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Krieg in Tschet- schenien - Inhalt


vom:
01.06.1992


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 Artikel

Krieg in Tschetschenien:

Hintergrund-Informationen

Aus:
Karl Grobe-Hagel, Rußlands Dritte Welt, Nationalitätenkonflikte
und das Ende der Sowjetunion, Frankfurt 1992 (ISP Verlag),
Seite 138-149


zu Kaukasien

Karl Grobe-Hagel

Wir dokumentieren aus dem Buch die Abschnitte zu Kaukasien:
Kaukasien

Wirtschaft

Historisches

Russische Eroberung

Widerstand der Bergvölker

Der "Muriden-Aufstand"

Nach der Februarrevolution

Die Sowjetmacht in Nordkaukasien

Einzelgebiete

Daghestan

Tschetschenen und Inguschen

Osseten





Kaukasien
Kaukasien ist die geographisch-historische Landschaft zu beiden Seiten des Kaukasus. Transkaukasien besteht aus den Republiken Armenien, Aserbaidschan und Georgien (vgl. die Artikel dazu), der Norden (Ciskaukasien) gehört zur RSFSR, und zwar den ASSR Daghestan, Tschetscheno-Inguschien, Nordossetien und Kabardino-Balkarien, dem Autonomen Gebiet der Karatschaier und Tscherkessen sowie den Bezirken Stawropol und Krasnodar. Die Fläche der Region beträgt knapp 500.000 km2, die Bevölkerung zählt 22.527.000 Einwohner (das Generalgouvernement Kaukasien des Russischen Reichs vor 1917 umfaßte 472.554 km2 mit 7.955.725 Einwohnern nach der Zählung von 1891).

Die Bevölkerungsentwicklung ist seit zwei Jahrhunderten durch starke russische Zuwanderung besonders im Norden gekennzeichnet. In der gesamten Region wohnten im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts:

(...)

In Machtschkala besteht ein Geistiges Direktorat Nordkaukasiens und Daghestans für die sunnitischen Moslems; es benutzt das Arabische als Amtssprache. Der Vorsitzende ist Mufti Mahmud Gekkzjew (geb. 1935, gewählt 1978), dessen Vertreter sind Scheich Achmed Dakajew und Scheich Isuddin Muhammedow. Vor der politischen Wende (1985) unterstanden diesem Direktorat 45 Moscheen.

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In Baku besteht das Geistige Direktorat Transkaukasiens. Es ist sowohl für Schiiten als auch für Sunniten zuständig. Amtssprache dieses Direktorats ist das Aserbaidschanische. Vorsitzender ist Scheich ul-Islam Allahschukur Paschajew (Paschazade, geb. 1949, gewählt 1980), ein Schiit, weswegen er nicht den Titel eines Mufti, sondern eines Scheich ul-Islam trägt. Der Sunnit Mufti Ismail Achmedow ist sein Stellvertreter. Dem Direktorat unterstanden 1985, vor der politischen Wene, nur mehr 18 Moscheen in allen drei transkaukasischen Republiken.

Beide Direktorate haben seit 1978 Internationale Abteilungen.





Wirtschaft
[Angaben über Armenien, Aserbaidschan und Georgien siehe die betreffenden Artikel.]

Die dem Kaukasus vorgelagerten Ebenen sind - besonders im Westen - relativ hoch entwickelt, gehören zu den ertragreichsten Agrargebieten der RSFSR und sind in diesem Jahrhundert auch stark industrialisiert worden. Das Bergland ist nur in den Tälern erschlossen.

Zu den wichtigsten Bodenschätzen gehören Erdöl in der Region von Grosny, deren Produktion die von Baku überholt hat, Steinkohle am Kuban, bei Grosny und am Terek sowie Stahlveredler und Phosphate. Die Mineralwasservorkommen von Mineralnyje Wody, Jessentuki usw. sind bedeutend.

Die Landwirtschaft ist auf Bewässerung angewiesen, außer am Nordhang des Kaukasus; der Getreideanbau ist besonders im Nordwesten hochentwickelt, die Region zwischen Stawropol und dem Schwarzen Meer ist eine der Kornkammern der Sowjetunion.





Historisches
[Zur Geschichte Transkaukasiens vgl. Art. Armenien, Aserbaidschan und Georgien].

Die Entwicklung ist im Osten Nordkaukasiens anders verlaufen als im Westen, der lange Zeit unter dem Einfluß des Krim-Khanats und später freier Kosakentrupps stand. Dem arabischen Vordringen war er nicht ausgesetzt, es kam hier auch zu keiner Staatenbildung, die das ganze Territoriuum umfaßte. Im Osten bildete sich mit Daghestan jedoch ein relativ zusammenhängendes Territorium aus.

