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Erstellt:
02.06.1998


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zu: Zivile Konfliktbearbeitung - Inhalt

Historischer Rückenwind für Zivile Konfliktbearbeitung - ein Plädoyer

Andreas Buro

Hat sich nicht einmal mehr in Bosnien die Untauglichkeit ziviler Konfliktlösungsstrategien erwiesen? Muß sich deshalb die Friedensbewegung nicht neu orientieren und ihre antimilitaristischen Positionen revidieren? Von allen Seiten werden angesichts der "NATO-Bomben für den Frieden" solche Fragen gestellt.

Aber wie kann man von der Untauglichkeit Ziviler Konfliktbearbeitung reden, wenn sie gar nicht angewandt wurde! Die UN-, EU- und sonstigen Vermittler im Bosnien-Konflikt haben doch weder Prinzipien noch Instrumente und Methoden als Konzept angewandt. Pazifisten haben nie Appeasement-Politik vorgeschlagen, erst recht nicht das oft unterstellte Wegducken und Wegsehen, sondern sie ringen um eine höchst aktive Politik der vorbeugenden, deeskalierenden und nachsorgenden Zivilen Konfliktbearbeitung (ZKB).

Weichenstellung aber wie?

Angesichts der katastrophalen Verheerungen moderner Kriegswaffen, die die komplizierte Infrastruktur von Industriestaaten so schnell zerstören können, angesichts der Nutzlosigkeit militärischer Konfliktbearbeitung, die eben gerade nicht der Lösung der drängenden Probleme dient, aber doch die Gelder verschlingt, die dringend hierfür benötigt werden, und in Hinblick auf viele humanitäre Gründe ist die Weichenstellung zu Ziviler Konfliktbearbeitung und die Überwindung der militärischen Drohung und Auseinandersetzung eine riesige historische Aufgabe. Der NATO-Einsatz in Bosnien hat daran nicht das geringste geändert. Dieses Ziel ist nicht so illusionär, wie viele uns glauben machen wollen. Ob man die Regelungen innerhalb der Europäischen Union mehr oder weniger mag, in ihr ist es jedenfalls gelungen, Krieg als Mittel des Konfliktaustrages zwischen den EU-Staaten zu überwinden. Warum soll dies nicht auch in Gesamteuropa und in anderen Regionen möglich sein? Machen wir uns also an die Arbeit!

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Zivile Konfliktbearbeitung - Inhalt
Aufgaben, Akteure, Instrumente

Eine systematische Vorbeugung, die Deeskalation aktueller Konflikte und ihre Schlichtung, sowie die Nachsorge sind die drei großen Bereiche Ziviler Konfliktbearbeitung. Da die internationalen Konfliktlagen zu unterschiedlich sind, ist es sinnvoll, die Anstrengungen zum Aufbau Ziviler Konfliktbearbeitung zunächst auf die Region Gesamteuropa zu konzentrieren. Gelingt hier solche Arbeit, so wird dies große Auswirkungen auf die Außenpolitik der europäischen Staaten, aber auch auf die Politik der Konfliktbewältigung in anderen Weltregionen haben können. Als politischer Rahmen ist eine Gesamteuropäische Friedensordnung (GEFO) erforderlich (viel diskutiertes Stichwort: Gemeinsames Haus). Dies muß sich auf zivile, nicht aber auf militärische Mittel stützen. Sie könnte an der KSZE, der auch die USA und Kanada angehören, anknüpfen, müßte diese aber erheblich um- und ausbauen.

Die Ziele Ziviler Konfliktbearbeitung unterscheiden sich grundsätzlich von dem militärischen Sieg-Ziel. Es geht um Sicherung oder Wiederherstellung von Kooperation und Versöhnung. Feindbilder sind zu überwinden; reale Konfliktprobleme sind zu lösen; Perspektiven für eine friedlich anstrebbare gesellschaftliche Entwicklung sind aufzuzeigen und gesellschaftlich zu vermitteln; eine "Resozialisierung" z. B. nationalistisch verhetzter Gesellschaften ist zu fördern. Diese Arbeit ist von vereinbarten, menschenrechtlich fundierten Prinzipien anzuleiten, die für alle - also auch die Vermittler - verbindlich sind.

