Redebeitrag für die Mahnwache und Fotoaktion "Wir feiern das Verbot von Atomwaffen" am 22. Januar 2021 in Bremen

 

- Sperrfrist: 22.01.2021, 14 Uhr -
- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

Das heutige Inkrafttreten des Atomwaffenverbotsvertrages (TPNW) ist ein Meilenstein auf dem Weg zu einer vollständigen und umfassenden Ächtung aller Massenvernichtungswaffen. Er hat eine unmittelbare Geltung für die 51 Staaten, die ihn bisher ratifiziert haben und für alle Staaten, die ihm in Zukunft beitreten werden. Er verbietet den Vertragsstaaten Kernwaffen zu entwickeln, zu erproben, sie herzustellen, sie zu besitzen oder an irgendjemanden weiterzugeben oder eine Stationierung in seinem Hoheitsgebiet zu gestatten. Er verbietet ihnen ferner Kernwaffen einzusetzen oder ihren Einsatz anzudrohen. Diese Verbote gelten uneingeschränkt und unter allen Umständen.

Das Verbot des Einsatzes oder der Einsatzdrohung ist keine völkerrechtliche Neuheit. Dieses Verbot existiert generell aufgrund der für bewaffnete Konflikte geltenden Regeln des humanitären Völkerrechts. Das wurde bereits vor 25 Jahren vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag in einem Gutachten festgestellt. Leider hat aber der Internationale Gerichtshof den Atomwaffenstaaten ein klitzekleines Hintertürchen offengelassen, und zwar durch Nichtbeantwortung der Frage, ob nicht eventuell in einer ganz extremen Notwehrsituation, in der die Existenz eines Staates auf dem Spiel stünde, die Verteidigung mit Atomwaffen gerechtfertigt sein könnte.

Diese Lücke im Gutachten wird seither von den Atomwaffenstaaten und den mit ihnen verbündeten Teilhabestaaten genutzt für die Rechtfertigung ihrer nuklearen Verteidigungsstrategien. Sie behaupten in ihren Strategiepapieren, dass sie ihre Kernwaffen ja nur bei einer solch existentiellen Gefahr einsetzen wollten. Der Verbotsvertrag schließt nun diese Hintertür, denn er lässt keinerlei Ausnahmen oder Vorbehalte zu; d.h. er etabliert für die Vertragsstaaten ein vollständiges und absolutes Einsatzverbot.

Deshalb haben die Atomwaffenstaaten – allen voran die USA - mit aller Macht versucht, die Vertragsverhandlungen zu torpedieren und die Inkraftsetzung zu verhindern. Diesen Druck werden sie auch weiterhin ausüben, denn sie fürchten, dass weitere Staaten dem Vertrag beitreten, und dass sich dadurch eine allgemeine gewohnheitsrechtliche Geltung des gesamten vertraglichen Regelwerks herausbilden könnte.

Die Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen verstößt nämlich auch gegen das in Artikel 6 des „Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte“ verbriefte „angeborenes Recht auf Leben“. Der UN-Menschenrechtsausschuss hat diesen Artikel so interpretiert, dass schon die Bedrohung durch Atomwaffen dieses fundamentale von allen Staaten zu respektierende Recht verletzt, weil Atomwaffen ihrem Wesen nach die Zerstörung von Menschenleben in katastrophalem Ausmaß verursachen können Ganz im Sinne dieser Feststellung wird in der Präambel des Verbotsvertrages hervorgehoben, (Zitat:) „dass den katastrophalen Folgen von Kernwaffen nicht ausreichend begegnet werden kann, dass sie nicht an nationalen Grenzen haltmachen und gravierende Auswirkungen auf den Fortbestand der Menschheit, die Umwelt, die sozioökonomische Entwicklung, die Weltwirtschaft, die Ernährungssicherheit und die Gesundheit heutiger und künftiger Generationen haben.“ Und es wird erinnert an das unannehmbare Leid und den Schaden, die den Opfern des Einsatzes von Kernwaffen in Japan sowie den von Kernwaffenversuchen betroffenen Menschen zugefügt wurden. Ich empfehle jedem, der das noch nicht getan hat, die ganze Präambel gründlich zu lesen. Denn sie hält uns vor Augen, wie beharrlich sich die Atommächte trotz dieser grauenvollen Erfahrungen gegen alle Appelle der Vereinten Nationen gesträubt haben, abzurüsten und Atomwaffen ebenso zu ächten wie biologische Waffen und chemische Waffen.

Wir haben immer wieder erfahren müssen, dass den Atomwaffenstaaten kein Argument zu fadenscheinig ist um den Verbotsvertrag abzuwerten.

Ein fadenscheiniges Argument sind die Behauptungen der Vertragsgegner, der Verbotsvertrag könne mit dem Atomwaffensperrvertrag – auch Nichtverbreitungsvertrag bzw. abgekürzt NVV genannt - in Konflikt geraten, und er untergrabe die Wirkung des NVV. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat diese Behauptungen in einem brandneuen Gutachten als unzutreffend zurückgewiesen. Dieses Gutachten wurde im Auftrag der BT-Abgeordneten der Linken Sevim Dagdelen erstellt und vor drei Tagen veröffentlicht. Wörtlich heißt es in diesem Gutachten: „Der AVV steht juristisch nicht in Widerspruch zum NVV. Er unterminiert den NVV nicht, sondern ist Bestandteil einer gemeinsamen nuklearen Abrüstungsarchitektur. Der AVV ist daher auch kein Hemmnis für die nukleare Abrüstung, hätten die NVV-Staaten nur den politischen Willen dazu.“

Wir konstatieren: Es ist nicht der Verbotsvertrag, sondern das starrsinnige Festhalten an Abschreckungs- und Aufrüstungskonzepten der Atommächte und ihrer Verbündeten, welches die Sicherung des Friedens in der Welt untergräbt. Es ist ungeheuerlich, dass die Atommächte nach einer kurzen Phase der Entspannung wieder angefangen haben, ihre nuklearen Arsenale massiv aufrüsten und zu modernisieren. Sie verletzen dadurch permanent in krasser Weise ihre im Nichtverbreitungsvertrag übernommene Abrüstungspflicht. Ihre Vertragsverletzungen werden auch bei der im August bevorstehenden NVV-Überprüfungskonferenz der Vereinten Nationen harte Kritik ernten. Die Kritik wird sich auch gegen jene Staaten richten die wie Deutschland weiterhin die nukleare Teilhabe praktizieren und dadurch gemeinsam mit den Atommächten gegen den Nichtverbreitungsvertrag verstoßen.

Die Zukunft wird zeigen, dass der Verbotsvertrag eine konsequente und wirkmächtige Umsetzung der Feststellungen des Internationalen Gerichtshofes und des UN-Menschenrechtsausschusses ist und zugleich eine notwendige Ergänzung des Nichtverbreitungsvertrages. Er wird neben seiner unmittelbaren Geltung für die Vertragsstaaten auch das Völkergewohnheitsrecht fortentwickeln im Sinne einer umfassenden Ächtung aller Massenvernichtungswaffen. Daher ist sein Inkrafttreten wirklich ein Grund zu feiern – und das tun wir heute in Bremen wie in vielen anderen Städten in Deutschland und der ganzen Welt.

Vielen Dank!

 

Volkert Ohm ist aktiv bei der IALANA und beim Bremer Friedensforum.