Daghestan, im Altertum als "Albania" bekannt, seit dem 4. Jahrhundert zum Teil christianisiert und seit alters ein Durchgangsland, war bereits 664 unter arabischen Einfluß gekommen. Anfang des 8. Jahrhunderts wurde eine Festung in Derbent angelegt. Einige Völker der Region nahmen den Islam sofort an, in den Bergregionen überdauerten die traditionellen Religionen und hier und da auch das Christentum jedoch bis zum 16. Jahrhundert. Dennoch kann Daghestan für etwa ein Jahrtausend als die nördlichste Grenzregion des Islam am Westufer des Kaspischen Meeres gelten. Den arabischen Eroberern folgten die Seldschuken, die Mongolen und später die Perser; unter allen behielten die Fürsten Daghestans ein großes Maß an Unabhängigkeit. Ein Awarisches Khanat entstand im 15. Jahrhundert und wurde im 17. und 18. Jahrhundert Hegemonialmacht in Daghestan; es war eine Föderation awarischer Stämme unter einem zentralen dynastischen Fürsten. Umma Khan (gestorben 1634) kodifizierte das awarische Gewohnheitsrecht.

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Russische Eroberung
In den Machtbereich des Russischen Reiches kam die gesamte Region seit den Türkenkriegen des 18. Jahrhunderts. Der größte Teil des Westens hatte zum Krim-Khanat (vgl. Art. Krimtataren) gehört, der Osten (Daghestan) stand meist unter persischer Herrschaft (vgl. Art. Aserbaidschan).

Erste Kontakte hatten sich schon nach der Eroberung des Astrachaner Khanats durch Iwan IV. (1556) ergeben, doch die russischen Feldzüge gegen das Osmanische Reich zwischen 1677 und 1681 und selbst die Eroberung des Zugangs zum Schwarzen Meer (endgültig 1739) wirkten sich noch nicht unmittelbar auf Kaukasien aus. 1722 wurde unter Peter 1. Derbent erobert, ein Jahr darauf Baku, doch mußte Rußland 1735 die eroberten Gebiete an Persien zurückgeben. Erstmals 1770 drangen russische Truppen über den Kaukasus bis Kutäissi vor. 1774 wurden Kuban und Terek im Frieden von Kücük Kainarca zur Grenze Rußlands, das 1785 ein Generalgouvernement Kaukasien einrichtete. Unter Graf Subow wurden 1796 Derbent, Kuba und Baku erobert. Während die Bergvölker ("Gorzen", nach dem russ. gora = Berg) sich dem Druck Rußlands noch längere Zeit entziehen konnten, stellte sich Georgiens König Irakli II.1783 unter russischen Schutz, worauf nach dem Tod seines Sohnes Georg XIII. das Königreich Georgien 1801 an Rußland als Gouvernement angeschlossen wurde. 1802 wurde Ossetien unterworfen, 1803 die Awaren und ein Teil der Lesghier (s.u.), 1804 Mingrelien und 1810 Imeretien. Von Persien gewann Rußland schließlich im Gulistan-Vertrag vom 24.10.1815 die transkaukasischen Khanate Karabach, Gandsha, Schirwan, Baku, Derbent, Kuba und Talyscha (Lenkoran) (vgl. Art. Georgien, Aserbaidschan und Armenien).





Widerstand der Bergvölker
Das russische Vordringen stieß auch noch nach der Eroberung Transkaukasiens auf lebhaften Widerstand. So kämpften die Tscherkessen noch bis in die siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts gegen die Russen; eine halbe Million von ihnen wanderte zwischen 1861 und 1864 in die Türkei aus, von denen viele den Treck nicht überlebten. Danach folgte ein ebenso umfangreicher Zuzug russischer und ukrainischer Kolonisten in die Steppenregion zwischen Kuban und Kaukasus.

Das awarische Khanat hatte sich 1803 als erstes der russischen Herrschaft unterstellt. Die Mehrheit der Lesghier, eines lange Zeit im Kaukasus ansässigen Volkes, das seit dem 14. Jahrhundert auch durch schriftliche Quellen nachgewiesen ist, unterwarf sich 1812 und wurde ins Khanat Kiurin integriert; in Aserbaidschan unterstanden die dort lebenden Lesghier dem Khanat von Kuba. Die Nogaier, die ursprünglich beherrschende mongolische (aber turksprachige) Gruppe der "Goldenen Horde", nomadisierten bis Mitte des 16. Jahrhunderts am unteren Jaik (Ural). Ein Teil war nach der Eroberung Astrachans durch Iwan IV. zu russischen Untertanen geworden ("Große Horde"); ein anderer wich an den Kuban aus und unterwarf sich den Krimtataren. Bis zum 18. Jahrhundert waren die Fürsten (mit dem Titel Mirza oder Sultan) immer Krimtataren. Der russischen Herrschaft leisteten viele von ihnen lange Widerstand; ein großer Teil emigrierte wegen der Verfolgung nach dem "Muriden-Aufstand" (s.u.) in die Türkei.

