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Bombodrom Wittstock/
FREIe HEIDe


vom:
Mai 1997


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Bombodrom Wittstock/FREIe HEIDe:

  Infos und Meinungen

Freie Heide im Überblick:

Ein Bombenabwurfplatz für die Bundeswehr?

Komitee für Grundrechte und Demokratie

"Wir sind von lauter Freunden umzingelt" und "eine Bedrohung für das Staatsterritorium der Bundesrepublik ist nicht in Sicht" - so heißt es einmütig in allen Bedrohungsanalysen bis hin zum Minister der Verteidigung. Dennoch will die Bundeswehr in der Region Ostprignitz-Ruppin - südlich der mecklenburgischen Seenplatte im Norden des Landes Brandenburg - einen 142qkm großen Übungsplatz für Bombenabwürfe einrichten.


Die Bundeswehr will hier Tiefflieger-Angriffe üben, bei denen die Maschinen bis zu 30 m Tiefe herunterkommen, um ihre mitgeführten Bomben abzuwerfen oder Raketen abzuschießen. Für dieses sog. Bombodrom sind pro Jahr rund 3.000 Einsätze geplant. Ein Einsatz umfaßt etwa 12 einzelne Tiefsturzflüge. Es handelt sich also in Wirklichkeit um 36.000 Anflüge. Auf der Liste der Waffen, die auf dem neuen Manöverplatz eingesetzt werden sollen, stehen u.a.: Bomben, Lenkflugkörper, Raketen, Artilleriewaffen, Bordkanonen, Maschinengewehre, Panzer-Abwehrwaffen, Handgranaten. Der Kerosinverbrauch der Kampfflugzeuge kostet pro Tag 80.000,- DM. Wochentags soll tags und nachts geschossen werden, in Ausnahmefällen sogar an Wochenenden. Den Terror, den diese Tiefflugübungen auf die anwohnende Bevölkerung ausüben werden, kann man sich kaum ausmalen. Langfristige und schwerwiegende gesundheitliche Schädigungen sind vorprogrammiert. Die unerträgliche Lärmbelästigung durch Tiefflüge kann zu Kreislaufproblemen, Angstzuständen, Hörstürzen u.a.m. führen. 6.000 Menschen wohnen unmittelbar in den Dörfern am Rand des Bombodroms, etwa 30.000 in den Städten rundum.

40 Jahre Kriegsübungs-Terror durch die Rote Armee

Die betroffene Bevölkerung rund um das Bombodrom ist gebeutelt genug. Nach dem 2. Weltkrieg hatte die Rote Armee dieses Gelände besetzt, die Gemeinden und Bauern enteignet und über 40 Jahre lang Krieg geübt. Eines der größten zusammenhängenden Waldgebiete Deutschlands wurde zu einer zerbombten und ausgebrannten Region. Die Bürgerinnen und Bürger in den anliegenden Ortschaften wurden über diese ganze Zeit mit Schlachtenlärm terrorisiert. Immer wieder kam es zu Unfällen, wie z.B. zu Bombeneinschlägen auf Objekte, die außerhalb des Platzes gelegen sind. Zudem ist das Gelände ökologisch tiefgreifend geschädigt, der Grundwasserspiegel wegen des zerstörten Waldes abgesunken.

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Bombodrom Wittstock/
FREIe HEIDe
Widerstand der Bürgerinitiative FREIe HEIDe

Nach Bekanntwerden der Pläne der Bundeswehr gründete sich vor Ort - rund um das Bombodrom - eine Bürgerinitiative (BI) FREIe HEIDe. Am 15. 8. 1992 fand der erste große Protestmarsch mit rund 4.500 Personen statt - für diese gering besiedelte Region eine sehr hohe Beteiligung. Seitdem kämpft die BI gegen die erneute militärische Nutzung des Geländes und streitet für eine zivile Umwidmung. An den 40 Protestwanderungen durch das Gelände, die bis Ende 1996 stattfanden, haben rund 48.000 Menschen teilgenommen. In den Orten rings um das Gelände wurden Mahnsäulen errichtet. Eine umfassende Ausstellung dokumentiert den Protest der BürgerInnen. 40.000 Unterschriften gegen das Bombodrom wurden dem Verteidigungsministerium übergeben. Bei der Landesregierung Brandenburg wurde Solidarität mit den anwohnenden Bürgerinnen und Bürgern eingefordert. 1996 fand der bundesweit größte Ostermarsch in der FREIen HEIDe statt.

