ungehaltener Redebeitrag für den geplanten Ostermarsch in Bruchköbel am 10. April 2020

 

[Redebeitrag als Video siehe hier]

 

Liebe Friedensfreunde und liebe Friedensfreundinnen,
liebe Mitstreiterinnen und liebe Mitstreiter,

tatsächlich fällt es mir zur Zeit schwer, eine Rede zu schreiben und sie zu halten. Die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie und ihre noch unabsehbaren Langzeitwirkungen auf unsere Gesellschaft, unsere Grundrechte, die Weltwirtschaft und auf die Bundeswehr bzw. auf zahlreiche Militärapparate weltweit hindern mich daran, gerade halbwegs sichere Analysen zur Situation laut auszusprechen zu wollen.

Eines ist jedoch sicher: Der Antimilitarismus gewinnt an Wichtigkeit und unser Protest gegen die menschenverachtende Kriegstreiberei, gegen die gefährliche Kompetenzerweiterung der Bundeswehr und gegen die anhaltende Aufrüstungsspirale gewinnen an Dringlichkeit!

Anfang des Jahres, die ersten Januartage, die nun schon in weit entfernter Vergangenheit zu liegen scheinen, waren nach der völkerrechtswidrigen Ermordung des iranischen Generals Qassem Soleimani durch eine US-Drohne für einen Großteil der Gesellschaft mit der Sorge um einen möglichen Kriegsausbruch zwischen den USA und Iran geprägt. Diese Gefahr ist trotz Ausbruchs des Coronavirus noch immer nicht gebannt.

Am 27. März berichtete die New York Times, dass eine "geheime Pentagon-Richtlinie den Versuch befiehlt, zu planen, eine vom Iran unterstützte Milizgruppe zu zerstören." Nur wenige Tage später, am 1. April warnte Trump über den Kurznachrichtendienst Twitter, der Iran oder seine Proxies würden einen Überraschungsangriff auf US-Truppen und/oder ihre Stützpunkte im Irak planen und drohte dem Iran, dass dieser für eine solche Handlung einen sehr hohen Preis zahlen müsse. Untermauert wurde die Drohung durch die zwei Tage später erfolgte Verlegung von „Patriot“-Abwehrraketen in den Westirak – und das obwohl zu diesem Zeitpunkt die Corona-Todesfälle in den USA rasant stiegen.

Während die Bevölkerung des Irans unter den auferlegten Sanktionen leidet, die die Einfuhr von dringend benötigten medizinischen Produkten besonders jetzt in den Pandemiezeiten erschwert, werden die Säbel gerasselt. Mitte März verschärften die USA die Sanktionen gegen den Iran erneut!

Die Vielzahl an Finanz- und Handelsbeschränkungen, die die Trump-Administration seit dem Ausstieg aus dem internationalen Atomabkommen mit Iran im Mai 2018 verhängt hat und seither laufend erweitert , müssen umgehend gelockert werden! Die Bundesregierung und die EU müssen sich dafür aktiv einsetzen! Dies gilt auch für eine Lockerung der Sanktionen gegen die auch von der EU erlassenen Sanktionen gegen Syrien und Venezuela. Solche tödlichen Kollektivbestrafungen müssen umgehend aufgehoben werden, damit die Staaten Zugang zu medizinischen Geräten und Medikamenten erhalten und ihr Gesundheitssystem ausbauen können!

Doch nicht nur ein möglicher Krieg gegen den Iran droht uns. Vor wenigen Tage wies Noam Chomsky in einem Interview darauf hin, dass die Pandemie vorübergehen wird und dass es zwei weitaus größere Gefahren für uns gibt: Den Klimawandel und ein drohender Atomkrieg. Die Doomsday Clock, die Weltuntergangsuhr stand seit Beginn des Jahres 2018 auf zwei Minuten vor zwölf. Ende Januar 2020 stellte das Bulletin of the Atomic Scientists die Uhr auf 100 Sekunden vor Mitternacht um. Das erste Mal stehen wir Sekunden und nicht Minuten vor Mitternacht. Mitternacht steht so kurz wie noch nie bevor.

Wir haben kaum noch eine atomare Rüstungskontrolle. Erst letztes kündigte das Weiße Haus den INF-Vertrag zum Verbot landgestützter Mittelstreckenraketen auf.

Auch in der Bundesrepublik nutzen einige den Moment, um eine Aufrüstung zu fordern. Unter anderem der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger oder Carlo Masala von der Bundeswehr-Universität in München machten sich für eine mögliche konventionelle oder atomare Aufrüstungsoption stark. Das ist eine gefährliche Entwicklung. Die Forderung, mehr Offenheit zu atomare Waffen zu zeigen, kann wieder lauter werden. Dies fördert eine gefährliche und desaströse Aufrüstungsspirale!