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Im südlichen Daghestan wurden die einstmals mächtigen, seit dem 15. Jahrhundert bestehenden Teilstaaten Utsmijat (das Fürstentum der Darginer, deren Herrscher den Titel Utsmi trug) 1819, Maasumat (seit dem 15. Jahrhundert vom Maasum oder Maisum von Tabasaran regierter Fürstenstaat) 1828 und Schamchalat (ein seit dem 15. Jahrhundert bestehender, im 18. Jahrhundert auch awarische und darghinische Gebiete beherrschender Staat der Kumyken und Laken, deren Herrscher Schamchal genannt wurde) erst 1865 nach Aufständen unterworfen und der russischen Direktherrschaft unterstellt; seit dem Gulistan-Vertrag (1813) hatte sich die russische Macht zunächst auf die Städte Derbent, Temir-KhanSchura und Petrowsk (Machatschkala) beschränkt und wurde in den einzelnen Khanaten indirekt ausgeübt.





Der "Muriden-Aufstand"
Der "Muriden-Aufstand", auch als "Gasawat" bekannt, der von einem seit etwa 1820 predigenden Nakschbandiye-Scheich aus Schirwan inspiriert war, flackerte 30 Jahre lang immer wieder auf und richtete sich sowohl gegen die russischen Fremdherrschaft als auch gegen jene Teilfürsten, die mit den Russen paktierten. Nacheinander führten drei Imame von Daghestan - Ghazi Mohammed (1830-1832), Hamsat Bek (1832-1834) und Awar Schamyl (1834-1859) diese streng islamische Bewegung. Ihnen gelang die Vereinigung des bis dahin gespaltenen und jeweils ausschließlich auf kleine Gruppen beschränkten Widerstands. 1831 und 1832 konnte Rußland Daghestan noch rasch wiedererobern. Danach wurde die russische Streitmacht an die Westränder des Kaukasus verlegt und eroberte dort die Ostküste des Schwarzen Meeres, wodurch die Herrschaft Schamyls sich am Nordost-Kaukasus festigen und ausbreiten konnte. 1839 wurde seine Hauptmacht zwar von den Russen in dem Bergdorf Arghuan eingekesselt, doch konnte Schamyl entkommen und führte den Widerstand mit großem Erfolg weiter. Während des Krimkriegs verhielt er sich überraschend passiv, nach dessen Ende wurde er nach einem dreijährigen Feldzug unter dem neuen Generalgouverneur, Fürst Barjatinskij, am 6.9.1859 in der Bergfestung Weden zur Kapitulation gezwungen.

Danach war der Widerstand im wesentlichen gebrochen. Größeren Umfang erreichte noch der Aufstand der Tschetschenen in den Jahren 1864 bis 1867, der von dem Qadiriye-Scheich Kunta Hadschi geführt wurde. Letzte Aufstandsversuche während des Russisch-Türkischen Kriegs von 1877/78 blieben auf lokale Erhebungen beschränkt. Die Tschetschenen erhoben sich nochmals im April 1877, einen Monat darauf rebellierten auch die Abchasen und im September einige Regionen Daghestans nochmals.

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Nur der abchasische Aufstand konnte sich unter türkischer Mitwirkung größer ausbreiten. Eine türkische Flotte mit 14.000 Mann unter Taski Pascha landete am 23.5.1877 nach einem tscherkessischen Vortrupp in Adler, 116 km nördlich von Suchumi (Suchumkale), wurde aber Ende Juni von dem russischen General Alchasow wieder vertrieben. Den sich zurückziehenden osmanischen Truppen folgten an die 30.000 Abchasen; sie wurden in Anatolien angesiedelt. Die Tschetschenen und Daghestaner wurden streng bestraft und waren fortan dem Russischen Reich unterworfen.

Während des Muriden-Aufstands wurden die Zachuren, deren unzugängliche Bergdörfer unter einem Sultan seit dem 15. Jahrhundert eine lockere Föderation gebildet hatten, die sich 1803 russischer Herrschaft unterstellte, nach Aserbaidschan deportiert und durften erst 1860 zurückkehren. Der Versuch, ein awansches Khanat wiederherzustellen (1859), endete 1863 mit dem Sturz Ibrahim Khans, der in die Verbannung geschickt wurde. Erst um die Jahrhundertwende konnte die russische Herrschaft im Nordkaukasus als im allgemeinen gefestigt gelten.





Nach der Februarrevolution
Das gesamte nordkaukasische Gebiet war nach der Februarrevolution von 1917 Kampfgebiet. Bei den Wahlen zur Konstituante im November 1917 erhielten in Transkaukasien die Menschewiki 30 %, die Sozialrevolutionäre 23 %, die Daschnaken 20 %, die Mussawat 19 % und die Bolschewiki 8 % (in Baku aber 22 %) der Stimmen. Eine Koalition aus Menschewiki und Sozialrevolutionären bestand kurze Zeit gegen Ende 1917 in Derbent, wurde von den "Weißen" Armeen aber im September 1918 vertrieben. Am 22.4.1918 verkündete der von Menschewiki und Sozialrevolutionären dominierte Sejm (Parlament) die Gründung der Unabhängigen Föderation Transkaukasien, drei Tage später wurde in Baku (s. d.) eine von den Bolschewiki kontrollierte Kommune ausgerufen. Während im Mai 1918 der Bürgerkrieg in Rußland voll entbrannte, löste sich die Traskaukasische Föderation auf Beschluß der Menschewiki und Mussawat auf, gegen den Protest der armenischen Vertreter. Am folgenden Tage erklärten Armenien, Aserbaidschan und Georgien ihre Unabhängigkeit und schlossen am 4. Juni Friedensverträge mit dem Osmanischen Reich. Die türkische Armee rückte unterdessen auf Baku vor, das sich auf Beschluß der Kommune gegen die Stimmen der Bolschewiki britischem Schutz unterstellte. Eine Verbindung zu den revolutionären Gebieten in Rußland bestand zunächst nicht, da die Bürgerkriegsfronten durch Nordkaukasien verliefen.