Ökologische Alternativen werden verhindert

Die Region eignet sich ideal, um z.B. für einen sanften Tourismus genutzt zu werden, auf dem Platz ließen sich ökologische Modellprojekte einrichten. Der Umweltforscher Knut Krusewitz, der verschiedene Projektstudien zu dieser Region erstellt hat, spricht von der Möglichkeit, hier ein Biosphären-Reservat als Beispiel einer umwelt- und sozialverträglichen Regionalentwicklung aufzubauen. Gemäß der UN-Erklärung von Rio (1992) haben die Menschen ein Recht auf ökologische Entwicklung. Ein Kriegsübungsgelände ist mit einer solchen Entwicklungsperspektive nicht vereinbar.

Angst vor Arbeitslosigkeit soll Widerstand ersticken

Die Bundeswehr versucht in letzter Zeit verstärkt, das Arbeitsplatz-Argument in die Waagschale zu werfen und die Menschen der Region damit zu ködern. Wittstock soll eine Garnisonsstadt werden. Dadurch würden angeblich viele Arbeitsplätze geschaffen. In einer Region mit rund 23% Arbeitslosigkeit ein verlockendes Angebot. Für die ersten 30 Arbeitsplätze bei der Bundeswehr bewarben sich 700 Personen. Die Bundeswehr stellte etwa aus jedem der umliegenden Dörfer einen Bewerber ein, um die ersten Spaltpilze in die Familien der Dörfer zu tragen. Es gibt sogar eine "Initiative Pro Bundeswehr", die sich die Argumente der Bundeswehr zu eigen gemacht hat und sich für das Bombodrom einsetzt. Vor allem in Wittstock ist der Widerstand zu einem Teil aufgegeben worden. Das Arbeitsplatz-Argument ist jedoch nicht stichhaltig. Eine alternative ökologische Nutzung des riesigen Geländes, die Wiederaufforstung und die Umgestaltung der Gesamtregion zu einem touristisch attraktiven Erholungsgebiet würden langfristig viel mehr Arbeitsplätze schaffen und den ganzen Landkreis Ostprignitz-Ruppin wirtschaftlich wiederbeleben. Einige der Wirtschaftsbetriebe der Region haben dies auch erkannt und sich - neben der BI FREIe HEIDe - zur "Initiative Pro Heide" zusammengeschlossen. Sie setzen sich vor allem aus ökonomischen Motiven für die zivile Nutzung des Geländes ein, die jedoch durch das drohende Bombodrom bislang verhindert wird.

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Bombodrom Wittstock/
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Bombodrom vor Gericht

Neben Protestmärschen und Öffentlichkeitsarbeit hat die BI auch eine gerichtliche Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleitet. 16 Ortsgemeinden, Kirchengemeinden und Privatpersonen haben sich zusammengetan und mit dem Ziel geklagt, daß der Bundeswehr die weitere Nutzung des Platzes untersagt werde. Ferner wird gerügt, daß bestehende Vorschriften zur Einrichtung von Manövergebieten nicht eingehalten wurden und der Einigungsvertrag verletzt worden sei. Ende August 1996 gab das Verwaltungsgericht Potsdam den Klägern weitgehend recht. Im Urteil wird der Bundeswehr auferlegt, vor der Platznutzung ein Planfeststellungsverfahren durchzuführen, bei dem das Landbeschaffungs- und Schutzbereichsgesetz zu berücksichtigen sind. Die Betroffenen können nach diesen Gesetzen Einsprüche erheben, die alle zu prüfen sind. Abwägungen müssen getroffen werden usw. All diese Erfordernisse hatte die Bundeswehr zu umgehen versucht, indem sie sich die Enteignung durch die Rote Armee selbst zu eigen machte.

Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtes Potsdam hat das Verteidigungsministerium Berufung eingelegt. Es will die eigenen Ansprüche gegen die Gesetze und gegen etwaige Einsprüche der Bevölkerung selbstherrlich durchsetzen. Auch die KlägerInnen selbst haben Berufung eingelegt, da das Gericht ihrem weitergehenden Antrag auf generelle Untersagung einer Nutzung seitens der Bundeswehr nicht gefolgt ist. Deshalb sind schon in der 1. Instanz für die BI hohe Prozeßkosten entstanden. Für die 2. Instanz benötigt die BI jetzt 80.000,- DM, die durch Spenden eingeworben werden müssen - hier ist ein erster konkreter Akt der Solidarität nötig!

