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Redebeitrag für die Veranstaltung zum Antikriegstag in Emmendingen am 1. September 2018
- Es gilt das gesprochene Wort -
Sehr geehrte Damen und Herren,
vielen Dank für die Einladung hier zu sprechen, der ich gerne gefolgt bin.
In wenigen Wochen, am 11. November 2018, jährt sich das Ende des 1. Weltkriegs zum 100. Mal. Der Waffenstillstand von Compiègne beendete die Kampfhandlungen. Die Bilanz der Kriegsjahre von 1914-1918 war verheerend. Schätzungsweise 40 Millionen Menschen haben unter den Folgen des Krieges gelitten: 20 Millionen Menschen sind gestorben, davon ca. 10 Millionen Zivilisten, etwa 21 Millionen Menschen wurden verletzt. Darunter waren viele Söhne und Väter aus Südbaden, die am Hartmannsweiler Kopf im Elsaß ihr Leben in einem sinnlosen Stellungskrieg verloren haben ebenso wie die Franzosen und Elsäßer auf der anderen Seite.
Die Erinnerung an die Schrecken der beiden Weltkriege ist in Europa noch lebendig. Aber sie verblasst zunehmend. Von einigen wird die Erinnerungskultur abgelehnt oder ins Lächerliche gezogen. Nationalistische Parolen in vielen europäischen Ländern und steigende Militärausgaben zeigen: Der Krieg ist wieder zu einem scheinbar „normalen“ Mittel der Politik geworden, obwohl er in keinem der zahlreichen aktuellen Konflikte in Afghanistan, Syrien, der Ukraine, dem Jemen, dem Südsudan, in Nigeria und anderen Ländern zu nachhaltigen politischen Lösungen geführt hat. Es ist ein Skandal, dass Deutschland der weltweit drittgrößte Waffenexporteur ist. Unsere Volkswirtschaft, indirekt wir alle hier, i auch unsere Kirche, profitiert von Gewalt und Krieg. Teilweise kommt es zu unkontrollierter Weitergabe von Waffen an diktatorische Systeme und Bürgerkriegsparteien.
Die evangelische Landeskirche in Baden hat sich als erste Kirche der EKD im Jahr 2014 darauf festgelegt, dass es einen „gerechten Krieg“ nicht gibt und wirbt dafür, sich für das Konzept eines „gerechten Friedens“ einzusetzen.
Dazu gehört die Erinnerung an die Opfer der Kriege. Sie bleiben eine Mahnung an uns Nachfolgende, sich für einen gerechten Frieden, zivile Konfliktlösungen und Gewaltfreiheit einzusetzen.
Um einmal ganz konkret zu werden: Überaus beeindruckt hat mich die pädagogische Leistung eines Großvaters. Sein Enkel wollte unbedingt „Krieg“ spielen. Er hatte es offenbar mit Abenteuer verwechselt. Alles Reden und Erklären des Großvaters, der den Krieg noch selbst erlebt hatte, half nichts. Irgendwann hat dann der Großvater eingewilligt und mit seinem Endel „Krieg“ gespielt. Nach einer Stunde flehte der Junge ihn an aufzuhören. Aber natürlich hörte es nicht auf. Nach einem halben Tag hat der Großvater das „Spiel“ abgebrochen. Sein Enkel war am Boden zerstört – und vom „Krieg“ - Spielen für sein Leben geheilt.
Zum Konzept des gerechten Friedens gehört sodann auf politischer Ebene, an die Erfolgsmodelle für die Entwicklung eines nachhaltigen Frieden anzuknüpfen wie die Aussöhnung zwischen Frankreich und Deutschland oder die Überwindung der Apartheid in Südafrika. Wir sind dankbar für Versöhnung, Frieden und die Freundschaft zwischen den Völkern der Europäischen Gemeinschaft.
Überaus erfreulich ist es, dass schon 150 Staaten den Vertrag der UNO zur Abschaffung nuklearer Massenvernichtungswaffen unterschrieben haben. Deutschland verweigert diese Unterschrift leider. Die Würdigung des Friedensnobelpreises 2018 an ICAN ist in unserem Land bedauerlicherweise überaus verhalten gewesen.
Nach wie vor gibt es eine Fülle von Gefährdungen des Friedens, auch des inneren Friedens, wie unter anderem die Ereignisse von Chemnitz Anfang der Woche gezeigt haben.