Gleichzeitig versuchten zwei Nakschbandiye-Prediger, Nadschmuddin Gotzinskij und Usun Hadschi, das Daghestaner Imamat noch einmal zu beleben; Usun Hadschi hatte sich mit der Roten Armee gegen die Weißgardisten als Vertreter der kaiserlichen Macht verbündet und vertraute den Aufrufen der Bolschewiki zur nationalen Emanzipation. Nach dem Sieg über die Weiße Armee unter General Denikin ließ die Sowjetmacht den Imam fallen und brachte die Rote Armee (Ordschonikidse, Mikojan, Kirow) Daghestan 1920 unter ihre Kontrolle. Die Daghestanische ASSR wurde am 20.1.1921 ausgerufen und der islamische Aufstand einige Monate später völlig niedergeschlagen.

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Die Sowjetmacht in Nordkaukasien
Für die Bergvölker - Kabardiner, Tschetschenen, Inguschen, Tscherkessen, Osseten, Balkaren und Karatschaier - wurde am 20.1.1920 eine "Autonome Sowjetische Gebirgsrepublik" (Gorskaja ASSR) eingerichtet, ab September 1921 aber schon wieder aufgelöst. Zunächst wurde eine ASSR der Kabardiner geschaffen, im Januar 1922 die Balkaren dieser angeschlossen, während die Karatschaier und Tscherkessen eine weitere gemeinsame ASSR bildeten. Den Tschetschenen wurde im Dezember 1922 eine eigene Autonome Provinz zugeteilt, der 1934 die Inguschen zugeschlagen wurden, die 1924 zunächst ein eigenes Territorium erhalten hatten. Die Gebiete der Tscherkessen und Karatschaier wurden im April 1926 voneinander getrennt. Alle diese Gebiete unterstanden jedoch zentraler Verwaltung von Rostow am Don aus; 1934 wurde das zuständige Verwaltungszentrum nach Wladikawkas verlegt. Im Dezember 1936 wurden die drei ASSR der Kabardinen und Balkaren, der Tschetschenen und Inguschen sowie der Nordosseten gegründet: Die Verwaltungen wurden im wesentlichen von Russen geführt; ein Dekret vom Mai 1931, daß binnen 18 Monaten mindestens 70 % der Beamten dieser Gebiete aus der Region stammen und die örtlichen Sprachen beherrschen sollten, war noch 1936 alles andere als erfüllt: Nur 17 der 1.310 Beamten des Nordkaukasus-Gebiets waren Angehörige der Bergvölker. In den meisten Bergdöfern bestanden die alten Strukturen weiter und war insbesondere der Einfluß am ungebrochen. Vor allem unter den erst relativ spät islamisierten Tschetschenen und Inguschen blieb der Einfluß der Nakschbandiye (vgl. Art. Derwischorden) bestimmend, die nach der Gleich- und Ausschaltung des offiziellen Islam im bis dahin geistig führenden Daghestan ihren Einfluß beträchtlich vergrößerte. 1931 gab es im Tschetschenischen Autonomen Gebiet 2.675 Moscheen, Mektebs und einige kleinere Medressen, 1250 Mullahs, 34 Scheichs und 250 mindere religiöse Honoratioren. Selbst die von Mullahs geleiteten Scharia-Gerichte bestanden als "zivile Schiedsgerichte" weiter. Etwa jeder vierte erwachsene Tschetschene gehörte der Nakschbandiye-Bruderschaft an. Ein messianischer Glaube an Kunta Hadschi mit der Erwartung eines islamischen Staates verbreitete sich in den dreißiger Jahren. Ebenso blieb die große Masse der Inguschen gläubig islamisch. Sommerschulen der Mullahs bestanden weiter und wirkten den staatlichen, nur im Herbst und Winter betriebenen Unterrichtsanstalten entgegen, und aus diesen wurden Lehrer bei Verdacht der antireligiösen Propaganda vertrieben.

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Die Hauptstadt der ASSR, Grosny, blieb ein Fremdkörper. Sie wuchs rasch von 6.000 Einwohnern (1890) auf 173.000(1930) und 390.000(1985), lieferte um 1920 etwa ein Viertel der gesamten Erdölproduktion Rußlands und war eine ethnisch gemischte Stadt, in der die beiden einheimischen Nationalitäten, weiterhin Bauern- und Hirtenvölker, 1936 nur 9,7 % der Bewohner stellten.

