Redebeitrag für die Ostermarsch-Mahnwache Jagel am 10. April 2020

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter,

Ich freue mich, dass auch Menschen außerhalb Schleswig-Holsteins die Grenze zu Schleswig-Holstein überwinden konnten und hier sein können. Herzlich Willkommen Ihr „Ausländer“. Gerne würde ich auch hier diejenigen willkommen heißen, die immer noch in Flüchtlingslagern in Europa und an den Außengrenzen Europas vegetieren müssen. Von Leben möchte ich in dem Zusammenhang nicht sprechen. Sie haben Krieg und Verfolgung überlebt und anstatt ihnen ein sicheres und gutes Leben mit Hoffnung und Perspektiven zu bieten, setzen wir sie weiteren Grausamkeiten, Gewalt, Verelendung und Hoffnungslosigkeit aus. Es sind Menschen und keine Sache über die verhandelt und geschachert werden kann, wohin sie sollen, wer sie aufnimmt. Wenn sie keiner will, dann müssen wir sie nehmen, bei uns aufnehmen und ihnen alles bieten, was wir können. Weil wir in Anlehnung an Mozarts Zauberflöte es uns damit verdienen Menschen genannt zu werden.

Wir müssen aber auch denen ein Zuhause bieten, die zu uns kommen, weil sie ein anderes Zuhause suchen, egal aus welchen Gründen. Es steht uns nicht zu, diese Gründe zu bewerten, ob sie ausreichend genug, nachvollziehbar oder berechtigt sind. Alle Menschen müssen das Recht haben, sich auf de Erde frei zu bewegen, sich da niederzulassen, wo sie gerne sein möchten, nicht nur die Reichen, die es sich leisten können.

Grenzen und ein Asylverfahren sind Ausdruck struktureller Gewalt. Einige wenige, die Macht und Herrschaft in ihren Händen halten und Bürokraten, die Aufträge der Mächtigen ausführen dürfen, entscheiden darüber, ob Menschen hierher kommen dürfen, weil sie auszubeutende Arbeitskräfte sind und brauchbar, ob sie bleiben dürfen, weil sie die Asylprüfung in aufwendigen und belastenden bürokratischen Verfahren bestanden haben oder wieder gehen müssen, weil sie die Asylprüfung nicht bestanden haben oder es vorziehen ihrem Leben ein Ende zu setzen, weil sie nicht zurück gehen wollen. So wie es vor zwei Wochen in Flensburg ein Mann aus dem Iran getan hat, nachdem sein Asylantrag abgelehnt worden war. Wenn wir Gewaltgrundsätzlich ablehnen – müssen wir auch die strukturelle Gewalt ablehnen. Wenn wir für ein friedliches Zusammenleben der Menschen eintreten, müssen wir auch für Offene Grenzen und ein Bleiberecht für Alle eintreten. Diejenigen, die zu uns kommen, sind nicht unsere Feinde, unsere Konkurrenten im Kampf um Arbeit und Wohlstand, sondern gleichberechtigte Mitmenschen. Unabhängig davon ob wir eine humanistische oder religiöse Weltanschauung haben.

Ich gehöre einer Organisation an, die jahrzehntelang Kriegsdienstverweigerer berät. Wir haben die „Gewissensprüfung“ der Kriegsdienstverweigerer immer abgelehnt, weil es anmassend ist, Motive, Gründe und Handlungen von anderen zu beurteilen. Urteile über Motive, Gründe und Handlungen von Menschen stehen nach Straftaten nur den Gerichten zu.

 

Siglinde Cüppers ist aktiv bei der DFG-VK.

 

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