Trotz Corona halten einige Staaten, die an der nuklearen Teilhabe der Nato beteiligt sind, ander Aufrüstung und Modernisierung der nuklearen Waffen und ihrer Trägersysteme fest. Erst vorletzte Woche schoss die erst vor wenigen Monaten neu gegründete United States Space Force einen Satelliten vom Rüstungs- und Technologiekonzerns Lockheed Martin in den Erdorbit, um selbst bei einem Atomkrieg eine weltweite Kommunikation aller US-Streitkräfte sicherzustellen. Diese US Space Force verstößt bereits gegen den auch von den USA unterzeichneten Weltraumvertrag, der ein Wettrüsten im Weltraum erschwert. Sollten weitere Staaten nun ähnliche Schritte anstreben, wäre es nicht verwunderlich. Die Bundesregierung zeigt auch keinerlei Bemühungen sich einem möglichen Atomkrieg aktiv in den Weg zu stellen. Die BRD hat zwar keine Atomwaffen, aber es sind welche hier stationiert.

Die etwa 20 US-Atomwaffen aus dem Fliegerhorst Büchel müssen sofort abgezogen werden! Auch eine sofortige die Unterzeichnung des UN-Atomwaffenverbots durch die Bundesregierung ist längst überfällig!

Das Kriegsmanöver Defender 2020, bei dem 37.000 Soldaten und Soldatinnen quer durch Europa und durch die Bundesrepublik an die russische Grenze transportiert werden sollten, stellte einen der Höhepunkte der Konfrontationspolitik der Nato gegen Russland dar. Zögerlich wurde die aggressive Kriegsübung wegen des Corona-Virus runtergefahren und umfasst nun „modifizierte Übungsanteile mit bereits verlegten Truppenteilen in Polen“. Damit ist das Kriegsmanöver jedoch nicht aufgegeben. Nach dem Abklingen der Pandemie will die Bundeswehr die Übungspläne neu überdenken. Alternierend soll Defender als Truppenverlegungsgroßübung in Europa und im Pazifik Schwerpunktmäßig ausgerichtet werden. Der politische Wille innerhalb der NATO und innerhalb der Bundesrepublik, sich für einen möglichen Krieg gegen Russland und China vorzubereiten bleibt bestehen.

Diese Kriegsübungen sind provokativ, sie sind gefährlich und müssen langfristig aufgegeben werden! Der Konfrontationskurs gegen Russland muss umgehend aufhören! Wir brauchen eine Entspannungspolitik und keine Konfrontationspolitik!

Während zumindest ich mich durch die Pandemie immer wieder etwas herum gewirbelt fühle und die Tagesschau gefühlt kaum noch einen Artikel ohne „Corona“ in der Überschrift veröffentlicht, treffen die Regierung in hoher Geschwindigkeit Entscheidungen, die neue Wege in einen beschleunigten Militarismus zu ermöglichen drohen. Es ist ein Katastrophenzustand – es ist wie Naomi Klein es beschreibt, die beste Zeit, um alte Pläne, die man bislang nicht umsetzen konnte auf den Tisch zu legen und zu versuchen diese jetzt erfolgreich umzusetzen.

Seit Jahren besteht das Interesse innerhalb der EU, militärisch näher zu rücken und die Militarisierung der EU voranzutreiben. Das zeigt sich mit PESCO, der Ständige Strukturierten Zusammenarbeit, mit der u.a. die jeweiligen Militärapparate näher zusammengebracht werden und gemeinsame europäische Rüstungsprojekt durchgeführt werden, mit den zunehmenden militärischen EU-Missionen oder auch mit FRONTEX. Ein weiteres Beispiel ist der Europäische Verteidigungsfonds der von 2021 bis 2027 ganze 13 Milliarden Euro an EU Geldern für Rüstungsprojekte und Rüstungsforschung zur Verfügung stellen soll. Wir steuern einer immer offensichtlicheren und offensiveren Militarisierung der EU entgegen. Dafür wird jetzt auch corona genutzt: Gestern tauschte sich der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell mit Verteidigungsminister*innen aus 27 EU-Ländern darüber aus, wie sie ihre Expertise und Erfahrungen in Hinblick auf den Kampf gegen das Coronavirus noch besser nutzen könnten. Es waren nicht die Gesundheitsministerien, sondern die der Verteidigung, die sich berieten. Eine Pandemie darf nicht ins Zuständigkeitsfeld des Militärs fallen. Soldaten und Soldatinnen können nicht gegen Viren kämpfen! Ein ordentliches Gesundheitssystem, in dem Menschen vor Profiten stehen, kann das! Nein zur Militarisierung der EU!