In Daghestan gewährte die Sowjetregierung 1921 volle Religionsfreiheit, sicherte insbesondere Daghestan den Fortbestand der Traditionen und Sitten zu und richtete dort ein "Volkskommissariat für die Scharia" (das islamische Recht) ein, das dem greisen Scheich Ali-Hadschi Akuschinskij unterstellt wurde. Das Kommissariat wurde 1925 aufgelöst und zugleich den islamischen Würdenträgern (Kadis, Scheichs, Mullahs) das Recht entzogen, Zivilregister zu führen. Dafür wurden staatliche Standesämter eingerichtet. Die bis dahin unangefochten weiterbestehenden Medressen wurden aufgelöst. Der dafür verantwortliche KP-Sekretär Samurskij (eigentlich Nadschmuddin Efendijew), der sich ähnlich wie Sultan-Galijew für einen eigenen Charakter der islamisch-sozialistischen Revolution, allerdings nicht im national-islamisch-kommunistischen Sinn, sondern im Kontext eines revolutionären Panislamismus ausgesprochen hatte, wurde 1937 liquidiert.

Die Kommunistische Partei richtete sich nur langsam in Daghestan ein; bis 1927 hatte sie nur 651 Mitglieder unter den Völkern Daghestans geworben. Noch 1930 waren weniger als 20 % aller Beamten in der Regionalregierung Daghestaner. Die Städte unterlagen einer stärkeren Russifizierung; Machatschkala hatte schon 1924 einen russischen Bevölkerungsanteil von 55 %.

Die Literatur durfte bis 1945 Schamyl als Nationalhelden verherrlichen, der gegen den lokalen Feudalismus gekämpft habe; doch 1950 wurde eine radikale Kehrtwende vollzogen. Schamyl wurde nun als erzreaktionärer Bandenführer gekennzeichnet, der sich den fortschrittlichen Aspekten Rußlands unter Nikolaus 1. widersetzt habe. KP-Chef Danijalow, der ebenso wie der aserbaidschanische Parteichef Bagirow diese Kampagne durchgesetzt hatte, rückte später in die Führung der KPdSU auf. Nach Stalins Tod wurde ein differenzierteres Bild gezeichnet; der Muriden-Aufstand galt nun in erster Linie als Volksbefreiungskampf, jedoch wurden die islamische Führung und die Sufi-Einflüsse als Ausfluß klerikalen, fanatischen und reaktionären Denkens abgewertet. Nach 1980, unter dem Einfluß der islamischen Reaktion auf die Invasion in Afghanistan, folgte abermals eine Wendung zur pauschalen Verurteilung; nun galten die islamischen Volksaufstand, bseondrfs natürlich Schamyls, als reaktionäre. Rusland habe einen Abwehrkampf gegen einen "Heiligen Krieg zur Vernichtung der Ungläubigen" geführt und im großen Ganzen einen gerechten Krieg die Muriden unternommen. Mitte der achtziger Jahre wurde Schamyl wieder als Volksführer gezeichnet.

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Einzelgebiete


Daghestan
Die Daghestanische ASSR (50.300 km2 mit 1,9 Millionen Einwohnern) wurde 1921 gegründet. Der Name ist als einziger einer ASSR nicht von einem Volk abgeleitet, sondern bedeutet "Bergland". Hauptstadt ist Machatschkala (früher Petrowskij; 293.000 Einwohner). Die Bevölkerung ist äußerst uneinheitlich und besteht aus mindestens 32 Völkern. Wichtigster Identifikationsfaktor ist seit der arabischen Eroberung, also seit dem 7. Jahrhundert, der Islam. Größte Gruppe sind die kaukasischen Völker Awaren (25,7 %), Darghinen (15,2 %), Lesghinen (11,6 %), Laken (5,1 %), Tschetschenen (3,0 %), Tabasaranen (4,4 %), Rutulen (0,9 %), Agulen (0,7 %), Zachuren (0,3 %) und Andi (1,0 %, neuerdings bei den Awaren mitgezählt). Turkische Völker sind die Kumyken (12,4 %), Aserbaidschaner (4,0 %), Tataren (seit 1970 keine genauen Angaben mehr) und Nogaier (1,5 %). Zur iranischen Gruppe gehören Tats (0,5 %) und Perser (seit 1939 keine Angaben mehr). Russen (11,6 %) und Ukrainer (0,6 %) gehören zur slawischen Gruppe, ferner leben noch 1,2 % Juden, von denen zwei Drittel das Tatische als ihre Muttersprache angeben, in Daghestan. Dieser ethnischen Zersplitterung entspricht eine sprachliche. Daher wurde bis in die zwanziger Jahre dieses Jahrhunderts das Arabische als Verkehrssprache verwendet; bei einer allgemein hohen Analphabetenrate konnten 1926 mehr Bewohner Daghestan Arabisch schreiben und lesen als die eigene Muttersprache. Arabisch ist nach wie vor Amtssprache des Geistigen Direktorats des Nordkaukasus und Daghestans.

