6x jährlich informiert unsere Zeitschrift, das FriedensForum, über Aktionen und Kampagnen der Friedensbewegung. Gerne schicken wir dir ein kostenfreies Probeexemplar zu.
Redebeitrag für den dezentralen Aktionstag der Friedensbewegung am 1. Oktober 2022 in München
- Es gilt das gesprochene Wort -
Liebe Münchner Friedensfreundinnen und -freunde,
seit der Kubakrise 1962 waren wir noch nie so nahe an einem Atomkrieg wie heute. In der vergangenen Woche eskalierte der Ukraine-Konflikt brandgefährlich: Nordstream 1 und 2 wurden in der Ostsee sabotiert, wofür Russland und die USA sich gegenseitig beschuldigen. Der Krieg verlagert sich also auf internationales Gewässer. Und seit dem Schein-Referendum zählt Russland die Ostukraine zu seinem Staatsgebiet. Die Ukraine will die annektieren Gebiete mit militärischer Unterstützung des Westens zurückerobern. Das würde nun einen direkten Angriff auf Russland bedeuten. Die russische Militärdoktrin erlaubt in diesem Fall den Einsatz von taktischen Atombomben.
Diese nuklearen Waffen haben die vielfache Zerstörungskraft einer Hiroshima-Bombe und würden tausende Menschen töten und weite Teile der Ukraine auf Jahrzehnte unbewohnbar machen.
Forscher der Rutgers-Universität in den USA haben in verschiedenen Szenarien berechnet, dass auch der lokal begrenzte Einsatz von weniger als 3 % der weltweiten Atomwaffen jeden dritten Menschen auf der Erde töten könnte. Denn im atomaren Feuer verglühen nicht nur Hunderttausende Menschen sofort, durch die Explosionen wird auch eine so große Menge Ruß in die obere Atmosphäre geschleudern dass die Erde sich schnell abkühlt. Es tritt ein nuklearer Winter ein. Dann kann nicht mehr ausreichend Nahrung produziert werden und eine globale Hungersnot bricht aus. Es gibt also keinen begrenzbaren Atomkrieg!
Wenn es gar zu einem großen Atomkrieg zwischen Russland und den USA käme, würden 6,7 Milliarden Menschen innerhalb von zwei Jahren sterben, das wäre über die Hälfte der Weltbevölkerung. Das atomare Arsenal ist groß genug, um die Welt einige Male auszulöschen: Aktuell stehen sich 12700 atomare Sprengköpfe, hälftig verteilt in Russland und Europa, gegenüber. 20 davon sind in Deutschland stationiert und könnten zum Ziel eines russischen Angriffs werden.
Wer garantiert uns, dass die aktuelle Eskalation nicht in solch einem nuklearen Inferno endet?
Als sich in der Cuba – Krise die USA und die Sowjetunion gegenüber standen war John F Kennedy amerikanischer Präsident. Von ihm stammt der Satz, dass Atommächte solche Konfrontationen vermeiden müssen, die einem Gegner nur die Wahl eines demütigenden Rückzugs oder eines Atomkrieges lassen. Diese Haltung verhinderte damals einen Atomkrieg. Welcher von unseren Politikerinnen und Politikern in Regierungsverantwortung folgt heute dieser weisen Strategie? Ich sehe weit und breit niemanden. Stattdessen rüsten beide Seiten rhetorisch immer mehr auf und bedrohen sich gegenseitig immer aggressiver.
Wir brauchen keine politischen Brandstifter mehr, sondern kluge Staatsmänner und Frauen vom Schlage eines John F. Kennedy, die uns aus der atomaren Gefahrenzone herausführen, anstatt sie weiter zu befeuern. Wenn wir nicht auf der Stelle deeskalieren, könnte das unseren kollektiven Suizid bedeuten, liebe Friedensfreunde.
Wir haben leider keinen Einfluss auf den russischen Präsidenten. Wir verurteilen seinen Angriffskrieg aufs Schärfste und richten Friedensappelle an ihn. Aber was tun denn UNSERE Politiker, um die atomare Gefahr von uns abzuwenden?
Das hätte ich gerne unsere Außenministerin gefrag, als sie vor kurzem in München war. Sie hatte zu einem Bürgerdialog ins Amerikahaus eingeladen. Der kleinen Demonstration von Friedensfreunden standen einige hundert ukrainische Demonstranten gegenüber, die sie beschimpften, nationalistische Lieder sangen und in Jubel ausbrachen, als Frau Baerbock durch die Menge fuhr. Diese Szene und auch der Ort werfen die Frage auf: welche Interessen vertritt unsere Außenministerin eigentlich? Sind es die deutschen oder die amerikanischen und ukrainischen? Als deutsche Außenministerin muss sie zuerst für unsere Sicherheit sorgen! Deutschland darf nicht weiter in einen Krieg hineingezogen werden, bis es vielleicht zum Schauplatz der nuklearen Konfrontation zwischen den USA und Russland wird! Frau Baerbock muß sich für ernsthafte Diplomatie einsetzen! Wir fordern eine Verhandlungsoffensive statt immer neuer Waffenlieferungen!
Wir müssen wieder in einen Dialog kommen, ein Krieg bis zur Vernichtung des Feindes ist keine Alternative, denn dadurch vernichten wir uns selbst. Ein Atomwaffenverbot und eine europäische Friedens- und Sicherheitspolitik, das verstehen wir unter verantwortungsvoller deutscher Außenpolitik.
Aktuell stehen wir einer Kriegsdynamik gegenüber, die wir nicht mehr für möglich gehalten hätten. Frieden ist also immer noch keine Selbstverständlichkeit, wir müssen dafür kämpfen! Deshalb müssen wir wieder auf die Straße gehen, wie damals in den 80er Jahren, als 100.000 zur großen Friedensdemonstration in Bonn kamen.
Wir müssen wir wieder viele werden. Hier in München gehen seit über zwei Jahren jeden Mittwoch hunderte Bürger auf die Straße, die zuerst mit den Coronamaßnahmen und jetzt mit dem Kriegskurs der Regierung nicht einverstanden sind. Sie rufen das Motto der Friedensbewegung durch die Straßen: „Frieden schaffen ohne Waffen!“. Wir haben also ein gemeinsames Anliegen, nämlich den Frieden. Lassen wir uns deshalb nicht spalten, denn die Spaltung ist politisches Kalkül. Wenn wir uns gegenseitig als zu links oder zu rechts beschimpfen, haben die politischen Strategen gewonnen. Krieg beginnt immer mit Feindbildern. Wenn wir von der Politik fordern, dass bisher unversöhnliche Positionen in Dialog treten sollen, müssen wir bei uns selbst beginnen. Auch wir sind aufgefordert, unsere Feindbilder im Kopf zu überprüfen.
Vor kurzem waren es noch die Gegner der Coronamaßnahmen, die als Verfassungsfeinde diffamiert wurden, nun sind es wir, die wir für den Frieden auf die Straße gehen. Lassen wir uns das nicht weiter gefallen, es sind nicht wir, die den Staat gefährden, sondern eine verantwortungslose Politik!
Die Sache ist ernst, es geht um unsere Existenz. Deshalb müssen wir uns zusammenschliessen, um der Politik zu zeigen: wir sind nicht einverstanden mit eurem Kriegskurs! Kehrt zurück zur Friedenspolitik! Alles andere könnte in der Katastrophe enden. Dann werden wir Ärzte Euch nicht mehr helfen können.
Vielen Dank.
Dr. Ingrid Pfanzelt ist Ärztin und aktiv bei der IPPNW in München.