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Krieg in Tschetschenien - Inhalt


vom:
15.11.1999


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Krieg in Tschetschenien:

  Hintergrund/Informationen

Wie Moskau sich im Kaukasus Feinde macht / Provokationen gegen Georgien und Aserbaidschan

Wird sich der Konflikt in Tschetschenien zu einem Flächenbrand ausweiten?

FAZ, Markus Wehner

MOSKAU, 14. November. Moskaus Krieg in Tschetschenien könnte sich bald schon zu einem Flächenbrand ausweiten, der nicht nur den ganzen russischen, nördlichen Teil des Kaukasus in Mitleidenschaft zieht, sondern auch seinen südlichen: Georgien, das an Tschetschenien grenzt, und Aserbaidschan, das eine gemeinsame Grenze mit Dagestan hat. Zumindest unternehmen russische Militärs gegenwärtig alles, um die ohnehin gespannten Beziehungen zwischen Moskau und den beiden Nachbarn zu belasten. Wie anders soll man es verstehen, dass in der vergangenen Woche der Pressedienst des Moskauer Verteidigungsministeriums mitteilte, Tiflis und Baku hätten tschetschenischen Einheiten mit dem Präsidenten Aslan Maschadow an der Spitze die Aufnahme auf ihrem Staatsgebiet zugesichert. Dies wäre für Moskau ein Vorwand, seine Truppen über Tschetschenien hinaus in Richtung Süden in Gang zu setzen. Die Reaktionen in Tiflis auf die Provokation aus russischen Militärkreisen war harsch. Das georgische Außenministerium sprach von einer Lüge, die darauf gerichtet sei, "unsere Beziehungen endgültig zu untergraben", Staatsminister Lordkipanidse sagte, bestimmte Kräfte in Russland wollten sein Land in den militärischen Konflikt hineinziehen. Ähnlich deutlich fiel die Reaktion in Baku aus. Außenminister Kulijew äußerte, es handele sich offenbar um einen "Propagandakrieg".

Der Zwischenfall ist nur der vorläufige Höhepunkt einer neuen Runde im geostrategischen Spiel um die Macht im Kaukasus, die allerdings durch den Krieg in Tschetschenien eine gefährliche Entwicklung nehmen könnte. Russlands Ministerpräsident Putin schlug unlängst vor, eine Visumspflicht für die Einreise aus Georgien und Aserbaidschan einzuführen. Er begründet dies damit, dass man das Einsickern extremistischer Elemente verhindern müsse. Die tschetschenischen Kämpfer und andere "internationale Terroristen" könnten nur über die Nachbarstaaten im südlichen Kaukasus ein- und ausreisen sowie von dort Waren und Geld erhalten. Nun soll Tschetschenien auch von Süden aus isoliert, mögliche Nachschubwege unterbrochen werden. In Tiflis hat man hingegen Russlands Bemühungen, ein neues Grenzregime zu errichten, als Reaktion auf die Weigerung Georgiens verstanden, den russischen Streitkräften die Möglichkeit zu geben, von Georgien aus gegen die Tschetschenen vorzugehen. Präsident Schewardnadse versicherte, Moskau habe ein solches Ansinnen in Tiflis vorgetragen; das russische Außenministerium beeilte sich, ein wenig glaubhaftes Dementi zu veröffentlichen. Sowohl Tiflis als auch Baku reagierten befremdet auf Putins Vorschläge für eine Visumspflicht. Georgien gab zu verstehen, dass die von Russland gewünschte Eröffnung von Konsulaten in den Gebieten der ethnischen Minderheiten in Georgien, Abchasien und Südossetien unter diesen Umständen nicht stattfinden werde. Baku beschwerte sich, dass Russland die Grenze faktisch bereits geschlossen habe und nicht einmal mehr Lastwagen mit Obst passieren lasse. Tatsächlich lässt Russland seit dem 6. November nur noch Bürger und Waren aus der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) die Grenzen von Georgien und Aserbaidschan nach Russland passieren. Ähnliche Regelungen gelten für die Häfen und Flughäfen im Nordkaukasus.

Russlands Provokationen gegenüber seinen südlichen Nachbarn im Kaukasus sind Zeichen einer wachsenden Nervosität. Moskau hat es ohnehin nicht verwunden, dass es die Macht an der ehemaligen Peripherie des Reiches verloren hat, dass es in geopolitischer Hinsicht im Kaukasus um zweihundert Jahre zurückgeworfen wurde. Nun wächst die Befürchtung man könne auch noch den letzten Einfluss auf den Süden des Kaukasus verlieren. Denn Georgien und Aserbaidschan orientieren sich immer mehr nach Westen, wenn sie auch Russland wegen seiner geographischen Nähe weiter im KaIkül ihrer Außenpolitik haben müssen. Doch der georgische Präsident Schewardnadse hat in diesen Tagen angekündigt, sein Land werde, falls er die Präsidentenwahl im kommenden Frühjahr gewinnen sollte, im Jahre 2005 laut an die der Nato klopfen. Dies beunruhigt Moskau ebenso wie die Aktivitäten der Amerikaner im Kaukasus in letzter Zeit, die den russischen Einfluss zurückdrängen wollen und sich den Zugang zu den reichen Ölvorkommen vor allem in Aserbaidschan sichern wollen.

Dass Washington zuletzt nicht nur in Georgien und Aserbaidschan, sondern auch in Armenien vorstellig wurde, wurde von Moskau mit besonderem Misstrauen beobachtet. Denn Armenien ist Moskaus einziger zuverlässiger Partner im Kaukasus, der sicherheitspolitisch und auch ökonomisch von russischer Unterstützung abhängig ist und deshalb vom Kreml für seine Kaukasus-Politik genutzt wird. Moskau hat in den vergangenen Jahren Armenien aufgerüstet, im Gegenzug hat Aserbaidschan die Amerikaner, die Nato und die Türkei dazu aufgefordert, Militärbasen auf seinem Gebiet zu errichten, um ein Gegengewicht zu schaffen. Die Amerikaner haben es zudem fast geschafft, eine neue Erdölleitung von Aserbaidschan über Georgien in die Türkei unter Dach und Fach zu bringen, sehr zum Missfallen Moskaus, das Baku davon überzeugen möchte, die nördliche Route über Russland zu nehmen. Die Amerikaner setzen im Streit um Öl und Macht im Kaukasus auf die Achse Baku-Ankara-Washington, zu der sie Tiflis hinzugewinnen möchten. Russland setzt hingegen auf die Achse Eriwan-Moskau-Teheran, will aber zugleich seinen Einfluss auf Baku und Tiflis nicht verlieren. Der Krieg in Tschetchenien bietet den russischen Politikern und Generälen, die eine "harte Linie" im Kaukasus verfolgen, die Gelegenheit ihren militärischen und politischen Einfluss in der Region auszuweiten, unter, dem Vorwand, auch dort gegen den Terrorismus vorgehen zu müssen. Die Nato hat wissen lassen, dass sie im Falle eines Falles Baku und Tiflis helfen werde.


aus Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 15.11.1999


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