Diese Gefährdung beginnt in den Köpfen. Der Umgang mit eigenen und fremden Aggressionen ist eine lebenslange Aufgabe. Die Einsicht, dass die Suche nach Sündenböcken niemanden hilft, muss immer wieder gewonnen werden. Der schleichenden Gewöhnung an Gewalt ist energisch zu widersprechen ebenso wie dem Versuch, Menschen durch bewusste Desinformation gegeneinander aufzubringen.
Die Arbeit am Frieden ist auch mit Zivilcourage verbunden. Wir können nicht alles auf die Polizei abschieben. Zivilgesellschaftliches Engagement ist unerlässlich.
Ich möchte Ihnen von Leymah Gbowee aus Liberia erzählen. Gemeinsam mit zwei anderen Frauen wurde die afrikanische Bürgerrechtlerin im Jahr 2011 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.
Schon als Jugendliche betreute sie die Opfer des liberianischen Bürgerkrieges. Sie wusste, welch verheerende Auswirkung die allgegenwärtige, brutale Gewalt im Land auf die Menschen hat, wie viele zerstörte Biographien der Krieg zurückließ. Im Jahr 2002 gründete sie die Bewegung „Women of Liberia Mass Action for Peace“, frei übersetzt: „Massenprotest der liberianischen Frauen für den Frieden.“ Die Frauen begannen mit öffentlichen Gebeten und Protestgesängen auf den Marktplätzen der Hauptstadt Monrovia. Die gewaltfreie Protestform der Mütter und Frauen erhielt schon nach kurzer Zeit großen Zulauf aus der Bevölkerung. Die Teilnehmerinnen zogen sich als Erkennungsmerkmal weiße Kleidungsstücke an - Zeichen ihres unbedingten Friedenswillens. Sie prangerten die Übergriffe der Bürgerkriegsparteien und den Diktator Charles Taylor an. Leymah Gbowee rief die liberianischen Frauen zum „Sex-Streik“ auf mit dem Ziel, die Waffen endlich dauerhaft zum Schweigen zu bringen und die Gewalt aus dem öffentlichen Leben zu verbannen. Viele weitere phantasievolle Aktionen des gewaltfreien Widerstandes führten schließlich zum Erfolg. Christliche und muslimische Frauen kämpften dabei Seite an Seite. Das ist hier viel zu wenig bekannt. Sie setzten die verschiedenen Bürgerkriegsparteien durch die öffentliche Aufmerksamkeit für ihre ungewöhnlichen, friedlichen Maßnahmen unter Druck, so sehr, dass schließlich ein Friedensvertrag geschlossen wurde. Liberia wurde nach demokratischen Wahlen von Ellen Johnson Sirleaf regiert, die gemeinsam mit Leymah Gbowee den Friedensnobelpreis erhalten hat. Mittlerweile hat es einen demokratischen Regierungswechsel gegeben. Der Diktator Charles Taylor hingegen musste das Land verlassen und wurde am 26.4.2012 vom Internationalen Gerichtshof für Menschenrechte in Den Haag wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt.
Ellen Johnson Sirleaf und Leymah Gbowee haben aus christlichlicher Überzeugung gehandelt. Sie haben sich orientiert an dem, der gesagt hat: Selig sind, die Frieden stiften, denn sie werden Gottes Kinder heißen (Mt 5,9). (vgl. Leymah Gbowee, Wir sind die Macht, S.190-192)
Es gibt klügere und schonendere Wege, sich im schwierigen politischen Geschäft national wie international zu behaupten als mit der Androhung oder der Durchführung kriegerischer Gewalt. Die Androhung der Wiederaufnahme von Manövern auf der korenischen Halbinsel durch die USA und ein russisches Großmanöver mit 300.000 Soldaten und ganzen Flottenverbänden Mitte September sind ein kultureller Rückfall.
Deeskalation fördern, miteinander reden, als letztes Mittel auch wirtschaftliche Embargos – es gibt viele erprobte Wege, die teils heftigen Konflikte auf dieser Welt ohne Krieg auszutragen.
Und es gibt Gott sei Dank viele Menschen in und außerhalb von Regierungen und öffentlichen Verwaltungen, in Nachbarschaften und Aktionsgruppen, die an diesem Ziel täglich mit großem Einsatz arbeiten. Allen, die so unterwegs sind, wünsche ich Erfolge bei dieser segensreichen Arbeit und Mut, wenn es schwierig wird, was bei diesem Thema dazu gehört.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Rüdiger Schulze ist Dekan des Evangelischer Kirchenbezirk Emmedingen.