitritt ungeachtet der damit einhergehenden Isolierung Rußlands, ist aber ein Köhlerglaube. Auch unsere Sicherheit wird damit nicht größer, sondern vielmehr geringer.

7. Doppelte Standards untergraben das Vertrauen.

Die Standards, mit denen im Westen die Wirtschaftsreformen in Rußland und die Außenpolitik des Landes gemessen werden, müssen Geltung auch für das eigene Verhalten beanspruchen.

Wenn etwa der russischen Führung ein liberales Handelsregime verordnet wird, so wirkt es zumindest irritierend, wenn sich die Europäische Union zur gleichen Zeit in ihren Assoziations- und Kooperationsverträgen mit dem Osten hinter selektiven Einfuhrbarrieren verschanzt. Und wenn nach den deprimierenden Erfahrungen im ehemaligen Jugoslawien in der NATO jetzt lauthals eine "freie Hand" für den Einsatz militärischer Mittel gefordert wird, läßt sich kaum mehr begründen, warum umgekehrt die "friedenssichernden" Maßnahmen Rußlands in der GUS einer lückenlosen Kontrolle und Mitwirkung der internationalen Gemeinschaft unterworfen werden sollen.

Von der Krise zum Krieg - Wichtige Daten
23.-25. November 1990: Tagung eines "Tschetschenischen Nationalkongresses", der eine Souveränitätserklärung abgibt und Dudajew zu seinem Vorsitzenden wählt; der Nationalkongreß usurpiert sukzessive die Machtbefugnisse in Tschetschenien;

21. August 1991: Putschversuch in Moskau gegen den sowjetischen Präsidenten Gorbatschow;

6. September 1991: gewaltsame Auflösung des amtierenden Obersten Sowjet der autonomen Republik durch bewaffnete Verbändes des Nationalkongresses;

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27. Oktober 1991: Präsidenten- und Parlamentswahlen in Tschetschenien, die kurzfristig anberaumt und unter unklaren Umständen durchgeführt, von Rußland nicht anerkannt werden;

1. November 1991: Deklaration der Unabhängigkeit der "Tschetschenischen Republik"; vorübergehende Verhängung des Ausnahmezustandes über Tschetschenien durch den russischen Präsidenten; danach über mehrere Monate Abzug der russischen Truppen unter Übergabe eines großen Teils der Bewaffnung an die tschetschenische Regierung;

30. November 1991: Inguschetien trennt sich in einer Volksabstimmung von Tschetschenien;

e4. Juni 1992:
Rußland vollzieht durch gesetzliche Regelung die endgültige Trennung Tschetscheniens und Inguschetiens; es bleiben aber ungeregelte Grenzprobleme zwischen beiden Republiken;

April 1993: Auflösung des Parlaments Tschetscheniens durch Dudajew und Errichtung eines Präsidialregimes; in der Folge erste bewaffnete Zusammenstöße in Grosny;

Juni 1994: Gründung eines "Provisorischen Rates" in der tschetschenischen Ortschaft Znamenskoje, in dem sich Teile der Opposition unter Umar Awturchanow zusammengeschlossen haben; er erhält umgehend politische Rückendeckung sowie finanzielle und zunehmend auch verdeckte militärische Unterstützung durch Moskau;

Juli - September 1994: eskalierende bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Verbänden verschiedener Oppositionsgruppen mit den Truppen Dudajews;

26./27. November 1994: die letzte und größte Offensive der Opposition auf Grosny scheitert; Dudajew gelingt es, eine große Zahl russischer Soldaten gefangen zu nehmen, die der Moskauer Geheimdienst aus den Streitkräften angeworben hatte; die russische Regierung muß erstmals offen ihre Beteiligung an den Operationen der tschetschenischen Opposition einräumen;

9. Dezember 1994: Präsident Jelzin stellt der tschetschenischen Führung das Ultimatum, bis 15. Dezember alle Waffen abzugeben und die "die Ordnung" wiederherzustellen; gleichzeitig wird der russische Truppenaufmarsch an den Grenzen Tschetscheniens beschleunigt;

11. Dezember 1994: die russische Truppen überschreiten in drei Kolonnen die Grenzen zu Tschetschenien und stoßen auf Grosny vor, das sie nach vielen Verzögerungen und vereinzelten Kampfhandlungen erst nach über zwei Wochen erreichen;

17. Dezember 1994: nach Ablauf einer letzten Verlängerung des Ultimatums erste Luftangriffe auf tschetschenische Ziele;

1.-4. Januar 1995: nach heftiger Bombardierung und Artilleriebeschuß von Grosny Panzervorstoß in das Stadtzentrum, der mit der völligen Vernichtung der russischen Verbände endet;

19. Januar 1995:russische Truppen erobern nach zwei Wochen heftiger Häuserkämpfe und der nahezu vollständigen Zerstörung Grosnys den Präsidentenpalast; die Kämpfe verlagern sich in die südlichen Stadtteile und in den Südosten Tschetscheniens, wo sie bis heute andauern.

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(3.3.1995)

(c) 1995 HESSISCHE STIFTUNG FRIEDENS- UND KONFLIKTFORSCHUNG, PEACE RESEARCH INSTITUTE FRANKFURT

HSFK-StandPunkte publizieren Analysen und Stellungnahmen aus der HSFK zu aktuellen Themen. Sie setzen den lnformationsdienst der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) fort, der bisher unter dem Titel "Friedensforschung aktuell" erschienen ist.

HSFK, Leimenrode 29, D-60322 Frankfurt aM., Tel: 069/959104-0, Fax: 069/558481



Die Autoren sind wissenschaftliche Mitarbeiter der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung

E-Mail:  info@hsfk.de
Internet: http://www.hsfk.de
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