Wegen der sprachlichen Komplexität erwies es sich als unmöglich, eine regionale Schriftsprache als Amtssprache zu entwickeln. Vor 1928 wurde das Awansche mit dem arabischen Alphabet geschrieben, zwischen 1928 und 1938 wurden Latein-Alphabete sowohl für das Awarische als auch für Darghinisch, Lakisch, Lesghisch, Tabasaranisch, Kumykisch und Nogausch entwickelt. Alle wurden 1938 auf kyrillische Alphabete umgestellt. Die Universität in Machatschkala sieht keinerlei Lehrveranstaltungen in den daghestanischen Sprachen vor.

Am 29.1.1991 entschied sich der Oberste Sowjets Daghestans für die Unterzeichnung des von Gorbatschow vorgelegten neuen Unionsvertrags und betonte, daß die ASSR keine eigene Souveränitätserklärung abgegeben hat. Im Zusammenhang mit dem Golfkrieg der von den USA geführten militärischen Allianz gegen Irak wurden allein in Machtschkala Hilfsgüter im Wert von einer Million Rubel für das Saddam-Hussein-Regime gesammelt. Ein großer Teil der rund 45.000 Freiwilligenmeldungen für Irak (die Freiwilligen, deren Meldung in offenem Gegensatz zur Moskauer Golfpolitik stand, wurden nicht eingesetzt) stammte aus Daghestan.

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Der Einfluß einer orthodox ausgerichteten KPdSU-Regionalorganisation blieb bis zum Sommer 1991 ungebrochen bestehen. Erst im Sommer 1991 häuften sich Massendemonstrationen, an denen vor allem die bisher unterdrückte Rastakhiz-Partei (Partei der Islamischen Wiedergeburt) beteiligt war. Im Juni löste das Gerücht, für - jetzt erstmals in größerem Umfang erlaubt - Pilgerfahrten nach Mekka müßten 30.000 Rubel entrichtet werden, Massenkundgebungen in Machatschkala aus, bei denen es ein Todesopfer gegeben haben soll. Demonstrationen gegen die orthodoxe Parteiführung nahmen vor allem nach den Moskauer Ereignissen vom August 1991 an Schärfe zu.





Tschetschenen und Inguschen
Die Tschetscheno-Inguschische ASSR (am 27.11.1990 unter dem Namen Nuchtschetscheja für souverän erklärt) ist 19.300 km2 groß und hat eine Bevölkerung von 1.282.000, davon 750.000 Tschetschenen, 186.000 Inguschen, 320.000 Russen, 14.500 Armenier und 12.000 Ukrainer. Hauptstadt ist Grosny (390.000 Einwohner).

Die Tschetschenen sind wahrscheinlich eins der ältesten Völker Ciskaukasiens; in armenischen und georgischen Quellen des 7. Jahrhunderts werden sie bereits erwähnt. Ihr eigener Name lautet Nochtscho; der von den Russen verwendete Name leitet sich von dem Ort Bolschoj Tschetschen ab. Seit dem 14. Jahrhundert siedeln die Tschetschenen, ursprünglich ein reines Bergvolk, auch in der Ebene. Das Christentum wurde bei ihnen im frühen Mittelalter verbreitet; den Islam übernahmen sie im 16. Jahrhundert durch daghestanische (awarische) Vermittlung. Bereits 1818 erhoben sie sich gegen den Bau der Festung Grosny unter General Jermolow. Der russischen Expansion widerstanden sie bis zum Zusammenbruch des "Muriden-Aufstands" 1859. Danach wanderten 39.000 (ein Fünftel aller Tschetschenen) ins Osmanische Reich aus, lokale Aufstände kamen bis 1877 häufig vor. Noch 1894 wurde ihr Gebiet als "nicht vollkommen befriedet" angesehen. Von 1917 bis Ende 1920 war das Siedlungsgebiet Kampfzone zwischen Weißen und Roten. Zu Beginn der Sowjetmacht bestand allgemein Sippeneigentum an Grund und Boden; der Kollektivierung widersetzten die Tschetschenen sich gewaltsam.

Im Zweiten Weltkrieg erreichte die deutsche Wehrmacht die Grenzen der ASSR; die überwiegende Mehrzahl der Tschetschenen beteiligte sich aktiv am Verteidigungskrieg. 44 Tschetschenen erhielten am 5.10.1942 hohe sowjetische Kriegsauszeichnungen. Doch 1943 und 1944 wurden sämtliche Tschetschenen und Inguschen nach Kasachstan verbannt und die ASSR aufgelöst. Dabei verloren 22 % aller Tschetschenen ausweislich der Volkszählungen von 1939 und 1959 ihr Leben.

Auch die Inguschen sind ein alteingesessenes Volk und mit den Tschetschenen eng verwandt und unterstanden in der Antiken einem und demselben georgischen König. Anders als die Tschetschenen wurden die Inguschen schon 1810 unter Kontrolle Rußlands gebracht. 1817 wurde ein großer Teil des Volkes in die Nähe der Militärbasis Nasran umgesiedelt, wohin in den Jahren bis 1860 die im Bergland wohnenden Inguschen folgten. Erst Ende des 19. Jahrhunderts setzte sich der Islam unter tschetschenischem Einfluß bei den einst gemeinsam mit den Tschetschenen christianisierten Inguschen durch. Seit 1936 teilten die Inguschen das Schicksal der Tschetschenen. Von ihnen starben 9 % an den unmittelbaren Folgen der Deportation 1943/44.