Tiefflieger und Bombenabwürfe - wofür?

Welche Politik steht hinter den Plänen der Bundeswehr, diesen riesigen neuen und zusätzlichen Bombenabwurfplatz einzurichten? Für Zwecke der Landesverteidigung sind diese Übungen nicht nötig, da es keine Bedrohung mehr gibt. Der Warschauer Pakt ist aufgelöst. Allerdings hat sich die NATO nicht aufgelöst. Sie will nun zur Interventionsmacht außerhalb ihrer Grenzen werden. Statt in Richtung Osten geht die Orientierung der NATO und damit auch der Bundeswehr nun in Richtung Süden. Die neuen Konfliktszenarien konstruieren einen Spannungsbogen von Marokko bis Kasachstan. Sicherheitspolitik bedeutet gemäß den offiziellen neuen Dokumenten von Bundeswehr und NATO nicht mehr Landesverteidigung, sondern Bekämpfung von Krisen und Konflikten, die eine Bedrohung für die Interessen der reichen Länder darstellen könnten: Sicherung von Rohstoffen, Märkten und Wirtschaftswegen weltweit sowie letztlich auch die Verteidigung des Wohlstandes der sog. 1. gegen die sog. 3. Welt. Deshalb üben die Armeen der NATO nicht mehr die Bekämpfung potentieller Feinde an den Landesgrenzen, sondern sie üben Kriegseinsätze auf möglichen Kriegsschauplätzen fern der NATO-Länder. Dies ist der Kern der neuen "out-of-area"-Orientierung (außerhalb des Gebietes der vom NATO-Vertrag umfaßten Länder) von NATO und Bundeswehr.

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Deshalb baut die Bundeswehr neue "Krisenreaktionskräfte" mit einem Umfang von ca. 50.000 Mann auf, die als Eliteeinheiten mit modernster Bewaffnung für solche Kriegsszenarien ausgebildet werden. Die Bundeswehr fordert also Übungsplätze für neue Formen der Kriegsführung - wie wir sie erstmals im Krieg der Alliierten am Golf 1991 erlebt haben. Damals war die Bundesrepublik nur mit einem Scheck von 18 Milliarden DM beteiligt. Inzwischen hat das Bundesverfassungsgericht (1994) die Verfassung uminterpretiert. Während früher bis hin zu Kanzler Kohl Einigkeit darüber bestand, daß Bundeswehreinsätze, die nicht der Verteidigung dienen, vom Grundgesetz verboten sind, ist diese Verfassungsnorm nun auf den Kopf gestellt worden. Die neuen Strategien von NATO und Bundeswehr, denen gemäß nun Kriege in aller Welt mit Bundeswehrbeteiligung möglich sind, wurden nicht einmal im Parlament, geschweige denn in der Bevölkerung breit vorgestellt und diskutiert. Dies ist ein beängstigender Beitrag der Militärpolitik zur Entdemokratisierung der Bundesrepublik.

Wir brauchen eine andere Politik: Frieden durch Gerechtigkeit

Die Hoffnung auf eine friedlichere und gerechtere Welt nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes ist schnell verflogen. Wir sehen heute: die Schere zwischen Reich und Arm geht immer weiter auseinander, sowohl in unserem Land, erst recht aber weltweit. Die 358 reichsten Personen der Welt besitzen heute genausoviel wie die ärmsten 45% der Menschheit (also etwa 2,3 Milliarden Menschen), wie der neueste Bericht der UN-Entwicklungsbehörde mitteilt. Hunger und Elend sind nach wie vor weltweit verbreitet. 800 Millionen Menschen haben nicht genug zu essen; 500 Millionen sind chronisch unterernährt.

Immer deutlicher spüren auch wir, wie der Sozialstaat Schritt für Schritt abgebaut wird. Die Zahl der Arbeitslosen, Sozialhilfeempfänger und Ausgegrenzten nimmt zu - gleichzeitig steigen die Gewinne der Unternehmen immens. Der innergesellschaftlichen Spaltung in unserem Land entspricht die Nord-Süd-Spaltung im Weltmaßstab. Was bedeutet es, wenn die reichen Länder diese Spaltung nicht nur wirtschaftlich, sondern auch militärisch absichern wollen? Wessen Reichtum soll die Bundeswehr in aller Welt verteidigen? Etwa den der 358 Multimilliardäre? Wir leben in weltwirtschaftlichen Strukturen, die so sehr vom Egoismus der Reichen bestimmt sind, daß die Menschenrechte auf der Strecke bleiben. Statt diese Herrschaftsstrukturen nun noch militärisch abzusichern, sollten wir lieber alle unsere Kräfte auf die Frage konzentrieren, wie wir zu gerechterer Verteilung von Gütern, Lasten und Chancen beitragen können. Genügend Ansatzpunkte sind vorhanden:

