Redebeitrag für den dezentralen Aktionstag der Friedensbewegung am 29. September 2022 in Bremen

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Friedensfreundinnen und -freunde, liebe Bürgerinnen und Bürger,

nach dem Ende des 2. Weltkriegs war es die einhellige Meinung in unserer Bevölkerung: Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg.

Nur 10 Jahre später folgte die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik und der Beitritt zur Nato. Die neugegründete Bundeswehr sollte allein der unmittelbaren Landesverteidigung dienen.

In den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts erfolgten dann aber die ersten Auslandseinsätze der Bundeswehr. Diese Einsätze erfolgten laut offizieller Mitteilung der Bundeswehr in Afghanistan, Äthiopien, Bosnien-Herzegowina, Georgien, Indonesien, im Indischen Ozean vor der Küste Ostafrikas, Irak, Jordanien, Kambodscha, der Demokratischen Republik Kongo, Kuwait, Libanon, Liberia, Libyen, Mali, Mazedonien, Ruanda, Somalia, Sudan, Türkei, Westsahara, und der Zentralafrikanischen Republik.

Erstmals seit dem 2. Weltkrieg bombardierten Deutsche Kampfflugzeuge 1999 im Rahmen des Nato-Krieges gegen Jugoslawien wieder ein fremdes Land, das weit davon entfernt war unser eigenes Land militärisch zu bedrohen oder gar anzugreifen. In der Aufzählung enthalten ist auch der massive Kriegseinsatz in Afghanistan.

Zurzeit befindet sich die Bundeswehr noch in 13 Ländern im Einsatz.

Aber nicht nur durch die aktive Teilnahme deutscher Soldaten ist unser Land in den Kriegen und Konflikten dieser Welt beteiligt. Rheinmetall, Krupp-Atlas, Kraus-Maffei, Heckler und Koch, Diehl und wie sie alle heißen liefern Waffen und Munition in alle Welt. Laut dem Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI belegt die Bundesrepublik in der 5-Jahres-Statistik von 2015 bis 2020 nach den USA, Russland und Frankreich Platz 4 der weltweit führenden Rüstungsexportnationen. Dabei entfallen über 50 % dieser Exporte in nicht-Nato-Staaten. Dabei unter anderem die Waffenlieferungen an Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Ägypten für den Krieg im Jemen.

Wenn man dies alles vor Augen hat, fragt man sich, was die von Bundeskanzler Olaf Scholz propagierte Zeitenwende noch bewirken soll. Vier Punkte dazu:

  • 1. Alle bisherigen Schritte zur Militarisierung unseres Landes, die Wiederbewaffnung, die Auslandseinsätze und die Rüstungsexporte erfolgten gegen den ausdrücklichen Mehrheitswillen unserer Bevölkerung. Das erscheint den dafür Verantwortlichen auf Dauer nicht tragbar. Durch eine massive Propaganda soll das Volk, sollen Sie alle zu Kriegsbefürwortern gemacht werden.
    Dem dient eine einseitige, emotionalisierte Kriegsberichterstattung aus der Ukraine. Als würden nur russische Waffen Tod und Zerstörung bringen. Als gäbe es Kriegsverbrechen nur auf einer Seite der am Krieg beteiligten Parteien.
    Dem dient die Schaffung eines irrationalen Feindbildes Russland. Zwar wird der Ukraine Krieg einerseits personalisiert als Putins Krieg, aber auf der anderen Seite werden Städte- und Universitätspartnerschaften auf Eis gelegt, werden russische Sportlerinnen und Sportler, sogar Behindertensportler von Wettkämpfen ausgeschlossen, russische Kulturschaffende mit Auftrittsverboten belegt und russischen Studierenden die Fortsetzung ihres Studiums an westlichen Hochschulen untersagt.
    Dem dient die Diskreditierung der Friedensbewegung. Als würden wir die russische Beteiligung an diesem Krieg verteidigen oder gutheißen. Ich kenne niemanden, der das tut.
    Nein, das Eingreifen der offiziellen russischen Armee in den seit 2014 laufenden Krieg in der Ukraine hat diesen Krieg auf eine neue Stufe der Eskalation gehoben und ist aufs Schärfste zu verurteilen. Übelste Propaganda ist es auch, wenn Äußerungen der Friedensbewegung auf eine Stufe gestellt werden mit Äußerungen der AfD. Lasst Euch doch nicht für dumm verkaufen!
  • 2. Lag der Rüstungsetat unseres Landes mit ca. 55 Milliarden Euro schon bisher viel zu hoch, wird er nun auf mind. 2 % des Bruttosozialproduktes, also über 70 Milliarden Euro gesteigert. Zusätzlich sollen einmalig 100 Milliarden in die Rüstung investiert werden. Das alles geht natürlich auf Kosten von Sozial-, Gesundheits- und Bildungsetat. Mit all dem sollen Sie einverstanden sein. Sagt Nein zu diesen gigantischen Rüstungsausgaben.
  • 3. Der aktuellen Kriegshysterie wird der Kampf gegen den Klimawandel geopfert. Der Ausstieg aus der Kohleverstromung wird gestoppt, Erdgas durch Fracking Gas ersetzt, das dazu noch in Tankern über die Weltmehre geschifft wird und unter weiterem Energieaufwand Pipelinefähig gemacht werden muss. Ganz zu Schweigen von den direkten Umweltschäden durch das Militär. Allein die US-Armee verbraucht 43 Millionen Liter Öl pro Tag. Der Co2 Ausstoß der US-Streitkräfte ist höher als der ganzer Staaten wie Dänemark oder Schweden. Der CO2-Ausstoss der Rüstungsproduktion, der explodierenden Bomben und Granaten wird gar nicht erst erfasst. Die Schäden an Böden und Gebäuden durch den Krieg sind immens. Und im besten Falle fordert der Wiederaufbau noch einmal enorme Mengen an Energie. Wir mögen einen Hitzesommer wie in diesem Jahr noch erträglich finden, aber was sollen die vom Hungertod bedrohten Menschen in Ostafrika dazu sagen, was die Menschen in Pakistan, wo 1/3 des Landes unter Wasser stehen, was die Menschen in der Südsee, wo ganze Staaten von der Landkarte verschwinden werden. Mit all dem sollen wir uns abfinden. Sagen Sie klar: Dazu sind wir nicht bereit.
  • 4. Der Wirtschaftskrieg gegen Russland hat zu massiv gestiegenen Kosten für Öl, Gas, Strom und Benzin geführt. Die dadurch entstandene Inflation treibt auch die Lebensmittelpreise in die Höhe. Gestiegene Baukosten machen den so dringend benötigten sozialen Wohnungsbau nahezu unmöglich. All das sollen wir für unabwendbar halten. Nein, das ist es nicht!