Zivile Konfliktbearbeitung darf sich nicht auf das angeblich "letzte Mittel", die militärische Gewalt, stützen. Oft wird Ziviler Konfliktbearbeitung in dem Verständnis zugestimmt, daß sie am Anfang einer Eskalationsleiter zu stehen habe, deren anderes Ende von militärischer Drohung und dem Einsatz von Gewaltpotentialen gekennzeichnet ist. Wir widersprechen einer solchen Konstruktion, die im Grunde nur das alte Verhältnis Diplomatie/Militär wiederholt. Die Formel vom "letzten Mittel" stellt eine Dauerlegitimation für Aufrüstung dar; die Ziele Ziviler Konfliktbearbeitung werden durch die Gewaltandrohung unterlaufen und ausgehebelt; die Ressourcen werden nach wie vor vorrangig für militärische Zwecke verwendet und nicht für Arbeit und Problemlösung im Rahmen Ziviler Konfliktbearbeitung.

Zivile Konfliktbearbeitung ist nicht allein Sache internationaler Institutionen und Regierungen. Sie soll auf vielen - zivilgesellschaftlichen - Ebenen entwickelt werden; Regionen und Kommunen sind ebenso mit je spezifischen Aufgaben einzubeziehen wie Verbände verschiedenster Art, Gewerkschaften, Kirchen, Parteien, Stiftungen und soziale Bewegungen, BürgerInnen-Initiativen und viele andere. Für die unterschiedlichen Arbeitsaufgaben gilt es Konzepte, Strategien und exemplarische Beispiele zu skizzieren und in die öffentliche Diskussion einzubringen.

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Zivile Konfliktbearbeitung - Inhalt
Die Instrumente Ziviler Konfliktbearbeitung sind selbstverständlich den verschiedenen Ebenen anzupassen wie auch den Bereichen Vorbeugung, Deeskalation und Nachsorge. Es ist hier nicht möglich, die Fülle der Handlungsoptionen aufzuzählen. Neben negativen Sanktionen (z.B. gezieltes Embargo) sind u. a. zu nennen: Möglichkeiten der Öffentlichkeitsintervention, der Organisierung von unilateralen Schritten, der systematischen Unterstützung demokratischer, gegen die militärische Konfliktaustragung gerichteter Kräfte und Angebote von Zukunftsperspektiven für eine kooperative Entwicklung mit entsprechender Unterstützung. Ich spreche nicht von gewaltfreier Konfliktbearbeitung, obwohl in allen Schritten eine Minimierung von Gewalt anzustreben ist. Jedoch wird strukturelle Gewalt wie auch polizeiliche in dieser historischen Situation eine wichtige und unvermeidliche Rolle spielen. Diese Aussage steht nicht im Widerspruch zu den Anstrengungen von Gruppen, gewaltfreie Arbeitsformen zu entwickeln.

In der Bundesrepublik hat eine lebhafte Diskussion um die Einrichtung eines Zivilen Friedensdienstes begonnen. Er darf nicht, wie die Hilfskorps-Vorstellungen der großen Parteien, als eine Ergänzung der Bundeswehr mißverstanden werden. Der Zivile Friedensdienst soll mit gewaltfreien Methoden im In- und Ausland arbeiten. Er hat gute Chancen, die politische Kultur im Lande tief zu beeinflussen.

Rücken- und Gegenwind

Da fast alle Probleme, vor denen die europäischen Regierungen und auch die Regierung in Bonn stehen, nicht militärisch zu lösen sind, ist mit historischem Rückenwind für den Aufbau Ziviler Konfliktbearbeitung zu rechnen. In diesem sicher langen Durchsetzungsprozeß ist der militärische Bereich über den Weg der Defensivierung der militärischen Optionen Schritt für Schritt zurückzufahren. Freilich wird es erhebliche Widerstände geben, denn es geht sowohl um die Umwidmung der finanziellen Ressourcen, wie um die Legitimation bzw. Delegitimation des Militärischen. Dabei wird mit den Ideologien der "humanitären Intervention" und des Militärs als "letztem Mittel" zu kämpfen sein. Da sich Militär jedoch als immer teuerer und dysfunktionaler erweisen wird, bestehen gute Chancen, Zivile Konfliktbearbeitung durchzu-setzen.



Andreas Buro ist friedenspolitischer Sprecher des Komitees für Grundrechte und Demokratie





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