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Die Vertreibung der Tschetschenen, Inguschen, Kabardiner und Karatschaier unmittelbar nach dem Rückzug der 1942 dorthin vorgestoßenen Wehrmacht aus dem Nordkaukasus (1943) ist ein ungewöhnlich düsteres Kapitel der stalinistischen Nationalitätenpolitik. Die vier Völker, denen zu Unrecht Sympathien für die deutsche Besatzungsmacht (die überdies das tschetschenisch-inguschische Gebiet nur am Rande erreichte) angelastet wurden, mußten kollektiv ihre Heimat verlassen und wurden in ganz Mittelasien und Kasachstan verstreut. Ein sehr hoher Prozentsatz hat die Vertreibung nicht überlebt; von den Karatschaiern kamen 30 % und von den Balkaren 26,5 %o um.

Erst im Februar 1956 wurden beide Völker durch eine Rede Nikita Chruschtschows - die Stalin verurteilende "Geheimrede" vor dem 20. Parteitag - kollektiv rehabilitiert, in ihre vollen Rechte eingesetzt und die ASSR wiederhergestellt. Eine illegale Rückkehrwelle der Tschetschenen und Inguschen hatte schon im Sommer 1954 eingesetzt. Obwohl zunächst noch Tausende von den Behörden aufgegriffen und nach Mittelasien zurücktransportiert wurden, hatten gegen Ende 1956 schon rund 30.000 sich wieder am Kaukasus angesiedelt. Ein ZK-Beschluß vom 24.11.1956 legalisierte die Rückkehr in den Kaukasus endgültig. Sie war jedoch mit Konfrontationen mit den inzwischen neu angesiedelten Russen, Ukrainern und Angehörigen anderer Völker verbunden. Die Grenzen der ASSR entsprechen nicht genau denen des Jahres 1942. So kam es im August 1958 in Grosny zu schweren Zusammenstößen und schließlich einem Pogrom gegen die in der Stadt lebenden Tschetschenen. Auslöser war die Beerdigung eines Russen, der von einen Tschetschenen angeblich aus Eifersucht ermordet worden war. Nach dreitägigen blutigen Krawallen, bei denen Armee-Einheiten schließlich eingriffen, wurde der Besitz der meisten Tschetschenen durch russische Plünderer zerstört. Eine hohe Parteikommission der KPdSU flog von Moskau nach Grosny und stellte bei geheimen (parteimternen) Untersuchungen die Verwicklung des Gebietesparteichefs A. 1. Jakowlew in die Ausschreitungen fest. Jakowlew wurde 1959 strafweise in den Kaderapparat der Zentrale versetzt und degradiert. Von diesem Zusammenstoß ausgehend folgten in den nächsten 15 Jahren immer wieder Auseinandersetzungen zwischen Tschetschenen und Russen. Ein weiterer Konfliktpunkt war die Forderung nach Rückgabe des Bezirks Prigorodny, der zum traditionellen inguschetischen Siedlungsgebiet gehört, aber nach der Zwangsdeportation der Ossetischen ASSR (Nordossetien) zugeschlagen wurde. Dieser alte Konflikt gehört zum Hintergrund der Spannungen von 1990. Dabei gab es jedoch auch Einwirkungsversuche konservativer Parteikreise und des Apparats; der Zwist zwischen der ASSR und Rußland wurde von diesen Kreisen geschürt, um die Position des reformistisch-populistischen russischen Parlamentspräsidenten Boris Jelzin zu erschüttern, wie dessen Anhänger argwöhnten.

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Krieg in Tschet- schenien - Inhalt
Am 27.11.1990 erklärte die Volksvertretung der Tschetschenen und Inguschen ihre Souveränität gegenüber der RSFSR und trat zugleich aus dieser und der Sowjetunion aus, erhielt jedoch vertragliche Beziehungen zu beiden aufrecht. Boden, Naturschätze, Gewässer und Luftraum werden als "ausschließliches Eigentum des Volkes der Tschetschenen und Inguschen" definiert. Der russische Präsident, Boris Jelzin, kündigte daraufhin ein Gesetz über die "Wiederherstellung der Gerechtigkeit" und die Rehabilitierung der früher unterdrückten Völker an. Inguschische Vertreter verlangten im März 1991 während einer mehrtägigen Demonstration in Nasranj die Mitglieder des russischen Obersten Sowjets auf, die Wiederherstellung der inguschetischen Staatlichkeit in den historischen Grenzen, einschließlich eines jetzt zu Nord-Ossetien gehördenden Gebiets zu beschließen. Das Referendum vom 17.3.1991 über die Einführung des Präsidialsystems in Rußland (RSFSR) wurde in Tschetscheno-Inguschien boykottiert, da Tschetscheno-Inguschien sich nicht mehr als Teil der RSFSR betrachtete. Exakte Grenzen, Status und Namen blieben zwischen dem Obersten Sowjet Tschetscheno-Inguschiens und dem Allgemeinen Nationalkongreß der Tschetschenen bis Sommer 1991 umstritten. Der Widerstand gegen Rußland wurde nun von der orthodoxen KP-Fraktion geführt; deren Machtstellung blieb auch nach den Moskauer August-Ereignissen 1991 zunächst bestehen, doch wurden das für Rußland geltende Betätigungsverbot der KPdSU und ihre Suspendierung befolgt. Nach weiteren Massendemonstrationen trat die Führung der ASSR, darunter Parlamentspräsident Doku Sawgajew, am 6.9.1991 zurück.