 Wirtschaftsstrukturen müssen demokratisiert werden;

 zwischen Nord und Süd muß es einen Ausgleich geben, beginnend mit einem umfassenden Schuldenerlaß;

 Rüstungsexporte sind zu beenden;

 der Verschleuderung der Ressourcen künftiger Generationen durch immer schnellere Produktion und Konsumption muß durch eine neue Wirtschaftsweise Einhalt geboten werden;

 durch Projekte und Partnerschaften zwischen Nord und Süd können Umorientierungen beispielhaft praktiziert werden. Nur durch Gerechtigkeit kann wirklicher Frieden geschaffen werden!

Konflikte gewaltfrei bearbeiten

Auch nach einer Veränderung der Weltwirtschaftsordnung gäbe es immer noch Konflikte. Daß sich Konflikte jedoch nicht mit kriegerischer Gewalt lösen lassen, sondern auf diese Weise immer erneut Gewaltstrukturen etabliert werden, können wir hundertfach aus der Geschichte lernen. Sollen wir trotzdem immer weiter auf solche (selbst)mörderische militärische Strategien und Mittel setzen? Friedensbewegung und Friedensforschung haben seit langem Konzepte der zivilen Konfliktbearbeitung und des gewaltfreien Widerstandes gegen Unrecht erarbeitet, die auch erfolgreich angewandt wurden. Das Konzept der zivilen Konfliktbearbeitung, das die Prävention, die Deeskalation und die Konfliktnachsorge umfaßt, kann in allen Phasen einer Krise angewandt werden. Nur machen sich die Staaten solche Konzepte nicht zu eigen, weil sich mit diesen Mitteln nicht die Ziele, die mit der Militärpolitik aktuell verfolgt werden, verwirklichen lassen. Deshalb muß mit Elementen ziviler Konfliktbearbeitung und humanitärer Hilfe von unten begonnen werden, wie es etwa das Komitee für Grundrechte und Demokratie - neben vielen anderen Friedensgruppen - ansatzhaft während des Krieges im ehemaligen Jugoslawien getan hat und nachsorgend noch tut. Hier einige Beispiele:

 Partnerschaften mit den Kräften, die sich für Frieden engagieren;

 Unterstützung von Medien, die gegen den Haß arbeiten und Feindbilddenken unterlaufen;

 Unterstützung von und Werbung für Kriegsdienstverweigerung und Desertion

 humanitäre und medizinische Hilfe für die Opfer des Krieges

 Hilfe für Flüchtlinge

 Gewinnen der Bevölkerung für Alternativen und für Versöhnung

 Überzeugungsarbeit durch mediale Öffentlichkeits-Interventionen

Dabei muß es das Ziel sein, auch Kirchen, Gewerkschaften, Kommunen, Länder, Staatsregierungen und internationale Institutionen für eine Politik der zivilen Konfliktbearbeitung zu gewinnen.

Wir brauchen kein Bombodrom - Widerstand ist notwendig

Das Bombodrom in der Region Ostprignitz-Ruppin geht nicht nur die dort wohnenden Bürgerinnen und Bürger etwas an, sondern alle Bundesbürgerinnen und -bürger. Wie in einem Brennglas zeigt sich hier die Umorientierung der Bundeswehr zu einer modernen Interventionsarmee gemäß dem out-of-area-Konzept der NATO. Dieser Politik gilt es sich zu verweigern. Herrschende Politik will auf dem Bombodrom üben, wie künftig tödliche Bomben noch genauer ihr Ziel treffen können - stattdessen wollen wir lernen, wie das Brot zu den Hungernden kommt, d.h. wie eine Weltwirtschaft dafür Sorge trägt, daß die Mittel zum Leben gerecht produziert und verteilt werden. Nur so können wir verhindern, daß eines Tages auch Deutschland wieder zum Kriegsschauplatz wird.


Zusammenfassung aus der vom Komitee für Grundrechte und Demokratie herausgegebenen "BürgerInneninformation" zum Thema Bombodrom Wittstock

E-Mail:  Grundrechtekomitee@t-online.de
Internet: http://www.friedenskooperative.de/komitee.htm
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