Deshalb ein klares Nein zu dieser Zeitenwende. Was wir brauchen ist eine ganz andere Zeitenwende. Weg von Militarismus und Krieg hin zu nichtmilitärischen Konfliktlösungen. Nach keinem Krieg ging es der betroffenen Bevölkerung besser als vorher. Der holländische Gelehrte Erasmus von Rotterdam sagte schon im Jahre 1517: „Kaum jemals kann ein Friede so ungerecht sein, dass er nicht besser wäre als der gerechteste Krieg.“ Deshalb muss zu jeder Zeit jede Chance zur Beendigung eines Krieges ergriffen werden.

Lassen Sie mich zum Schluss noch sagen, was das für den aktuellen Krieg in der Ukraine bedeuten kann: Bei den Gesprächen in Istanbul im März dieses Jahres war man einer Beendigung der Kampfhandlungen schon einmal sehr nahegekommen. Die Gesprächsergebnisse sahen eine blockfreie und atomwaffenfrei Ukraine mit internationalen Sicherheitsgarantien vor. Für die umkämpften Gebiete in der Ost- und Südostukraine sollte ebenso wie für die Krim innerhalb von 15 Jahren ein Autonomiestatus innerhalb der ukrainischen Staatsgrenzen ausgehandelt werden. Diese Ergebnisse wurden allerdings von westlicher Seite nicht akzeptiert. Dass es aber durchaus möglich ist, mit Russland zu Verhandlungslösungen zu kommen, zeigt etwa das bis heute ungebrochene Abkommen für die Getreidelieferungen aus ukrainischen Häfen.

Inzwischen ist die Situation aber weiter eskaliert. Ich glaube man muss nun erst einmal die Gesprächsbereitschaft wieder herstellen. Dazu sind eindeutige, auch zunächst einseitige Signale notwendig. Ein solches Signal etwa könnte es sein, wenn die Ankündigung Putins, auch einen Atomwaffeneinsatz nicht auszuschließen vom Westen mit dem eindeutigen Bekenntnis zum Verzicht auf einen Ersteinsatz von Atomwaffen beantwortet würde. Ein solches Signal könnte sein, wenn für den Fall eines Waffenstillstandes in der Ukraine ein Aussetzen der westlichen Sanktionen gegen Russland angeboten würde. Ein solches Signal könnte sein, dass man bereit ist schon bei Aufnahme von Gesprächen auf weitere Waffenlieferungen zu verzichten.

Ich glaube nicht, dass ein solch anderer Politikstil von alleine kommt. Es braucht den Druck aus der Bevölkerung. Darum beteiligt Euch an den Protestveranstaltungen gegen Krieg und Militarismus. Macht die Friedensbewegung wieder stark und nochmal: Lasst Euch nicht für dumm verkaufen.

 

Wilfried Preuß-Hardow ist Pfarrer und ehem. Friedensbeauftragter der Bremischen Ev. Kirche.