Von den neuen Parteien, die nach 1989 entstanden, ist vor allem die Gruppe Demokratisches Rußland aufgetreten. Gegen Ende 1990 gründete sich die "Gerechtigkeitspartei" (Njyskho), deren Vorsitzender Isa Kodsojew für den Anschluß einiger jetzt zu Nordossetien gehörender Gebiete eintritt. Ab September 1991 gewann eine ausschließlich tschetschenische Bewegung unter dem ehemaligen Sowjetgeneral Dschochar Dudajew beträchtlichen Einfluß auf die politische Entwicklung. Ein zunächst von dem russischen Vizepräsidenten Ruzkoj und Parlamentspräsident Ruslan Chasbulatow, einem Tschetschenen, initiierter Armee-Einsatz wurde noch rechtzeitig abgesagt. Die Unabhängigkeitsbewegung Dudajews ging gestärkt daraus hervor. Dudajew ist auf Basis eines Referendums vom November 1991 unter den Tschetschenen deren Präsident, wird aber von der Mehrzahl der Inguschen nicht akzeptiert. Russische Autoren behaupten eine starke

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tschetschenische Beteiligung an der politisch-wirtschaftlich-kriminellen Mafia.





Osseten
Die Nordossetische ASSR, seit Dezember 1990 Nordossetische SSR, (8.000 km2 mit 610.000 Einwohnern 1984, davon 52 % Osseten, 39 % Russen), gehört zur RSFSR, Hauptstadt: Wladikawkas (früher: Ordschonikidse), ca. 300.000 Einwohner.

Die Osseten sind Nachfahren der Alanen, auch von Teilen der Sarmaten und der Skythen, und gehören zur iranischen Sprachgruppe. Ihre Eigenbezeichnungen sind die zwei Stammesnamen Jr und Digor. Alteste ossetische (alanische) Zeugnisse (eine Grabstelle) sind auf 941 datiert. Die Alanen stammen aus Südrußland und Zentralasien; sie wurden unter byzantinischem Einfluß im 7. Jahrhundert christianisiert. Als Nation wurden sie unter dem Mongolensturm im 13. bis 15. Jahrhundert vernichtet. Versprengte Gruppen siedeln seitdem unter dem Namen Osseten zu beiden Seiten des Kaukasus. Im 16. Jahrhundert standen sie unter den Kabardinern, die ihrerseits Vasallen der Krimtataren waren. Sie wurden islamisiert, doch im 18. und 19. Jahrhundert unter dem Einfluß russischer Missionare rechristianisiert. Die Teilung zwischen Nord- und Südossetien sowie die Eingliederung beider Teile in verschiedene Verwaltungsgebiete Rußlands bzw. Georgiens erfolgte erst um 1810 nach der Annexion Georgiens durch Rußland. Wladikawkas war eine frühe sozialdemokratische und nach 1903 bolschewistische Hochburg und Wirkungsfeld von Kirow; Südossetien blieb bis 1922 vorwiegend menschewistisch.

Am 26. Dezember 1990 erklärte sich Nordossetien für souverän und nahm den Namen "Nordossetische Sozialistische Sowjetrepublik innerhalb der RSFSR und der UdSSR" an. Die Naturschätze wurden als Eigentum der Bevölkerung der neuen SSR deklariert; die Gesetze der SSR haben künftig Vorrang vor denen der RSFSR und der UdSSR. Im Unterschied zur RSFSR bleibt der Verkauf von Grund und Boden (Privatisierung) in Nordossetien verboten, jedoch können Bodenanteile unbefristet privat genutzt werden. Da die Lebensmittelversorgung (außer mit Fleisch) völlig von der RSFSR abhängt, sollen die Bindungen zur RSFSR nicht aufgegeben werden. Außer der Kommunistischen Partei bestehen noch keine politischen Parteien, Gruppen der Demokratischen Partei Rußlands sind jedoch seit 1990 entstanden. Auch in Nord-Ossetien kam es im April 1991 zu Zwischenfällen. Zusammenstöße zwischen Osseten und Inguschen in Kurtat nahe Wladikawskas gingen jedoch auf lokale Streitigkeiten wegen einer Hausbesetzung zurück und hatten keinen eigentlichen politischen Hintergrund.

Das Referendum vom 17.3.1991 über die Einführung des Präsidialsystems in Rußland (RSFSR) wurde in Nordossetien boykottiert.

Südossetien vgl. Art. Georgien.

(...)


Karl Grobe-Hagel ist seit 1963 Redakteur der "Frankfurter Rundschau" und leitet dort das außenpolitische Ressort.
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