Ein weiterer Plan aus der Schublade, der wieder zum Vorschein kommt heutzutage, ist der Einsatz der Bundeswehr im Inneren. Seit Jahrzehnten wird versucht scheibchenweise die Bundeswehr im Inneren einzusetzen. Jetzt werden 15.000 Soldat*innen dafür mobilisiert – davon 600 Militärpolizist*innen. Es wird versucht, einige der Soldat*innen als Hilfspolizei mit exekutiven Befugnissen einzusetzen. Ein Dammbruch, ein Verfassungsbruch – ein weiterer Schritt zur Normalisierung des Militärs im Inneren, der dringend zu verhindern ist. Wir können das Militär zurückdrängen und nicht zulassen, dass unsere Straßen die ihrigen werden! Es ist ein Versuch – noch ist es nicht geglückt und lasst uns dafür sorgen, dass dieser Versuch nicht still hingenommen sondern ihm kämpferisch begegnet wird. Kämpferisch aus bürgerrechtlicher, antimilitaristischer, friedenspolitischer und antifaschistischer Perspektive, wie es Martin Kirsch formulierte.

Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus!

Doch lasst es uns so sehen: Jede Krise bedeutet Veränderung. Diese kann unterschiedlich aussehen. Zwei Möglichkeiten bestehen, wie Noam Chomsky es vor wenigen Tagen im besagten Interview beschrieb: „Entweder totalitäre, brutale Staaten oder ein radikaler Umbau der Gesellschaft mit humaneren Bedingungen.“stehen uns bevor. Es liegt auch an uns, welchen Ausgang diese Gesundheitskrise nimmt.

Die Informationsstelle Militarisierung, der ich angehöre, hat vor wenigen Tagen einen Aufruf mit dem Titel „Für einen weltweiten Waffenstillstand – Stoppt die Auslandseinsätze und die Rüstungsproduktion! Für den Aufbau eines globalen, widerstandsfähigen und solidarischen Gesundheitssystems!“ veröffentlicht, aus dem ich die Forderungen vorlesen will:

„Wir schließen uns der Forderung nach einem weltweiten Waffenstillstand an. Von der Bundesregierung fordern wir eine sofortige Beendigung aller Auslandseinsätze der Bundeswehr und jeder Beteiligung an den teilweise andauernden Manövern der NATO. Als Beitrag zum weltweiten Waffenstillstand fordern wir von der Bundesregierung außerdem einen sofortigen Stopp aller Rüstungsexporte und als vertrauensbildende Maßnahme die sofortige Stilllegung jeder Rüstungsproduktion. Bis der Höhepunkt der Pandemie in Deutschland und Europa überstanden ist, sollte darüber nachgedacht werden, wie die zerstörerische Rüstungsindustrie in die Herstellung nützlicher Güter für die Gesundheit und das Gemeinwesen überführt werden kann. Die Einsparungen bei den Ausgaben für Auslandseinsätze und Militär sollten genutzt werden, um die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie unter den besonders betroffenen Menschen abzumildern und sich am Aufbau eines solidarischen, globalen Gesundheitssystems zu beteiligen, in dem insbesondere die Entwicklung und Produktion von Medikamenten den Profitinteressen von Firmen und Kapitalgebern entzogen wird.“

 

Liebe Mitstreiterinnen und liebe Mitstreiter,

eines möchte ich noch hinzufügen: Abgesehen von dem Aufstehen für Frieden, Abrüstung und Konversion, lasst uns diese Zeit auch doch auch dafür nutzen an die politischen Gefangenen zu denken, die nicht zu den Glücklichen gehören, die momentan aus den Gefängnissen entlassen werden. Abgesehen von der Repression und den oftmals schwierigen Bedingungen in den Gefängnissen, müssen sie jetzt auch Corona fürchten. Ein Beispiel ist der Friedensaktivist Turi Vaccaro, der in Sizilien im Gefängnis ist, weil es mit einem Hammer auf eine Antenne eines militärischen Satellitenkommunikationssystems klettere und sie schwer beschädigte. Im Februar trat er in den Hungerstreik und er ist noch immer in Haft. Lasst uns ihnen schreiben und so solidarisch sein.

 

Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter,

lasst uns kreativ sein, unser Recht auf Protest gegen die Kriegstreiberei aufrecht zu halten und uns gegen die zunehmende Militarisierung und Kriegsgefahr zu stellen. Lasst uns die Forderung nicht verhallen lassen; Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus! Ich habe noch nie einen Krieg miterlebt, aber ich denke, auch ich und meine Generation versteht diese Forderung und ihre Dringlichkeit immer besser! Eine andere Welt ist möglich – jetzt scheint sich eine Weggabelung aufzutun!

 

Jacqueline Andres ist aktiv bei der Informationsstelle Militarisierung (IMI) in Tübingen.

 

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